Europas Mauern: Zum Beispiel Calais 3419 MigrantInnen starben 2014 im Mittelmeer. Das ist die dramatische Bilanz der europäischen Politik der Abschottung der Grenzen und des Mauerbaus – von Ceuta und Melilla und der Meerenge von Gibraltar bis zum Evros-Fluss im Norden Griechenlands. Und was ist mit Frankreich? Der französische Innenminister Bernard Cazeneuve besuchte am 3. November letzten Jahres Calais, um dort angesichts der «Notlage der Migranten» seine Bereitschaft zur Hilfe zu bekunden. Das sei eine «Verpflichtung des Staates». Konkret unterzeichnete er eine Vereinbarung mit der Unterpräfektur, die die Einrichtung eines Tagesaufenthaltszentrums mit 400 Plätzen erlaubt. Das Zentrum ist für die MigrantInnen gedacht, die auf eine Gelegenheit zur heimlichen Überfahrt nach England oder auf den ungewissen Ausgang ihres Asylverfahrens in Frankreich warten.
Es ist offensichtlich, dass diese ohnehin nur während des Tages geöffnete Miniatur des früheren Zentrums von Sangatte nicht ausreicht für die etwa 3000 MigrantInnen, die rund um den Hafen von Calais und in der Region zu überleben versuchen: in behelfsmässigen Lagern, in einer unvorstellbaren Enge und unter ungesunden Bedingungen – ohne fliessendes Wasser, ohne sanitäre Einrichtungen, ohne Müllabfuhr, ohne die Möglichkeit, sich ein warmes Essen zu kochen, und überhaupt ohne regelmässige Ernährung. Zur materiellen Armut kommt die seelische Not – verursacht durch die unsichere Perspektive eines risikoreichen Weges auf die andere Seite des Ärmelkanals, durch die ständigen Kontrollen der Polizei, die Ausweisungsdrohung, den von Schleppern ausgeübten Druck und die unvermeidlichen Konflikte untereinander; und natürlich durch die traumatisierenden Erfahrungen des Weges über das Mittelmeer und durch Europa, den die MigrantInnen in der Gegend um Calais hinter sich haben. Noch vor einigen Jahren kamen sie überwiegend aus Afghanistan – Vertriebene des Krieges, den die USA und ihre Verbündeten, darunter auch Frankreich, in ihrer Heimat führen. Mittlerweile kommen sie in der Mehrheit aus Eritrea, Somalia oder dem Sudan. Seit 2003 trafen auch viele IrakerInnen hier ein und seit einigen Monaten kommen viele SyrerInnen (Kriegsflüchtlinge, die von den europäischen Ländern offiziell nur tröpfchenweise eingelassen werden, während hunderttausende in den Nachbarstaaten, insbesondere im Libanon, aufgenommen werden mussten).
Die prekäre Situation der MigrantInnen in und um Calais hat eine längere Geschichte. Einige besonders zerstörerische Momente erinnern fatal an das Vorgehen der Behörden gegen die Roma: Im Dezember 2002 liess der damalige Innenminister Nicolas Sarkozy das Aufnahmezentrum des Roten Kreuzes in Sangatte schliessen. Im September 2009 wurde auf Anordnung Eric Bessons, des Ministers für «Einwanderung und nationale Identität», der «Dschungel» geräumt, ein Lager in einer bewaldeten Zone in der Nähe des Hafens. 2014 folgten weitere Räumungen: Am 28. Mai vergangenen Jahres zerstörte die Polizei zwei Camps in der Nähe von Calais – unter dem Vorwand der Bekämpfung einer Krätze-Epidemie. Am 2. Juli ging sie gegen die MigrantInnen vor, die sich unter miserablen Bedingungen rund um die Zone niedergelassen hatten, wo Hilfsorganisationen Essen verteilen. Die Männer wurden noch am gleichen Tag in Ausschaffungshaftzentren (Centres de rétention administrative, CRA) verbracht, die Frauen in kaum geeignete Heime in der Umgegend. Am 22. August schlug die Bürgermeisterin von Calais, Natacha Bouchart von der UMP, vor, ein Aufnahmezentrum mit 400 Plätzen ausserhalb von Calais einzurichten. Der sozialistische Innenminister lehnte das zunächst ab.
