Seit Jahresbeginn 07 sind Rumänien und die Republik Moldau durch die EU-Aussen- grenze getrennt. Das verschärfte Grenzregime hat für die örtliche Bevölkerung teilweise drastische Konsequenzen. Ein paar Beispiel: Zenaida Ganea, die 38-jährige Mutter von fünf Töchtern lebt seit 1991 in Macaresti, einem von etwa 250 Familien bewohnten Dorf am Westufer des Pruth. Aufgewachsen ist sie auf der östlichen Flussseite gleich gegenüber, ebenfalls in Macaresti. Doch dieser Teil des Dorfs liegt im ehemaligen Bessarabien, der heutigen Republik Moldau, die bis 1991 eine Sowjetrepublik war (siehe Kasten). Bis vor drei Jahren hatte Frau Ganea mit ihren Eltern und Geschwistern regelmässig Kontakt, von Ufer zu Ufer. Man tauschte über das Wasser hinweg Botschaften aus. Ein wenig mühsam war das Hin-und-her-Schreien zwar, doch es bestand Hoffnung, dass dieser seltsame Zustand ein Ende haben werde. Diesseits und jenseits des Pruth leben Leute mit derselben Sprache. Nur ganz winzige Unterschiede habe er im Dialekt seiner Frau bemerken können, als er sie erstmals traf, sagt Zenaidas Ehemann, der im rumänischen Macaresti aufgewachsen ist. Er bewirtschaftet mit seiner Frau eine Hektare Land, die er nach der Reprivatisierung des Bodens erhalten hatte. Das reicht knapp zum Überleben, für mehr nicht.
Seit drei Jahren ist nun auch der Rufkontakt zwischen West- und Ost-Macaresti unterbunden, da auf der rumänischen Seite das Flussufer zur
verbotenen Grenzzone erklärt wurde. Die Grenzpolizisten überwachen die Zone sehr genau, niemand darf ans Wasser, ob Fremder oder Einheimischer. Für Zenaida Ganea bedeutet dies faktisch, mit ihrem Vater, ihren vier Brüdern und ihrer Schwester kaum mehr Kontakt zu haben, obwohl sie beinahe in Sichtkontakt von ihrem Elternhaus wohnt. Bereits am Begräbnis ihrer Mutter vor sieben Jahren konnte sie nicht teilnehmen, da ihr die notwendigen Papier fehlten, um von West-Macaresti nach Ost-Macaresti zu fahren. Sie ist eine jener statistisch nicht erfassten Moldauerinnen in Rumänien, die es aus Unwissenheit oder wegen fehlender Mittel verpassten, eine Aufenthaltsbewilligung zu holen. Die Frist dafür ist längst abgelaufen. Um ihre Situation zu regeln, müsste Frau Ganea in die moldauische Hauptstadt Chisinau fahren und dort auf dem rumänischen Konsulat ein Einreisevisum plus eine Aufenthaltserlaubnis zwecks Familienzusammenführung anfordern. Das aber kann Wochen oder Monate dauern und ist teuer. Zenaida aber hat weder Geld noch Zeit; ihre Töchter brauchen sie.
Ein tragisches Einzelschicksal? Nein. Allein in Macaresti sind drei andere Moldauerinnen in derselben Lage. Der Fall ist weiter exemplarisch für die exponierte Randlage der Moldau zwischen Ost und West. 1990, im Jahr des grossen Wechsels, hatte alles noch ganz anders ausgesehen. An der Grenze zwischen Rumänien und der Moldau spielten sich ergreifende Szenen ab, die damalige Beobachter mit dem Fall der Berliner Mauer verglichen. Die wenigen über den Pruth führenden Übergänge wurden bekränzt und zu Blumen-Brücken erklärt. Die Bevölkerung von dies- und jenseits des Flusses fiel sich in die Arme, Verwandte begegneten sich nach Jahrzehnten wieder, Popen von Ost und West segneten die Menge, und Schulkinder von hüben und drüben sangen patriotische Lieder. Da, wo keine Brücken bestanden, wie in Macaresti, streute die Menge Blumen aufs Wasser. Die Schwimmer waren mit ein paar Zügen am anderen Ufer, und Nichtschwimmer traversierten auf behelfsmässigen Schwimmreifen. Exakt auf diese Weise überquerte auch Zenaida damals den Fluss. Niemand dachte dabei etwas Böses. Im Gegenteil.
