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Kurzinfos Mai 2020



Schulden, Virus und der Euro: Die EU muss sich entscheiden

Das Coronavirus zeigt: Die Europäische Union ist in ihrer derzeitigen Verfassung ein Hochrisikopatient. Um gesünder zu werden, muss sie sich ihren Konstruktionsfehlern stellen. Dafür gibt es drei unterschiedlich zielführende Wege.

Ursula von der Leyen und ihrer EU-Kommission hatte es buchstäblich die Stimme verschlagen. Erst als es darum ging, möglichst grosse finanzielle Hilfspakete zu schnüren, fanden sie sie wieder. Geld verteilen ist ein politisch-bürokratischer Reflex. Doch die Bürger erwarten zu Recht die Lösung konkreter Probleme. Die Corona-Krise ist diesbezüglich bis anhin kein Ruhmesblatt für das europäische Einigungswerk, sondern die Stunde der Exekutiven von National- und Gliedstaaten. Als es dem überforderten Norditalien an koordinierter Hilfe fehlte, schaute Brüssel zuerst erstarrt zu, wie ein EU-Land nach dem anderen seine Grenzen dichtmachte und Exportverbote für Atemmasken und medizinische Schutzgüter verhängte. In der Angst vor dem Virus wurden europäische Errungenschaften wie die grenzüberschreitende regionale Zusammenarbeit, die Dienstleistungsfreiheit und die Personenfreizügigkeit blitzschnell geopfert.

Tatsächlich sind nationale und regionale Regierungen am ehesten in der Lage, auf die lokalen Umstände abgestimmt zu reagieren und dafür zu sorgen, dass die Unterstützung auch rasch dort ankommt, wo sie gebraucht wird. Das ist eine Stärke des europäischen Föderalismus. Doch der enorme wirtschaftliche Flurschaden, den Covid-19 in Europa anrichtet, zeigt auch, wie angeschlagen der europäische Patient bereits ist. Grund dafür ist nicht bloss mangelnde Koordination, sondern auch wirtschaftliche und politische Konstruktionsfehler der EU. Italien könnte dabei erneut zum Auslöser einer Krise werden, die die EU dazu zwingt, Farbe zu bekennen und sich zu verändern.

Mit dem Argument, die Pandemie habe ihre finanziell geschwächten Staaten völlig unverschuldet getroffen, fordern Italien und andere Südländer von den übrigen EU-Mitgliedern mehr finanzielle Solidarität. Die sparsameren Deutschen, Niederländer oder Dänen fragen sich deshalb, ob es ihre Aufgabe ist, indirekt die Ferienbons von bis zu 500 Euro pro Familie zu finanzieren, mit denen die italienische Regierung ihre Bevölkerung diesen Sommer an die Strände locken will, um der einheimischen Tourismusindustrie über die Runden zu helfen.

Die Antwort ist komplexer, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Es geht nämlich nicht nur um Solidarität, sondern auch um den Euro. Das Problem spiegelt sich eindrücklich in der Entwicklung des realen Pro-Kopf-Einkommens. Seit der Jahrtausendwende (dem zweiten Jahr der Währungsunion) hat sich dieses im Euro-Raum im Durchschnitt real um 18 Prozent erhöht – gleich stark wie in der Schweiz. Doch während es in Irland um volle vier Fünftel zulegte, in Deutschland um einen stattlichen Viertel und in den Niederlanden um einen Fünftel, ist das reale Pro-Kopf-Einkommen in Italien um 2 Prozent gesunken und hat es in Griechenland praktisch stagniert. Wettbewerbsfähige, exportorientierte Länder wie Deutschland profitieren von einem für sie zu schwachen Euro, während die Südstaaten mit ihrer überbordenden Bürokratie und ineffizienten Wirtschaftspolitik immer mehr Mühe haben, mit der starken Währung zurechtzukommen.

Alle Versuche der EU, die schwächeren Länder zu effektiven Reformen zu bewegen, haben bisher nicht ausgereicht – Italien fordert bezeichnenderweise mehr Hilfe, wehrt sich aber gegen jegliche Bedingung. Gleichzeitig waren die stärkeren Staaten bisher nicht dazu bereit, sich einzugestehen, dass eine Währungsunion ohne hohe internationale Mobilität der Arbeitskräfte, ohne eine gewisse Kontrolle über die Fiskalpolitik der einzelnen Mitgliedstaaten und ohne explizite Solidarität zwischen diesen auf Dauer nicht funktionieren wird. Stattdessen hat man sich nach der Finanzkrise ganz dem Prinzip verschrieben: «Wenn das Geld ausgeht, lässt man anschreiben. Und traut der Wirt der Zahlungsfähigkeit nicht mehr, lässt man andere bürgen.» Das aber führt auch im Staatenbund zu Spannungen, welche die Freundschaft aufs Spiel setzen. In ihrem Frühlingsgutachten rechnet die EU-Kommission damit, dass sich die Brutto-Staatsverschuldung Griechenlands in diesem Jahr auf 196 Prozent der Wirtschaftsleistung (BIP) erhöhen wird – vor der Finanzkrise hatte sie 2007 noch 103 Prozent betragen. Italien dürfte Ende Jahr eine Schuldenlast von 159 Prozent des BIP mit sich schleppen, und auch Spanien, Portugal, Zypern und Frankreich sind mit Schulden von deutlich über 100 Prozent konfrontiert. Wirtschaftswissenschaftliche Untersuchungen deuten darauf hin, dass sich unter normalen Bedingungen eine Staatsverschuldung von über 80 Prozent der Wirtschaftsleistung negativ auf den Wirtschaftsgang auswirkt.

Um dem entgegenzuwirken und den Euro zu retten, springt längst die EZB in die Bresche. Sie drückt die Zinsen nahe null und will dieses Jahr am Markt für insgesamt über 1100 Milliarden Euro Staatsanleihen und weitere Wertpapiere aufkaufen. Damit finanziert sie indirekt gegen einen Drittel der Neuverschuldung. Das ist die schlechteste aller Lösungen. Denn sie hebelt den Marktpreis als Knappheitssignal aus und verdeckt die eigentlichen Kosten des frivolen Anspruchs, zulasten späterer Generationen und der Sparer über seine Verhältnisse zu leben. Die Erfahrung aus der Kriegswirtschaft lehrt überdies, dass monetäre Staatsfinanzierung früher oder später zu einem Kontrollverlust mitsamt hoher Inflation und schmerzhaften Schuldenschnitten führt.

Die EU muss deshalb Auswege aus der Krise finden, die den Patienten wieder gesünder und widerstandsfähiger machen. Sonst drohen Auflösungserscheinungen, wie die zunehmende Unterstützung für Nationalchauvinisten vom Schlage eines Matteo Salvini in Italien zeigt.

Um vom Los eines Hochrisikopatienten wegzukommen, würde sich die EU erstens am besten auf das zurückbesinnen, was sie wirtschaftlich erfolgreich und stark gemacht hat: liberale Regeln für ihren gemeinsamen Binnenmarkt, wirtschaftliche Offenheit und Personenfreizügigkeit mitsamt den damit verbundenen Rechten für alle EU-Bürger. Die Währungsunion müsste so umgebaut werden, dass Länder wie Italien ihre Mitgliedschaft geordnet sistieren, aber in der EU bleiben würden. Leider ist das einfacher gesagt als getan. Die Wiedereinführung einer nationalen (Parallel-)Währung wäre kurzfristig mit grösseren Verwerfungen an den Kapitalmärkten, mit Schuldenschnitten, hoher Inflation, Einkommensverlusten für die lokale Bevölkerung und politischen Turbulenzen verbunden. Wollen die EU-Staaten den Chinesen oder Russen nicht ein politisches Einfallstor öffnen, müssten sie wohl erst recht helfen, Härten abzufedern.

Zweitens könnte die Erkenntnis, dass es so nicht weitergehen kann, zu einer stärker gemeinschaftlich geprägten Währungsunion mitsamt einem zentralen finanziellen Ausgleichsmechanismus führen. Der französisch-deutsche Vorschlag für einen «Wiederaufbaufonds», der von allen EU-Mitgliedern über eine Erhöhung des EU-Budgets finanziert wird, aber statt Kredite nichtrückzahlbare Transfers an besonders geschwächte Länder und Regionen vorsieht, ist ein grosser Schritt in diese Richtung. Er versieht europäische Solidarität mit einem demokratisch zu legitimierenden Preisschild.

Eine funktionierende Union braucht aber vor allem Wirtschaftswachstum und Konvergenz. Ein finanzieller Ausgleich sollte deshalb zwingend an Reformen zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und die Entflechtung von nationalen Banken und Staatsfinanzierung gebunden werden. Das eigentliche Problem des italienischen Kriechgangs ist nämlich nicht Brüssel, sondern immer noch Italien. Drittens könnte die EZB die schwächeren Euro-Staaten noch für eine Weile mit tiefen Zinsen und Anleihekäufen stützen. Sie sollte aber, wie vom deutschen Verfassungsgericht gefordert, die Verhältnismässigkeit ihrer Massnahmen diskutieren und aufzeigen müssen, wie sie absehbar wieder zu einer strikten Trennung von Geld- und Fiskalpolitik zurückkehren will.

Stark vereinfacht gesagt, müssen sich die sparsameren EU-Länder nun entscheiden, was ihnen die Bequemlichkeit eines schwachen Euro, das Vermeiden kurzfristiger wirtschaftlicher und politischer Turbulenzen und der europäische Zusammenhalt wert sind. Wahrscheinlich wird die Sinnsuche darin enden, dass alle drei skizzierten Wege gleichzeitig beschritten werden: die Rückbesinnung auf die ökonomischen Stärken, die langsame Weiterentwicklung der Euro-Zone in eine auch finanziell solidarischere, politischere Union und der Missbrauch der EZB zur günstigen Staatsfinanzierung. Aus liberaler Warte müsste man sich vor allem auf den ersten Weg fokussieren; etwas vom zweiten könnte der Preis dafür sein, und aus dem dritten gilt es schnell wieder herauszufinden. Die EU wird dabei wohl auch weiterhin fragwürdige Umwege fahren – doch Krisen sind immer auch eine Chance, sich neu zu orientieren. Es wäre jedenfalls töricht, das europäische Einigungswerk abzuschreiben. NZZ, 23. Mai 2020, S. 1 (von Peter A. Fischer)


Knall in Karlsruhe: Deutsche Richter erachten EZB-Staatsanleihekäufe als teilweise verfassungswidrig

Die Wertpapierkäufe der EZB verstossen laut deutschem Verfassungsgericht gegen das Mandat der EZB. Es fehle die Darlegung der Verhältnismässigkeit. Die Richter werfen zudem Bundesregierung und Bundestag vor, ihre Integrationsverantwortung vernachlässigt zu haben. Ein vorheriges Urteil des EuGH sei ferner nicht mehr nachvollziehbar.

Lässt sich Geldpolitik mit den Mitteln der Justiz greifen – und falls ja, wie? In Karlsruhe mussten sich die Richter in den roten Roben in den letzten Jahren immer wieder mit dieser Frage beschäftigen. Am Dienstagmorgen haben nun die Verfassungsrichter mit sieben zu eins Stimmen in einer historischen Entscheidung gleich mehreren seit dem Jahr 2015 laufenden Verfassungsbeschwerden gegen das Kaufprogramm für Wertpapiere des öffentlichen Sektors der Europäischen Zentralbank (EZB) stattgegeben. Das Verfahren hat also eine lange Vorgeschichte. Das viele Jahre vor der gegenwärtigen Corona-Krise aufgelegte sogenannte Public Sector Purchase Programm (PSPP) bewegt sich nach der Auffassung des Zweiten Senats des höchsten deutschen Gerichts unter dem Gerichtspräsidenten Andreas Vosskuhle nicht mehr innerhalb der sich aus den EU-Verträgen ergebenden Kompetenzen der EZB. Die Richter begründen dies vor allem mit der fehlenden Abwägung der

Laut den Verfassungsrichtern wird es der Deutschen Bundesbank durch das Urteil untersagt, an der weiteren Umsetzung und dem Vollzug der Staatsanleihekäufe der EZB mitzuwirken. Sie darf dies nur noch dann weiterhin tun, wenn die EZB und die nationalen Zentralbanken (diese bilden zusammen das sogenannte Euro-System) innerhalb von höchstens drei Monaten nachvollziehbar darlegen, dass die mit den Staatsanleihekäufen angestrebten währungspolitischen Ziele im Vergleich zu den damit verbundenen schädlichen wirtschafts- und fiskalpolitischen Auswirkungen verhältnismässig sind.

