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L’Europe en quête de ses symboles



Die Politologin Carole Lager geht in ihrem Buch von einem euronationalen Standpunkt aus der symbolischen EU/EG-Politik nach. Bei Symbolen (wie der EU-Fahne) gehe es darum, die Identität der Gruppe gegenüber der übrigen Welt zu behaupten (S. 21). Lager zitiert billigend Pierre Lantz, der mit Recht sage, eine gute Verwendung von Symbolen könne "einen bedeutenderen Machtzuwachs bedeuten als eine Batterie Kanonen" (S. 22). Das Ziel der EU bestehe darin, jeden Europäer in einen "europäischen Bürger" zu verwandeln, Gefühle der Zugehörigkeit zu "Europa" zu erzeugen. Eines der besten Mittel dazu sei die Verwendung von Symbolen. Symbole erlauben eine "gute Entwicklung der Persönlichkeit", sie erlauben es, Werte auszudrücken, die man sonst nicht ausdrücken kann (darf?) (S. 29). Symbole beenden die Identitätskrise und das Hin- und Herfliessen der Meinungen (S. 32). In diesem Sinn und Geist untersucht sie dann die symbolische Bedeutung des Geldes, einheitlicher Pässe und Fahrausweise, der EU-Fahne, der Hymne und von Sportanlässen.

Nach Ausführungen zur Bedeutung von Fahnen * sie drücken die Seele einer Nation, eines Volkes, einer Menge von Menschen, die durch dasselbe Ideal, durch dieselben Motivationen verbunden sind, aus -, zeichnet sie detailliert die Geschichte der EU-Fahne nach. Die EU-Fahne wurde ursprünglich vom Europarat lanciert und von der EU 1986 übernommen. Die religiösen Konnotationen der EU-Fahne versucht Lager eher herunterzuspielen * wie’s in Genf mit seiner (abgesehen von "Europa") laizisierten Tradition wohl auch angebracht ist. In der Tat übernimmt die EU-Fahne eine Symbolik aus der Apokalypse (S. 49). Im Kapitel 12 der Apokalypse steht geschrieben: "Ein grosses Zeichen erschien am Himmel: eine Frau, umkleidet mit der Sonne, der Mond unter ihren Füssen und auf ihrem Haupt ein Kranz von zwölf Sternen." Im Katholizismus steht diese Madonnenrepräsentation für die Immaculata, deren Fest am 8. Dezember stattfindet.

Bei der offiziellen Inauguration der Fahne durch den Europarat * an einem 8. Dezember und somit katholisches Fest der unbefleckten Empfängnis! * schenkte dieser Frankreich ein entsprechendes Glasfenster (blauer Hintergrund; 12 gelbe Sterne um den Kopf der Madonna), um eines der im Krieg beschädigten Seitenchorfenster in Strassburg zu ersetzen. Trotz dieser eindeutigen Koinzidenzen behauptet Carole Lager, dass sie Mühe hätte zu glauben, dass irgend eine religiöse Inspiration bei der Geburt der Euro-Fahne Pate gestanden hätte: "Ce ne sont que des hasards" (S. 69). Richard von Coudenhove-Kalergi hat da weniger Zweifel: "Protestanten, Juden, Moslems, Atheisten, Sozialisten und Liberale haben sich, ohne das geringste zu ahnen, unter dem Symbol der Jungfrau versammelt. [..] Europa hat endlich seine Fahne gefunden: das Diadem der Madonna" (S. 69).

Bei der Übernahme der Fahne durch die EU wurden die expansionistischen Bestrebungen der EU unmissverständlich deutlich gemacht: "Diese Fahne [..] zeugt vom Willen der Gemeinschaft, das Zentrum und der Motor einer weitreichenden europäischen Konstruktion zu werden, die alle Länder Westeuropas zusammenfügt, die durch eine Geschichte, eine Tradition und ein gemeinsames Erbe geeint sind." (Carlo Ripa di Meana). Wobei * Lager schreibt es nicht * die gemeinsame Geschichte und Tradition wohl im Kolonialismus, im Anzetteln von Weltkriegen und ähnlichem bestehen dürfte. Dieses gemeinsame Erbe lässt denn auch die anlässlich der offiziellen Inauguration der EU-Fahne von Jacques Delors geäusserten sinnigen Worte richtig interpretieren: "Die Gemeinschaft hat eine Dimension erlangt, die ihr erlaubt, der modernen Welt zu begegnen (affronter!) und dort ihren Rang einzunehmen." (S. 57).

