Übersicht Kurzinfos Liste | |
Kurzinfos 3/97
Frauenerwerbsquoten
Die Erwerbsquote (= Prozentsatz der Erwerbsfähigen, die arbeiten) nahm in den nordischen Ländern und in der
Schweiz in den letzten 20 Jahren zu. Jene Länder, die sich in den vergangenen 20 Jahren durch ein
vergleichsweise hohes Wachstum der Erwerbsquote ausgezeichnet haben, weisen meist auch hohe
Frauenerwerbstätigenquoten (= Prozentsatz erwerbsfähigen Frauen, die arbeiten) auf: Norwegen 71%, USA
68%, Schweden 69%, Schweiz 65%,. Demgegenüber weisen Frankreich, Italien und Spanien bedeutend
tiefere Frauenerwerbsquoten auf: 51%, 37% und 33%. Die Volkswirtschaft, 9/97. Der lesenswerte Artikel
widerlegt im übrigen das neoliberale Vorurteil, dass der schweizerische Arbeitsmarkt "unflexibel" sei.
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Weltweiter Abbau
Im Zuge der weltweiten Restrukturierung der Wirtschaft nimmt die Unterdrückung von Arbeitervertretern zu.
Nach einem Bericht des Internationalen Bundes Freier Gewerkschaften (IBFG) wurden im vergangenen Jahr
mindestens 264 Gewerkschafter ermordet, 1761 verletzt, 2464 verhaftet und 153 494 entlassen. Am
schlimmsten sind von der Unterdrückung gewerkschaftlicher Tätigkeiten die Frauen betroffen. Frauen würden
auch besonders häufig zu Opfern der globalen Umstrukturierung, weil die multinationalen Firmen in
Produktionsstätten in Länder verlegen, in denen sie möglichst billige, unorganisierte Arbeitskräfte finden. In
vielen dieser Länder sei das Recht auf Versammlungsfreiheit massiv eingeschränkt. Der IBFG-Bericht betont,
dass die Ziffern zur die Spitze des Eisberges zeigten. "Wir sehen eine fortlaufende Unterdrückung der
Gewerkschaften, weil diese die Bastion gegen die ungerechten Auswirkungen der Globalisierung geworden
sind". Der IBFG ist mit 124 Millionen Mitgliedern in 137 Ländern der grösste internationale Zusammenschluss
von Gewerkschaften. TA. 16.6.97
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Fahrlässiger Umgang mit Zahlen
In der Zeitschrift "La Suisse Ouverte - Die Offene Schweiz", das Organ der Organisation der euro-nationalen
Wirtschaftskapitäne (Agos), schreibt Dr. Fritz Fahrni, Präsident der Konzernleitung Sulzer AG, die Schweiz
würde zwei von drei Franken mit ausländischen Kunden verdienen. Diese Zahl ist völlig aus der Luft gegriffen.
Nicht ganze vier von zehn Franken werden nämlich mit ausländischen Kunden verdient. Von diesen 4 Franken
werden 2/3 mit dem EWR-Raum getätigt. Fahrni scheint hier zwei Zahlen durcheinander gebracht zu haben -
für die Beschäftigten bei Sulzer ist solch fahrlässiger Umgang mit Zahlen ein böses Ohmen. La Suisse Ouverte,
3/97.
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Liberalisierung des Strommarktes
Die Liberalisierung des Strommarktes birgt die Gefahr, dass durch die zu erwartenden Preissenkungen für
Grossabnehmer der Anreiz, sorglos mit Energie umzugehen, zunimmt. Dadurch dürften die
Umweltbelastungen (Emissionen, Beeinträchtigung von Flussökosystemen, etc.) zunehmen. Zudem ist eine
Umverteilung von den Kleinverbrauchern zugunsten der Grossindustrie zu befürchten: während letztere viel
billiger Energie konsumieren können, werden die Kleinverbraucher u. U. sogar mehr zahlen müssen
(Europa-Info, 2/1997). Eine Liberalisierung der Strommärkte wäre vom umweltpolitischen und sozialen
Standpunkt aus nur vertretbar, wenn die Verbilligungen voll durch Steuern aufgefangen würde, die etwa in die
Forschung erneuerbarer und umweltfreundlicher Technologien und in die Garantie des Netz-Zugangs aller zu
gleichen Bedingungen investiert würden.
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Der Euro als "Stabilitätsfaktor"
Wim Duisenberg, der neue Präsident des EU-Währungsinstituts sieht den Sinn des Euro darin, den
Wechselkurs aus dem Konkurrenzkampf zwischen den EU-Ländern eliminieren. Das wird seiner Meinung
nach den Zusammenhalt stärken und längst fällige Strukturreformen erzwingen. Statt sich in immer neuen
Abwertungen zu flüchten, könnten die Euro-Teilnehmer sich der Flexibilisierung der Arbeitsmärkte und der
Budgetsanierung nicht mehr entziehen. NZZ. 1.7.97
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Steuerharmonisierung?
Die EU-Integration führt zu einem Steuerwettbewerb zwischen den EU-Staaten. In den letzten Jahren wurden
in keinem EU-Land Steuern erhöht. Rückläufig waren die Steuern in Luxemburg und Irland. Das EU-Mittel lag
am 1. Juli 1997 bei 37,83% (Vorjahr 38,16%). Die Schweiz befindet sich mit 28,5% deutlich unter diesem
Satz - zum Vergleich: Deutschland (44,13%) und Frankreich (36,66%). TA. 16.7.97. Die EU-Finanzminister
waren sich anlässlich des öffentlichen Teils der monatlichen Sitzung im Juli weitgehend darüber einig, dass
unter dem Luxemburger Vorsitz nicht nur die Beschäftigungspolitik, sondern auch die Steuerpolitik besser
koordiniert werden müsse. Waigel hielt eine stärker Abstimmung der Steuerpolitik für notwendig, um unfairen
Wettbewerb auszuschalten. Er schlug einen Fairness-Code für die direkten Steuern und das
Ursprungslandprinzip für die indirekten Steuern vor. Strauss-Kahn ging darüber hinaus und forderte
verbindliche EU-Regeln für die Besteuerung. Der Luxemburger Finanz- und Premierminister, dessen
Bankenoase sich einer EU-einheitliche Zinsbesteuerung bisher widersetzt hat, versprach, auf kontinuierliche
Fortschritte in der Steuerpolitik hinzuarbeiten. Bei der Diskussion zu den Folgen des Amsterdamer Gipfels
unterstrich der Bonner Finanzminister, dass strukturelle Verbesserungen des Arbeitsmarktes, etwa bei den
Kündigungsfristen, den Tarifverträgen und anderen Massnahmen zur Flexibilisierung, auch ohne kostspielige
Ausgabenprogramme realisierte werden können. NZZ. 8.7.97. "Verbesserung des Arbeitsmarktes" heisste
somit: Zunahme der Arbeitslosigkeit, Senkung der Löhne und andere, ähnliche Massnahmen!
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WEU stärker in die EU integriert
Die Westeuropäische Union (WEU), der militärische Arm der EU in spe, hat am Dienstag Massnahmen
eingeleitet, um die Verzahnung mit der EU zu verstärken. Das "Verteidigungs"-Bündnis betont seine Rolle als
"integraler Bestandteil der Entwicklung der EU". Konkret streben die WEU-Mitglied verschiedene Schritte zur
Koordination beider Organisationen an. So wollen die Präsidentschaften harmonisiert werden, die Sitzungen
der Organe gemeinsam abgehalten werden und beide Sekretariate besser kooperieren. Ferner soll im
Rüstungsbereich zusammengearbeitet werden, und die in der EU geplante Analyseeinheit soll auf Einrichtungen
der WEU - wie Planungszelle, Lagezentrum und Satellitenzentrum - zurückgreifen können. Bereits Mitte Juni
hatten die Staats- und Regierungschefs der EU im Vertragsentwurf von Amsterdam festgehalten, dass die WEU
ein integraler Teil der Entwicklung der EU sei und die WEU der EU Zugang zu operativen Kapazitäten
verschaffe für "humanitäre Aufgaben, Rettungseinsätze, friedenserhaltende Massnahmen sowie für
Kampfeinsätze". Der Amsterdamer Vertragsentwurf sieht darüber hinaus vor, dass die WEU den
Verteidigungsaspekt der EU-Aussen- und Sicherheitspolitik formt und letztlich in die EU integriert werden soll.