Damit haben die Verfassungsrichter der EZB eine Tür geöffnet, um die grossangelegten Käufe von Schuldpapieren von Mitgliedsländern der Euro-Zone unter der Mitwirkung der Bundesbank auch künftig fortführen zu können. Allerdings weisen die Richter darauf hin, dass die Bundesbank verpflichtet ist, im Rahmen des Euro-Systems dafür Sorge zu tragen, dass die bei der EZB angehäuften Bestände an Staatsanleihen auch wieder abgetragen werden. Eine solche Rückführung ist in der Kommunikation der Zentralbank bisher überhaupt kein Thema gewesen. Im Gegenteil, die seit November 2019 wieder laufenden Käufe über monatlich 20 Mrd. € sind entfristet, sie haben also nicht einmal ein Enddatum, und die EZB stellt öffentlich keinerlei Überlegungen an, den Bestand an Staatsanleihen dereinst wieder abzubauen.

Karlsruhe verpflichtet zudem die deutsche Bundesregierung und den Bundestag, ihrer bestehenden Integrationsverantwortung innerhalb der europäischen Einigung gerecht zu werden. Die beiden Organe müssten auf eine Verhältnismässigkeitsprüfung der Staatsanleihekäufe durch die EZB hinwirken. Dies gelte auch für die Anfang Januar 2019 von der Notenbank beschlossenen Reinvestitionen von Geldern aus fällig werdenden Wertpapieren sowie die Wiederaufnahme der Anleihekäufe seit November 2019.

Das Urteil der deutschen Verfassungsrichter ist auch insofern historisch, als diese erstmals in der Geschichte der europäischen Integration einen Ultra-Vires-Akt feststellen. Ein solcher Akt liegt vor, wenn sich EU-Behörden Dinge anmassen, mit denen sie nicht (durch den deutschen Bundestag) beauftragt wurden. Das Verfassungsgericht hatte während des Prozesses den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) bei mehreren Fragen zum Unionsrecht zu Rate gezogen. Der EuGH war jedoch zum Ergebnis gelangt, dass das PSPP nicht über das Mandat der EZB hinausgehe und auch nicht gegen das Verbot der monetären Haushaltsfinanzierung verstosse. Letzteres sieht das Verfassungsgericht nun zwar auch so, es erkennt aber eine Verletzung des Mandats.

In den Augen der Karlsruhe Richter war das Urteil des EuGH vom Dezember 2018 schlechterdings nicht mehr nachvollziehbar und damit in der Sprache der Juristen eben ultra vires (zu deutsch: jenseits der Gewalten) ergangen. Die Auffassung der Luxemburger Richter, wonach die Beschlüsse des EZB-Rates im Hinblick auf das PSPP noch innerhalb von dessen Kompetenzen erfolgt seien, verkenne in offensichtlicher Weise die Bedeutung und Tragweite des zu beachtenden Grundsatzes der Verhältnismässigkeit. Wegen der vollständigen Ausklammerung der tatsächlichen Auswirkungen des Programms auf die Wirtschaftspolitik sei das Urteil des EuGH methodisch schlechterdings nicht mehr vertretbar. Dieses Ausblenden der wirtschaftspolitischen Auswirkungen widerspreche auch der methodischen Herangehensweise des Gerichtshofs in nahezu sämtlichen sonstigen Bereichen der Rechtsordnung der EU. Der EuGH würde damit seiner Schnittstellenfunktion nicht gerecht.

Bereits in der Hauptverhandlung Ende Juli 2019 hatten die Karlsruher Richter viel Wert auf die Frage der Verhältnismässigkeit der Massnahmen der EZB gelegt und gefragt, mit welchen Kriterien man die Politik der EZB bewerten müsse, wie man den Erfolg quantifizieren könne und wo eine in den EU-Verträgen verbotene monetäre Staatsfinanzierung denn nun anfange. Seit 2015 hat die EZB in einem monatlich unterschiedlichen Ausmass insgesamt Wertpapiere über etwa 2,7 Bio. € erworben, darunter rund 2,2 Bio. € an Staatsanleihen der Euro-Länder. Das entspricht fast einem Drittel der in der Euro-Zone ausstehenden Staatsschulden. Die Käufe haben laut Berechnungen der Notenbank das Bruttoinlandprodukt und die Inflation im Euro-Raum über die Jahre insgesamt um rund 1,9 Prozentpunkte erhöht. Zugleich sind jedoch durch die grosse Nachfrage nach Staatsanleihen die Refinanzierungskosten der Mitgliedsländer stark gesunken, was sicherlich für viele Finanzminister ein willkommener Nebeneffekt der EZB-Geldpolitik ist.

Die Verfassungsrichter kritisieren besonders, dass die Beschlüsse der EZB sich auf die Feststellung beschränken, dass das angestrebte Inflationsziel nicht erreicht werde und es keine weniger invasiven Massnahmen als die massiven Staatsanleihekäufe gebe. Eine Güterabwegung fehlte den Richtern, denn das Kaufprogramm der Notenbank hat auch erhebliche Risiken und Nebenwirkungen, nämlich beispielsweise für die Finanzstabilität insgesamt sowie den Zustand des Bankensystems. Zu den Folgen des PSPP würden zudem ökonomische und soziale Auswirkungen auf nahezu alle Bürgerinnen und Bürger gehören, die etwa als Aktionäre, Mieter, Eigentümer von Immobilien, Sparer und Versicherungsnehmer mittelbar betroffen seien.

Die Klagen gegen die Politik der EZB haben zu einem Duell der Gerichte geführt. Der Europäische Gerichtshof mit Sitz in Luxemburg ist das höchste Gericht der Europäischen Union (EU). Es überwacht die einheitliche Auslegung und Anwendung des EU-Rechts in den Mitgliedstaaten. Das deutsche Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Karlsruhe wiederum ist das höchste Gericht des wirtschaftlich wichtigsten und bevölkerungsreichsten Mitglieds der EU und der Euro-Zone, es wacht über die Einhaltung des Grundgesetzes. Im Rahmen von Vorabentscheidungsersuchen können Gerichte der Mitgliedstaaten dem EU-Gerichtshof Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts oder nach der Gültigkeit einer Handlung der Union vorlegen. Generell hat Unionsrecht Vorrang vor nationalem Recht. Allerdings behält sich Karlsruhe in zwei Fällen ein Einschreiten vor: erstens, wenn der innerste Kern des Grundgesetzes auf dem Spiel steht, und zweitens, wenn EU-Behörden sich Dinge anmassen, mit denen sie der gewählte Bundestag nicht beauftragt hat. Die deutschen Verfassungsrichter haben zum zweiten Mal einen heiklen Fall dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt. Dessen Antwort gilt als weitestgehend bindend. Allerdings kann sich das Verfassungsgericht über ein Urteil des EuGH hinwegsetzen, wenn dieses aus seiner Sicht nicht mehr nachvollziehbar ist. NZZ, 6. Mai 2020, S. 1.


Schicksalstage in Brüssel

Mit dem Wiederaufbauplan der Kommission wäre die Verschuldung der EU wohl schon beschlossene Sache. Die Anhänger einer vertieften Integration dürfte das freuen. Doch ein heftiger Streit um die Verteilung der finanziellen Lasten steht erst noch bevor.

Nun liegt er also vor, der mit Spannung erwartete Wiederaufbauplan der EU für die Zeit nach der Corona-Krise. Aus Angst vor Leaks und mitteilungsfreudigen Beamten wurden seine wichtigsten Einzelheiten angeblich erst ganz zuletzt beigefügt. Die genauen Zahlen galten in den letzten Wochen als das am strengsten gehütete Geheimnis in Brüssel. Doch dass das Corona-Konjunkturprogramm der EU-Kommission noch einmal deutlich über dem 500-Milliarden-Euro-Paket von Angela Merkel und Emmanuel Macron liegen würde, war allgemein erwartet worden.

Angesichts der schwersten Wirtschaftskrise in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg will die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nicht tiefstapeln. Eine Scheu, mit dreistelligen Milliardensummen rhetorisch zu jonglieren und dafür grosse Worte zu finden, konnte man der Deutschen, die den EU-Haushalt schon einmal als «Mutterschiff der wirtschaftlichen Erholung» bezeichnet hat, ohnehin nie nachsagen. Vielleicht ist Pathos sogar die unvermeidbare Begleitmusik, wenn politische Schritte begründet werden müssen, für die es in Brüssel keinen Präzedenzfall gibt. Dass von den 750 Milliarden Euro, die der Wiederaufbauplan mobilisieren will, eine halbe Billion als nicht rückzahlbare Zuwendung an die von der Pandemie am schwersten getroffenen Länder fliessen soll, ist jedenfalls ein Novum. Noch nie in der Geschichte der Staatengemeinschaft wurden Kredite in dieser Grössenordnung am Kapitalmarkt aufgenommen. Die Verträge über die Arbeitsweise der EU verbieten die Kreditfinanzierung sogar ausdrücklich. Sollten Schulden dennoch aufgenommen werden, müssten sie, wie die Kommission beteuert, an strenge Bedingungen geknüpft sein, etwa zeitlich befristet sein und nicht der allgemeinen Staatsfinanzierung dienen.

Die Skeptiker einer solchen Verschuldungsmöglichkeit wird das allerdings kaum überzeugen. So wollen die sogenannten «sparsamen vier», die Länder Österreich, Niederlande, Dänemark und Schweden, als Kredit aufgenommenes Geld auch nur als Kredite verteilen. Ob sie sich damit zufriedengeben, dass mindestens ein Teil der Milliarden von den Empfängerländern zurückgezahlt werden soll und die Kommission bei der Mittelvergabe eine strikte Überwachung verspricht, ist fraglich. Die Sorge vor einer «Schuldenunion durch die Hintertür» ist gross. Auch bei jenen, die richtigerweise ahnen, dass die Rettungsmechanismen der vergangenen Jahre die wirtschaftlichen Gebrechen einiger Staaten und ihre wachsenden Staatsschulden nicht kuriert haben.

Sollten die EU-Hilfen zudem mit Kriterien der Rechtsstaatlichkeit verknüpft werden, wie dies aus guten Gründen weite Teile des Europaparlaments fordern, ist Widerstand gegen von der Leyens Plan auch von einigen ostmitteleuropäischen Staaten zu erwarten. Sie fürchten ohnehin, benachteiligt zu werden, wenn das Corona-Geld vor allem nach Italien, Spanien oder Frankreich fliesst. Und sie sind strikt gegen eine Vertiefung der europäischen Integration, wie sie etwa dem deutschen Finanzminister Olaf Scholz vorschwebt.

In einem Interview mit der «Zeit» hatte Scholz jüngst den ersten amerikanischen Finanzminister Alexander Hamilton zitiert, der 1790 die Schulden von 13 Einzelstaaten vergemeinschaftete und so dem noch wackeligen Staatenbund USA Leben einhauchte. Viel ist in Brüssel seither die Rede von einem «Hamilton-Moment», also einem möglichen Startschuss für die Vereinigten Staaten von Europa. Was Anhänger einer zügigen Integration frohlocken lässt, dürfte die Gegner einer Transfer- und Schuldenunion allerdings nur in ihrer Skepsis bestärken. NZZ, 28. Mai 2020, S. 9.


