Das Buch stellt eine Studie von Ökonomen zu den wirtschaftlichen Auswirkungen der direkten Demokratie dar. Zuerst widmen sich die Autoren Kirchgässner, Feld und Savioz manchen der Diskussionen der 90er Jahre bezüglich der direkten Demokratie. Es werden vor allem die Thesen von neoliberalen Kritikern der direkten Demokratie analysiert: S. Borner, A. Brunetti, Th. Straubhaar und W. Wittmann. Dabei werden deren Vorwürfe dargestellt und argumentativ widerlegt. Füller liefert das Buch keine (nur gegen Schluss gibt's einige Wiederholungen). Über weite Strecken wird jedoch dicht argumentiert, so dass die Lektüre ein Genuss ist. Die Thesen der Kritiker der direkten Demokratie zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sie empirisch nicht abgesichert sind. Das Buch legt demgegenüber facettenreiche, empirisch abgestützte Ergebnisse vor. Damit erweist sich, dass die neoliberale Kritik an der direkten Demokratie vor allem als Ideologie zu betrachten ist - den Professores Borner, Germann, Brunetti, Straubhaar und Wittmann ging es darum, den politischen "Eliten" in ihren Bestrebungen, die direkte Demokratie durch den EU-Beitritt weitgehend auszuschalten, Schützenhilfe zu geben.
Als Beleg für die Berechtigung der erhobenen Vorwürfe verweisen Kritiker der direkten Demokratie gewöhnlich auf Abstimmungen, die nicht in ihrem Sinne ausgegangen sind. Die Autoren verweisen darauf hin, dass natürlich auch in parlamentarischen Systemen nicht jede Entscheidung im eigenen Sinne ausfällt. Da die Menschen unterschiedliche Präferenzen haben, gibt es immer Personen, die mit Entscheidungen, die einem nicht passen, glücklich sind. Ob einzelne Entscheidungen im Interesse konkreter Einzelpersonen ausfallen oder nicht, kann entsprechend kein Kriterium für die Bewertung von Entscheidungsverfahren liefern. Will man politische Entscheidungsverfahren beurteilen, sind entsprechend andere Kriterien nötig. Die Autoren schlagen folgende Beurteilungskriterien vor:
(1) Jeder Mensch hat im Prinzip das Recht, gleichberechtigt seine Präferenzen in die Entscheidungsverfahren einzubringen. Auf dem Hintergrund dieses Rechtes stellt sich die Frage, ob die Existenz direktdemokratischer Elemente in der Verfassung dazu führt, dass sich die Präferenzen der Individuen im politischen Prozess besser und differenzierter durchsetzen können als in einer rein parlamentarischen Demokratie.
(2) Um sicherzustellen, dass die Entscheidungen den Präferenzen der Individuen entsprechen, müssen diese informiert gefällt werden. Es stellt sich deshalb die Frage, ob die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger die Entscheidungen informiert treffen oder ob gewählte Repräsentanten erstens informierter sind und zweitens auf Grund dieser Informationen die Interessen der Bevölkerung besser wahrnehmen.
(3) Bei politischen Entscheidungen sind nicht nur eigene Interessen, sondern die Interessen der übrigen Bewohner eines Landes zu berücksichtigen: so sind Entscheide, Minderheiten auszurotten, nicht legitim. Es stellt sich die Frage, ob die direkte Demokratie oder die parlamentarische Demokratie besser zur Berücksichtigung von anderen Standpunkten führen.
