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Die Europäische Zentralbank – Herrschaft abseits von Volkssouveränität

Die Europäische Zentralbank (EZB), d.h. die Zentralbank des Euro-Raumes, ist gemäss Steinhardt Teil eines Herrschaftsapparats, den er in der Tradition des «autoritären Liberalismus» sieht. Es ist vorgängig gemäss Steinhardt festzuhalten, dass Staat und Markt keine Antipoden sind. Der Markt ist eine politische Institution, die durch Gesetze, Gerichte und Polizei gegeben ist. Der Staat ist für die Etablierung und Aufrechterhaltung von Märkten unabdingbar. Bei der Politik um die Stärkung der Märkte geht es darum, die Verteilungspolitik der Politik weitmöglichst zu entziehen, diese zu entpolitisieren, mit dem Ziel, Verteilungsfragen durch den Preismechanismus und nicht durch demokratische Entscheidungsprozesse zu lösen. Die EZB ist Teil eines solchen Systems der Entpolitisierung von Verteilungsfragen.

Als Evidenz für diese These führt er das Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts vom 5. Mai 2020 zu dem von der EZB Mitte 2014 aufgelegten Staatsanleihenkaufprogramm (PSPP). Es werde mit dem PSPP «der Grundsatz der Verhältnismässigkeit missachtet», so das Urteil. Der Vorwurf lautet, dass das PSPP Verteilungswirkungen hätte, die sich nicht demokratisch legitimieren lassen.

Das Urteil stiess bei vielen progressiven ÖkonomInnen auf massive Kritik. Es berücksichtige makroökonomische Zusammenhänge nicht und sei ein Angriff auf die Unabhängigkeit der EZB. Schon der Begriff «Unabhängigkeit» im Zusammenhang mit einer staatlichen Behörde sollte bei Demokraten die Alarmglocken schrillen lassen. Unabhängigkeit darf in einer Demokratie nur relativ auf ein spezifisches Mandat sein, wobei das Mandat demokratisch zu erteilen ist. Die Politiker in Deutschland führten keine Debatte über die Verteilungswirkungen der Politik der EZB, sondern zogen es vor, die Verfassungsrichter ob ihrer mit dem Urteil vermeintlich zum Ausdruck gebrachten «anti-europäischen» und «nationalistischen» Haltung zu schelten. Dabei ist es das wesentliche Merkmal demokratisch legitimierter Herrschaft, wenigstens parlamentarisch zurückgebunden zu sein. In keinem vor dem Urteil öffentlich zugänglich gemachten Dokumente der EZB wurde übrigens die Frage der Verteilungswirkung der PSPP auch nur gestreift, wobei vor allem Banken, Aktionäre und Immobilienbesitzer von der PSPP profitiert haben.

Hat sich die EZB aber mit der 2023 vollzogenen «Zinswende» nicht wieder auf das ihre erteilte «enge» geldpolitische Mandat zurückgezogen? Ist also die These einer Unvereinbarkeit «unkonventioneller Geldpolitik» mit dem Konzept der Demokratie nicht Schnee von gestern? Von einer Beendigung der Staatsanleihenkäufe durch die EZB kann aber keine Rede sein. Es kam lediglich zu einer Reduktion der Ankaufsvolumina, die allerdings auch Auswirkungen auf die Verteilung hat: Der ursprüngliche Kauf von Staatsanleihen durch die EZB hat den fiskalpolitischen Handlungsspielraum von Euroländern mit relativ hohen Staatsschuldenquoten vergrössert. Mit der Reduktion werden daher umgekehrt die Möglichkeiten dieser Länder, ihre Wirtschaftsentwicklung zu fördern, gegenüber Ländern mit niedrigeren Staatsschuldenquoten asymmetrisch eingeschränkt. Zudem ist die «konventionelle Geldpolitik» nicht so unpolitisch wie sie sich gibt. Sie stellt vielmehr einen Eingriff in die Tarifautonomie dar und schlägt sich dabei eindeutig auf die Seite des Kapitals. Sie droht der Arbeitnehmerseite bei zu «hohen» Lohnabschlüssen mittels ihrer Geldpolitik Arbeitslosigkeit zu generieren.

Die Politik hat die oft verfassungsmässig festgehaltene Aufgabe, den Nutzen der Bevölkerung zu mehren und Schaden von ihr abzuwenden. Daher ist es gewiss eine Aufgabe der Politik, die Finanzstabilität zu gewährleisten, wobei sich die Politik bislang weitgehend darauf beschränkt, die Bankenregulierung und die Bankenaufsicht zu verbessern. Dies setzt aber voraus, dass nur regulatorische Mängel für die wiederkehrenden Krisen des Finanzsystems verantwortlich sind. Diese Voraussetzung ist aber falsch:

Banken benötigen nämlich für die Vergabe von Krediten von niemandem vorab Geld. Es bedarf dafür lediglich eines einfachen Buchungssatzes. Giroguthaben sind formal-rechtlich eine Forderung der Kontoinhaber gegenüber ihrer Bank und bei einer Insolvenz der Bank können möglicherweise Geldschulden nicht fristgerecht oder nicht mehr vollumfänglich beglichen werden – der Supergau für über das Zahlungssystem eng vernetzte und voneinander abhängige Wirtschaftssubjekte. Banken werden daher weitgehend vom Haftungsprinzip freigestellt. Sie können mit der Kreditvergabe Geld verdienen, bürden aber die damit verbunden Risiken einer Zentralbank, dem Gläubiger und dem Steuerzahler auf. Dieses Problem des Bankengeldes spricht gemäss Steinhardt für eine Geldreform, die auf ein staatliches Geldschöpfungsmonopol setzt. Im Rahmen der EU ist davon allerdings kein Mehr an Demokratie zu erhoffen, sondern ein Mehr an Technokratur. Es gilt daher, die Möglichkeiten einer Rückkehr zu nationalen Währungen zu prüfen.

Dagegen wird eingewandt, die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Kosten eines Euro-Exits seien so immens, dass sich schon der Gedanke daran verbiete. Zur Finanzierung «progressiver» Vorhaben sei eine fiskalpolitische Erweiterung des Mandats der EZB alternativlos. Dieser Einwand übersieht neben der mangelnden demokratischen Kontrolle der EZB den Umstand, dass die EZB im Rahmen des europäischen Institutionengefüges die Fiskalpolitik ihrer Mitgliedsländer lediglich mit dem Ankauf von Staatsanleihen am Sekundärmarkt unterstützt. Sie leistet damit aber unvermeidlich einer für die Gesamtwirtschaft destabilisierenden Überfinanzierung des Finanzsektors Vorschub. Das Büchlein enthält wie viele Bücher zur Geld und Geldpolitik technische Details, die nicht einfach zu verstehen sind. Die Grundtendenz der Ausführungen von Steinhardt wird allerdings durchaus deutlich.

Paul Steinhardt, 2024, Die Europäische Zentralbank – Herrschaft abseits von Volkssouveränität, Wien, Promedia.


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