Der 1850-Milliarden-Rettungsplan der EU-Kommission

Luftige Worte und grosse Zahlen sind bisher ein Markenzeichen der EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen gewesen. Und sie bleibt diesem auch beim Wiederaufbau der Wirtschaft treu. Europa leidet unter den Folgen des gesellschaftlichen Stillstandes wegen der Coronavirus-Pandemie. Nachdem bereits die einzelnen Mitgliedstaaten Hunderte von Milliarden an Hilfen bereitgestellt hatten, stellte von der Leyen Ende Mai den langerwarteten Plan der EU für den Wiederaufbau vor.

Die Kommission will der gebeutelten europäischen Wirtschaft mit insgesamt 1850 Mrd. € wieder Schwung verleihen. Dieser Betrag setzt sich zusammen aus dem leicht angepassten Sieben-Jahre-Budget der EU (1100 Mrd. €) und aus einem «Wiederherstellungsinstrument» (750 Mrd. €). Von der Leyen sprach vor dem EU-Parlament von einem neuen Generationenvertrag, den sie eingehen wolle. Zusammen mit dem bereits beschlossenen Hilfspaket von 540 Mrd. € stelle die EU fast 2400 Mrd. € zur Verfügung, um gegen die Folgen der Pandemie vorzugehen. «Lasst uns die Kraft wiederentdecken, die von der Idee des gemeinsamen Europa ausgeht», sagte von der Leyen.

Das Sieben-Jahre-Budget – auch mehrjähriger Finanzrahmen (MFR) genannt – steht im Zentrum des Erholungsplanes und soll grundsätzlich so finanziert werden wie immer. Das heisst, im Wesentlichen zahlen die Mitgliedstaaten der EU gemäss den Anteilen ihrer Volkswirtschaften Beiträge ein. Deutschland kam im Rahmen des auslaufenden MFR durchschnittlich für knapp 21% des Budgets auf, nach dem Austritt des Nettozahlers Grossbritannien dürfte dieser Wert noch steigen. Der neue Vorschlag der Kommission orientiert sich am Kompromiss, den Ratspräsident Charles Michel im Februar am (gescheiterten) Gipfel den Staats- und Regierungschefs der EU vorgelegt hat. Michel plante mit rund 1095 Mrd. € für die sieben Jahre oder 1,074% des Bruttonationaleinkommens (BNI) der EU-Mitgliedstaaten. Von der Leyen fordert nun 1100 Mrd. €. Die Kommission hat sich hier bewusst mit zusätzlichen Ansprüchen zurückgehalten, weil man nicht noch mehr Streit will. Sie verspricht sich davon, schneller eine Einigung zu erzielen.

Der eigentliche Hebel für den wirtschaftlichen Wiederaufbau ist aber das «Erholungsinstrument». Von der Leyen nennt es «Next Generation EU». Dabei handelt es sich um einen Fonds, der durch Anleihen für insgesamt 750 Mrd. € gefüllt wird, welche die Kommission ausgibt. Dahinter stehen Garantien der Mitgliedstaaten, entsprechend ihren Anteilen am EU-Budget. Technisch gesehen handelt es sich um eine Erhöhung der sogenannten Eigenmittel-Obergrenze. Diese liegt derzeit bei 1,2% des GNI und stellt den maximalen Betrag dar, den die Kommission von den Mitgliedstaaten einfordern kann. Tatsächlich belief sich das Budget 2014 bis 2020 aber nur auf 1,16%. Die Differenz wurde in der Vergangenheit bereits von der Kommission als Sicherheit genutzt, um im kleineren Rahmen Anleihen zu begeben. Nun soll diese Obergrenze deutlich auf 2% erhöht werden. Mit dieser Garantie kann die Kommission sich dann an den Kapitalmärkten verschulden.

Die so aufgenommene Summe fliesst sodann ebenfalls ins Budget. Dort schlägt die Kommission einige neue Programme vor und will andere bereits bestehende Initiativen dank den zusätzlichen Geldern üppiger ausstatten. Die 750 Mrd. € sollen einerseits als Subventionen (500 Mrd. €) und andererseits als Darlehen (250 Mrd. €) verteilt werden. Diese Verteilung stellt einen der grossen Streitpunkte dar. Der Süden will viele Zuschüsse, der Norden viele Darlehen.

Die Kommission orientiert sich bei der Ausschüttung an drei Standbeinen. Die grösste Summe (560 Mrd. €) sollen die Mitgliedstaaten für Investitionen und Reformen erhalten. Die Mittel werden gemäss einem Bedürftigkeitsschlüssel an die EU-Länder verteilt, je nachdem wie stark sie von der Coronavirus-Krise getroffen worden sind. Der deutsche Ökonom Christian Odendahl schätzte am Mittwoch, dass etwa Italien insgesamt aus dem Next-Generation-EU-Programm netto 26 Mrd. € erhält, Spanien 34 Mrd. € und Polen 17 Mrd. €. Deutschland steuert dagegen netto 103 Mrd. € bei. Um an diese Gelder zu kommen, müssen die Mitgliedstaaten «Erholungs- und Belastbarkeitspläne» in Brüssel einreichen. Darin beschreiben sie, was sie mit den Hilfsgeldern machen wollen, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln. Grob vereinfacht gesagt müssen die Pläne die Schwerpunkte der EU berücksichtigen, nämlich die Entlastung der Umwelt, die Digitalisierung und die Stärkung der Resilienz gegenüber Krisen. Auch «Reformempfehlungen» der EU-Kommission sollten aufgenommen werden.

Sodann gibt es ein zweites, kleineres Standbein, das Firmen zugutekommt. Das Kernstück ist ein Solvenzplan. Dank einer Garantie aus dem EU-Budget soll die Europäische Investitionsbank (EIB) in Luxemburg Investitionen ins Eigenkapital von angeschlagenen Firmen mobilisieren, welche grundsätzlich aber über ein gesundes Geschäftsmodell verfügen. Als Beispiel kann man sich die deutsche Airline Lufthansa vorstellen. Wäre die deutsche Regierung nicht in der Lage, einen Aktienanteil zu kaufen, dann würden laut dieser Initiative private Investoren dank der EIB-Garantie einspringen. Die Idee dahinter ist, dass nach der Liquiditätshilfe (die Firmen konnten ihre Rechnungen am Ende des Monats nicht bezahlen) nun die Firmen in die Lage versetzt werden müssen, Verluste zu absorbieren (auch wenn sie die Rechnungen wieder bezahlen können). Diese Verluste entstehen wegen der geringeren Wirtschaftsaktivität.

Das dritte, kleinste Standbein sieht Hilfen für den Gesundheitssektor vor und soll dafür sorgen, dass Lehren aus der Coronavirus-Krise gezogen werden. Die Kompetenzen der EU sollen grundsätzlich verstärkt werden, etwa indem für ein neues EU-Programm namens EU4Health mit 9,4 Mrd. € ausgestattet wird. Die Aufstockung des EU-Budgets um 750 Mrd. € durch das Erholungsinstrument soll temporär sein, und die gemeinsamen Schulden sollen entsprechend den Anteilen am EU-Budget zurückbezahlt werden. Die Kommission schlägt vor, dass im EU-Finanzrahmen von 2021 bis 2027 vorerst nur die Zinsen berücksichtigt werden. Die Schulden selbst sollen erst ab 2028 über 30 Jahre beglichen werden. Dabei sieht sie drei Möglichkeiten, wie dies getan werden kann. Erstens können die Beiträge der Mitgliedstaaten entsprechend erhöht werden, zweitens können Ausgaben gekürzt werden, drittens kann die EU neue Einnahmequellen – sprich: Steuern – schaffen. In Brüssel erhoffen sich die Beamten und viele Unterstützer einer stärkeren europäischen Integration, dass die Mitgliedstaaten sich dereinst für neue Steuern entscheiden werden. Kritiker sehen dies als ersten Schritt zu einer Fiskalunion. Die Kommission erwägt vier Möglichkeiten für entsprechende Zusatzeinnahmen: erstens eine Ausdehnung des Emissionshandelssystems (ETS) auf die Seefahrt und den Flugverkehr, zweitens Zölle auf CO2-Importe, drittens zusätzliche Steuern für grosse Firmen und viertens mehr Steuern für Internetkonzerne.

Bei allem Gerede um «Wiederaufbau» und «Erholung» darf nicht vergessen werden, dass es im strikt physischen Sinne nichts aufzubauen gibt. Vielmehr will die EU noch stärker das tun, was sie schon vorher versucht hat – nämlich mit vielen Programmen die Wirtschaft in Schwung zu bringen, die Arbeitslosigkeit zu verringern und die ärmeren Länder zu den reicheren Staaten aufschliessen lassen. Wirklich neu sind nur drei Dinge.

Erstens will die Kommission eine deutlich stärkere Umverteilung als bisher. Deutschland als grösster Nettozahler und Land, das von der Coronavirus-Krise weniger betroffen ist als etwa Spanien, Frankreich und Italien, soll deutlich mehr beisteuern als bisher. Zweitens will die EU erstmals im grösseren Rahmen gemeinsam Schulden aufnehmen. Das bedeutet eine grössere Integration, auch wenn es sich um eine temporäre Massnahme handeln soll und jeder nur für seinen Anteil am Budget geradestehen würde. Und drittens gibt es Druck, neue Steuern auf EU-Ebene einzuführen, um die Schulden zurückzubezahlen.

Der nächste grosse Streit unter den EU-Mitgliedstaaten ist also schon programmiert. Insbesondere die «sparsamen vier», Österreich, die Niederlande, Dänemark und Schweden, haben Widerstand angekündigt. Ein niederländischer Diplomat sagte, man werde den Vorschlag analysieren. Doch die Positionen lägen noch weit auseinander und die Verhandlungen würden noch Zeit brauchen.

Es ist also offen, ob die Einigung zwischen Frankreich und Deutschland reicht, um einen Konsens unter allen 27 Mitgliedstaaten zu erzielen. Solange die Finanzmärkte sich ruhig halten und nicht die Zahlungsfähigkeit von hochverschuldeten EU-Staaten wie Italien infrage stellen, haben die Staats- und Regierungschefs Zeit, um sich zu streiten, und das werden sie wohl auch tun.

Die Kommission möchte, dass die Staats- und Regierungschefs bis im Juli grünes Licht zu diesem Hilfspaket geben. Ratspräsident Charles Michel kündete an, dass das Thema am Gipfel vom 19. Juni zur Sprache kommt. Sagen die Mitgliedstaaten Ja zu einer Erhöhung der Eigenmittel-Obergrenze, müssen sie allerdings noch den Beschluss gemäss ihren Verfassungen ratifizieren. Das bedeutet in vielen Ländern eine Zustimmung des Parlaments. Und das nimmt viel Zeit in Anspruch. Entsprechend wird das Instrument kaum Anfang Januar 2021 bereit sein.

Deshalb schlägt die Kommission zusätzlich eine Überbrückungslösung vor. Die Mitgliedstaaten sollen das laufende Budget (2014–2020) erhöhen. Dafür braucht es «nur» Einstimmigkeit im Rat der Mitgliedstaaten und die Zustimmung des EU-Parlaments. Diese Überbrückungslösung würde mit den herkömmlichen Einnahmequellen finanziert. Sprich: Die Mitgliedstaaten müssten mehr Beiträge einzahlen. Diese «Brücke» soll Anfang September bereitstehen.

«Ein exzellentes Signal aus Brüssel», kommentierte der italienische Premierminister Giuseppe Conte. Ein niederländischer Diplomat liess verlauten, die Positionen lägen noch weit auseinander. Die deutsche FDP-Europaparlamentarierin Nicola Beer bezeichnete den Vorschlag als ungeeignet für einen Kompromiss. Der Plan dürfe nicht als Einstieg in eine Schuldenvergemeinschaftung missbraucht werden. NZZ, 28. Mai 2020, S. 18


Die Schweiz will mit 6 Milliarden Franken am Forschungsprogramm der EU teilnehmen

Der Bundesrat möchte Schweizer Forschern den Zugang zu europäischen Kooperationen und Förderprogrammen sichern. Er hofft, dass die Forschung nicht als Druckmittel für den Rahmenvertrag benutzt wird. Die EU signalisiert grundsätzlich grosses Interesse an einer Zusammenarbeit mit der Schweiz.