Auf dem Hintergrund dieser Kriterien fordern die Autoren: (1) die direkte Demokratie darf nicht nach dem Ausgang einzelner Entscheidungen beurteilt werden, sondern sie ist nach der zu erwartenden durchschnittlichen Qualität der Gesamtheit aller Entscheidungen zu beurteilen. (2) In der direkten Demokratie der Schweiz ist der Status Quo faktisch gegenüber neuen Lösungen (leicht) bevorzugt. Dies nützt in unterschiedlichen Situationen unterschiedlichen Parteien bzw. Interessengruppen. Man sollte die direkte Demokratie daher nicht (ausschliesslich) aufgrund einer augenblicklichen (aber vorübergehenden) Interessenlage beurteilen. (3) Bei der Beurteilung der direkten Demokratie der Schweiz ist als Vergleich die tatsächliche Situation in repräsentativen Demokratien (z.B. der Bundesrepublik Deutschland) heranzuziehen. Vergleiche mit dem Idealbild einer repräsentativen Demokratie haben keine Aussagefähigkeit".
In der Folge analysieren die Autoren spezifische Vorwürfe gegenüber der direkten Demokratie: Vorwurf der Langsamkeit: Dieser Vorwurf ist bezüglich des schweizerischen Systems ungerechtfertigt: Es gibt nämlich nach Art. 165 der BV die Möglichkeit, dass ein Bundesgesetz, dessen Inkrafttreten keinen Aufschub duldet, von der Mehrheit der Mitglieder jedes Rates für dringlich erklärt und sofort in Kraft gesetzt werden kann. Soweit das Gesetz eine Verfassungsgrundlage hat, unterliegt es dem nachträglichen fakultativen Referendum. Wird das Referendum ergriffen, tritt der Beschluss ein Jahr nach seiner Annahme ausser Kraft, falls er nicht vorher vom Volk angenommen wurde. Hat das Gesetz keine Verfassungsgrundlage, so ist es zu befristen und es unterliegt nachträglich dem obligatorischen Referendum, welches innerhalb eines Jahres durchgeführt werden muss. Entscheidet das Volk im Referendum gegen das Gesetz, liegt das nicht daran, dass das Verfahren zu langsam ist, sondern dass die Bevölkerung das Gesetz nicht will. Dies zu beklagen und die Mitentscheidung des Volkes ausschalten zu wollen, zeugt vom Willen, den Willen der Mehrheit aushebeln zu wollen.
Zudem gilt zu beachten, dass wegen des Initiativrechts das politische System in der Schweiz dann, wenn sich die etablierten Parteien einem neuen Problem verschliessen, sehr viel schneller reagieren kann als z.B. in der Bundesrepublik Deutschland. So wurde am 6. Juni 1971 in einer Volksabstimmung der Umweltschutz zur Staatsaufgabe gemacht. Erst 1994 wurde eine entsprechende Bestimmung in das Grundgesetz der BRD aufgenommen.
Vorwurf des übermässigen Einflusses kleiner Interessengruppen. Als Beispiel wird etwa das neue Arbeitsgesetz vom 1. Dezember 1996 erwähnt, das von der Bevölkerung abgelehnt wurde. Auch dieses Argument ist im Grunde antidemokratisch. Es ist zwar so, dass kleine Gruppen das Referendum ergreifen können. Entschieden wird dann jedoch vom ganzen stimmberechtigten Volk. "Dass die Interessengruppen in der Schweiz über einen erheblichen politischen Einfluss verfügen, ist unbestritten. Ob er aber grösser ist als in anderen europäischen Ländern, ist völlig offen. ... Die Einflussmöglichkeiten auf politische Entscheidungen dürften in überlasteten Parlamenten, in denen Hinterbänkler auf das Urteil von Meinungsführern im Interesse von Arbeitsteilung vertrauen, kaum geringer sein als bei Referenden". Vermutlich steigt ohne direkte Demokratie der Einfluss der etablierten, organisationsfähigen Interessengruppen auf Kosten jener, die schlechter organisiert sind. Zudem ist es leichter und billiger, ein paar Hundert Abgeordnete zu "kaufen" als ein paar Millionen Stimmbürgerinnen und Stimmbürger. Die Autoren verweisen auf das völlige Fehlen von aussagekräftigen vergleichenden Studien auf diesem Gebiet.