Entlang der 681 Kilometer langen Grenze zwischen Rumänien und der Moldau bestehen insgesamt acht Passagen; fünf Strassenübergänge und drei für die Eisenbahn. Seit dem Mauerfall ist kein neuer Übergang hinzugekommen, und an den bestehenden wurden die Kontrollen intensiviert. Zum Beispiel in Albita. Hier führt eine der beiden Hauptstrassen zwischen Bukarest und Chisinau über den Fluss. Die Zöllner und Grenzer langweilen sich, es gibt kaum etwas zu tun. Ein paar hundert Fahrzeuge pro Tag gelte es abzufertigen, sagt der Postenchef. An diesem Tag sind es wohl weniger. Der Verkehr ging in den letzten Jahren kontinuierlich zurück. Bis 2002 war ein
kleiner Grenzverkehr für die örtliche Bevölkerung erlaubt, ein Personalausweis genügte. Seit Jahresbeginn benötigen die Moldauer zur Einreise nach Rumänien ein Visum. An Schmuggelgut konfiszierten die Grenzer im Verkehr von Ost nach West bisher vor allem Zigaretten und gefälschte Marken-Textilien sowie in der Gegenrichtung gestohlene Autos. Der Posten wie auch die gesamte Grenzüberwachung funktionierten nach den Schengen-Kriterien, sagt der Chef mit sichtlichem Stolz.
Rumäniens Beitritt zum Schengen-Raum ist das erklärte Ziel für Dumitru Scutelnicu, den obersten Verantwortlichen der Grenzpolizei im Osten Rumäniens. Dem Beamten unterstehen 4000 Polizisten, die während der vergangenen Jahre alle eine von Spezialisten aus EU-Ländern mitgestaltete Ausbildung absolviert haben. Der Polizeichef hält den Einbezug Rumäniens in den Schengen- Raum bis zum Jahr 2012 für realistisch. Die bisherigen Erfahrungen mit der Grenzsicherung seien positiv. Das Problem Transnistrien sei erkannt und mit vermehrten Kontrollen in der Moldau entschärft worden (das östlich des Dnjestr auf moldauischem Territorium gelegene Gebiet gilt als ein rechtsfreier Raum und Hort dunkler Geschäfte). Hat der zuvorkommende Polizeichef Verständnis für alle jene menschlichen Härtefälle, welche sich aus dem verschärften Grenzregime ergeben? Scutelnicu, der aus der Region stammt und seine Karriere als einfacher Grenzpolizist begonnen hat, zögert mit der Antwort und spielt den Ball weiter. Wenn die EU von der Effizienz der rumänischen Grenzsicherung überzeugt sei, könne der kleine Grenzverkehr eventuell wieder zugelassen werden. Er erfülle lediglich einen Auftrag, das Ausmass jeglichen Grenzschutzes sei letztlich immer eine politische Frage.
In diesem Fall gar eine hochbrisante Frage, denn davon betroffen ist nicht nur die Aussengrenze der EU, sondern auch das vielschichtige Verhältnis zwischen Rumänien und der Republik Moldau. Davon ein Lied zu singen weiss der Bukarester Advokat Ruslan Deleanu. Er stammt selbst aus der Moldau und beschäftigt sich vor allem mit Fällen von Moldauern, die sich um die rumänische Staatsbürgerschaft bewerben. Deleanu verweist auf die gesetzliche Grundlage, wonach die Einwohner des ehemaligen Bessarabiens und deren Nachkommen bis zur zweiten Generation das Recht auf die rumänische Staatsbürgerschaft haben. Derzeit sind seines Wissens rund 800 000 Einbürgerungsgesuche auf dem rumänischen Konsulat in Chisinau hängig. Im Zeitraum von Sommer 2002 bis Sommer 2004 wurde kein einziges dieser Gesuche behandelt, seither nur sehr wenige. Warum?