Das EU-Forschungsprogramm «Horizon» hat in der Schweiz einen schalen Beigeschmack, zumindest in der Politik. Nach dem Ja zur Masseneinwanderungsinitiative 2014 lehnte die EU eine volle Teilnahme der Schweiz an ihrem Forschungsprogramm «Horizon 2020» ab. Erst später, nach der Nichtumsetzung der Initiative durch das Parlament, konnte der Bundesrat grünes Licht zur Ausweitung der Personenfreizügigkeit auf Kroatien geben. Damit erfüllte die Schweiz die Bedingung für die Vollassoziierung an das Programm ab 2017.

Die EU arbeitet derzeit an «Horizon Europe», der nächsten Generation des Rahmenprogramms, die 2021 startet und sich bis 2027 erstreckt. Der Bundesrat strebt wiederum einen Zugang für Schweizer Forscher zu den Fördertöpfen der EU an. Er beantragt dazu beim Parlament einen Kredit von 6 Milliarden Franken. Damit abgedeckt sind auch das Euratom-Programm, das neue Digital Europe Programme und die Teilnahme an der internationalen Infrastruktur für Fusionsforschung (Iter). Ausserdem ist eine Reserve von 614 Millionen Franken vorgesehen.

Noch nicht ausgehandelt hat die Schweiz mit der EU die Modalitäten der Teilnahme. Die Schweiz kann sich prinzipiell als vollständig assoziierter Staat, als teilassoziierter Staat oder als Drittstaat an «Horizon Europe» beteiligen. Für eine (Teil-)Assoziierung müsse das Forschungsabkommen der Bilateralen I erneuert werden, schreibt der Bundesrat in seiner Botschaft. Laut dem Gesetzesvorschlag der EU-Kommission sind die vollständig assoziierten Staaten in vier Kategorien unterteilt. In der ersten Kategorie sind dabei nicht mehr die Efta-, sondern nur noch die EWR-Staaten.

Die Schweiz würde in die vierte Kategorie von übrigen Drittstaaten fallen, die eigentlich für Staaten wie Kanada, Australien, Japan oder Grossbritannien nach dem Brexit gedacht ist, wie es in der Botschaft heisst. Die EU-Kommission stellt sich auf den Standpunkt, dass die Schweiz rechtlich gesehen trotz Degradierung das gleiche Assoziierungsabkommen für das künftige Forschungsprogramm «Horizon Europe» abschliessen könnte wie bisher.

Sollte eine Vollassoziierung an das «Horizon»-Paket nicht oder vorübergehend nicht möglich sein, könnten die Verpflichtungskredite alternativ für die projektweise Finanzierung von Schweizer Partnern durch den Bund benutzt werden, schreibt der Bundesrat. Damit sollten Schweizer Forschungs- und Innovationsakteuren möglichst analoge Bedingungen wie bei einer Assoziierung geboten werden.

In den Plänen der EU-Kommission zur wirtschaftlichen Erholung nach der Corona-Krise soll «Horizon Europe» einen wichtigen Platz einnehmen. «Wir werden Programme stärken, die sich in der Krise bewährt haben, wie beispielsweise ‹Horizon Europe›», versprach die Kommissionschefin Ursula von der Leyen in einer Rede vor dem Europäischen Parlament am 13. Mai 2020. Weil zur Finanzierung des Wiederaufbaus erstmals auch Schulden am Kapitalmarkt aufgenommen werden sollen, sind heftige Debatten zwischen den Mitgliedstaaten um das Zahlenwerk programmiert.

Ein Sprecher der Kommission wollte sich nicht dazu äussern, mit welchen Summen das Forschungsprogramm, das im Dezember 2020 ausläuft, konkret aufgestockt werden soll. Es sollte allerdings damit zu rechnen sein, dass von der Leyen bei der Vorstellung ihres Wiederaufbauplans am 27. Mai von einigen Milliarden Euro mehr für die Forschung sprechen wird.

Vom Streit über den Wiederaufbaufonds, der an das nächste Mehrjahresbudget der EU angeschlossen werden soll, ist auch die Schweiz indirekt betroffen. Ohne eine Einigung steht nämlich auch nicht fest, in welchem Umfang sie sich beteiligen wird. Weil die Forschungszusammenarbeit nicht zu den fünf Marktzugangsabkommen gehört, die unter den Rahmenvertrag fallen, scheint die Teilnahme der Schweiz an «Horizon Europe» grundsätzlich nicht gefährdet zu sein.

Unabhängig von den stockenden Verhandlungen über das Rahmenabkommen hat die EU ein grosses Interesse an der Zusammenarbeit, wie noch wenige Wochen vor der Corona-Krise der zuständige EU-Kommissar Johannes Hahn bestätigte. In der Covid-19-Forschung ist die Kooperation der EU mit den Schweizern gegenwärtig jedenfalls von entscheidender Bedeutung: So sind bei 6 von insgesamt 18 (mit 48,5 Millionen Euro finanzierten) Corona-Forschungsprojekten Schweizer Forschungsteams mit dabei, wie aus einem Kommissionsbericht hervorgeht. NZZ, 22. Mai 2020, S. 12


Italiens Schuldenberg wächst

Der Kampf gegen die Corona-Krise dürfte die Schulden Italiens auf über 2500 Milliarden Euro anwachsen lassen. Ein möglicher Ausfall würde die heimischen Banken und Versicherungen ins Verderben stürzen.

Italiens Schuldenberg war schon vor der Coronavirus-Krise hoch. Die finanziellen Hilfen lassen ihn nun weiter wachsen. Ende 2019, vor Ausbruch der Seuche in Europa, beliefen sich die Verpflichtungen Roms auf 2410 Mrd. €. Das war fast ein Viertel der öffentlichen Schulden in der Euro-Zone.

Zur Erinnerung: In der Krise ab 2010 stemmte sich die EU dagegen, dass Griechenland von seinem Schuldenberg erdrückt wird und zahlungsunfähig wird sowie den Euro aufgeben muss. Athens Schulden machten Ende Dezember 179% des Bruttoinlandproduktes (BIP) aus. Das ist der höchste Wert in der EU, vor Italien (135%). Doch die absoluten Zahlen zeigen: Eine Zahlungsunfähigkeit der drittgrössten Volkswirtschaft in Kontinentaleuropa ist ein ungleich grösseres Problem für Europa, als Griechenland es in der Euro-Krise war. Und es wird immer schlimmer. In ihrer Frühlingsprognose rechnet die EU-Kommission damit, dass Italiens Wirtschaftsleistung 2020 um fast einen Zehntel einbricht und die Verschuldung auf 159% des BIP steigt. Das wären rund 160 Mrd. € zusätzlicher Schulden. Die Rating-Agentur Fitch stufte jüngst die Kreditwürdigkeit des Landes auf «BBB–» herunter. Das ist einen Schritt vom Schrott-Status entfernt, ab dem gewisse institutionelle Anleger nicht mehr investieren dürfen. Es besteht das Risiko, dass Italien die Schulden nicht mehr tragen kann. Nur: Wer würde darunter leiden, wenn Rom nicht mehr zahlt? Die Verschuldung Italiens ist zunächst einmal ein italienisches Problem. Das zeigen die Zahlen der Zentralbank, der Banca d’Italia. Ende Januar hielten inländische Investoren rund zwei Drittel der Schulden in der Höhe von 2444 Mrd. €. Ein Schuldenschnitt träfe also zunächst einmal Italien, und zwar mit verheerenden Folgen. Denn bildlich gesprochen sind die wichtigsten Gläubiger im Bel Paese, die Banken und Versicherungen, eigentlich Bettler. Wenn sie ihre Forderungen abschreiben müssten, drohten sie selbst in arge Nöte zu kommen.

Die italienischen Banken sind mit Abstand die wichtigsten Geldgeber ihres Staates. Per Ende Januar hatten sie 639 Mrd. € ausgeliehen. Davon entfallen 59% auf Staatsanleihen, der Rest sind Kredite. Die zwölf grössten, von der Europäischen Zentralbank (EZB) beaufsichtigten Banken Italiens hatten Ende 2019 italienische Staatsanleihen im Wert von 264 Mrd. €, aber nur 152 Mrd. € hartes Eigenkapital (CET1). Ein Schuldenschnitt von 60% würde es vernichten. Und als wäre das nicht genug, sassen diese Banken Ende Dezember auch noch immer auf notleidenden Krediten von 117 Mrd. €. Werden darauf Abschreiber nötig, schmilzt das für den Geschäftsgang erforderliche Eigenkapital. Die Branche kann sich einen Ausfall der Anleihen nicht leisten.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) schrieb im April 2020, dass auch zehn Jahre nach der Finanzkrise Banken und Staaten in Europa unvermindert voneinander abhängig seien. Wohl forderte der deutsche Finanzminister Olaf Scholz zuletzt im Dezember, dass Staatsanleihen in der Euro-Zone mit Eigenkapital zu hinterlegen seien. Doch das schmeckt Rom nicht. Die heimischen Banken müssten dafür viel Kapital aufnehmen. Laut dem DIW wären es basierend auf Zahlen von 2018 rund 9,6 Mrd. €.

Noch härter könnte es die Versicherungen treffen. Inländische «Finanzinstitutionen» – gemeint sind in erster Linie Versicherungen und Investmentfonds – besassen Ende Januar italienische Staatsanleihen für 458 Mrd. €. Aus Zahlen der europäischen Aufsichtsbehörde Eiopa geht hervor, dass ihr rapportierende italienische Versicherungen Ende September heimische Staatsanleihen für 349 Mrd. € besassen. Gleichzeitig hatten sie 112 Mrd. € Eigenkapital. Ein Schuldenschnitt bereits von einem Drittel würde es vernichten.

Die mit Abstand grösste italienische Assekuranz, Generali, hatte Ende des vergangenen Jahres 63 Mrd. € in italienische Staatsanleihen investiert und wies 30 Mrd. € Eigenkapital aus. Extrem ist die Situation bei der italienischen Post, deren Aktien mehrheitlich der Staat kontrolliert. Sie besass Ende Dezember italienische Staatsanleihen im Wert von 143 Mrd. €. Davon waren 105 Mrd. € in den Büchern der Lebensversicherungs-Tochter Poste Vita. Die gesamte Gruppe hatte aber gleichzeitig nur 9,7 Mrd. € Eigenkapital.

Die starke Zuwendung der Branche zu heimischen Staatsanleihen hat auch damit zu tun, dass gewisse Produkte an die Erträge von Staatsanleihen gekoppelt sind. Entsprechend kaufen die Unternehmen sie zur Absicherung. Fällt der Staat als Schuldner nicht aus, ist das unproblematisch. Ein Schuldenschnitt hätte aber desaströse Folgen.

Die Banca d’Italia selbst hielt Ende Januar heimische Staatspapiere für 408 Mrd. €. Schätzungen von Analytikern der Bank Unicredit lassen vermuten, dass 85 Mrd. € davon das eigene Investitionsportfolio betreffen. Dazu kommen Titel, welche die Zentralbank im Rahmen der Anleihekäufe der EZB erworben hat. Der grösste Teil davon (geschätzt 320 Mrd. €) gehört zu dem vom deutschen Bundesverfassungsgericht jüngst angeprangerten Public Sector Purchase Programme (PSPP).

