Das deutsche Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat das Verfahren zum Staatsanleihekauf-Programm (PSPP) der EZB ausgesetzt und dem Gerichtshof der EU (EuGH) mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt. Jedoch üben die Verfassungsrichter harte Kritik an der EZB. Nach Auffassung des Zweiten Senats sprechen gewichtige Gründe dafür, dass die dem Anleihekaufprogramm zugrunde liegenden Beschlüsse gegen das Verbot der monetären Staatsfinanzierung verstossen sowie über das Mandat der EZB für die Währungspolitik hinausgehen und damit in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten übergreifen.
Da die Sache eilt, hat das Verfassungsgericht beim EuGH ein beschleunigtes Verfahren beantragt. Das BVerfG wird erst nach der Beurteilung des Sachverhalts durch den EuGH abschliessend über die hängigen Verfassungsbeschwerden urteilen.
Das PSPP ist Teil eines breiteren Wertpapierkaufprogramms (APP) der EZB. Dabei macht das PSPP jedoch den weitaus grössten Teil des Gesamtvolumens aus. Bis zum 12. Mai hatte das APP laut dem Verfassungsgericht ein Volumen von 1862 Mrd. € erreicht, wovon 1535 Mrd. € auf das PSPP entfielen. Derzeit kauft die EZB monatlich Anleihen über 60 Mrd. €. Ende 2017 wird sie Papiere über fast 2,3 Bio. € erworben haben. Die Verfassungsrichter haben in ihrem Urteil nun den Ton gegenüber der EZB verschärft. Bereits in einem früheren Verfahren hatten sie sich kritisch zur Politik der Notenbank geäussert. Erstaunlicherweise bezieht sich das Gericht in seinen Darlegungen stets auf das PSPP, obwohl sich mindestens ein Teil der Klagen gegen das gesamte Kaufprogramm richtet. Die EZB begründet die Bondkäufe mit elektronisch aus dem Nichts geschaffenem Geld damit, die Inflation in der Euro-Zone auf ihren Zielwert von unter, aber nahe 2% bringen zu wollen. Die Käufe haben viele Nebenwirkungen und sorgen dafür, dass sich Staaten billiger verschulden können.
Im Juni 2016 hatte das BVerfG bereits mehrere Beschwerden gegen das potentiell unbegrenzte Staatsanleihekauf-Programm der EZB mit dem Namen Outright Monetary Transactions (OMT) trotz eigenen Bedenken abgewiesen. Zuvor hatte das Gericht ebenfalls den EuGH zugezogen, der kaum Bedenken gegen die EZB-Politik geäussert hatte. Derzeit laufen allerdings mindestens fünf weitere Klagen gegen die Politik der EZB. Diesmal geht es um die laufenden Kaufprogramme im Rahmen des APP überwiegend für Schuldpapiere von Staaten und öffentlichen Körperschaften sowie für Unternehmensanleihen und andere Wertpapiere.
Die Kläger sind der Meinung, dass das PSPP bzw. APP gegen das Verbot der monetären Staatsfinanzierung verstosse und die Bundesbank deshalb daran nicht mitwirken dürfe.
An sich hat das Unionsrecht Vorrang. In zwei Fällen behält sich Karlsruhe aber ein Einschreiten vor: wenn der innerste Kern des Grundgesetzes auf dem Spiel steht; und wenn EU-Stellen sich Dinge anmassen, mit denen sie der gewählte Bundestag nicht beauftragt hat. Zum zweiten Mal legen die Verfassungsrichter so einen heiklen Fall jetzt dem EuGH zur Vorabentscheidung vor. Dessen Antwort ist bindend. Wo sie Spielräume lässt, kann Karlsruhe diese aber nutzen. Das Verfassungsgericht behält sich ausserdem vor, sich über ein EuGH-Urteil hinwegzusetzen, das nicht mehr nachvollziehbar ist. NZZ, 16. August 2017, S. 23
Jugendarbeitslosigkeit: verlorene Generation
Ein gähnendes Loch klafft seit der Krise im Arbeitsmarkt: Mehr als 5 Millionen Junge unter 25 Jahren waren 2013 in der EU arbeitslos. Jeder und jede vierte. ln Spanien und Griechenland waren es gar fast die Hälfte der Jugendlichen, die keine Arbeit hatten. Viele von ihnen bleiben über Jahre ohne Job, sie drohen zur "ve rlorenen Generation" der Finanzmarktkrise zu werden.
Wenig erfolgreiche «Jugendgarantie»
Die EU reagierte und entschied sich 2013 für eine "Jugendgarantie": Allen Jungen muss innert vier Monaten nach Ausbildungsabschluss eine Stelle, eine Weiterbildung oder ein Praktikum zugesichert werden. Dafür sieht die EU 8 Milliarden Euro aus ihren Mitteln vor, als Beitrag an die Länder. Doch die Bilanz dieses (an sich lobenswerten) Programms ist nicht erhebend: Zwar haben innert dreierJahremehrere Millionen Junge davon profitiert, aber viel weniger, als Anspruch darauf hätten. Und nur wenige Länder setzten das Programm seriös und breitflächig um. Es sind nicht jene Länder, die in der Jugendarbeitslosigkeit versin ken. So hat zum Beispiel die neoliberal-reaktionäre Regierung Spaniens nur ein paar Prozent der reservierten EU-Gelder überhaupt abgerufen.
Hangeln von Saisonjob zu Saisonjob
Mit dem Abklingen der Krise sind heute etwas weniger Junge ohne Job. Aber es sind immer noch gegen vier Millionen. Und die Arbeitsverträge, die jene erhalten, die Arbeit finden, sind meist super prekär. Es handelt sich vor allem um Teilzeitstellen. Und um befristete Anstellungen. ln Spanien hangeln sich rund 70 Prozent der unter 25jährigen deshalb von Saisonjob zu Saisonjob. Als Spaniens Regierung die Arbeitsgesetze und den Kündigungsschutz abbaute, behauptete sie, das werde die Patrons veranlassen, die Jungen fest anzustellen. So steht es im neoliberalen Gebetsbuch.
Ein schlechter Witz.
Die Jugendarbeitslosigkeit in Europa ist ein Lehrstück. Es zeigt, dass der sogenannt freie Arbeitsmarkt oft nicht funktioniert. Um den Millionen Jungen in Europa wirklich eine Perspektive zu geben, müsste die EU-Jugendgarantie konsequent umgesetzt werden. Und es braucht eine Politik, die mit Investitionen, kluger Arbeitszeitgestaltung und Förderung der Kaufkraft nachhaltige Arbeitsplätze schafft. 18. August 2017, SGB-DOSSIER N° 127, Über den Tellerrand, Ein gewerkschaftlicher Blick auf Europa, Andreas Riegers Europa-Kolumnen von 2016 bis März 2018, April 2018, http://www.sgb.ch/fileadmin/user_upload/Dokumente/Dossier/127D_AR_EU_Internet.pdf