Übersicht Buchbesprechungen Auf dem Weg zur SupermachtGerald Oberansmayr von der Friedenswerkstatt Linz legt ein Büchlein vor, das die Militarisierung der EU detailliert darlegt - durch die entsprechenden Zitate aus Verträgen und durch weniger formelle Äusserungen von Ministern, Militärstrategen und hohen Offizieren gestützt. Neben den ständigen ideologischen Verklärungen der EU als Friedensprojekt ist eine dataillierte Analyse des faktischen Militarismus, des friedenszerstörenden Grossmachtstrebens der EU längst am Platz.
Eines der Ziele des Büchleins ist es, die Herausbildung der militärischen Supermacht EU historisch nachzuzeichnen. Oberansmayr zeigt eindrücklich, dass das EU-Projekt zu keinem Zeitpunkt "ein Projekt der friedlichen und gleichberechtigten Integration des Halbkontinents war, um ihn von seiner blutigen Geschichte zu erlösen". Schon zu Beginn ging es um vielfältige und unterschiedliche Machtinteressen der beteiligten Akteure. Die ersten Schritte der EG-Integration und die ersten Anläufe zu einer "gemeinsamen Verteidigungspolitik" müssen im Umfeld des Ost-West-Gegensatzes, des ausgehenden Kolonialismus, der aber etwa in Algerien in der sehr gewalttätigen französischen Version immer noch wütete, des Wunsches Deutschlands nach Wiederbewaffnung und des Wunsches Frankreichs nach der Kontrolle Deutscher Waffenschmieden gesehen werden.
Das Buch zeigt auch die enge Verbindung von wirtschaftlicher Integration - zwecks Erlangung der Weltvorherrschaft "europäischer" Multis und der Entwicklung militärischer Kapazitäten, um Absatzmärkte und Rohstoffzulieferung zu sichern. Die wirtschaftliche Integration dient dabei zwei Zwecken. Durch die Verschärfung der Konkurrenz kann die Arbeitslosigkeit gesteigert und damit Sozialdumping und Lohnkostensenkung durchgedrückt werden. Die Lohnquote fiel in der EU von 76% Anfang der 1980er Jahr auf 68% Ende der 1990er. Auf der anderen Seite konnten durch eine Welle von Fusionen und Übernahmen Megakonzerne entstehen, welche für den globalen Konkurrenzkampf mit den USA und Japan fit waren. Die Zahl der grenzüberschreitenden Fusionen stieg allein zwischen 1986 und 1990 von 200 auf über 2000 an. 1999 war das erste Jahr, in dem die Fusionswelle in Europa grössere Kapitalmassen bewegte als in den USA.
Zusammen mit der Vorbereitung der Lancierung des Binnenmarktprojektes in den 80er Jahren wurde die WEU (Westeuropäische Union, während einiger Zeit der militärischer Arm der EU in spe) wieder aktiviert. Dies vor allem aus zwei Gründen: die WEU kannte eine striktere Beistandspflicht als die NATO und sie kannte keine Beschränkung auf das eigene Hoheitsgebiet. Durchstarten konnte die Militarisierung der EU aber erst nach dem Zusammensturz des realexistierenden Sozialismus in Ost- und Mitteleuropa. Die EU-Eliten nahmen die Welt zunehmend als Tummelfeld ihrer Interessen war, die es auch militärisch zu verteidigen galt. So meinte etwa der Kohl-Berater Michael Stürmer bei einem Vortrag vor der Österreichischen Gesellschaft für Landesverteidigung und Sicherheitspolitik: "In der Vergangenheit war die Aussenpolitik der Europäischen Union zivil im Stil, wirtschaftlich in der Substanz, finanziell in den Instrumenten. (..) Aber leider wird das Schicksal der Welt von morgen nicht nur entschieden von Wachstumsraten (...). Es wird auch notwendig sein, Recht und Ordnung jenseits der glücklichen Insel Europa zu schützen und dafür zu sorgen, dass die Welt ein geordneter Platz bleibt. (...) Ja, es wird der stählerne Faden militärischer Macht eingewebt werden müssen in die Diplomatie, der Wille, sie zu gebrauchen, und die Fähigkeit zur Eskalation." Oder der deutsche General Naumann etwas unverblümter: "Es gelten nur noch zwei Währungen in der Welt. Wirtschaftliche Macht und militärische Mittel, sie durchzusetzen".