Diese Schuldscheine sind bei der Banca d’Italia, weil der Ausdruck «Die EZB kauft Anleihen» ungenau ist. Genaugenommen erwirbt die EZB seit 2010 jeweils zusammen mit den 19 nationalen Zentralbanken der Euro-Länder die Bonds. Die Gruppe heisst Euro-System und orientiert sich bei der Aufteilung der Käufe in der Regel am jeweiligen Anteil an der EZB. Das sind für Italien 17%. Dieser Schlüssel soll sicherstellen, dass die Liquidität allen gleichermassen zugutekommt. Jede Nationalbank kauft dabei grundsätzlich Staatsanleihen des eigenen Landes. Ende April hatte das Euro-System Wertpapiere für 2822 Mrd. € in den Büchern, davon einen Teil eben in denjenigen der Banca d’Italia. Im Rahmen des Pandemie-Programms PEPP kommen zudem laufend mehr Titel dazu.

Das führt zu einem weiteren Problem, das der Ökonom Daniel Gros in einer Publikation der Brüsseler Denkfabrik Ceps Mitte 2019 darlegte. Zunächst einmal trägt die Banca d’Italia das Risiko eines Ausfalls der Anleihen selber. Gros vertritt die Meinung, dass die Zentralbank Italiens im Prinzip mit dem öffentlichen Haushalt zu konsolidieren ist. Entsprechend würden sich bei den Staatsanleihen Schulden des Haushalts und Vermögenswerte der Banca d’Italia aufheben. Doch dann kämen die entsprechenden Verbindlichkeiten der Banca d’Italia zu den italienischen Schulden hinzu. Diese aber sind hoch, auch weil die Zentralbank die Papiere vor allem über das Clearingsystem Target-2 der EZB in anderen Euro-Ländern erworben hat. Dabei liess sich die Banca d’Italia stark vereinfacht gesagt den Kaufbetrag bei der EZB anschreiben, anstatt ihn zu überweisen.

Target-2 sorgt seit einiger Zeit besonders unter Ökonomen in Deutschland für Gesprächsstoff. Das hat mit den Salden zu tun. Die Deutsche Bundesbank wies Ende März laut der EZB ein Target-2-Guthaben von 935 Mrd. € aus, während die Banca d’Italia einen Kredit von 492 Mrd. € hatte. Doch dieses Clearingsystem sieht grundsätzlich keinen Schuldenerlass vor.

Übrig bleiben innerhalb Italiens Investmentgesellschaften (grob geschätzt per Ende Januar: 100 Mrd. €) und die Haushalte (157 Mrd. €) sowie die ausländischen Investoren (782 Mrd. €). Ein Teil der Anleihebesitzer ausserhalb Italiens dürften jedoch luxemburgische Fonds sein, deren Endbegünstigte wiederum Italiener sind. Wer die ausländischen Investoren genau sind, lässt sich nicht ganz einfach eruieren. Analytiker der Unicredit kamen im April 2019 anhand von Daten von 2018 zu folgender Aufschlüsselung. Demnach hielten ausländische Notenbanken und andere Banken je 19%, die EZB 8% und Versicherungen, Investmentgesellschaften und Haushalte 53%. Mit 78% befand sich die grosse Mehrheit der ausserhalb Italiens gehaltenen italienischen Schulden in der Euro-Zone. Das wären Ende Januar 610 Mrd. € gewesen, mehr als das BIP der kleinsten neun Volkswirtschaften der Euro-Zone zusammen. Nach Ländern aufgeschlüsselt waren 21% der Bonds in Frankreich sowie 14% in Deutschland und 14% in Luxemburg.

Schaut man sich die Situation etwas allgemeiner an, nämlich im Hinblick darauf, wie viel Geld ausländische Banken insgesamt an den Staat, Unternehmen und Haushalte in Italien ausgeliehen haben, fällt auf, dass Frankreich besonders exponiert ist. Französische Geldhäuser hatten laut Zahlen der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) Ende 2019 Forderungen gegenüber italienischen Schuldnern von 286 Mrd. €. Alle von der BIZ erfassten ausländischen Banken weltweit haben Italien zusammen 707 Mrd. € geliehen. In der Euro-Zone folgen hinter Frankreich Spanien und Deutschland mit je 74 Mrd. €.

Ende Juni 2019 besass laut Angaben der Europäischen Bankenaufsicht etwa die französische Grossbank BNP Paribas italienische Staatsanleihen im Wert von 26 Mrd. € und hatte hartes Eigenkapital (CET1) für 80 Mrd. €. Das ist besser als bei den italienischen Banken. Aber eine Wertberichtigung wäre immer noch unangenehm. Bei einem Schuldenschnitt seien die meisten ausländischen Investoren – neben den italienischen Haushalten und Investmentgesellschaften – im Vergleich mit den anderen Gläubigern weniger gut geschützt, folgert Ökonom Gros. Denn die heimischen Banken und Versicherungen möchte der italienische Staat vermutlich verschonen, beziehungsweise er würde – wie es auch in Griechenland geschah – andernfalls einfach zur Rettung der Banken gerufen. Die Schulden der Banca d’Italia bei der EZB wiederum lassen sich kaum anrühren, solange Italien den Euro behalten will.

Damit verbleiben in erster Linie ausländische Investoren und die italienischen Haushalte. Ihre Forderungen sind bei einem Schuldenschnitt besonders gefährdet. Es überrascht deshalb wenig, dass diese Gläubigergruppen seit 2009 ihren Anteil an den italienischen Staatsschulden deutlich verringert haben. An deren Stelle tritt zunehmend die Banca d’Italia und damit das Euro-System der EZB. NZZ, 12. Mai 2020, S. 1


EU-Seuchen-Frühwarnsystem versagte

Obwohl sich die EU seit 2005 eine Behörde zur Bekämpfung von Seuchen leistet, versagte deren Frühwarnsystem in der Corona-Pandemie. Man habe schlicht noch zu wenig über das Virus gewusst und sei weiter im Lernprozess, rechtfertigt sich die Leiterin Andrea Ammon im Interview.

Kritik am Krisenmanagement der EU gibt es seit Ausbruch der Pandemie. Dabei fällt immer wieder auch der Name des Europäischen Zentrums für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC) im schwedischen Solna. Die 2005 gegründete Gesundheitsbehörde, zu deren ureigenen Aufgaben die Identifizierung von Seuchen gehört, wäre eigentlich prädestiniert gewesen, die Öffentlichkeit rechtzeitig auf die Gefahren von Covid-19 hinzuweisen. Doch tatsächlich schätzte sie das Infektionsrisiko für das Virus noch Ende Februar als «gering bis moderat» ein. Im Gespräch mit der NZZ erklärt die Leiterin des ECDC, Andrea Ammon, wie es dazu kommen konnte. Die deutsche Ärztin leitet die Behörde, die mit jährlich 60 Millionen Euro budgetiert wird und 280 Mitarbeiter beschäftigt, seit 2017. Zuvor war die gebürtige Bayerin unter anderem für das Robert-Koch-Institut in Berlin tätig.

NZZ: Frau Ammon, das ECDC wurde unter dem Eindruck der Sars-Pandemie von 2003 gegründet, die damals relativ glimpflich verlief und nur 800 Todesopfer forderte. Was unterscheidet die damalige Pandemie von der heutigen, und warum ist es Ihrer Behörde nicht gelungen, im Falle von Covid-19 die Lage besser einzuschätzen?

Frau Ammon: Zunächst haben wir es mit zwei unterschiedlichen Viren zu tun. Das Sars-Coronavirus-2, das die Covid-19-Pandemie ausgelöst hat, hat eine viel leichtere Übertragbarkeit und verursacht bei vielen Leuten viel mildere Symptome als das Sars-Coronavirus-1. Solche Viren sind schwerer unter Kontrolle zu bringen, weil die symptomatischen Fälle, kaum hat man sie einmal identifiziert, längst neue Kontaktpersonen infiziert haben. Man läuft also ständig der Entwicklung hinterher. Wir haben es ausserdem mit einem völlig neuartigen Virus zu tun. Unsere Risikoeinschätzungen können stets von dem ausgehen, was wir wissen, und zu Beginn der Krise wussten wir einfach noch zu wenig über Sars-CoV-2. Wir haben uns also zwangsläufig an den Erfahrungen von 2003 orientiert. Natürlich schaut es vom jetzigen Standpunkt so aus, als ob wir etwas verpasst hätten. Aber man muss schon fair sein und den Hintergrund dafür benennen.

NZZ: Um Ihre Arbeit besser zu verstehen: Sie sammeln alle wissenschaftlichen und technischen Daten über Krankheiten, die Sie von den Mitgliedstaaten erhalten, und werten sie dann aus. So fungieren Sie als ein Frühwarnsystem der EU für Seuchen.

Frau Ammon: Ja, wir greifen zu einem grossen Teil auf Labor- und epidemiologische Daten zurück, die von den Mitgliedstaaten erhoben und an uns weitergegeben werden. Wir haben aber auch noch andere Informationsquellen im Bereich der sogenannten ereignisbasierten Überwachungsdaten. Das bedeutet, dass wir das Internet und die sozialen Netzwerke nach neuen Informationen durchsuchen. Wenn beispielsweise Gerüchte über neue Infektionssituationen auftauchen, verfolgen wir das weiter über unsere Kontakte zu den jeweiligen nationalen Gesundheitsbehörden oder über die Weltgesundheitsorganisation. Wir sind nicht nur auf das angewiesen, was wir von den Mitgliedstaaten bekommen. Aber natürlich sind diese Daten, die aus den meldepflichtigen Systemen stammen, unerlässlich, um genaue Analysen zu Altersgruppen, Risikogruppen usw. zu erstellen.

NZZ: Können Sie nachvollziehen, dass Ihre Behörde unter Beschuss geraten ist? Am 13. Februar haben Sie auf dem Treffen der EU-Gesundheitsminister verlauten lassen, dass die Kapazität für Testlabors in Europa ausreichend sei. Wie kamen Sie zu dieser Einschätzung?

Frau Ammon: Auch diese Information haben wir so aus den Mitgliedstaaten erhalten. Wir hatten eine Umfrage gestartet und die Rückmeldung bekommen, dass die Länder die Laborkapazitäten besitzen, um das Virus zu diagnostizieren. Die grösseren Mitgliedstaaten teilten uns sogar mit, mehr als ein Labor zur Verfügung zu haben. Nur was die Kapazitäten dann eingeschränkt hat, war die Verfügbarkeit der Testkits. Das war bloss zum damaligen Zeitpunkt gar kein Thema, weil die Zahl der Infektionsfälle noch nicht so gross war. Die Aussage vom 13. Februar bezog sich darauf, dass jedes Land erst einmal in der Lage ist, die Tests durchzuführen.

NZZ: Eine andere Äusserung stammt vom 23. Februar. Damals hatten Sie das Infektionsrisiko für Covid-19 noch als «gering bis moderat» eingestuft, obwohl die Lage in Norditalien schon bedrohlich war.

Frau Ammon: Gemeint war das Risiko für die europäische Allgemeinbevölkerung. Wir haben auch immer gesagt, dass die Risikoeinschätzung nur dann zutrifft, wenn ausreichend geeignete Massnahmen getroffen sind, um eine Weiterverbreitung des Virus zu verhindern. Es ist natürlich schwierig, eine solche Aussage für die ganze EU zu treffen, wenn wir uns die vielen unterschiedlichen Ausgangslagen in den Ländern anschauen.

NZZ: War der eigentliche Grund Ihrer Äusserung, dass Sie verhindern wollten, Panik zu erzeugen?

Frau Ammon: Nein. Ich halte Panik grundsätzlich für keine angemessene Reaktion. Was ich sagen möchte, ist, dass ich sicherlich mit dem Wissen von heute damals viel eindringlicher auf die Länder eingewirkt hätte, jene Massnahmen zu treffen, die dann ab der ersten Märzwoche auch von praktisch allen Staaten getroffen wurden.

NZZ: Ab wann stellte sich die Lage für Sie als bedrohlich dar?

Frau Ammon: Das waren sicherlich die letzte Februarwoche und die ersten Märztage. In diesem Zeitraum, als viele Europäer aus ihren Ferien zurückkamen und andere Karneval feierten, registrierten wir einen sprunghaften Anstieg der Covir-19-Infektionen. Von diesem Moment an haben wir gemerkt, dass wir drastischere Massnahmen brauchen.

