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Zwischen Globalismus und Demokratie

Wolfgang Streeck, bis 2014 Direktor am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln, versucht in seinem Buch die These zu begründen, dass die Globalisierung auf dem Weg zu den angestrebten Globalen Regelungen (Global Governance), welche den internationalen Rahmen der neoliberalen Weltwirtschaftsordnung durchsetzen sollten, stecken geblieben ist. Basierend auf Institutionen, Gesetzen, Prinzipen und Regeln sollte eine internationale Ordnung gewährleistet werden, welche Wirtschaftspolitik dem Einfluss der territorialstaatlichen Demokratien weitgehend entzieht. Die „Eliten“ wollten die Wirtschaftspolitik, worunter sie Deregulierung verstehen, unter sich regeln – auch mittels einer zu ihren Gunsten organisierten Verrechtlichung der Beziehungen wie z.B. Schiedsgerichten zum Schutz von Investitionen als Absicherung gegen demokratische Entscheidungen in den Territorialstaaten.

Die EU bildet in diesem Bestreben ein Art Zwischenebene. Sie versucht, einerseits genau dieses Programm bezüglich Europas durchzusetzen, agiert aber auf globaler Ebene als Akteur, der das Programm zusammen mit den USA global durchsetzen will.

Angesichts des Steckenbleibens des Globalismus hat „Die Suche nach einer Neubegründung von Politik unterhalb eines Globalismus, für den Politik nur als staatlich betriebene Freisetzung von Marktkräften möglich sein soll – [..] begonnen.“ Auf globaler Ebene gibt es gemäss Streeck keine Demokratie, es sei denn eine ihrer egalitär-interventionistischen Kapazität beraubten elitäre Fassadendemokratie. „Da der Umbau einer Demokratie zu einer Fassadendemokratie aber Widerstand in Gestalt einer Verteidigung lokaler, partikularistischer, sich einem globalen Effizienzwettbewerb widersetzenden Ordnungen auslöst, kommt es im Übergang zum Globalismus am Ende zu institutioneller wie wirtschaftlicher Stagnation“ (S. 27). «Der Globalismus scheitert letztendlich am Widerstand der kleinen Leute [], an ihrem Willen, Kontrolle zurückzugewinnen und die Möglichkeit redistributiv-protektionistischer Demokratie [] zu verteidigen.»

Das postneoliberale Interregnum, in dem wir uns befinden, lässt sich als unentschiedener Zwischenstand, - als vorläufiges Patt – in einem Tauziehen zwischen einerseits den Eliten der neoliberalen Koalition beschreiben, die einen institutionellen Durchbruch «nach oben» suchen, und andererseits den von ihnen aufgescheuchten, «populistischen» Kräfte, die sich von einem Zurückholen von Kompetenzen mehr Mitsprache über ihr Leben in Gegenwart und Zukunft erhoffen. Dabei sind die neoliberalen Eliten durchaus auf die Staaten angewiesen, um ihre Ideen realpolitisch durchzusetzen – die Staatsbürokratien und die Regierungen müssen Beschlossenes umsetzen. Eine endgültige «Überwindung» der Territorialstaaten ist deshalb nicht möglich. Angestrebt wird eine internationale Ordnung, die den Territorialstaat zum reinen Gehilfen dieser Ordnung macht – um die Störungen durch Demokratie zu verhindern, dem ganzen durch Fassadendemokratie aber genügend, allerdings sehr fragile Legitimation zukommen lässt.

Ein Durchbruch nach oben ist gemäss Streeck aber auf Dauer nicht realisierbar, da globale Regeln den lokalen Gegebenheiten nicht gerecht werden können. Dies schüfe vor Ort Unmut und würde die Legitimität der Global Governance bedrohen.

Ein eigenes, grösseres Kapitel liefert er in diesem Zusammenhang der EU-Integration. Gemäss Streeck stand ein «geeintes Europa» als Resultat einer Einschmelzung der souveränen europäischen Staaten in einen souveränen europäischen Gesamtstaat nie auf einer ernstzunehmenden politischen Tagesordnung. Die «immer engere Union der Völker Europas» (man beachte den Plural, es wird nicht ein einziges Volk postuliert) stellten sich die wenigsten als Superstaat vor. Die Herren der EU und ihrer Vorgängerinstitutionen waren immer die Mitgliedstaaten, die solche bleiben wollen. Diskussionen über das «Endziel» der EU-Integration werden peinlichst vermieden, um keinen Streit aufkommen zu lassen. Dies bedeutet aber nicht, dass die Mitgliedstaaten gleichberechtigte Teilnehmer am EU-Projekt wären. Streeck beschreibt die EU als einen hierarchisch strukturierten Block nominell souveräner Staaten. Dabei werden periphere Staaten (z.B. Griechenland, Portugal, Oststaaten) eher eingemeindet statt einbezogen. Die «Eliten» der Peripherien müssen durch ein wirksames Elitenmanagement durch das Zentrum eingebunden werden. Wie anlässlich der Finanzkrise 2008 mit Griechenland umgegangen wurde, kann für dieses «Management» als Beispiel dienen. Zum Management gehören z.B. aber auch Finanzspritzen, sowie Drohungen, solche auszusetzen.

Das Management ist aber nicht einfach und versagte bei den zentrumsnahen Briten. Das EU-Imperium kann nicht verhindern, dass Länder von ihrer formal verbliebenen Souveränität Gebrauch machen, um aus ihr auszuscheiden. Als das Vereinigte Königreich beschloss, die EU zu verlassen, haben Deutschland und Frankreich nicht einmal daran denken können, in Grossbritannien einzumarschieren, um die Briten in «Europa» zu halten. Andererseits hätte ein zu gütlicher britischer Austritt aus deutscher oder deutsch-französischer Sicht die imperiale Disziplin untergraben, da andere mit dem Regime ebenfalls unzufriedene Länder möglicherweise in Betracht gezogen hätten, sich selbständig zu machen. Oder, wenn ein britischer Ausstieg durch bedeutende Zugeständnisse verhindert worden wäre, hätten andere Länder vielleicht eine Neuverhandlung des acquis communautaire verlangt, der nach dem Willen der Vertragsparteien und des EU-Gerichtshofs auf ewig unverhandelbar sein soll. Insgesamt stellt sich die Frage, wie lange das Zentrum genügend Mittel aufbringen kann, um ein wirksames Elitenmanagement zu betreiben.

Streeck spricht sich deutlich für Kleinstaaterei aus, die er der undemokratischen Grossstaaterei gegenüberstellt. Nur erstere kann die Wirtschaft stärker in den Dienst der Mehrheit der Menschen eines Staates stellen. Streeck erinnert daran, dass die Anzahl der Staaten in den letzten 40 Jahren stark angestiegen ist. Zudem ist der Median der Bevölkerungsgrösse der Staaten gesunken und liegt neu etwas unter demjenigen der Schweiz.

Wolfgang Streeck (2021), Zwischen Globalismus und Demokratie: Politische Ökonomie im ausgehenden Neoliberalismus, Berlin: Suhrkamp.


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