Stefani Bär unternimmt in dieser Studie eine detaillierte Analyse der Möglichkeiten der Umweltverbände, die EU-Umweltpolitik zu beeinflussen. Dabei kommt sie zu eher unerfreulichen Resultaten. Die Politikprozesse in der EU
können laut Bär in drei Phasen unterteilt werden. (1) die Phase der Entscheidungsvorbereitung, (2) die Phase der
Entscheidung (Normensetzung) und (3) die Phase der Umsetzung (Vollzug).
In der ersten Phase
ist so gut wie keine institutionalisierte Beteiligung von Umweltverbänden vorgesehen. Um in dieser
Phase mit den stark organisierten Interessen der Industrieverbände konkurrieren zu können, müssten sich die
Umweltverbände des Lobbyings bedienen. Hier stellt sich allerdings das Problem, dass die Umweltverbände allgemeine
Interessen verteidigen, während die Industrie handfeste, materielle Interessen verteidigt. Die materiellen Mittel sind
entsprechend ungleich verteilt. Während die Industrie mit ganzen Mitarbeiterstäben detaillierte Vorarbeit für den
Entscheidungsprozess leisten kann, sind die Umweltverbände diesbezüglich hoffnungslos im Hintertreffen. Erschwert
wird die Arbeit der Umweltverbände durch die Undurchsichtigkeit und Vielschichtigkeit der Entscheidungsprozesse.
Ein effizientes Lobbying müsste auf die EU-Kommission, die Expertenkommissionen der EU-Kommission, auf das
EU-Parlament, die Kommissionen des EU-Parlamentes, auf die aus den nationalen Administrationen
zusammengesetzten Arbeitsgruppen (COREPER) im Dienste der EU-Räte, im Wirtschafts- und Sozialausschuss und im
Ausschuss der Regionen Einfluss nehmen. Lobbying auf EU-Ebene verlangt somit grosse Mitarbeiterstäbe, Erfahrung
im Umgang mit den verschiedenen EU-Instanzen, persönliche Kontakte und genaue Insider-Kenntnisse über den
Instanzenweg und den zeitlichen Ablauf jedes einzelnen Fachgeschäftes. Das Hauptinstrument vieler Umweltverbände -
die Mobilisierung der Öffentlichkeit - kann auf EU-Ebene keine optimale Wirksamkeit entfalten, da eine europäische
Öffentlichkeit, die für die Ziele des Umweltschutzes genützt werden könnte, nicht existiert. Frau Bär schlägt deshalb
vor, dass die Verbände, die als Aktionsgrundlage "Skandalisierungsmöglichkeiten" in der Öffentlichkeit benötigen,
ihren schwerpunktmässigen Tätigkeitsbereich auf nationaler Ebene belassen. Trotzdem müssen die Tätigkeiten auf
EU-Ebene verstärkt werden, damit die nationalen Organisationen besser informiert sind.
In der zweiten Phase
(Verabschiedung von Normen) liegt das Hauptgewicht auf nationaler Ebene. Die komplett unter
Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindenden Entscheidungsprozesse gestatten keinerlei Einflussnahme auf EU-Ebene.
Deshalb muss Ziel umweltverbandlichen Handelns die Beeinflussung des nationalen abstimmungsbefugten Ministers
sein. Hier ist Lobbying von nationaler Ebene aus, in Verbindung mit der Möglichkeit, die Öffentlichkeit zu
mobilisieren, das adäquate Mittel.
In der dritten Phase
(Vollzug) ergeben sich in der EU erhebliche Probleme, da ständig gravierende Vollzugskrisen
herrschen. Im Gegensatz zur Wirtschaftsgesetzgebung mit vielen unmittelbar anzuwendenden Verordnungen und
präzise formulierten Richtlinien, werden im Umweltbereich vage Richtlinien erlassen. Die unterste Verwaltungsebene
der Mitgliedstaaten spielt beim Vollzug eine entscheidende Rolle, wobei sie bei der Erarbeitung der Richtlinien völlig
unberücksichtigt bleibt. Kontrollmöglichkeiten der EU-Kommission sind äussert beschränkt, da die EU auf dem
Gebiete des Umweltschutzes keine Inspektoren kennt. Klagemöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger sowie der
Umweltverbände fehlen, da für Klagen "die rechtliche Betroffenheit" erforderlich ist. Während von Regelungen im
Bereich der Transportpolitik Transporteure und Transportierte "betroffen" sind, ist im Bereich des Umweltrechts, laut
EU-Gerichtspraxis, kein Einzelner konkret und individuell betroffen. Diese Faktoren führen zur erwähnten
Vollzugskrise.
Frau Bär macht zum Schluss etliche Vorschläge, um die Einflussnahme der Umweltverbände zu stärken. Dabei geht sie
von der Prämisse aus, dass für die Problemlösung die EU unabdingbar sei, um den Umweltschutz auf breiter Ebene zu
verwirklichen. Die Teilstaaten werden implizit als die Sünder hingestellt, die durch die EU zu grösserem
umweltpolitischer Verantwortung zu erziehen sind. Diese Perspektive ist auf dem Hintergrund ihrer Ausführungen nicht
nachvollziehbar. Statt der Stärkung der EU wäre eine Stärkung der Demokratie in den Mitgliedstaaten zu fordern. Dies
wäre wohl die beste Garantie für die Verteidigung der Belange der Bevölkerungen. Abgesehen von dieser etwas
EU-philen Perspektive liefert das Büchlein aber eine Fülle von zuverlässigen Informationen und interessante Analysen.
pr
Stefani Bär, Die Einflussmöglichkeiten von Umweltverbänden in den Politikprozessen der EU, Bern, Zürich,
Stämpfli, Schulthess, 1996
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