NZZ: Welche Lektionen können Sie heute schon ziehen aus den Fehlern der Vergangenheit?

Frau Ammon: Wir sind ehrlich gesagt noch immer im Lernprozess. Mit Sicherheit aber wird es eine grossangelegte Rückschau und Evaluation auf EU-Ebene geben, was man mit Blick auf ähnliche Bedrohungen in Zukunft besser machen muss. Was man jetzt schon sehen kann, ist, dass die Aktionen zwischen den Mitgliedstaaten besser koordiniert werden müssen. Ich denke, das haben die Mitgliedstaaten auch selber erkannt, wenn sie in der jetzigen Phase, wo es um eine Lockerung der Notmassnahmen geht, versprechen, sich besser abstimmen zu wollen. Die Länder erkennen, dass sie die Pandemie besser in den Griff bekommen, wenn sie sich gegenseitig helfen.

NZZ: Müssten die Länder mehr Kompetenzen in der Gesundheitspolitik an Brüssel abgeben?

Frau Ammon: Das wird wohl eine der Fragen sein, die nach der Krise diskutiert werden. Aber wissen Sie, die Gesundheitsminister kennen sich ja. Die können auch einfach miteinander sprechen und sich austauschen, was sie planen, damit die Menschen schrittweise in ihr normales Leben zurückfinden können. Dafür braucht es nicht unbedingt eine EU-Kompetenz, das können die Staaten auch gut alleine regeln.

NZZ: Frau Ammon, die Schweiz ist kein EU-Staat. Ist sie trotzdem eingebunden in die Arbeit der ECDC?

Frau Ammon: Nein, weil es keine politische Vereinbarung zwischen der Schweiz und der EU gibt, die es erlauben würde, dass wir die Schweizer Kollegen direkt in unsere Arbeit einbinden. Indirekt arbeiten wir zusammen, etwa über die WHO. So wissen wir natürlich auch, wie viele Fälle in der Schweiz auftreten. Die EU-Kommission hat ausserdem die Ausnahmeregelung getroffen, dass die Schweiz vorübergehend Zugang zum EU-Frühwarnsystem hat. Das beschränkt sich auf den Austausch von Nachrichten zu Covid-19.

NZZ: Würden Sie nach heutigem Wissensstand eine Prognose wagen, was wir für den Verlauf einer zweiten Covid-19-Welle zu erwarten haben?

Frau Ammon: Nein, denn damit könnte ich nur falsch liegen. Ich denke nur, wir sollten uns darauf einrichten, dass es diese zweite Welle so oder so geben wird. Wir wissen im Moment nicht, welcher Teil der Bevölkerung schon in Kontakt mit dem Virus gekommen ist und ob daraus irgendeine Immunität entstanden ist. Aber selbst wenn sich schon ein gewisser Teil der Bevölkerung infiziert haben sollte und nun möglicherweise immun ist, wird das keinesfalls ausreichen, um eine zweite grosse Welle zu verhindern. NZZ, 4. Mai 2020, S. 4


Die Pandemie als welthistorische Wende

von German-foreign-policy, 27, Mai, 2020

https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8287/

Innere Brüche und deutsche Dominanz gefährden Zusammenhalt der EU. EU-Außenbeauftragter diagnostiziert Wende zum "asiatischen Jahrhundert". BERLIN (Eigener Bericht) - Zunehmende Fraktionierungen zwischen den Mitgliedstaaten der EU überschatten die für heute angekündigte Präsentation eines Hilfsplans der EU-Kommission für den Kampf gegen die Coronakrise. Grundlage der Kommissionspläne ist ein deutsch-französischer Kompromiss, der von Italien kritisiert wird, da er quantitativ nicht ausreicht, um dem Land aus der Krise zu helfen. Gleichzeitig wird er von diversen anderen EU-Staaten als zu großzügig attackiert. Darüber hinaus zeichnet sich immer deutlicher ab, dass die Bundesrepublik deutsche Firmen so massiv unterstützt, dass diese nach dem Ende der Krise ihre Marktdominanz wohl noch ausweiten können. Das wiederum verstärkte das bestehende Ungleichgewicht in der Eurozone so weit, dass der Bestand der EU in Gefahr geriete. Prominente Stimmen, darunter etwa der Finanzinvestor George Soros, warnen offen vor dem Zerfall der Union - zu einem Zeitpunkt, zu dem sich, wie der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am Montag äußerte, "das Ende des US-geführten Systems und die Ankunft des asiatischen Jahrhunderts" zu vollziehen scheine.

Ein dünner Kompromiss

Die EU-Kommission, die an diesem Mittwoch ihre Pläne nicht nur für den langfristigen EU-Haushalt, sondern auch für ihren "Recovery Fund" zum Kampf gegen die Coronakrise vorlegen wird, kämpft dabei gegen immer stärker werdende Fraktionierungen innerhalb der Union. Für den Recovery Fund liegt ein Modell vor, auf das sich Deutschland und Frankreich in der vergangenen Woche geeinigt haben; demnach soll Brüssel 500 Milliarden Euro vergeben, und zwar nicht als Kredit, sondern als Zuschuss, berechnet danach, wie schwer die jeweiligen Länder von der Krise getroffen wurden (german-foreign-policy.com berichtete [1]). Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte stuft es als Schritt in die richtige Richtung, aber quantitativ unzureichend ein. Tatsächlich könnte Italien laut Berechnung des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung mit Mitteln in Höhe von 19 bis 26 Milliarden Euro rechnen, Spanien mit 14 bis 24 Milliarden: bei weitem nicht genug, um die Krisenschäden zu überwinden.[2] Gleichzeitig fordern die Niederlande, Österreich, Dänemark und Schweden weiterhin, die Mittel nicht als Zuschuss, sondern als rückzahlbares Darlehen zu vergeben. Die EU-Staaten Ost- und Südosteuropas lehnen das deutsch-französische Modell ebenfalls ab, weil es sie zu Nettozahlern machen würde. Allerdings scheint es der Kommission zu gelingen, ihren Widerstand auszuhebeln, indem sie verlangt, die Mittelvergabe an die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien zu koppeln; das richtet sich gegen Ungarn und Polen, deren Verhandlungspotenzial mit der Verhinderung dieser Forderung wohl ausgelastet ist.

Deutschland startet durch

Während die Kommission bemüht ist, die gegnerischen Fraktionen mit einem Kompromiss zu besänftigen - die Rede ist davon, Zuschüsse und Kredite im Verhältnis von 70 zu 30 oder 60 zu 40 Prozent zu splitten [3] -, steht sie zugleich vor dem Problem, dass es laut aktuellem Stand die deutsche Wirtschaft schaffen könnte, im Verlauf der Coronakrise ihre Dominanz in der Union noch weiter auszubauen. Ursache ist, dass die Bundesrepublik erheblich mehr Mittel zur Unterstützung ihrer Unternehmen mobilisieren kann als alle anderen Mitgliedstaaten (german-foreign-policy.com berichtete [4]). Bereits Anfang Mai hatte die Kommission mitgeteilt, der Anteil der im Kampf gegen die Krise bereits zugesagten deutschen Staatshilfen an der Gesamtsumme der Staatshilfen in der EU belaufe sich auf 52 Prozent; auf Platz zwei lägen Frankreich und Italien - mit 17 Prozent weit abgeschlagen, obwohl ihre Wirtschaft beträchtlich stärker getroffen wurde als die deutsche.[5] Demnach können deutsche Unternehmen darauf hoffen, mit einem deutlichen Startvorteil in die Phase nach der Krise zu gehen, in der die Marktanteile innerhalb der EU wohl neu verteilt werden. Fraglich ist, ob die Eurozone eine noch größere deutsche Wirtschaftsdominanz tragen könnte; die Eurokrise der Jahre ab 2010 resultierte in hohem Maß daraus, dass die schon damals gewaltigen deutschen Exportüberschüsse zu strukturellen Defiziten vor allem in südlichen Eurostaaten führten und diese damit in die Verschuldung trieben.[6] EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager hat schon vergangene Woche angekündigt, dies verhindern zu wollen: "Ein Übermaß an Staatshilfe werden wir ... nicht zulassen." Der "Wiederaufbauplan" sei "paneuropäisch" zu konzipieren.[7]

Asymmetrische Krisenfolgen

Vor einer weiteren Vertiefung der Risse in der EU hat am Montag auch der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell auf der diesjährigen deutschen Botschafterkonferenz gewarnt. Zwar sei die Coronakrise "in ihrem Ursprung symmetrisch", erklärte Borrell vor den per Video versammelten deutschen Diplomaten; doch sei sie "in ihren Folgen sehr asymmetrisch".[8] Das liege daran, dass "die fiskale Kapazität der Staaten" in der EU gewaltige Unterschiede aufweise. Der Kompromiss, den Berlin und Paris über den Recovery Fund erzielt hätten, sei "notwendiger denn je"; er reiche aber nicht aus. "Europa" zusammenzubringen sei "schwierig, hart", und zwar, weil "zwischen den Mitgliedstaaten große Spaltungen bezüglich vieler Themen bestehen". "Uns mangelt es an einer gemeinsamen strategischen Kultur", urteilte Borrell: "Die Bereitschaft zum Kompromiss ist geringer, als sie es sein sollte."

EU: Vom Zerfall bedroht

Längst warnen prominente Stimmen, die Coronakrise könne nicht nur die Brüche in der Union vertiefen; sie könne sie unter Umständen sogar zerstören. In diesem Sinne äußerten sich bereits im April etwa Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder und vier weitere prominente SPD-Politiker. Wenn man anderen EU-Staaten in der Coronakrise die dringend benötigte Unterstützung verweigere, "riskieren wir den Zerfall Europas", hieß es in einem Schreiben der fünf Sozialdemokraten an die Bundesregierung.[9] Ähnlich äußert sich seit Wochen beispielsweise der Finanzinvestor George Soros. "Die EU kann sich jetzt entweder zusammenraufen", kommentierte Soros Anfang Mai trocken, "oder sie kann ihren Zerfall fortsetzen".[10] Zehn Tage später erklärte er: "Ich mache mir gewaltige Sorgen, ob die Europäische Union diese Krise überleben kann."[11] Ende vergangener Woche bekräftigte Soros erneut, falls die EU nicht in der Lage sei, insbesondere Italien aus der Krise zu helfen, dann werde sie "die Herausforderungen, denen sie gegenwärtig gegenübersteht", möglicherweise "nicht überleben": "Das ist keine theoretische Möglichkeit; es kann durchaus tragische Realität sein."[12]

Vom US- zum asiatischen Jahrhundert

Die Gefahr des Zerfalls droht der EU inmitten einer Phase als historisch eingestufter Umbrüche. "Analytiker haben lange über das Ende des US-geführten Systems und die Ankunft des asiatischen Jahrhunderts gesprochen", konstatierte der EU-Außenbeauftragte Borrell am Montag auf der Berliner Botschafterkonferenz: "Jetzt geschieht dies vor unseren Augen. Wenn das 21. Jahrhundert zum asiatischen Jahrhundert werden sollte, wie das 20. ein amerikanisches war, dann könnte die Pandemie durchaus als der Wendepunkt dieses Prozesses in Erinnerung bleiben."[13] Die EU solle im Verlauf des Machtkampfs zwischen den Vereinigten Staaten und der Volksrepublik ihre eigene Position stärken, und dazu müsse sie genügend Einigkeit entwickeln. Es sei "ein entscheidender Moment", urteilte Borrell: "ein Moment, um in ein ehrgeiziges Europa zu investieren". Die innereuropäischen Rivalitäten stehen dem freilich - jedenfalls zur Zeit - entgegen.

[1] S. dazu Der Preis der Integration.

[2] Ronald Schönhuber: Ein Wiederaufbau mit Dissonanzen. wienerzeitung.at 25.05.2020.