NZZ. 23.7.97
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EU-Parlament und Rüstungsindustrie
In der Entschliessung zur Mitteilung der EU-Kommission "Die Herausforderungen für die europäische
Rüstungsindustrie - ein Beitrag für Aktionen auf europäischer Ebene" KOM(96)0010 - C4-0093/96) erlaubt das
EU-Parlament einen Einblick in seine Rüstungsphilosophie, die eindrucksvoll ist. Das Parlament lässt uns etwa
teilhaben an seiner "tiefen Überzeugung, dass Aufbau und Stärkung der europäischen Rüstungsindustrie nicht
im Widerspruch zu weiteren sinnvollen Schritten zur Abrüstung erfolgen darf". Wie die Stärkung der
Rüstungsindustrie nicht im Widerspruch zur Abrüstung stehen kann - darüber lässt sich das Parlament nicht
aus. Das EU-Parlament bedauert zudem "die Verschärfung der Konkurrenz zwischen den internationalen
Rüstungsproduzenten, sowohl innerhalb als auch ausserhalb der Union", da dies "zum Untergang von
Industrien führen kann, die für die wirtschaftliche, politische und militärische Sicherheit der Mitgliedstaaten der
Europäischen Union lebenswichtig sind". Zudem wird beklagt, dass "die Wettbewerbsfähigkeit der
europäischen Rüstungsindustrie insgesamt jedoch durch ihre starke Zersplitterung - jeder Mitgliedstaat deckt
seinen eigenen Bedarf und verfügt über eigene Beschaffungsverfahren, was zu sinnloser, kostspieliger
Doppelarbeit führt - untergraben wird." Das EU-Parlament betont, "dass weder die Europäische
Verteidigungsidentität noch die Gemeinsame Aussen- und Sicherheitspolitik der EU ohne eine starke
europäische Rüstungsindustrie und eine wirksame Beschaffungspolitik glaubwürdig sein können" und dass
"die Rüstungsindustrie unmittelbare Auswirkungen auf die Forschungskapazität in Europa hat", wobei
festgestellt wird, "dass die Trennung zwischen ziviler und militärischer Forschung immer unschärfer wird".
Das EU-Parlament bekräftigt, "dass eine starke, effiziente und lebensfähige europäische Rüstungsindustrie eine
Voraussetzung für die Entwicklung einer glaubwürdigen europäischen Sicherheits- und Verteidigungsidentität
im Rahmen des Atlantischen Bündnisses ist und dass sie der Gemeinsamen Aussen- und Sicherheitspolitik
(GASP) das notwendige militärische Potential gibt, um erforderlichenfalls ihre diplomatische Aktivität zu
unterstützen." Unter anderem unterstützt das EU-Parlament "die Entwicklung und den Bau des
Transportflugzeugs der Zukunft (Vorhaben ATF/FLA), dem unter der Führung des Euroflag-Konsortiums
entwickelten Langstrecken-/Grossraumflugzeugs, das zur Erfüllung von Aufträgen des Typs Petersberg
konzipiert wurde". Das Parlament fordert entsprechend die "beteiligten Mitgliedstaaten auf die Mittel zur
Finanzierung der Entwicklung dieses Flugzeugs bereitzustellen", da "der Bau dieses Flugzeugs sowohl für die
europäische Flugzeugindustrie als auch für die europäische Sicherheits- und Verteidigungsidentität
lebenswichtig ist". In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass die Petersberger Erklärung
militärische Einsätze der Westeuropäischen Union, dem militärischen Arm der EU, ausserhalb des
geographischen Raumes der Nato-Mitgliedstaaten erlaubt, u.a. für Einsätze, die als "peace making" bezeichnet
werden (siehe EM 1/96). Das EU-Parlament empfiehlt zwar (man beachte die Wortwahl) in das Fünfte
Forschungsrahmenprogramm Abrüstungsinitiativen aufzunehmen. Es schränkt diese Empfehlung aber sogleich
ein: "wobei der Akzent besonders auf Fragen im Zusammenhang mit Minen, biologischen und chemischen
Waffen und der Verwendung von Uran und Plutonium in Waffensystemen liegen sollte". Das EU-Parlament
wendet sich zudem gegen ungehemmten Waffenhandel. Die Argumentation ist allerdings rein auf die Interessen
der EU-Staaten ausgerichtet: Ungehemmter Waffenhandel könne regionale Spannungen erhöhen könne, "was
dazu führen kann, dass Mitgliedstaaten sich einem Feind gegenüberstehen, der von seiner eigenen Industrie mit
Waffen ausgerüstet wurde". Deshalb fordert es "die Regierungskonferenz auf, der Entwicklung einer
restriktiven gemeinsamen Waffenexportpolitik besondere Aufmerksamkeit zu zollen." (A4-0076/97)
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Tschechen ohne NATO-Begeisterung
In Tschechien hält sich in der Bevölkerung die Begeisterung über den Pro-NATO-Beitrittskurs der Regierung
in Grenzen. Einerseits fühlt sich im Augenblick niemand bedroht. Zudem sieht das "Volk" nicht ein, wieso
Milliarden in die Anpassung der Armee und deren Ausrüstung an NATO-Standards gebuttert werden sollen,
wenn im Schul- und Gesundheitswesen, bei der Verkehrsinfrastruktur und der Umwelt ein riesiger
Nachholbedarf herrscht. Die oppositionellen Sozialdemokraten befürworten zwar den NATO-Beitritt, treten
aber trotzdem für ein Referendum zur Frage ein. Präsident Havel und die bürgerliche Koalition hält es indessen
nicht für angebracht, "in komplexen sicherheitspolitischen Fragen das Volk entscheiden zu lassen", um so mehr
als im konkreten Fall ein ablehnendes Verdikt nicht von vornherein ausgeschlossen werden könnte. NZZ.
9.7.97
"Der UNO nützen nämlich schweizerische Beiträge in Form von Spezialisten, Logistik und Finanzen weit mehr
als ein paar hundert Blauhelme, die sie - im Gegensatz zu unseren Leistungen - leicht anderswo bekommen
kann". Botschafter Johannes J. Manz. NZZ. 4.7.97
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EU-Aussenminister für Tellereisen
Am 22. Juli nahm der Rat der Aussenminister gegen die Stimmen Österreichs, Grossbritanniens und Belgiens
das "Übereinkommen über humane Fallenstandards" an. Damit wurden Tellereisen, die wegen ihrer
Grausamkeit in Österreich seit über 60 Jahren und in der EU seit 1995 verboten sind, wieder zugelassen. Der
Verfahrensverlauf zu diesem Entscheid wirft ein interessantes Licht auf die EU-Kommission. 1991 beschloss
die EU eine Verordnung, durch die sämtliche Formen von Tellereisen in der EU seit 1995 verboten sind. Ab
1996 sollte der Import von Pelzen von 13 Tierarten aus Staaten, in denen das Tellereisen noch erlaubt war (u.a.
USA, Kanada und Russland) verboten sein. Diese Länder reichten in der Folge Klage bei der WTO ein. Dies
reichte für eine Kehrtwendung der EU-Kommission, die unter der Führung von Sir Brittan einen Feldzug
gegen die EU-Verordnung zu den Tellereisen begann. Zunächst unterlässt es die Kommission, die Liste jener
Länder, auf die das Importverbot anzuwenden ist, zu publizieren. Das EU-Parlament spricht sich in einer
Resolution mit überwältigender Mehrheit für das Inkrafttreten der Verordnung aus. Die Kommission jedoch
weist die Mitgliedstaaten an, das Importverbot nicht zu vollziehen, da dies "nicht durchführbar" sei. Nur die
Niederlande setzen das Importverbot in Kraft.
Gemeinsam mit den Fallenstellerländern ruft die Kommission eine "Expertengruppe für die Erstellung humaner
Fallenstandards" ins Leben. In dieser Gruppe tauchen keine Vertreter des Tierschutzes und kaum unabhängige
Experten auf, dafür aber Vertreter der "International Fur Trade Federation" und des "Fur Council of Canada".