Tatsächlich ist dieses Zentrum nur der untaugliche Versuch, den humanitären Anschein zu wahren. Am 20. September letzten Jahres erhielt Innenminister Cazeneuve überdies die Zusage seiner britischen Amtskollegin Teresa May über einen Betrag von 15 Millionen Euro, den das Vereinigte Königreich in den kommenden drei Jahren an den Bau und die Kontrolle von Sicherheitszäunen zahlt, die jeglichen Zugang der MigrantInnen zum Hafen von Calais unterbinden sollen.
Drei Tage nach seinem Calais-Besuch im November 2014 traf sich Cazeneuve in Paris mit den Innenministern der G6, einer Art justiz- und polizeipolitischem «Kerneuropa », dem Frankreich, Deutschland, Spanien, Polen, Italien und Grossbritannien angehören. An der Konferenz, die sich mit Fragen des Terrorismus und der Migrationsströme – eine zweifelhafte Kombination – befasste, nahmen auch VertreterInnen der USA, Kanadas, der Türkei sowie der für Inneres zuständige EU-Kommissar teil. Cazeneuve begrüsste den Übergang von der Operation «Mare Nostrum», bei der die italienische Marine über Monate hinweg in Seenot geratene Flüchtlinge gerettet hatte, zur Frontex- Aktion «Triton». Er unterstützte damit eine erneute Grossoperation, bei der es vor allem um die polizeiliche Kontrolle und die Abschottung der südlichen Aussengrenzen der EU geht. Bulletin Solidarité sans fronitères, März 2015, S. 2.
|
Juncker fordert EU-Armee EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat sich für die Gründung einer gemeinsamen Armee in der EU ausgesprochen. Mit einer solchen könne „Europa“ glaubwürdig auf eine Bedrohung des Friedens in einem Mitgliedsland oder in einem Nachbarland der Europäischen Union reagieren.
Das sagte Juncker der deutschen Zeitung "Welt am Sonntag". Mit Blick auf den Ukraine-Konflikt hob er hervor, eine gemeinsame Armee der Europäer würde auch "Russland den Eindruck vermitteln, dass wir es ernst meinen mit der Verteidigung der Werte der Europäischen Union".
Die europäische Armee solle keine Konkurrenz zur NATO sein, sondern Europa stärken, sagte Juncker weiter. Eine intensive Zusammenarbeit der europäischen Staaten bei der Entwicklung und beim Kauf von militärischem Gerät werde auch "erhebliche Einsparungen bringen".
Der Vorstoss des ehemaligen luxemburgischen Premierministers erhielt Unterstützung: "Eine gemeinsame europäische Armee ist eine europäische Vision, deren Zeit gekommen ist", sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im deutschen Bundestag, Norbert Röttgen, der "WamS".
Die EU-Europäer gäben zusammen im Vergleich zu Russland ein Vielfaches für das Militär aus, doch die Fähigkeiten der "nationalen Kleinarmeen" blieben sicherheitspolitisch unzureichend. Im Interesse der europäischen Sicherheit, die durch die hegemoniale Politik Russlands verletzt werde, müsse dieser Anachronismus überwunden werden, forderte Röttgen.
Auch die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen wirbt für die Zukunftsvision einer europäischen Armee. Sie sei allerdings nicht kurzfristig zu erreichen, betonte sie im Februar. Aber so wie sie überzeugt davon sei, dass "vielleicht nicht meine Kinder, aber dann meine Enkelkinder die Vereinigten Staaten von Europa haben werden", so sei sie vom Ziel der europäischen Streitkräfte überzeugt.