[3] EU-Kommission will zum überwiegenden Teil Zuschüsse für Wiederaufbau. derstandard.at 25.05.2020.

[4] S. dazu Wer hat, dem wird gegeben (II).

[5] Germany gains most from relaxed EU state aid rules. euractiv.com 04.05.2020.

[6] S. dazu Riskante Überschüsse.

[7] Claus Hecking, Nils Kreimeier: "Wir sind schlecht gestartet, aber dann haben wir aufgeholt". capital.de 20.05.2020.

[8] Eröffnungsvortrag des Hohen Vertreters für Außen- und Sicherheitspolitik der EU, Josep Borrell, zur 18. Konferenz der Leiterinnen und Leiter der deutschen Auslandsvertretungen. 25.05.2020.

[9] Martin Greive: Ehemalige SPD-Spitzenpolitiker rufen Bundesregierung zu mehr Hilfe für Europa auf. handelsblatt.com 22.04.2020.

[10] Die EU muss sich zusammenraufen - oder sie zerfällt. spiegel.de 01.05.2020.

[11] George Soros: "Diese Krise bedroht das Überleben unserer Zivilisation". augsburger-allgemeine.de 11.05.2020.

[12] Guy Faulconbridge: George Soros says EU may not survive coronavirus crisis. reuters.com 22.05.2020.

[13] Eröffnungsvortrag des Hohen Vertreters für Außen- und Sicherheitspolitik der EU, Josep Borrell, zur 18. Konferenz der Leiterinnen und Leiter der deutschen Auslandsvertretungen. 25.05.2020.


Der Preis der Integration

German foreign policy, 22. Mai 2020

https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8282/

BERLIN/PARIS/ROM - Die deutsch-französische Einigung über den "Recovery Fund" der EU zur Stärkung der Wirtschaft in der Coronakrise stößt auf doppelte Kritik. Während mehrere EU-Nettozahler nicht bereit sind, die Vergabe der Mittel aus dem Fonds als Zuschüsse für die am schwersten von der Pandemie getroffenen Länder zu akzeptieren, weist der italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte darauf hin, dass die in Aussicht stehenden Gelder mutmaßlich nicht genügen, um Italien aus der Krise zu helfen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte die Mittel für den Fonds, den Frankreichs Präsident Emmanuel Macron mit bis zu 1,5 Billionen Euro hatte ausstatten wollen, auf 500 Milliarden Euro gedrückt. Beobachter halten die Vergabe der Mittel als Zuschüsse nach der Weigerung Berlins, einer Einführung von "Coronabonds" zuzustimmen, und dem EZB-Urteil des Bundesverfassungsgerichts für fast alternativlos. Einflussreiche Kreise der deutschen Wirtschaft warnen, die Bundesrepublik und die EU könnten gegenüber China sowie den USA zurückfallen, wenn es nicht gelinge, die Union rasch zu stabilisieren.

Die deutsch-französische Einigung

Die am Montag erzielte deutsch-französische Einigung über den "Recovery Fund" ist zuweilen als "180-Grad-Wende" von Bundeskanzlerin Angela Merkel etikettiert worden.[1] Der Grund dafür ist, dass Merkel von der bisherigen deutschen Position abwich, EU-Unterstützung im Kampf gegen die Coronakrise dürfe nur als Kredit, keinesfalls aber als nicht zurückzahlbarer Zuschuss gewährt werden. Letzterem stellt sich Berlin nun nicht mehr in den Weg: Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sprachen sich dafür aus, Brüssel solle die Mittel aus dem Recovery Fund, der 500 Milliarden Euro umfassen soll, als Zuschüsse vergeben. Um den Fonds zu finanzieren, soll die EU erstmals Anleihen begeben. Deren Rückzahlung ist erst für die Jahre nach 2027 vorgesehen, wenn der übernächste EU-Haushalt beginnt. Sie soll über einen langen Zeitraum gestreckt werden - die Rede ist von Jahrzehnten - und von allen EU-Mitgliedern gemeinsam geleistet werden. Dabei könne man die Anteile nach dem Schlüssel berechnen, nach dem der Beitrag der einzelnen Mitglieder zum EU-Haushalt festgelegt wird, heißt es.[2]

In die Sackgasse geraten

Ursache für die deutsche Einwilligung, die Mittel als Zuschüsse zu vergeben, ist, dass Berlin mit seiner bisherigen Krisenpolitik in eine Sackgasse geraten ist. Finanzhilfen ausschließlich als Kredit zu gewähren, wäre riskant: Im Kampf gegen die Coronakrise müssen sich alle betroffenen Staaten ohnehin massiv neu verschulden; bei einigen Ländern der südlichen Eurozone treibt dies die Gesamtverschuldung in gefährliche Höhen. Kämen zusätzliche Darlehen bei der EU hinzu, dann könnte die Schuldenlast leicht untragbar werden und einen Schuldenschnitt erfordern, den freilich die Gläubiger - darunter deutsche Banken - unbedingt vermeiden wollen: Allein die Deutsche Bank ist in Italien mit fast 30 Milliarden Euro involviert. Hinzu kommt, dass nach dem jüngsten Urteil des Bundesverfassungsgerichts ein zentrales Element der bisherigen Krisenbekämpfung stark unter Druck geraten ist: Karlsruhe hat die Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frage gestellt.[3] Zwar verwahrt sich die EZB noch explizit dagegen, dem Druck aus der Bundesrepublik nachzugeben und ihre Anleihekäufe einzuschränken, die ein unverzichtbares Mittel geworden sind, die ernsten strukturellen Ungleichgewichte in der Eurozone auszubalancieren. Dennoch ist auch dieses Instrument nach dem Karlsruher Urteil mit Ungewissheit behaftet und daher in seiner Tragfähigkeit eingeschränkt.

Politischer Druck

Zu der wachsenden ökonomischen Alternativlosigkeit kommt inzwischen eskalierender politischer Druck hinzu. Die Bundesregierung hatte bereits zu Beginn der Coronakrise mit ihrem anfänglichen Exportverbot für medizinische Schutzausrüstung, dann mit ihrer hartnäckigen Weigerung, sich auf die Einführung von "Coronabonds" einzulassen, massiven Unmut in den südlichen Eurostaaten hervorgerufen, der erstmals auch traditionell EU-loyale Spektren der politischen Eliten erfasste (german-foreign-policy.com berichtete [4]). Verärgerte Reaktionen löste sodann die Forderung aus, die am schwersten von der Pandemie betroffenen südlichen Eurostaaten sollten sich mit Krediten des EU-Krisenfonds ESM zufriedengeben; diese Kredite waren in der Eurokrise mit einem strikten Austeritätszwang verbunden gewesen, der in seiner Gesamtwirkung auch zu Kürzungsmaßnahmen im Gesundheitswesen führte, die nun wiederum im Kampf gegen die Covid-19-Pandemie fatale Folgen hatten. Wütende Proteste fachte zuletzt das EZB-Urteil des Bundesverfassungsgerichts an, mit dem sich das Karlsruher Gericht über den Europäischen Gerichtshof (EuGH) stellte - ein Schritt, der üblicherweise aufs Schärfste verurteilt wird, wenn ihn Gerichte anderer EU-Mitglieder, etwa Polens oder Ungarns, für sich beanspruchen.[5] Deutsche Zugeständnisse beim Recovery Fund seien nicht zu vermeiden gewesen, "wenn neben der unausweichlichen wirtschaftlichen Krise des Kontinents nicht auch noch eine schwere politische Krise riskiert werden sollte", räumen nun sogar Kommentatoren ein, die den deutsch-französischen Vorschlag an sich klar ablehnen.[6]

"Europa, Europa, Europa"

Eine unkontrollierbare Eskalation der politischen Spannungen in der EU wäre zur Zeit aus Sicht Berlins umso verhängnisvoller, als die Coronakrise Deutschland und die Union im globalen Mächtekampf zurückzuwerfen droht. Aus der Krise würden "vermutlich ... die USA und China gestärkt ... hervorgehen", urteilt etwa Siemens-Chef Joe Kaeser: die Vereinigten Staaten, weil die Pandemie "die Digitalisierung deutlich schneller vorantreiben" werde, und zwar zugunsten der großen US-Internetkonzerne; die Volksrepublik hingegen, da sie die Pandemie viel rascher überwunden habe als die Bundesrepublik und die EU: "Chinas Firmen kümmern sich bereits um große Projekte, während wir noch darüber diskutieren, wie unterbrochene Lieferketten wieder hergestellt werden sollen".[7] Besonders gefährlich für die deutsche Wirtschaft sei, dass die USA auf eine Entkopplung ("Decoupling") von China hinarbeiteten. Siemens erziele rund 20 Prozent seines Umsatzes in den Vereinigten Staaten, bereits 12 Prozent dagegen in der Volksrepublik; die deutsche Industrie drohe im Konflikt zwischen den beiden Weltmächten zerrieben zu werden. Einziger Ausweg sei eine Stärkung der EU; Kaeser fordert: "Europa, Europa, Europa - die Reihenfolge können sich die Regierungen selbst aussuchen".

Günstige Milliarden

Angesichts der Zuspitzung der Lage hat Merkel beim Recovery Fund jetzt wohl unabwendbare Zugeständnisse gemacht. Freilich sind die Zugeständnisse minimal. Gut vernetzte Beobachter betonen, die Maßnahme werde nach Artikel 122 des EU-Vertrages eingeleitet; dieser aber beziehe sich ausdrücklich auf Ausnahmesituationen.[8] Wiederholt werden kann die Maßnahme demnach auf gar keinen Fall. Darüber hinaus hat die Kanzlerin Frankreichs ursprüngliche Forderung, der Recovery Fund solle nach Möglichkeit 1,5 Billionen, mindestens aber eine Billion Euro umfassen, verweigert und den Betrag auf 500 Milliarden Euro gesenkt. Deutschland wird, gestreckt auf Jahrzehnte, ab frühestens 2028 insgesamt wohl 135 Milliarden Euro zurückzahlen müssen - ein hoher Betrag; allerdings immer noch ein günstiger Preis für den Erhalt des EU-Binnenmarkts, der der Bundesrepublik laut einer Analyse der Bertelsmann-Stiftung gewaltige Einkommenszuwächse in Höhe von rund 86 Milliarden Euro pro Jahr verschafft.[9] Gänzlich aus der Debatte ist mit der deutsch-französischen Einigung die Einführung von "Coronabonds", die den südlichen Eurostaaten womöglich längerfristig hätten Hilfe schaffen können, die allerdings in der Bundesrepublik unverändert abgelehnt werden.[10]

"Nur ein erster Schritt"

Während noch unklar ist, ob die deutsch-französische Einigung auf den Recovery Fund in der EU durchgesetzt werden kann - vor allem Österreich, die Niederlande, Dänemark und Schweden sperren sich noch gegen die Gewährung von Zuschüssen statt Darlehen -, weist Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte darauf hin, dass der Schritt bei weitem nicht ausreicht, um seinem Land aus der Coronakrise zu helfen. Laut italienischen Medien kann Rom womöglich auf 80 bis 100 Milliarden Euro aus dem Fonds rechnen. An die EU wird es dafür, berechnet mit dem allgemein üblichen Haushaltsschlüssel, vermutlich 55 Milliarden Euro zahlen müssen. Der Nettozuschuss beläuft sich damit auf 25 bis 45 Milliarden Euro. Dabei steht Italien nach jüngsten Schätzungen vor einem Absturz seiner Wirtschaftsleistung um über zehn Prozent - mehr als 180 Milliarden Euro. Die deutsch-französischen Pläne für den Recovery Fund, erklärte Conte am Mittwoch, seien ein wichtiger "Schritt" auf dem Weg aus der Krise, aber auch nicht mehr: "Wenn wir die Krise gemeinsam überwinden wollen, dann muss viel mehr getan werden."[11] Denn andernfalls könne die Krise letztlich "das gesamte europäische Projekt gefährden": Die EU werde dann wohl "einen schweren Schlag hinnehmen müssen, der unsere wirtschaftliche und politische Stellung in der Welt marginalisiert".