Die Arbeit dieser Gruppe sollte zunächst geheimgehalten werden und wurde erst auf Druck einiger
EU-Mitgliedstaaten öffentlich gemacht. Der Rat erteilte der Kommission den Auftrag, für eine Aufnahme des
Verbots der Tellereisen in das Übereinkommen zu sorgen. Im September 1996 legte die Arbeitsgruppe einen
Entwurf für ein Übereinkommen vor, nach dem manche Formen von Tellereisen als "human" bezeichnet
wurden, ebenso wie Tötungsfallen, in denen die Tiere mehrere Minuten lang mit dem Tod ringen. In den
folgenden Monaten lehnten das EU-Parlament, der Umweltministerrat (insgesamt dreimal, zuletzt am 19.6.97)
sowie der Aussenministerrat das Übereinkommen ab. Die verschiedenen Gremien lehnten auch wiederholt die
Liste der Kommission ab, die Kanada und Russland als Staaten anführte, die sich an humane Fallenstandards
hielten. Die EU-Kommission legte das Übereinkommen wie die Liste jedes Mal in kaum veränderter Form vor.
Schliesslich hatte die Zermürbungstaktik der Kommission Erfolg. Der Rat der EU-Aussenminister segnete im
Juli sowohl das Übereinkommen als auch die Länderliste ab. EUropa-Info, August 97.
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Batterie-Haltung
Schweden muss auf Geheiss der EU die Käfighaltung von Hühnern wieder zulassen. Tier und Konsum, 3/97
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EU-Parlament für Patente auf Lebewesen
Am 16. Juli 1997 nahmen die EU-Parlamentarier in erster Lesung mit grosser Mehrheit eine neue Fassung der
Patent-Richtlinie an, die im Inhalt mit jener fast identisch ist, die zwei Jahre zuvor abgelehnt wurde. Nach
dieser soll es künftig möglich sein, in der EU "Patente auf Leben" zu erteilen. Die Kehrtwende des
"Parlamentes" ist auf eine der grössten Lobby-Kampagnen in der Geschichte des "Parlamentes"
zurückzuführen. Die Pharma-Industrie butterte nach eigenen Angaben Millionen ECU in die Kampagne, um die
Patent-Richtlinie im zweiten Anlauf durchzusetzen. Die "Parlamentarier" wurden mit Papier zugedeckt, an
Diners mit erlesenen Speisen und geistreichen Getränken benebelt und mit Angstparolen weichgeklopft. Das
"Arbeitsplatz-Argument" musste wieder mal herhalten: Wenn wir in der EU die Patente auf die Gene nicht
bekommen, wandern wir in die USA aus, drohten die Industrievertreter. Gleichzeitig versprachen sie
Unmengen von Arbeitsplätzen, wenn nur die Patentierung erst mal erlaubt sei. Zahlen von bis zu 8 Millionen
neuen Arbeitsplätzen wurden stink frech aufgetischt. Zudem spannte die Industrie die Patientenorganisationen
vor ihren Lobby-Karren. Die Vertreter der Patientenorganisationen fuhren mit behinderten Kindern im Rollstuhl
im EU-Parlament auf, um für die Patent-Richtlinie zu werben. Die Reisekosten und die Organisation der Aktion
wurde von der Industrie bezahlt. Das EU-Parlament wich diesem Druck und wischte dabei die geäusserten
Interessen und Bedenken quasi aller Teile der Gesellschaft beiseite. EU-Rundschreiben, 8.97.
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Angebliche Verluste der Maschinenindustrie
Laut Pressedienst des VSM - im CH Presse-Wald willig breitgeschlagen - erlitt die Maschinenexportindustrie
durch das EWR-Nein einen Verlust von einer Milliarde Franken (von Anfangs 1993 bis Ende 1996). Auf
Nachfrage beim VSM ergab sich, dass diese Zahl nicht auf einer Studie beruht, sondern auf nicht weiter zu
begründenden Schätzungen. Auf Grund von Gesprächen mit Praktikern sei man auf eine Umsatzeinbusse von
1% gekommen. Harte Fakten stünden aber nicht zur Verfügung. Ein Kunde im EWR-Raum würde - sollte er
einen EWR-Anbieter einem Schweizer Anbieter vorziehen - seine Absage kaum mit dem EWR-Nein
begründen. Man hätte somit nur Vermutungen zur Hand. Pressedienst des VSM, 27. Juni 1997. Bei der EWR-
und EU-Propaganda des VSM ist zu berücksichtigen,
- dass die Schweiz im EWR pro Jahr - nach Angaben des Bundesrates - 350 Millionen Franken an die EU hätte
überweisen müssen. In vier Jahren hätte dies 1,350 Milliarden Franken ergeben. Dieser Betrag wäre hätte vom
Steuerzahler berappt werden müssen. Die Exportwirtschaft hätte sich im EWR somit angebliche
Erleichterungen durch den Steuerzahler erkaufen lassen wollen.
- dass die Exportindustrie in den letzten Jahren florierte und dass die etwaigen Dämpfer, die sie erhielt, nicht
durch das EWR-Nein zu erklären sind, sondern durch die Frankenstärke sowie die Konjunkturschwäche der
EU-Länder. Letztere ist zu einem grossen Teil durch die Konvergenzkriterien und damit durch die Politik in
Hinblick auf die Einführung des Euro zu erklären.
- dass durch die Umwandlung der Warenumsatzsteuer in die Mehrwertsteuer die Maschinenindustrie
Ersparnisse von jährlich 2,8 Milliarden Franken erzielte, während die tieferen Einkommen in der Schweiz 2
Milliarden Franken an Kaufkraft verloren.
Das Gejammer des VSM bringt zum Ausdruck, wie unersättlich der VSM in seinem Kampf zur Durchsetzung
seiner Sonderinteressen ist - auf Kosten eines Grossen Teils der wirtschaftlichen und politischen Interessen der
Bürgerinnen und Bürger.
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WTO und EU-Hormonfleischverbot
Das Schiedsgericht der Welthandelsorganisation WTO hat das sei 1989 bestehende Importverbot der EU für
Fleisch von hormonbehandelten Tieren für illegal erklärt. Die EU hat angekündigt, Widerspruch einzulegen.
Falls dieser, wie zu erwarten, zurückgewiesen wird, muss die EU innerhalb von 15 Monaten entweder de
WTO-Schiedspruch befolgen oder eine Kompensationszahlung an die Leidtragenden des Importverbotes, in
diesem fall die amerikanische Landwirtschaft zahlen. Wegen des in der EU stark ausgeprägten
Verbraucherwiderstandes gegen Fleisch von hormonbehandelten Tieren wird erwartet, dass die Kommission
sich für die Leistung einer Ausgleichszahlung entscheidet. Auch die Verhandlungen zwischen der EU und den
USA über die Kennzeichnung von hormonfreiem Fleisch führten zu keiner Beilegung des Konfliktes.
EU-Rundschreiben, 9/97.
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Nitratwerte in Österreich
Mitte Juli sprach sich Österreichs Landwirtschaftsminister Molterer für eine Erhöhung der Nitratwerte im
Grundwasser von 30 auf 45 mg/l aus und erklärte dies mit einer "Anpassung an die Trinkwasserverordnung
sowie EU-Regeln". Tatsächlich steht in Anhang I der Richtlinie 80/778/EWG über die Qualität von Wasser für
den menschlichen Gebrauch geschrieben, dass der Richtwert 25 mg beträgt, bzw. die zulässige
Höchstkonzentration 50 mg/l. EUropa-Info, August 1997.
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Klage gegen Dänemark
Die EU-Kommission hat Anfangs Juli eine formelle Verwarnung an die dänische Regierung geschrieben, weil
diese, in Zuwiderhandlung gegen ein EU-Gerichtshofs-Urteil aus dem Jahr 1986, ihr Verbot von
Getränkedosen, welches schon 1975 eingeführt wurde, nicht aufgehoben hat. Sollte die dänische Regierung
nicht dem Ansinnen der Kommission entsprechend auf die Verwarnung eingehen, so kann, nach weiteren
Zwischenschritten, der Fall erneut vor den EU-Gerichtshof gebracht werden. EU-Rundschreiben 8/97.