Der Zeitung zufolge will der frühere EU-Aussenbeauftragte und NATO-Generalsekretär Javier Solana am Montag in Brüssel die Ergebnisse einer internationalen Expertengruppe vorstellen. Das dem Blatt vorliegende Papier mit dem Titel "More Union in European Defence" empfiehlt demnach eine neue europäische Sicherheitsstrategie, eine "politische und militärische Fähigkeit zur Durchführung autonomer Interventionsoperationen ausserhalb der europäischen Grenzen" sowie die Einrichtung eines militärischen EU-Hauptquartiers in Brüssel. Handelszeitung, 08. März 2015.
|
EU-Gelder fließen in falsche Kanäle – ohne Folgen „Weggucken ist nicht die Lösung“, ärgert sich Inge Grässle. Die deutsche EU-Abgeordnete (CDU) kämpft als Leiterin des Haushaltskontrollausschusses im Europaparlament für Sauberkeit und Transparenz bei der Vergabe von EU-Förderungen. In ihrem Entlastungsbericht zur EU-Kommission für das Budget 2013 führt sie erneut zahlreiche Ungereimtheiten auf. Doch die Kommissionsführung, davon zeigt sie sich im Gespräch mit der „Presse“ überzeugt, werde erneut versuchen, die Probleme kleinzureden. Die EU-eigene Betrugsbekämpfungsbehörde Olaf, so Grässle, arbeite ineffizient und werde von den Verantwortlichen in der EU-Kommission gedeckt. „Eigentlich müsste Olaf gegen sich selbst ermitteln.“
Die Vorwürfe wiegen schwer. Grässle führt in ihrem Bericht zahlreiche Fälle an, die eigentlich Konsequenzen haben müssten. So werden EU-Hilfen an Projekte überwiesen, die es in der angegebenen Größe nicht gibt. Als extremstes Beispiel nennt die Abgeordnete den Fall der International Managementgroup (IMG). Die Organisation, die regelmäßig EU-Gelder erhielt, setzt nach eigenen Angaben Hilfsprojekte in Krisenländern um. Doch laut Olaf-Ermittlungen, über die der „Spiegel“ berichtete, existiert die Organisation gar nicht als juristische Person. Es gebe „Anzeichen von Betrug und Geldwäsche“, so die Ermittler.
Laut Grässle ist das kein Einzelfall. Einige Mitgliedstaaten nehmen es bei den von ihnen verteilten EU-Geldern mit der Kontrolle nicht sehr ernst. Geht es um Hilfen für die Landwirtschaft, für Regional- oder etwa Sozialprojekte, so werde die EU-Kommission nachträglich fehlerhaft über die Geldflüsse informiert. „Seit Jahren weisen unter anderem das Vereinigte Königreich, Griechenland und Spanien schlechte und zudem nachweislich inkorrekte oder falsche Angaben auf – ohne Folgen“, kritisiert Grässle.
Der Verdacht steht im Raum, dass EU-Gelder zu einem beträchtlichen Teil nicht dort ankommen, wo sie vorgesehen waren. Im Bericht zum Haushalt 2013 verweist die Abgeordnete auf „941 Finanzinstrumente“, über die EU-geförderte Regionalprojekte in den Mitgliedstaaten abgewickelt werden. Laut Grässle flossen zwar 14,3 Milliarden Euro an diese Finanzinstrumente, doch lediglich 47 Prozent der Gelder erreichten die vorgesehenen Endempfänger. Dazu kommt, dass Projekte finanziert wurden, die für die Bevölkerung keine Verbesserung brachten. Als Beispiel nennt die Abgeordnete die Privatisierung der Wasserversorgung in Skorkov (Tschechien). Die Versorgung von 267 Häusern wurde mit 1,1 Millionen Euro von der EU mitfinanziert. In Folge wurde der Preis für Trinkwasser aber um 45 Prozent erhöht. Durch die hohe Gebühr sind viele Einwohner erneut auf ihren eigenen Brunnen angewiesen.
Ähnlich ist die Lage bei der Hilfe für Roma. Sie wurde zwar von der EU-Kommission öffentlichkeitswirksam angekündigt. Doch die dafür vorgesehenen Gelder werden von den betroffenen Mitgliedstaaten ohne effiziente Kontrolle verteilt. „Die für die Integration von Roma verfügbaren Mittel werden nicht immer für diesen Zweck verwendet“, kritisiert Grässle in ihrem Bericht.
Um solche Entwicklungen künftig zu vermeiden, fordert Grässle die rasche Einführung von Sanktionen gegen Mitgliedstaaten, die über die Verwendung von EU-Geldern falsch informieren. Die Presse, 25. März 2015
|