Vorwurf der Unvereinbarkeit mit internationalem Recht: Auch dieser Vorwurf ist weitgehend Ausdruck antidemokratischer Einstellung: insoweit internationales Recht kündbar ist, gibt es keinen Grund dafür, dem Volk das Recht zu verweigern, solchem internationalen Recht widersprechende Regulierungen zu verlangen. In Bezug auf internationale Verträge, die grundlegende Menschenrechte betreffen, werden entsprechende Volksinitiativen für ungültig erklärt. Die Autoren vertreten die Meinung, dass dies jedoch nicht wie heute durch das Parlament, sondern durch ein Verfassungsgericht zu erfolgen hätte.
In der Folge diskutieren die Autoren verschiedene Vorschläge, die Volksrechte zu "verwesentlichen". Ausführlich werden verschiedene Quoren verhandelt: Parlamentsquoren (z.B. mindestens 30 % der Abgeordneten müssen gegen ein Gesetz sein. Sonst ist ein Referendum nicht möglich) sind abzulehnen. Der Zweck des Referendums ist die Entscheidung des Volkes, wenn es Opfer von gegen die Mehrheitsinteressen gerichteten Koalitionen der Politiker zu werden droht. Zudem bieten solche Quoren Anreize zu strategischem Verhalten: die Abgeordneten entscheiden letztlich nicht mehr darüber, ob ein Gesetz anzunehmen oder zu verwerfen ist, sondern ob es dem Referendum zu unterwerfen ist.
Besonders kritisch äussern sich die Autoren zu Vorschlägen, bei Abstimmungen Beteiligungsquoren einzuführen (wie sie etwa vom angeblich liberalen SVP-Politiker und Professoren U. Zimmerli mehrmals gefordert wurden). Stimmbeteilungsquoren fördern abstimmungsstrategisches Verhalten. Die Gegner einer Vorlage versuchen, wenn sie wissen, dass sie eine Abstimmung verlieren werden, die Stimmbeteiligung möglichst tief zu halten. Dadurch kann es ihnen gelingen, den klaren Volkswillen zu missachten. Zudem wird das Grundrecht auf geheime Stimmabgabe verletzt. Gelingt die Demobilisierung von Gegnern, gehen nur Befürworter an die Urne, so dass sich diese öffentlich als solche zu erkennen geben müssen. Ein jugnes Beispiel dafür war die Abstimmung über die Einschränkung der Jagd in Italien: Die Jäger, die alte Democrazia Cristiana (incl. Ministerpräsident Andreotti) machten Mobil für eine Abstimmungsboykott. Das Gesetz, welches die schlimmsten Auswüchse der Jagd eingeschränkt hätte, wurde mit 89% angenommen, aber es gingen etwas weniger als 50% der Stimmberechtigten zur Urne. Das Resultat wurde als ungültig erklärt. In kleinen Gemeinden auf dem Lande war die Annahme der Vorlage bei sehr niedriger Stimmbeteiligung fast einstimmig, denn nur sehr wenige Mutige wagten es, am Abstimmungstag an den versammelten Jägern vorbei ins Stadthaus zu gehen und damit zum Ausdruck zu bringen, dass sie die Ansicht der bewaffneten Jäger in der Gegend nicht teilen.
In weiteren Kapiteln analysieren die Autoren detailliert die wirtschaftlichen Auswirkungen der direkten Demokratie. Dabei kommen sie zu durchwegs positiven Ergebnissen für diese Form der Demokratie. Allerdings verlieren sie dabei die Grundrechtskomponente der direkten Demokratie aus den Augen, die sie zu Beginn zu Recht in den Vordergrund rücken - die wirtschaftliche Argumentation tritt allzusehr ins Blickfeld. Da viele nur "Wirtschaft" verstehen, kann das Buch aber auch in diesen Kapiteln Vorteile für die Argumentation in manchen Bevölkerungsschichten haben.
Gebhard Krichgässner, Laars P. Feld, Marcel R. Savioz, Die direkte Demokratie, Modern, erfolgreich, entwicklungs- und exportfähig, Helbing & Lichtenhahn Verlag Vahlen, Basel, 1999.
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