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Engergieverbrauch in der EU
Mitte Juli veröffentlichte Eurostat, das Statistische Amt der EU, Zahlen zum Energieverbrauch in der EU.
Danach stieg der Energieverbrauch EU-weit gegenüber dem Vorjahr um 3,6% auf 1360,4 Millionen Tonnen
Erdöläquivalent. Die Differenzierung nach Energieträgern zeigt einen Zuwachs des Erdgasverbrauchs um
11,6%, während der Stein- und Braunkohleförderung um 5% sank. EU-Rundschreiben 8/97
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Untätigkeitsklage gegen EU-Kommission
Nachdem Deutschland von der EU-Kommission in den letzten Jahren mit einer Vielzahl von Klageverfahren
wegen Verzug in der Umsetzung von EU-Umweltrichtlinien überzogen wurde, versuchen nun manche Kreise
in Deutschland mit gleicher Münze zurückzuzahlen. In einem Schreiben an die Bundesumweltministerin bittet
der Münchner Umweltminister zu prüfen, ob gemäss Art. 175 EG-Vertrag wegen der Missachtung von
geltenden Umweltrichtlinien nicht die EU-Kommission verklagt werden könnte. Der Umweltminister
untermauert sein Verlangen mit einer Liste von 24 Verstössen der EU-Kommission. Insbesondere bemängelt
der Umweltminister, dass die EU-Kommission selbst ihren Verpflichtungen nicht nachkomme, den Vollzug der
Wasser-Richtlinien in allen Ländern der EU einheitlich zu überwachen. Der EU-Kommission genüge es, wenn
die Mitgliedsstaaten den Vollzug der Richtlinien melden. "Ob die EU-Mitgliedstaaten allerdings tatsächlich nach
den EU-weit einheitlich geltenden Richtlinien handeln, interessiert die Europäische Kommission nicht. Aber
gerade darauf kommt es an", betont der Bayerische Umweltminister. EU-Rundschreiben, 7/97.
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Postkartenaktion
Greenpeace, der WWF, die Erklärung von Bern und weitere Organisationen organisieren zusammen eine
Postkartenaktion gegen die Beteiligung der Schweiz am unsinnigen chinesischen Drei-Schluchten-Projekt, das
am Yangtze-Fluss 1,8 Millionen Menschen zur Umsiedelung zwingt und zahlreiche weitere Zerstörungen
anrichten wird. Die Firma ABB interessiert sich für den Bau des Staudamms und wenn sie zum Zug kommt,
muss der Bundesrat definitv entscheiden, ob er das Mammutprojekt mit einer staatlichen Exportrisikogarantie
unterstützen soll. Die Postkartenaktion richtet sich gegen die Gewährung der Exportrisikogarantie. Postkarten
sind zu bestellen bei: Erklärung von Bern, Postfach 1327, 8031 Zürich.
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EU-Europäer, EU-Europäerinnen und Gentechnologie
Eine im Auftrat der EU-Kommission durchgeführte Umfrage in allen Ländern der EU zeigt, dass die
EU-Europäerinnen und EU-Europäer die Gentechnologie von Jahr zu Jahr kritischer beurteilen und deren
Akzeptanz abnimmt, je informierter die Menschen sind. Mehr Wissen führt also nicht, wie von der
Gentech-Industrie häufig behauptet, automatisch zu mehr Akzeptanz. Am grössten ist die Opposition heute in
Österreich, Deutschland, Dänemark und Schweden - Länder also, in denen die Gentech-Industrie etabliert und
der Informationsgrad der Bevölkerung recht hoch ist. Eine deutliche Mehrheit der EU-Europäer lehnt die
Genmanipulation von Tieren sowohl in der Forschung wie bei der Xenotransplantation ab. Abgelehnt wird
mehrheitlich auch die Herstellung genmanipulierter Nahrungsmittel. Weitherum akzeptiert sind dagegen
gentechnisch hergestellte Diagnosetest und Medikamente. Schlecht steht es gemäss dem Eurobarometer mit der
Glaubwürdigkeit der Industrie und der politischen Behörden. Am meisten glauben die EU-Europäerinnen und
EU-Europäer bei der Beurteilung genmanipulierter Pflanzen den Umweltorganisationen.
SAG-Medieninformation, Juli 1997
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Zurück in die Zukunft
Die Vertreter der Atomindustrie dürfen sich freuen. Laut der EU-Kommission ist ihr Arbeitsgebiet eine
"Technologie mit vielversprechenden Zukunftsaussichten" (Vorschlag für einen Beschluss des Rates über das
fünfte Rahmenprogramm der Europäischen Atomgemeinschaft (Euratom) für Massnahmen im Bereich der
Forschung und Ausbildung (1998-2002), KOM (97)142 endg. - 97/0120(CNS), Anhang II, Struktur der
Bereiche wissenschaftliche und technologische Ziele, S. 34). Nach Art. 40 des Euratom-Vertrages
veröffentlicht die EU-Kommission in regelmässigen Abständen sogenannte "hinweisende Programm", "um die
Initiativen der Personen und Unternehmen anzuregen und eine abgestimmte Entwicklung ihrer Investitionen auf
dem Kerngebiet zu erleichtern (...)" (Art. 40 Eurotatom). Dabei würde nüchtern betrachtet der Einsatz für die
Atomenergie fehl am Platze sein: Die Mehrheit der EU-Staaten hat entweder keine Nuklearanlagen mehr oder
hat sich entschieden, keine mehr zu errichten. Der Atomstrom hat seinen Kostenvorteil seit 1994 vollständig
eingebüsst und die EU-Kommission selber ist zur Erkenntnis gelangt, dass "die Möglichkeiten für den Bau
neuer Kernkraftwerke in der Europäischen Gemeinschaft eher begrenzt" sind (Hinweisendes
Nuklearprogramm, KOM(96) 339, edng., Mitteilung der Kommission über die Kernindustrie in der
Europäischen Union; S. 13). Trotzdem wird die Atomförderung im Sinne des Euratomvertrages
vorangetrieben. Da die Möglichkeiten der Expansion innerhalb der EU nicht vorhanden sind, gilt es für die
EU-Atom-Lobby neue Märkte zu erschliessen: unter anderem soll mit Hilfe des neuen Nuklarprogramms der
Markt in Richtung Mittel- und Osteuropa erweitert werden. 15 Milliarden werden für die Fertigstellung und
Errichtung von Atomkraftwerken bereitgestellt. Weitere von der Kommission als potentielle Märkte eingestufte
Weltregionen sind Russland und der Ferne Osten. Für die Atomenergie führt die EU-Kommission die
bekannten und unangemessenen Argumente wie die Reduzierung von Treibhausgasen an. Ein diesbezüglicher
Vergleich mit erneuerbaren Energieformen wird dabei unterlassen. Die Atomenergie wird von der EU auch im
Energieforschungsprogramm bevorteilt. Im 4. Rahmenprogramm für Forschung und technologische
Entwicklung steht die Energieforschung nach der Informationstechnologie an 2. Stelle. 55% der
Energieforschungsmittel fliessen in die Kernenergieforschung, während die nichtnukleare Energieforschung
nur 45% der Mittel erhält. Europa-Info, Energie-Spezial, 2/1997).
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EU-Klage gegen Brenner-Maut
Die Erhöhung der Brenner-Autobahn-Gebühr (Maut) widerspricht in den Augen der EU-Kommission der
Wegekostenrichtlinie der EU. Laut dieser Richtlinie dürfen nur Kosten dem Verkehr angelastet werden, die
durch Bau und Unterhalt der Strassen gerechtfertigt sind. Umweltkosten sind entsprechend nicht zu
berücksichtigen. Deshalb hat die EU-Kommission nun Österreich beim EU-Gerichtshof verklagt. Dies ist die
dritte Stufe im Verfahren gegen einen Mitgliedstaat bei der Verletzung von EU-Recht. Im April des letzten
Jahres hatte die Kommission auf Grund ihrer Bedenken gegen die Gebührenerhöhung am Brenner bereits ein
Schreiben an Österreich gerichtet und im Januar eine begründete Stellungnahme abgegeben. Die Kommission
wollte sich mit der Antwort Österreichs nicht zufrieden geben. Noch bevor die Klage vom Gerichtshof
behandelt worden ist, droht die Kommission schon mit einer Schadenersatzklage, falls Österreich nach einem
Entscheid des Gerichtshofs im Sinne der Kommission die Gebührenerhöhung nicht zurücknimmt. NZZ.