Maastricht stellte der erste Durchbruch für die neuen, grossmachtpolitischen Aspirationen dar. Es wurde dafür gesorgt, dass EU-Mitgliedsländer nicht mehr aus der Reihe tanzen können. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, "die Aussen- und Sicherheitspolitik der Union aktiv und vorbehaltlos im Geist der Loyalität und gegenseitigen Solidarität (zu unterstützten)" (EUV, Artikel J.1.4.). Die WEU wurde zum integralen Bestandteil der Entwicklung der EU ernannt. Mit den sogenannten Peterberger Aufgaben ging man dann rasch in Richtung globale Interventionsfähigkeit. Kampfeinstätze bei der Krisenbewältigung ausserhalb des eigenen Hoheitsgebietes wurden vorgesehen. Die Entwicklung weg von Milizarmeen hin zu Profiarmeen muss in diesem Zusammenhang gesehen werden. Profis killen zuverlässiger und der Widerstand gegen Kriegseinsätze an der "Heimatfront" kann leichter eingedämmt werden. Das US-Beispiel zeigt, dass in Berufsarmeen vorrangig die sozialen und ethnischen Unterschichten die koloniale Drecksarbeit verrichten. Damit können soziale Spannungen in die Peripherie abgeführt werden, während Wehrpflichtarmeen - siehe Vietnam - politisch gefährliches Rückschlagspotenzial für die Zentren bergen (S. 42). Entsprechend wurde in Frankreich 1997-2001 die Wehrpflicht gänzlich zu Gunsten einer Profiarmee abgeschafft. Belgien und die Niederlande fassten entsprechende Beschlüsse bereits 1992 und 1993. Spanien führte 2001 die Berufsarmee ein, Portugal 2003, in Italien wird der Übergang 2005 abgeschlossen sein.
Der Amsterdamer Vertrag besorgte dann die Integration der Petersberger Aufgaben in die EU-Verträge. Der Aufbau eigener Interventionskräfte wurde ermöglicht und sollte nur mehr von der Zustimmung des Europäischen Rates abhängen. Es fehlte nur noch der Katalysator, um Nägel mit Köpfen machen zu können: Der - vor allem auch unter deutschem Druck entstandene - Kosovo-Krieg kam da ganz gelegen. Oberansmayr liefert hier ein paar bemerkenswerte Hintergrundinformationen: die Rolle der deutschen Grünen in der Konstruktion der Militarisierung der Politik der EU. Die FAZ bemerkte etwa nach dem Krieg, dass ohne den grünen Aussenminister Fischer "diese militärische Intervention vermutlich zu einem bürgerkriegsähnlichen Notstand im Innern geführt hätte (10.1.01). Und Fischer spielte dabei nicht nur passiv die Rolle eines Integrationsfaktors, sondern aktiv seine Rolle. Als die Untersuchungsergebnisse eines finnischen Ärtzteteams die Meldung von einem serbischen Massaker im Ort Racak nicht bestätigen wollten, hielt Fischer diese Ergebnisse unter Verschluss. Der Öffentlichkeit erzählte er ungeniert: "Racak war für mich der Wendepunkt".
Nach dem Kosovo-Krieg war der Bann gebrochen. EU-Grössen bekannten sich immer ungenierter und unverblümter zur Militarisierung der EU-Aussenpolitik. Prodi ruft dazu auf, "der EU die Zuständigkeiten und die Mittel einer Weltmacht bereitszustellen". Javier Solana ruft begeistert: "Wir werden Supermacht". Der EU-Militärausschuss-Vorsitzende General Hägglund meint: "man hat gesagt, die USA werden den Krieg führen und die EU wird für den Frieden zuständig sein, indem sie zivile und humanitäre Aufgaben ausführt. Das war so und bezieht sich auf die Vergangenheit, aber das stimmt für die Zukunft nicht." (2002). Die Eliten der EU feierten den Jugoslawien-Krieg als die Geburtsstunde des "Neuen Europa". Beim darauf folgenden EU-Gipfel in Helsinki am 15. Dezember 1999 hoben die Staats- und Regierungschefs die EU-Eingreiftruppe aus der Taufe. Innerhalb von 60 Tagen soll eine 50000 bis 60000 Mann starke Truppe zusammengestellt werden können und über einen Zeitraum von einem Jahr im Einsatzgebiet verbleiben können. Als Einsatzbereich für diese Eingreiftruppe wurde ein Radius von 4000 Kilometern rund um die EU beschlossen. Damit stellten die EU-Mächtigen klar, was sie Zukunft als ihren Hinterhof betrachteten: Zentralafrika, Naher Osten, Osteuropa bis hinter den Ural und die kaspische Region. Javier Solana, der frisch gebackene Mr. GASP (Gemeinsame Aussen- und Sicherheitspolitik der EU) zelebrierte die Tragweite dieser Beschlüsse: "In der Sicherheitspolitik haben wir historische Entscheidungen getroffen. Gemessen am früheren Tempo der EU kann man fast von Lichtgeschwindigkeit sprechen. Die EU nimmt das Krisenmanagement in die Hand. (..). Dies ist nach der Währungsunion und neben der Erweiterung die bedeutendste Entwicklung der EU."
