Die Studie in der Schriftenreihe des Zentrums für angewandte Politikforschung in Wien analysiert die Konsequenzen der EU-Mitgliedschaft für die österreichischen Politiknetzwerke und Entscheidungsprozesse. Die empirische Studie beruht auf Befragungen von Exponenten des österreichischen Politiknetzwerkes (Beamte, Regierungsvertreter, Verbandsvertreter, Parteienvertreter, usw.) und sie umfasst detaillierte Fallstudien zu konkreten Entscheidungsprozessen (Sozialpolitik, Entsenderichtlinie und Arbeitsvertragsrechtsanpassungsgesetz, Elternurlaubrichtlinie, Umweltpolitik, IPPC-Richtlinie, Umweltverträglichkeitsprüfung).
Laut der Studie hat die EU-Mitgliedschaft zu einer Stärkung der Regierung und der Verwaltung bei gleichzeitigem Einflussverlust des Parlaments geführt. In Österreich wurde zwar versucht, der in anderen EU-Staaten beobachteten Tendenz des Einflussverlustes der jeweiligen Parlamente durch im internationalen Vergleich weitgefasste Mitwirkungsbefugnisse an der EU-Politik zu begegnen. In der Praxis erwiesen sich die Befugnisse allerdings nicht als Gegengewicht zur Stärkung der Regierung/Verwaltung.
Die faktische Bedeutungslosigkeit des Parlaments wird unter anderem durch die Informationsflut bewirkt: "Die Idee der Bürokratie ist es, das Parlament solange mit Papier zu überschütten, bis es nicht mehr atmen kann und sowieso keine Chance hat herauszufinden, was wichtig ist", meinte eine der befragten Personen (S. 232). Die parlamentarische Beschäftigung mit EU-politischen Fragen ist entsprechend unsystematisch. Erschwerend für die parlamentarische Kontrolle erweist sich auch die Komplexität und mangelnde Transparenz der EU-Entscheidungsprozesse. Die Vertraulichkeit der entscheidungsrelevanten Ratstagungen bringt etwa mit sich, dass unter anderem auch die nationalen Parlamente auf die (teils widersprüchlichen) Selbstdarstellungen der Teilnehmenden bzw. auf Informationen durch die EU-Kommission oder durch "gewöhnlich gut informierte Kreise" angewiesen sind. Das erschwert eine Überprüfung der Berichterstattung der Exekutive an das jeweilige Parlament. Entsprechend schwierig ist es nachzuprüfen, ob die Regierungsvertreter in den Ministerräten die versprochenen Positionen vertreten haben.
Ein weiteres Problem für die politische Kontrolle von EU-Verhandlungen durch nationale Parlamente besteht in den sogenannten "package deals" (Verhandlungspakete). Es handelt sich um Kreuzkonzessionen auf verschiedenen Gebieten, die oft in Marathonverhandlungen zwischen Regierungsvertretern ausgehandelt werden. Der österreichische Fall belegt somit, dass auch bei besonders weitgehenden rechtlichen Beteiligungsmöglichkeiten des Parlamentes deren praktische Relevanz durchaus fraglich sein kann.
Bezüglich der Mitwirkung der Länder und Gemeinden an der österreichischen EU-Koordination ergeben sich folgende Probleme: Interessengegensätze und Koordinationsprobleme lassen die Erarbeitung gemeinsamer Standpunkte und deren Vertretung nicht zu. Die oft widersprüchlichen Interessen der Bundesländer in Einzelfragen behindern in der Praxis auch deren Möglichkeit, die Regierung selbst in Angelegenheiten, in denen die Gesetzgebung in Österreich Landessache ist, an eine "einheitliche Stellungnahme" der Länder zu binden.
Für die übrigen politischen Akteure sind die Anforderungen durch die Mitwirkung an der Mehrebenenpolitik gestiegen. Die Verflechtung der politischen Systeme der Staaten in der EU macht Entscheidungsprozesse durch zusätzliche Arenen und Akteure noch komplexer. Die Entscheidungsmodalitäten auf Unionsebenen sind uneinheitlich und für Aussenstehende schwer durchschaubar. Es muss nicht nur das viele tausend Seiten starke EG-Amtsblatt berücksichtigt werden, sondern auch die vielen Berichte und Materialien. Damit ergeben sich Gewichtungs- und Verarbeitungsprobleme. Zur Informationslawine kommt der Zeitdruck. Den Akteuren wird ein terminlicher Rahmen vorgegeben, den sie kaum noch beeinflussen können. Akteure, die eher am Rande eines Politiknetzwerkes stehen und deren Reaktionsmöglichkeiten auf Grund beschränkter personneller Ressourcen unzureichend sind, können dadurch zur faktischen Bedeutungslosigkeit verurteilt werden. Generell ist damit festzuhalten, dass die gestiegenen Anforderungen im europäischen Mehrebenensysem das für manche Politikakteure auch zuvor schon gravierende Problem der Ressourcenknappheit weiter verschärft. Während grosse Verbände wie die der Arbeitgeber durch die EU die Möglichkeit erhalten, auf nationaler Ebene ausgehandelte Entscheide auf EU-Ebene nochmals aufzurollen (S. 101 ff.), wenn ihnen diese nicht passen, haben kleinere Gruppierungen mangels personneller und finanzieller Mittel keine Chance, sich auf dieser Ebene einzubringen.
Gerda Falkner, Wolfgang C. Müller (Hg.), Österreich im europäischen Mehrebenensystem, Konsequenzen der EU-Mitgliedschaft für Politiknetzwerke und Entscheidungsprozesse, Schriftenreihe des Zentrums für angewandte Politikforschung, Band 17, Wien, Signum, 1998.
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