31.7.97
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EU-Novel Food Verordnung
Seit Mai 97 ist die Novel Food Verordnung der EU in Kraft getreten. Kennzeichnungspflicht sind
Nahrungsmittel, wenn mindestens eine von vier Bedingungen erfüllt ist. (1) Nur wenn ein Lebensmittel
Ernährungseigenschaften aufweist, die dazu führen, dass es nicht mehr einem traditionellen Lebensmittel
gleichwertig ist, muss es deklariert werden. Dies bedeutet, dass gentechnisch veränderte Lebensmittel nur dann
deklariert werden müssen, wenn ein verändertes Protein eine nachweisbar andere Wirkung auf den
menschlichen Metabolismus ausübt. Dies könnte etwa dann der Fall sein, wenn ein Lebensmittel, das
normalerweise Fette enthält, diese im gentechnisch veränderten Äquivalent nicht mehr aufweist.
Kennzeichnungspflichtig sind entsprechend auch neue, fremde Proteine, sofern diese wissenschaftlich
gesichert, Allergien oder andere gesundheitlich erhebliche Wirkungen auslösen. (2) Die Kennzeichnungspflicht
besteht ferner, wenn die neuen Produkte die Gesundheit bestimmter Bevölkerungsgruppen - wissenschaftlich
erhärtet - beeinflussen können. (3) Eine Kennzeichnungspflicht besteht weiterhin, wenn die religiösen Gebote
von "Hochreligionen" beeinträchtigt würden. So sollte das Einpflanzen eines Schweine-Gens in eine Feldfrucht
kennzeichnungspflichtig sein, damit Konsumenten einem für sie geltenden Schweinefleischverbot genügen
können. (4) Kennzeichnungspflicht besteht zuletzt, wenn im Produkt ein gentechnisch veränderter Organismus
vorkommt. Ein Organismus ist dabei eine biologische Einheit, die fähig ist, sich zu vermehren oder genetisches
Material zu übertragen. Die verabschiedete Novel Food Richtlinie ist als sehr gentech-freundlich einzustufen.
Kultur und Politik, 5/97
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Positives Halbjahresresultat der Maschinenindustrie: Anziehen der Auslandaufträge.
Die Konjunkturlage in der schweizerischen Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie hat sich im 1. Halbjahr
1997 verbessert. Die Auslandaufträge nahmen um 5,1% zu, während die Bestellungen aus dem Inland mit
-10,5% nach wie vor rückläufig sind. Total ergibt sich dadurch eine Steigerung bei den Auftragseingängen um
2,6% im 1. Halbjahr 1997. Die langsame Verbesserung der Konjunktur in Westeuropa führte zu einer
Exportsteigerung von 4% nach den EU-Ländern. Der mit Abstand grösste Markt, Deutschland, verzeichnete
gar eine Zunahme um 5%. Der Anteil des EWR-Raums an den Exporten liegt (als Beweis für die
"Abschottung" der Schweizer Volkswirtschaft) bei 64,1%. Einen eigentlichen Boom erleben zur Zeit die
Exporte nach den USA: im ersten Halbjahr 1997 nahmen sie um 18% zu. Hingegen stiegen die Ausfuhren nach
Asien insgesamt nur mehr um 1% an, wobei sich erneut grosse Unterschiede zeigten (Hongkong +65%,
Taiwan +17%, Indonesien -39%, China -21%). Nicht unbeteiligt an der Verbesserung der Lage war die Politik
der Nationalbank (Frankenabwertung) sowie die Dollarhausse. Beide Faktoren ergaben im 2. Quartal 1997 eine
reale Abwertung des Schweizer Frankens um 7,4%. Auf dem schweizerischen Inlandmarkt bleibt die Situation
laut ASM unbefriedigend. Seit zwei Jahren sind hier die Bestellungen rückläufig. Dies liegt am schlechten
Konjunkturklima in der Schweiz und an den steigenden Importen (global sourcing auch bei Klein- und
Mittelbetrieben). Pressemitteilung des ASM, 27.8.97.
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Strassengebühren
Die Vekehrsminister der EU konnten sich Mitte Uni nicht auf eine Erhöhung der Strassengebühren einigen. Die
Diskussion musste schon nach kurzer Zeit abgebrochen werden. Zu weit lagen die Standpunkte auseinander.
Die EU-Kommission hatte den Unterbruch in den bilateralen Verhandlungen mit der Schweiz nutzen wollen,
um auf EU-Seite die Positionen zu klären. Die Mitgliedländer sollten angeben, welche Erhöhung der
Strassengebühren sie akzeptieren könnten und ob sie im Alpenraum zusätzliche Abgaben befürworteten. Die
Alpenklausel wurde gar nicht erst angesprochen, da die Diskussion schon vorher platzte. TA.18.6.97. Die
Episode zeigt, wie gross der Graben in der EU zwischen schönen Grundsatzerklärungen und der harten Realität
ist.
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Le Monde Diplomatique
Im Le Monde Diplomatique 9/97 erschienen zwei lesenswerte Artikel zur EU-Politik: "Immer weniger Arbeit
für immer mehr Frauen" (von Margaret Maruani) und "Afrikanischer Fisch für hungrige Europäer" (Pierre
Gillet). Die Artikel können auf Deutsch und Französisch im Internet (französisch:
http://www.monde-diplomatique.fr/md/1997/09/; Deutsch auf unserer Home-Page oder auf:
http://www.de/~taz/monde/) eingesehen werden.
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1948 - 1998 - Missbrauch von historischen Ereignisse
Die Gruppe "europe - unsere gemeinsame Sache" organisiert am 15. November, im Zürcher Stadthaus (ab
17.30) ein "banquet européen". Dabei will sie an das 150 Jahr-Jubliäum der modernen Eidgenossenschaft
anknüpfen: Die Veranstalter betonen den Hinweis auf die offene und 1848 sehr visionäre und mutige Schweiz -
im damals weitgehend monarchistisch restaurierten Europa. Laut den Veranstaltern findet das Banque européen
fast auf den Tag genau 149 Jahre nach der Inkraftsetzung der Schweizerischen Bundesverfassung am 16.
November 1848 statt. Die Bankette waren "in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts in der Schweiz sehr
verbreitet. Sie waren Orte der politischen Begegnung, des Dialoges und der Debatte, wie auch Orte der
Vernetzung und des Aufbruches, an denen revolutionäres Gedankengut verbreitet wurde". Der Hinweis auf
1848 ist äusserst missbräuchlich: bei der liberal-demokratischen Revolution ging es um demokratische
Institutionen, Gewaltentrennung und transparente Entscheidungsfindung des Gesetzgebers. Bei der
EU-Integration geht es um die Zurückbuchstabierung dieser demokratischen Errungenschaften. Entsprechend
müssten die Euronationalen in ihrer verzweifelten Suche nach historischen Mythen - die wohl nur durch das
Bedürfnis nach Mystifikation zu erklären ist - Parallelen eher in der Restauration suchen. Soviel Ehrlichkeit ist
von ihnen aber kaum zu erwarten.