Carole Lager unterlässt es nicht, die Symbolik der Fahne im Detail zu deuten, wobei sie sich in Politpoesie verliert, die zu einiger Heiterkeit Anlass geben dürfte: Zu den Sternen bemerkt sich etwa, dass der fünfeckige Stern den individuellen Menschen symbolisiere (während der sechseckige Stern den universellen Menschen symbolisiere * S. 62). Neben dem individuellen symbolisierten fünf Ecken aber auch den kosmischen Menschen, den Menschen nach Mass des Universums. Zu den Farben bemerkt sie, dass die Rolle der Farben darin bestehe, präzise Gefühle zu wecken und die Kohäsion der Gruppe zu gewährleisten. "Diese Gefühle können so intensiv sein, dass der Mensch oder die Gruppe es vorziehen, ihr Leben zu opfern als ihre Fahne im Stich zu lassen" (S. 64).

Interessant am Buch Lagers sind die Hinweise darauf, dass bei der EU eine bewusste Strategie bei der Benutzung von Symbolen vorliegt. Fahne, Hymne, Fahrausweis, Pass, Sportanlässe, europäische Kulturstädte, europäische Jahre, Erinnerungsfeiern, Europatage, Volksmärsche * die Verwendung all dieser Mittel wird gezielt geplant, um "Zugehörigkeitsgefühle" zu schaffen und um die Vergangenheit zu mystifizieren (Lagers Worte!): "Als Identitätsdokument, das allen Bürgern der Europäischen Gemeinschaft gemeinsam ist, ist der europäische Pass das Symbol par excellence der Zugehörigkeit zu dieser Gemeinschaft" (EU-Kommission, Identité européenne, des symboles aux sports, mars 1987, p.6, collection Le Dossier de l’Europe). Es geht darum, im Alltag präsent zu sein. Erhellend Lagers Schilderung des Interesses der EU für Olympiaden: "Es handelt sich um ein Massenphänomen, das eine starke Symbolik hat. Daher das Interesse, das die EU ihr (der Olympiade) entgegenbringt" (S. 95). Jacques Delors im Klartext: "Indem wir die "Tour de l’Avenir" sponsoren, will die Europäische Gemeinschaft für den Kampf bezüglich der europäischen Konstruktion Sensibilität wecken * bei Millionen und Millionen von Menschen, die ohne solche Mittel davon nichts wüssten". (S. 95). So versuchte die EG/EU auch EU-weite Grossanlässe zu starten, was ihr beim Schwimmen gelang. Zudem lancierte die Kommission eine erste EU-Mannschaft im Rahmen von internationalen Segelmannschaften (eines der Schiffe hiess sinnigerweise "traité de Rome"). Der Versuch, bei der Olympiade die EU-Fahne zu hissen, scheiterte aber bisher.

Das Bestreben der EU, die Zustimmung mit Schein und Symbolik statt mit politischen Argumenten zu erlangen, rechtfertigt Lager mit dem Hinweis, dass der Sport ein Regime in günstigem Licht erscheinen lassen kann, wenn dieser als Propagandamittel und als politische Tribüne verwendet werde (S. 98). Und sie fügt mit Machiavelli hinzu "Le vulgaire est toujours séduit par l’apparence et par l’événement". Um den Schein zu wahren, müsse der Prinz "zu gewissen Zeiten des Jahres das Volk mit Festen und Spektakeln belustigen". "Wir wissen, dass die Nazis Sportereignisse brauchten, um ihre Ideologie zu vermitteln. Die EU, erreicht glücklicherweise dieses Sozialisationsniveau nicht. Indem sie sportliche Wettkämpfe sponsort, macht sie, wie Jacques Delors sagt, nichts ‘als die modernen Mittel der Kommunikation verwenden, mit ihren symbolischen und gefühlsmässigen Aspekten’" (S. 99). Und schliesslich als krönender Abschluss solcher Überlegungen: Die Motiviation der EU, als solche an der Olympiade gegenwärtig zu sein, ist einfach: "die vergangenen Resultate haben gezeigt, dass die Athleten der Europäischen Gemeinschaft zusammen mehr Medaillen als die Amerikaner und die Soviets" erringen (S. 99).

Am Schluss der Studie zeigt sich Carole Lager überzeugt, dass die "europäischen" Symbole nützlich und notwendig seien. Sie tragen zur "europäischen Identität" bei. Sie modellieren das Bewusstsein, sie exaltieren die "europäischen Werte", sie erwecken den "europäischen ‘Patriotismus’". Das Buch von Carole Lager ist zweifach verdienstvoll: einerseits auf Grund der Quellenangaben für Texte der EU-Kommission bezüglich der symbolischen Strategie der EU, anderseits zeigt es als Produkt recht unverblümt euronationaler Gesinnung die Zielrichtung des friedensgefährdenden EU-Grossmachtprojektes. pr

Carole Lager, L’Europe en quête de ses symboles, Bern, Peter Lang, 1995.

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