Im Jahre 2002, so führt der Anwalt aus, wurde die Zuständigkeit zur Erteilung der Staatsbürgerschaft in Bukarest vom Innenministerium an das Justizministerium übertragen. Seither prüft ein Gremium von fünf Richtern zweimal pro Woche für einen halben Tag jedes einzelne Gesuch. Deleanu hat keinen Zweifel daran, dass dieser Kapazitätsengpass mit der Absicht eingeführt wurde, die Masseneinbürgerung der Moldauer zu verhindern. Er erwirkte mit zahlreichen Schreiben an EU-Vertreter und an rumänische Amtsstellen immer dieselbe Reaktion: Verlegenheit. Von Seiten der EU wurde ihm von höchster zuständiger Stelle beschieden, dieses Problem liege einzig und allein in der Kompetenz der rumänischen Behörden, und diese wiederum beriefen sich schliesslich auf die gesetzliche Vorgabe, wonach Rumänien die Staatsbürgerschaft an Moldauer vergeben kann, aber nicht muss. Diese eher windige Argumentation kann aber nicht die Tatsache verbergen, worum es eigentlich geht: Rumänien soll Europa vor einer Masseninvasion der bettelarmen Moldauer bewahren. «Doch genau das wird Ihnen in Bukarest niemand offiziell bestätigen», sagt der Anwalt. Und er hat recht.
Allerdings sollen fairerweise auch noch andere Gründe für die eingefrorenen brüderlichen Bande zwischen dem EU-Neumitglied Rumänien und seinem armen östlichen Nachbarn angeführt werden. So ist etwa die ungarische Minderheit in Rumänien alles andere als erpicht auf eine Masseneinbürgerung von Moldauern, die den ethnischen Proporz in Rumänien unweigerlich noch mehr zu ihren Ungunsten verschieben würden. Und in der Moldau selbst ist der von den Doppelbürgern erwirkte heimliche Anschluss an Rumänien sehr kontrovers. Abwehrreflexe gegen eine befürchtete Vereinnahmung durch den mächtigen Nachbarn im Westen drückten sich etwa darin aus, Moldauisch als eigene Sprache zu definieren. Derzeit leben laut Deleanus Angaben rund 500 000 Moldauer legal in Rumänien, die Anzahl Illegaler ist unbekannt. NZZ, 20. August 07, S. 4
EU-Vorschrift und Geier-Angriffe auf lebende Tiere
Immer häufiger kommt es auf der Iberischen Halbinsel zu Angriffen von Geiern auf lebende Tiere. Allein im Landkreis Villasana de Mena in der Provinz Burgos meldeten die Bauern in den vergangenen Monaten 40 Attacken von Geiern. Etwas weiter östlich, in Barbastro in der Provinz Saragossa, fiel ein riesiger Schwarm von bis zu 200 Geiern nach Augenzeugenberichten über eine ganze Schafherde her. Von den 900 Schafen wurden 14 getötet und 8 verletzt. 22 Schafe flüchteten und konnten nicht mehr wieder gefunden werden.
Die Experten haben keinen Zweifel daran, was die Geier, von Natur aus Aasfresser, zu den Angriffen treibt: Die Vögel leiden Hunger. Ihre Nahrung wurde knapp, seit eine EU-Vorschrift es den Bauern seit vier Jahren untersagt, tote Tiere im Freien liegen zu lassen. In Spanien war es während Jahrhunderten üblich, dass verendete Rinder, Ziegen oder Schafe abseits der Weiden an einem bestimmten Platz liegengelassen wurden. Von diesen Kadaverplätzen bezogen die Geier einen Grossteil ihrer Nahrung.
Spanien wurde so zu einem Paradies für die Aasfresser. Nach einem Bericht des Vogelschutzbundes SEO/BirdLife lebt die Hälfte aller europäischen Geier in Spanien. Beim Mönchsgeier sind es sogar 98 Prozent, beim Gänsegeier 94, beim Schmutzgeier 82 und beim Bartgeier 66 Prozent. Zwar weist die EU-Kommission darauf hin, dass das Kadaververbot Ausnahmen zulässt. Dies ist in der Praxis jedoch mit einem grossen bürokratischen Aufwand verbunden, den die spanischen Bauern scheuen. NZZ, 22. August, S. 11.