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Meinungsumfrage
Laut einer Studie der Militärischen Führungsschule (MFS) und der Forschungsstelle für Sicherheitspolitik und
Konfliktanalyse der ETHZ wächst in der Schweizer Bevölkerung die Bereitschaft zu mehr internationaler
Kooperation. Dabei ziehen die Befragten eine autonome Öffnung der Schweiz ohne institutionelle Bindungen
vor. Der Anteil der Uno-Befürworter stieg von 51 auf 57 %. Einen Beitritt zur Nato befürworten etwas weniger
als ein Viertel der Befragten. Die Bereitschaft zum EU-Beitritt nahm deutlich von 52 auf 42 % ab. Berner
Bund, 13.8.97
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"Schengen" - Koller scharrt
Das Polizei- und Justizdepartement beklagt das Ausgeschlossensein aus dem Schengen-Informationssystem,
wo unter anderem die Identität abgewiesener Asylbewerber gespeichert wird. Bern versucht deshalb in
bilateralen Verhandlungen mit den vier Nachbarstaaten, die polizeiliche und juristische Zusammenarbeit zu
verbessern. Diese Art von "Kooperation" würde unter dem Stand des Schengener Abkommens liegen, weshalb
die Schweiz auch Anschluß an Schengen suche. Der Beitritt zum Abkommen von Schengen ist grundsätzlich
nur Mitgliedern der EU offen. Einzig Norwegen "geniesst" einen Sonderstatus. Die Schweiz klärt ab, wie sie
ebenfalls einen solchen Sonderstatus erlagen könnte. Gemäss Angaben des EJPD scheint ein bilaterales
Abkommen über den freien Personenverkehr eine Voraussetzung für eine Assoziierung und den Zugang zum
Schengen-Inforamationssystem zu sein. NZZ. 19./20.7.97
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Formen der Isolation
Fachleute für Suchtprävention aus zehn Ländern, darunter auch die Schweiz, führen bis Ende Jahr das derzeit
grösste vernetzte Suchtpräventionsprojekt Europas durch. Ziel ist es, die soziale Kompetenz junger Menschen
zu fördern, und ihnen so zu helfen, Schutzfaktoren gegen die Sucht aufzubauen. Das EU-Projekt "euro peers",
an dem sich Deutschland, Österreich, Italien, Spanien, Frankreich, Belgien, Holland, Dänemark, Griechenland
und die Schweiz beteiligen, richtet sich an Schülerinnen und Schüler zwischen 12 und 16 Jahren. NZZ. 4.7.97
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Neuer Anlauf für UNO-Beitritt
Im Juni wurde von 81 Nationalräten eine Motion hinterlegt, welche die Mitgliedschaft der Schweiz zur UNO
verlangt. Im nächsten Frühling soll zudem eine breit abgestützte Volksinitiative für den UNO-Beitritt lanciert
werden. Für die Initiative sollen 50 Prominente aus Politik und Wirtschaft dazu verpflichtete werden, tausend
weitere Leute zu finden, die sich persönlich für die Initiative engagieren. Der Vorort äussert sich zurückhaltend
zu den UNO-Vorstössen. Für den Wirtschaftsverband haben die bilateralen Verhandlungen absolute Priorität.
Er befürchtet, eine neue UNO-Diskussion können sich kontraproduktiv auf den europäischen
Integrations-Prozess der Schweiz auswirken. Andreas Gross, Mitinitiant der geplanten UNO-Initiative, hält
solche Bedenken für unbegründet. Er ist überzeugt, dass der UNO-Beitritt der EU-Integration der Schweiz
"helfen" wird. "Denn er ist die sanfteste Form der Zuwendung zur Welt und tangiert die Souveränität, die
Demokratie, ja sogar die diskutable Neutralität nicht". TA. 11.6.97. Eben deshalb hat die Frage des
UNO-Beitritts nichts mit der Frage des EU-Beitritts zu tun. Während der UNO-Beitritt ein Bekenntnis zur
Notwendigkeit internationaler Zusammenarbeit ist, selbst wenn man überzeugt ist, dass die UNO
reformbedürftig ist, stellt ein EU-Beitritt die Verstärkung eines undemokratischen, westeuropäischen
Blockbildungsprojektes dar. EU-Beitritt und UNO-Beitritt könnten gegensätzlicher nicht sein. Deshalb ist es
schade, wenn bereits heute von Initianten der künftigen UNO-Initiative Verbindungen zur EU-Beitrittsfrage
hergestellt werden, die objektiv nicht existieren und deren künstliche Produktion nur kontraproduktiv sein
können.
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Rettung der Aromunischen Kultur
Der Europarat will zur Erhaltung der kulturellen Vielfalt Europas beitragen und dem Aussterben alter Kulturen
und Sprachen entgegenwirken. Am Dienstag befasst sich die Parlamentarische Versammlung des Europarates
mit dem kleinen, auf dem Balkan verstreut lebenden Volk der Aromunen. Zu Beginn des Jahrhunderts sprachen
noch mehr als eine Halbe Million die aromunische Sprache, heute sind es noch eine Viertelmillion. Da sie vor
allem der älteren Generation angehören, droht die aromunische Kultur auszusterben. Da die Aromunen keine
politischen Förderungen nach Staatlichkeit oder Autonomie stellen, fordert der Europarat die Staaten, in denen
die Aromunen leben, auf, die Angehörigen dieser Minderheit beim Gebrauch der Sprache zu unterstützen und
die Sprache selbst durch die Einrichtung von Lehrstühlen zu fördern. Konkret sollen die Ausbildung der
Menschen in ihrer Muttersprache, die Abhaltung von Gottesdiensten sowie die Herausgabe von Zeitungen,
Zeitschriften oder die Ausstrahlung von Radio- und Fernsehprogrammen gefördert werden. NZZ. 25.7.97
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Stand der EU-Gesetzgebung
Die Texte der geltenden EU-Gesetzgebung sind neu unter der folgenden Internet-Adresse einzusehen: http://europa.eu.int/comm/sg/consolid/de/accueil.htm
Richtlinien und Verordnungen werden in konsolidierter Form wiedergegeben, d.h. jede Änderung wird in den
ursprünglichen Gesetzestext eingearbeitet.
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Verärgerung Ankaras
In der "Agenda 2000" empfiehlt die EU-Kommission Zypern in die EU aufzunehmen, während der Türkei die
Tür zum Vollbeitritt verwehrt bleibt. Das türkische Aussenministerium kritisiert, die EU halte sich nicht an ihr
Versprechen, für alle Kandidatenländer die gleichen Kriterien anzuwenden. Die Türkei hinke hinter keinem der
Länder her, mit denen die EU baldige Verhandlungen aufnehmen wolle, sondern sei in mancher Hinsicht sogar
weiter als jene. Der stellvertretende Ministerpräsident Bülent Ecevit erklärte, die Türkei habe gemäss dem
Assoziationsabkommen von 1963 ein Recht auf Mitgliedschaft in der Brüsseler Gemeinschaft. Die EU verhalte
sich unfair, da sie diesen Anspruch missachte und mit der Türkei nur eine Zollunion eingegangen sei, die
zudem für sein Land negative Resultate gebracht habe. Ecevit, dessen Partei der Demokratischen Linken in der
Vergangenheit wiederholt eine Neuverhandlung des 1996 in Kraft getretenen Zollabkommens gefordert hat,
verweist besonders auf das stark steigende Defizit im Handel mit den EU-Ländern. Verärgert reagiert die Türkei
auch in Bezug auf die Absicht, Zypern in die EU aufzunehmen. Der Kommissionsvorschlag sei eine grobe
Verletzung der internationalen Verträge, die zur Gründung der Republik Zypern geführt hätten. Danach darf der
Inselstaat keiner internationalen Organisation angehören, in der nicht auch die Türkei und Griechenland
Mitglieder sind. Die Türkei droht nun, die Integration des türkischen Teils der Insel parallel zur Integration
Südzyperns in die EU an. NZZ. 24.7.97. Die Aspirationen Ankaras, Vollmitglied der EU zu werden, muss
innenpolitische Gründe haben. Die EU-Integration hat eine klar euro-ethno-nationalistische Komponente, wie
von Kohl und Kreisen der CDU in Hinblick auf die Mitgliedschaft der Türkei verschiedentlich hervorgehoben
wurde: "Die Türkei wird nie Mitglied der EU werden, weil sie als islamisches Land andere kulturelle
Wertvorstellungen hat" (NZZ. 21./22.6.97). Auch die diffusen, aber gängigen pro-EU-Argumentationen,
welche immer wieder die gemeinsame europäische Geschichte und Tradition bemühen, zeugen von dieser
"ethnischen" Komponente der EU-Integration. Ein Vollbeitritt der Türkei ist deshalb sehr unwahrscheinlich.