Die treibenden Kräfte hinter der EU-Militarisierung - Deutschland und Frankreich - gaben sich damit noch nicht zufrieden. Mit der neuen Verfassung sollte die Militarisierung verfassungsrechtlich festgeschrieben werden. Schon die Entstehungsgeschichte der "Verfassung" spricht für sich. Der luxemburgische Ministerpräsident, keine leuchtendes Vorbild für Demokraten und ein begeisterter Euronationaler, Prediger der angeblichen Vorzüge der EU für Kleinstaaten, geisselte die Arbeitsweise des Konvents mit folgenden Worten: "Ich habe noch keine dunklere Dunkelkammer gesehen als den Konvent". Aber selbst diese dunkle Dunkelkammer war den Drahtziehern in Berlin und Paris noch zu transparent: 340 der 460 Artikel wurde nie im Konvent diskutiert, sondern direkte zwischen den Aussenämtern in Paris und Berlin ausgehandelt. Paris und Berlin schafften es so, der Aufrüstung zu Verfassungsrang zu verhelfen - eine absolute Premiere in der Welt-Verfassungsgeschichte. Die Petersberger Missionen werden ausgeweitet: "Mit allen diesen Missionen kann zur Bekämpfung des Terrorismus beigetragen werden, unter anderem auch durch die Unterstützung für Drittstaaten bei der Bekämpfung des Terrorismus in ihrem Hoheitsgebiet" (Art. III-205). Damit wird dann auch jeder Einsatz überall auf der Welt möglich, da man nach belieben Terrorismus und legitimierte Regierungen von Drittstaaten definieren kann.
Zu beachten ist, dass der globale Freihandel in den Zielkatalog des aussen- und sicherheitspolitischen Handelns der EU aufgenommen wird. Entsprechend könnten Länder, die sich der "Integration in die Weltwirtschaft" und dem "Abbau von Beschränkungen des internationalen Handelns" und einer "verantwortungsvollen Weltordnungspolitik" widersetzen, verfassungskonform ins Fadenkreuz der EU-Armee geraten. Der Zusammenhang zwischen Militarismus und ausser Rand und Band geratener Konkurrenzökonomie ist der rote Faden, der den Verfassungstext durchzieht.
Etliche Ausführungen widmet der Autor auch der Hierarchisierung des Halbkontinentes im Rahmen der EU. Kerneuropaideen geistern immer wieder durch den EU-Integrationsprozess. Einerseits wird der Hierarchisierungsprozess zu Gunsten des Tandems Frankreich-Deutschland (z.B. Stimmrechte) vorangetrieben, anderereseits werden Kerneuropa-Konzepte als Druckmittel für Widerspenstige verwendet. Dabei haben Kerneuropa-Ideen schmutzige Vorfahren. 1914 erliess der deutsche Reichskanzler Bethmann Hollweg die folgenden Kriegsziel-Richtlinien: "(...) die Gründung eines mitteleuropäischen Wirtschaftsverbandes durch gemeinsame Zollabmachungen, unter Einschluss von Frankreich, Belgien, Holland, Dänemark, Österreich-Ungarn, Polen und eventuelle Italien, Schweden und Norwegen. Dieser Verband, wohl ohne gemeinsame konstitutionelle Spitze, unter äusserlicher Gleichberechtigung seiner Mitglieder, aber tatsächlich unter deutscher Führung, muss die wirtschaftliche Vorherrschaft Deutschlands über Mitteleuropa stabilisieren". Die Nazis entwarfen als nächste Kerneuropa-Ideen. "Deutschland, in der Mitte des europäischen Kontinents gelegen, ist an erster Stelle verpflichtet, diese Aufgabe der Errichtung einer kontinentaleuropäischen Grossraumwirtschaft nicht nur zu verkünden, sondern auch handelspolitisch-praktisch zu betätigen" (Daitz, 1936). und "Wenn wir den europäischen Kontinent wirtschaftlich führen wollen, (...) so dürfen wir aus verständlichen Gründen dies nicht als eine deutsche Grossraumwirtschaft öffentlich deklarieren. Wir müssen grundsätzlich immer von Europa sprechen, denn die deutsche Führung ergibt sich ganz von selbst aus dem politischen, wirtschaftlichen, kulturellen, technischen Schwergewicht Deutschlands und seiner geographischen Lage." (Daitz, 1943) In den 90er Jahren tönt es dann wie folgt: "Ausserdem wird übersehen, welchen politischen Einfluss Deutschland in Europa hat. Darüber sollten wir nicht zu laut reden" (Karl Lamers, aussenpolitischer Sprecher der CDU, 1997). Und künftige deutsche Aussenminister raunen in den 90ern, dass es nun darum ginge, einen dritten Anlauf zu nehmen: "Deutschland (soll) jetzt, nachdem es friedlich und zivil geworden ist, all das, was ihm Europa, ja die Welt in zwei grossen Kriegen erfolgreich verwehrt hat, nämlich eine Art sanfte "Hegemonie über Europa"; bekommen, eine Übermacht, die ihm aufgrund "seiner Grösse, seiner wirtschaftlichen Stärke und seiner Lage" auch zustehe." (Fischer).
Ob das Buch von Oberansmayr die dichten ideologischen Nebelschwaden, welche um das imperialistische und unfriedliche EU-Projekt gelegt werden, zu lichten vermag?
Gerald Oberansmayr, Auf dem Weg zur Supermacht: Die Militarisierung der Europäischen Union, Wien, Promedia, 2004.
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