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Uno-Armuts-Studie
Laut einer Uno-Studie würde der Zugang aller Menschen zu grundlegenden sozialen Dienstleistungen 80
Milliarden Dollar kosten - weniger als das Nettovermögen der sieben reichsten Männer der Welt. Der Bericht
stellt fest, dass die Armut in den letzten 50 Jahren stärker zurückgegangen ist als in den vorangegangenen 500
Jahren. Die Dritte Welt verzeichne auf diesem Gebiet in den letzten 30 Jahren grössere fortschritte als die
Industriestaaten in einem Jahrhundert. Dennoch lebt ein Viertel der Weltbevölkerung weiterhin in bitterer
Armut. In Osteuropa und den Nachfolgestaaten der Sowjetunion hat sich die Einkommensarmut auf einen
Drittel der Bevölkerung ausgebreitet. In den Industriestaaten müssen mehr als 100 Millionen Menschen mit
Gehältern auskommen, die unter der Armutsgrenze liegen. Auf der anderen Seite ist die Zahl der
Dollarmilliardäre zwischen 1989 und 1996 von 157 auf 447 angestiegen. Die zehn reichsten Leute der Welt
besitzen zusammen netto 133 Milliarden Dollar, was anderthalb mal so viel ist wie die Nationaleinkommen der
48 am wenigsten entwickelten Länder. Laut dem Armutsindex der Uno-Untersuchung, der auch ausgewogene
Ernährung, Zugang zu sauberem Trinkwasser, Zugang zu medizinischer Versorgung, usw. berücksichtigt,
landet die Schweiz auf dem 16. Rang unter den Staaten. Schuld an diesem - am Pro Kopf Einkommen
gemessen - schlechten Abschneiden ist das im Vergleich zu anderen Industrienationen niedrigere
Ausbildungsniveau der Frauen und deren berufliche Benachteiligung. Der Prozentsatz weiblicher Spitzenkräfte
in der Schweiz wird mit 23,8 Prozent angegeben, verglichen mit 64,4 Prozent in Schweden und 56,1 Prozent
in Kanada. TA, 13.6.97
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Russland als EU-Anwärter?
Russland will nach Angaben von Ministerpräsident Viktor Tschernomyrdin der EU beitreten. Der russische
Premier sagte nach einem Treffen mit der EU-Kommsision in Brüssel, Russland mache alle Anstrengungen,
um später einmal der Union beitreten zu können. "Es kann keine andere Perspektive als die des Beitritts geben"
sagte Tschernomyrdin. NZZ. 19./20.7.97
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EU-Erweiterung
Am 16. Juli veröffentlichte die EU-Kommission ihren Avis bezüglich der EU-Erweiterung. Estland, Polen,
Slowenien, die Tschechische Republik, Ungarn und Zypern sollen anfangs 1998 EU-Beitritts-Verhandlungen
aufnehmen können. Begrüsst und als realistisch eingeschätzt wurde in den betroffenen Hauptstädten auch die
Bemerkung von Kommissionspräsident Jacques Santer, eine erste Erweiterung könnte im Zeitraum 2001 bis
2003 erfolgen. Von den Regierungen der Beitrittskandidaten wurde betont, es sei wichtig, dass die
Verhandlungen plangemäss Anfang 1998 beginnen und nicht unendlich lange dauern. Sie erhoffen sich von der
Aussicht auf den EU-Beitritt eine positive Beeinflussung der ausländischen Investoren. Die Regierenden der
übrigen fünf Beitrittskandidaten Bulgarien, Lettland, Litauen, Rumänien und die Slowakei fürchten
demgegenüber, sehr lange in "einem ungemütlichen Wartezimmer verharren zu müssen" Es zeichne sie eine
neue Trennungslinie quer durch Europa ab, wurde gewarnt. NZZ. 18.7.97.
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EU-Beitritts-Standesinitiative
Eine Standesinitiative des Kantons Jura verlangte, dass der Bund umgehend mit der EU Beitrittsgespräche
führe und dabei den demokratischen Instrumenten der Schweiz Rechnung trage. Der Ständerat folgte
stillschweigend dem Antrag der aussenpolitischen Kommission, der Initiative keine Folge zu geben. NZZ.
18.6.97. Wohl aus EU-propagandistischen Gründen wurde darauf verzichtet, das jurassische Parlament darauf
hinzuweisen, dass die demokratischen Instrumente der Schweiz einen EU-Beitritt nur schwer geschädigt
überstehen könnten. Eine Erkenntnis, die in jedem verfassungsrechtlichen Gutachten zu holen ist!
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Aufwärmung neo-liberaler Ideologie
Im August wurde eine Studie "Die Schweiz im globalen Wandel. Aussenwirtschaftliche und
entwicklungspolitische Herausforderungen" der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Studie wurde im Rahmen des
1987 vom Bundesrat beschlossenen Nationalen Forschungsprogrammes 28 "Aussenwirtschaft und
Entwicklungspolitik" erarbeitet. Ziel war es, die Konsequenzen des Umbruchs in der Weltwirtschaft für die
Schweiz und die Entwicklungsländer zu analysieren und Strategien zu formulieren, wie auf die zukünftigen
Herausforderungen geantwortet werden kann. Im Rahmen des NFP wurden 26 Forschungsprojekte realisiert,
u.a. auch das sattsam bekannte "Schweiz AG" der professoralen Anti-Direkt-Demokraten Borner und
Straubhaar. Die Schlussfolgerungen der Studie: Nicht die Globalisierung der Wirtschaft sei schuld an der
siebenjährigen Flaute in der Schweiz, sondern die selbstgewählte "Abschottung" der binnenorientierten
Branchen von der internationalen Konkurrenz (Bund. 27.8.97). Den Autoren, die mit veraltetem Material aus
den 80er Jahren die Flaute der 90er Jahre erklären wollen, scheint nicht bekannt zu sein, dass die
wirtschaftlichen Problem vor allem der sinkenden Kaufkraft der inländischen Bevölkerung zuzuschreiben war.
Während die Exportindustrie florierte, geriet die Binnenwirtschaft nicht zuletzt wegen den Opfern, die auf dem
Altar der Exportwirtschaft dargebracht wurden (Mehrwertsteuer!) unter Druck: die Konsumenten
subventionierten die Exportwirtschaft auf Kosten der Binnenwirtschaft. Eine zusätzliche Deregulierung der
Binnenwirtschaft hätte diese Tendenz nur verstärken können. So nahm etwa die Arbeitslosigkeit in Österreich
nach dem EWR- und EU-Beitritt zu und nicht ab. Dass es sich dabei nur um eine negative aber kurzfristige
Begleiterscheinung der Deregulierung handle, ist ein neoliberales, aber nichts desto trotz irrationales Credo. Die
Arbeitsmärkte geraten nicht von sich aus in ein Gleichgewicht, das alle arbeitswilligen Menschen integriert. Die
Deregulierung führt zu einer steileren Einkommensverteilung und damit zu einer Schwächung der
gesellschaftlichen Nachfrage. Dies setzt die Arbeitsmärkte vermehrt unter Druck. Marktgleichgewichtsmodelle
setzen voraus, dass Anbieter, die überflüssig sind, verschwinden, und dass derart ein Gleichgewicht zwischen
Angebot und Nachfrage entsteht. Die Modelle besagen jedoch nicht, dass verschwundene Anbieter eines guten
Tages durch die ungesteuerte Eigendynamik des Marktes wieder in diesen integriert werden. Auf den
Arbeitsmarkt angewandt bedeutet dies, dass der Markt nur durchs Wegsterben von überflüssigen Arbeitskräften
ins Gleichgewicht kommen könnte. So heiss wird die Suppe nicht ausgelöffelt: Sozialversicherungen
verhindern das schlimmste. In einer völlig deregulierten Wirtschaft spielen diese aber nicht die Rolle von
Puffern, die vorübergehende Ungleichgewichte in Folge Umstrukturierungen ausgleichen.
Sozialversicherungen müssen in diesem Fall vielmehr dafür sorgen, dass der Dauerzustand der
Massenarbeitslosigkeit für die Reichen nicht zur sozialen Gefährdung wird.
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Wirtschaftswissenschafter warnen
331 Wirtschaftswissenschaftler aus der ganzen EU kritisierten in Hinblick auf den Amsterdamer-Vertrag in
einem offenen Brief an die Staats- und Regierungschefs der 15 EU-Mitgliedstaaten das konkrete Euro-Projekt
der EU. Es wird darauf hingewiesen, dass die Konvergenzkriterien die Rezession in Westeuropa verschärfen
und dass der 1996 in Dublin beschlossene "Stabilitätspakt" diese auch künftig verstärken wird. Eine
antizyklische Haushaltspolitik der Staaten wird somit durch die Euro-Politik verunmöglicht. Da "Maastricht"
und "Dublin" der Konkurrenz nationaler Haushaltspolitik keinerlei Beschränkung auferlegen, werden Steuern
und staatliche Einnahmen nach unten gedrückt. Diese Art von Dumpingkonkurrenz droht auf andere Bereiche
ausgedehnt zu werden: "Die Haushaltsschlachten unter den Mitgliedsländern werden immer zügelloser, und die
Konsequenzen daraus sind bereits heute in Gestalt stark wachsender Einkommensunterschiede, forcierter
Privatisierung und rapidem Sozialabbau erkennbar. Zu erwarten ist ferner eine wachsende Konkurrenz um
ökologisch gefährliche Infrastrukturprojekte." Die Wirtschaftswissenschaftler fahren fort: "Mit einem Wort: Die
Länder, die im Begriff stehen, sich einer gemeinsamen Währung anzuschliessen, geben wichtige Instrumente
der makroökonomischen Politik auf. Und weil die Zinssätze bald überall ungefähr dieselben sein werden, die
Arbeitsmobilität über die europäischen Grenzen hinweg (noch) schwach ist und keine finanziellen Transfers
zwischen den Ländern für diese Situation geplant sind, werden die Länder in der Währungsunion bald nur noch
ein Instrument zu ihrer Verfügung haben, um ökonomische Schocks zu dämpfen: staatliche Ausgabenpolitik.
Aber wie wir wissen, hat der Stabilitätspakt den Regierungen sogar dieses Instrument entzogen. Das bedeutet,
die Rechnung wird auf dem Arbeitsmarkt präsentiert - und zwar in Gestalt von steigender Erwerbslosigkeit,
sinkenden Löhnen und noch grösserer Flexibilisierung". "Die EWU ist, kurz gesagt, kein gutes Modell
erweiterter ökonomischer Integration. Wahrscheinlich haben Sie (gemeint sind die Regierungschefs,
Anmerkung der Red.) in dem Glauben gehandelt, dass die Wirtschaftswissenschaftler über die EWU einer
Meinung und dass die Regelungen vielleicht von einem sozialen oder politischen Standpunkt aus quälend, aber
nichtsdestotrotz vom ökonomischen Standpunkt aus absolut notwendig seien. Das ist tatsächlich nicht der Fall.
Der EWU fehlt jede solide wissenschaftliche Grundlage." (deutsche Übersetzung, SoZ, no. 13, 26.6.97,
Dasselstrasse 75-77, D-50674 Köln)
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Die Währungsunion gäb's besser nicht
In einem Interview mit dem Berner Bund kritisierte der neue Präsident der Kommission für Konjunkturfragen,
der St. Galler Professor Alfred Meier, in klaren Worten die Währungsunion. "Die Frage ist, ob es für den
Binnenmarkt überhaupt eine Währungsunion braucht. Da sind sich die Ökonomen nicht einig. Für die
Unternehmungen ist es natürlich einfacher, wenn nur noch eine Währung existiert. Aber auf der anderen Seite
fehlt eben das Mittel der Wechselkursanpassung als Reaktion auf wirtschaftliche Schocks, welche die einzelnen
EWU-Mitglieder unterschiedlich treffen. Angesichts der immer noch heterogenen Volkwirtschaften der
EU-Länder und der Unterschiede ihrer wirtschaftspolitischen Vorstellungen wäre es meines Erachtens besser,
wenn es die Währungsunion nicht gäbe. Aber diese ist primär eine politische Prestigeangelegenheit geworden."
Berner Bund, 11.8.97
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Die Wettbewerbsfalle
"Zweifelsohne hat die zunehmende internationale Verflechtung sehr zum steigenden Wohlstand der westlichen
Welt beigetragen. Es ist jedoch auch offensichtlich, dass die Länder immer weniger die Möglichkeit haben, ihre
eigenen verteilungspolitischen Vorstellungen durchzusetzen. Je offener die Märke und je mehr Kapital, Güter,
Arbeitsplätze und Arbeitskräfte mobil sind, desto geringer sind die Möglichkeiten für einzelne Länder, ihre
schwächer gestellten Schichten zu schützen. Dies ist der Zustand, den wir als Wettbewerbsfalle bezeichnen. Die
Wirtschaftspolitik steht somit vor einer neuen Aufgabe. Bei der Frage, inwieweit Märkte weiter geöffnet, bzw.
Integriert werden können, muss man sich immer mehr mit der Frage befassen, ob dadurch nicht unakzeptable
verteilungspolitische Implikationen entstehen. Das Argument, diese Nebeneffekte könnte mit anderen
Massnahmen korrigiert werden, gilt in einer stark integrierten Welt nur noch sehr beschränkt. Am intensivsten
wird diese Frage zurzeit in Frankreich diskutiert. Seit in England die Macht der Gewerkschaften gebrochen
wurde, ist das Lohnniveau für wenig qualifizierte Arbeitskräfte so stark eingebrochen, dass viele multinationale
Unternehmen ihre Produktionsstätten dorthin verlagern. Früher gab es in England die "armen Arbeitslosen",
heute gibt es die "armen Arbeitenden". Um einen anständigen Lebensstandard zu haben, müssen in vielem
Familien beide Elternteile berufstätig sein. Diese Entwicklung kann man auch kritisch sehen. Sollen die
Franzosen sich dazu zwingen lassen, Minimallohn und soziale Sicherheit abzuschaffen, nur um mit England
konkurrenzfähig zu bleiben? Die EU ist noch sehr weit davon entfernt, eine gemeinsame Sozialpolitik
entwickelt zu haben. Für die Schweiz stellt sich somit eine einfache Frage. Will sie einer Gemeinschaft
beitreten, in der die nationalen Regierungen einen Grossteil ihres verteilungspolitischen Handlungsspielraums
aufgeben müssen?" Prof. Thomas von Ungern-Sternberg, Ecole des Hautes Etudes Commerciales, Universität
Lausanne, Cash 22. 8. 97
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EU verletzt Freihandelsabkommen
Gemäss dem Freihandelsabkommen zwischen der Schweiz und der EWG von 1972 dürfte mit einem Zoll nur
die Preisdifferenz für den Rohstoff - also bei Teigwaren z.B. die Preisdiffernez beim Hartweizen - zwischen
Weltmarkt und Inlandmarkt ausgeglichen werden. Obwohl der EU-Hartweizenpreis kaum über dem
Weltmarktpreis liegt, hat die EU Mitte 1995 den Importzoll auf Teigwaren massiv erhöht. Schwankt der
Importzoll pro Kilogramm Teigwaren vor 1995 zwischen 0 und 15 % Rappen, hatten Schweizer
Teigwaren-Exporteure plötzlich 55 Rappen pro Kilogramm Teigwaren zu bezahlen. Bei einem Produktepreis
von rund 1,6 Franken hatten sie keine Chance mehr auf dem EWR-Markt. Nachdem die Schweiz und weitere
Efta-Staaten protestiert hatten, wurde der Satz auf 40 Rappen pro Kilogramm reduziert. Bundesrat Delamuraz
selbst ist in Brüssel vorstellig geworden, um gegen die "krasse Verletzung des Freihandelsabkommens" zu
protestieren. Bis heute ohne Erfolgt. Die Affäre zeigt, in welchem Ausmass in der EU Macht Recht ersetzt.
Cash 22.8.97.
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Was die, welche mehr zu sagen haben wollen, sagen, damit wir weniger zu sagen haben werden
"Die Befugnisse des Parlamentes und die Volksrechte bestehen nur noch auf dem Papier", Efta-Richter der
Schweiz, Carl Baudenbacher
"Die Gesetzesanpassungen sind die zähneknirschende Akzeptierung von Fremdbestimmung", Ständerat René
Rhinow
"Einmal mehr können wir uns beim Finanzplan den EU-Kriterien nicht entziehen", Bundesrat Arnold Koller
(Facts, 27/1997)
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