[1] Hendrik Kafsack: Eine 180-Grad-Wende. Frankfurter Allgemeine Zeitung 19.05.2020.

[2] Hendrik Kafsack: Auf dünner Rechtsgrundlage. Frankfurter Allgemeine Zeitung 20.05.2020.

[3] S. dazu Wer das Recht spricht.

[4] S. dazu Die Solidarität der EU (II) und Germany First.

[5] S. dazu Wer das Recht spricht.

[6] Gerald Braunberger: Ein Epochenbruch. Frankfurter Allgemeine Zeitung 20.05.2020.

[7] Andreas Rinke: Kaeser - China und USA gehen gestärkt aus Corona-Krise. de.reuters.com 20.05.2020.

[8] Andreas Rinke: Jonglieren mit Billionen - EU muss Budget zügig festzurren. de.reuters.com 19.05.2020.

[9] Giordano Mion, Dominic Ponattu: Ökonomische Effekte des EU-Binnenmarktes in Europas Ländern und Regionen. Herausgegeben von der Bertelsmann Stiftung. Gütersloh 2019. S. dazu Germany First (II).

[10] S. dazu Germany First (III).

[11] Giuseppe Conte: Italian PM: Franco-German recovery deal is not enough. politico.eu 20.05.2020.


"Beleidigung zu viel"

Von German-foreign-policy, 15. Mai 2020,

https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8277/

Die Auseinandersetzungen um das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den EZB-Anleihekäufen halten an.

BERLIN - Die Auseinandersetzungen um das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Anleihekäufen der Europäischen Zentralbank (EZB) halten im In- und Ausland an. Die EZB weigert sich bislang, den Anmaßungen der Karlsruher Richter nachzukommen und ihre Geldpolitik zu modifizieren; die EU-Kommission sieht sich gezwungen, mit einem Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik zu drohen. Tatsächlich gefährdet das Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht nur die politische Stabilität der Union, es stellt letztlich auch die Durchführung der EU-Konjunkturmaßnahmen in Frage, die die Kommission im Kampf gegen die anschwellende Coronakrise plant. Die Zeit drängt: Der Wirtschaft der Eurozone droht ein Einbruch um 7,7 Prozent; die Neuaufträge der deutschen Industrie stürzten zuletzt um 15,8 Prozent ab. Beobachter nennen den Kollaps "epochal". Im Kampf gegen die Krise warnt nun auch Bundeskanzlerin Angela Merkel davor, die Anleihekäufe der EZB zu beschränken. Im Kampf um globalen Einfluss sei die EU auf eine kraftvolle eigene Währung angewiesen.

Hürde für das EU-Konjunkturprogramm

Die aktuellen Auseinandersetzungen zwischen dem Bundesverfassungsgericht und den Institutionen der EU bedrohen nicht nur die politische Stabilität der Union [1], sie erschweren auch die Durchführung nennenswerter EU-Konjunkturmaßnahmen, die der anschwellenden Wirtschaftskrise entgegenwirken könnten. Einschätzungen von Wirtschaftsmedien zufolge stellt das Karlsruher Urteil dem von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen geplanten Konjunkturprogramm neue Hürden in den Weg. Die EU-Kommisson will im Rahmen des konjunkturpolitischen Kompromisses, der beim jüngsten EU-Gipfel erzielt wurde, einen sogenannten Recovery Fonds aufbauen, der mit milliardenschweren Finanzmitteln ausgestattet würde, um durch Konjunkturhilfen und ökologische Investitionen die Wirtschaft der Eurozone zu beleben. Die Gelder, auf deren Bereitstellung sich die EU nach dem deutschen Veto gegen "Coronabonds" geeinigt hat, sollen Teil eines aufgestockten EU-Haushalts werden und helfen, den Wiederaufbau der EU-Wirtschaft nach der Krise voranzutreiben. Die "jüngste Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu den Anleihekäufen der Zentralbank" erschwere dieses Vorhaben zusätzlich, heißt es nun.[2] Karlsruhe hat der Bundesbank die Teilnahme an einem älteren EZB-Aufkaufprogramm für Anleihen untersagt, sofern die EU-Notenbank die politischen Forderungen des Bundesverfassungsgerichts nach einem "verhältnismäßigen" Vorgehen bei ihren Anleihekäufen nicht erfüllt.

Vor dem Absturz

Der Machtkampf zwischen Berlin und Brüssel droht damit die historisch beispiellose Wirtschaftskrise noch zu verschärfen, in die der europäische Währungsraum gerade eintritt. Laut Prognosen der EU-Kommission wird die Wirtschaftsleistung im gesamten Euroraum in diesem Jahr um rund 7,7 Prozent abstürzen; das wäre der schwerste Konjunktureinbruch in der Geschichte der Union.[3] Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der gesamten EU würde demnach um 7,4 Prozent schrumpfen. Für 2021 wird eine Konjunkturerholung prognostiziert, die aber mit 6,1 Prozent zu schwach ausfällt, um die Verluste dieses Jahres auszugleichen. Der Vorkrisenstand der EU-Wirtschaftsleistung wird sogar laut optimistischen Prognosen erst 2022 wieder erreicht. Vor allem Italien, das von der Pandemie besonders hart getroffen wurde, befindet sich aufgrund seiner hohen Verschuldung in einer überaus schwierigen Situation.[4] Vor Krisenausbruch beliefen sich die Schulden des Landes auf rund 2.410 Milliarden Euro - nahezu ein Viertel aller öffentlichen Verbindlichkeiten der Eurozone. Der Schuldenberg der drittgrößten Volkswirtschaft der EU dürfte nun aufgrund der kostspieligen Bekämpfung der Folgen der Coronakrise auf bis zu 2.500 Milliarden anwachsen. Weil gleichzeitig Italiens Wirtschaft massiv einbricht - laut EU-Kommission um bis zu zehn Prozent -, dürfte die Schuldenlast des Landes von rund 135 Prozent des BIP auf bis zu 159 Prozent anschwellen. Damit näherten sich die Verbindlichkeiten Roms denjenigen Athens an; diese umfassten Ende 2019 rund 179 Prozent des griechischen BIP.

"Epochal"

Doch auch die Bundesrepublik muss sich auf einen heftigen Einbruch einstellen, der vor allem die wichtigen exportabhängigen Wirtschaftszweige hart treffen wird.[5] Anfang Mai musste die deutsche Industrie den größten Auftragsrückgang seit Beginn der einschlägigen Datenerhebung melden; dabei gingen insbesondere die Auslandsaufträge enorm zurück. Insgesamt schrumpften die Neuaufträge um 15,8 Prozent, wobei die Bestellungen aus der Eurozone mit 17,9 Prozent besonders heftig kollabierten. Die Aufträge aus dem Inland sanken um 14,8 Prozent. Der Rückgang sei "epochal", wird ein Ökonom zitiert. Neben den "Spätfolgen" der Pandemiebekämpfung in China habe vor allem der Lockdown in Europa und den USA zu dem Einbruch beigetragen. Freilich sei er nur der "Tragödie erster Teil"; zu dem "Kollaps der Neuaufträge" werde sich noch eine "Welle von Auftragsstornierungen" gesellen. Neue Prognosen der Deutschen Bank prognostizieren denn auch einen Absturz des deutschen BIP um neun Prozent sowie einen Anstieg der Arbeitslosenquote auf sieben Prozent.[6]

Karlsruhe gegen den EuGH

Parallel zu dem beispiellosen Wirtschaftseinbruch zeichnet sich eine Eskalation der Auseinandersetzungen um die EU-Geldpolitik ab; diese wurde vom Bundesverfassungsgericht unter Beschuss genommen, indem es die Praxis der EZB, mit ihren Anleihekäufen die Zinslast der südlichen Euroländer zu senken, für verfassungswidrig erklärte und zugleich ein anderslautendes Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) als "willkürlich" verwarf. Karlsruhe hat damit de facto den Rechtsgrundsatz der EU ausgehebelt, dass europäisches Recht Anwendungsvorrang vor nationalem Recht genießt. Die EZB verweigert sich der deutschen Anmaßung denn auch und kündigt an, weiter an ihrer expansiven Geldpolitik festhalten zu wollen.[7] Zudem hat sie in der vergangenen Woche ihre Anleihekäufe erheblich auf einen neuen täglichen Höchstwert von durchschnittlich 6,8 Milliarden Euro ausgeweitet; manche Beobachter sehen darin eine Reaktion auf das Karlsruher Urteil.[8] Überdies kündigte die EU-Kommission an, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland zu prüfen.

"Eine Art Atomschlag"

Vor allem konservative deutsche Kommentatoren, Politiker und Juristen warnen freilich nachdrücklich vor Rechtsschritten. Die EU-Kommission solle es "nicht zu Äußersten treiben", heißt es etwa; ein Vertragsverletzungsverfahren werde von Berlin als "eine Art Atomschlag" angesehen, bei dem "alle Beteiligten ... großen Schaden" davontrügen.[9] CDU-Europaabgeordnete stufen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts gar als "Fundament für eine neue Rechtskultur" in Europa ein.[10] In Zeitungsinterviews bezeichneten Richter des Bundesverfassungsgerichts ihr Urteil als "zwingend" und zogen abermals den Vorrang des Europarechts in Zweifel; jegliche rechtlichen Schritte Brüssels gegen den Karlsruher Urteilsspruch würden "Europa" "bedrohen und schwächen".[11] In Reaktion auf die Angriffe konservativer und EU-skeptischer Kräfte innerhalb der deutschen Funktionseliten ging Bundeskanzlerin Angela Merkel am Mittwoch an die Öffentlichkeit, um in einer Grundsatzerklärung den EZB-Anleihekäufen "demonstrativ den Rücken" zu stärken.[12] Dabei verwies Merkel auf die globalen Ambitionen der EU, die nur realisiert werden könnten, wenn der Euro "international mehr Gewicht" erhalte. Zudem stellte die Kanzlerin eine stärkere wirtschaftspolitische Koordination der Eurozone in Aussicht, um die EZB zu entlasten; Konjunkturpolitik solle durch Konjunkturprogramme realisiert werden und nicht durch Anleihekäufe der Notenbank. Zu den Instrumenten einer kraftvolleren EU-Wirtschaftspolitik solle auch der Wiederaufbaufonds der EU-Kommission zählen, den freilich das Urteil des Bundesverfassungsgerichts bedroht.

"Ein Attentat"

Merkel stellt sich damit einer von konservativen Kräften im deutschen Staatsapparat initiierten Eskalationsdynamik entgegen, die britische Medien kürzlich als "juristische Rakete" bezeichneten, die auf das "Herz der EU" abgeschossen worden sei [13]: Weil Berlin die Kontrolle über die Geldpolitik entglitten ist, soll die Wirtschaftspolitik der Eurostaaten nun über Konjunkturmaßnahmen und die EU-Haushaltsplanung vorgegeben werden. Nach Ansicht von Beobachtern könnten die europaskeptischen Fraktionen des deutschen Konservatismus den Bogen überspannt haben: Es handle sich um einen "konservative[n] Bauernaufstand", gegen den sich nun eine breite Koalition bilde.[14] Die Anmaßung, dass ein nationales "Verfassungsgericht in dieser Weise und in dieser Sprache in die Politik europäischer Instanzen" eingreife, sei "eine Beleidigung zu viel". In diesem Sinne bezeichnte ein Kommentator das Urteil des Bundesverfassungsgerichts sogar als "Attentat".[15]

[1] S. dazu Wer das Recht spricht.

[2] Silke Wettach, Malte Fischer, Sven Böll, Max Haerder: Karlsruhes Urteil gefährdet von der Leyens Konjunkturprogramm. wiwo.de 08.05.2020.

[3] Tom Rees: Eurozone under threat from record economic plunge, Brussels warns. finance.yahoo.com 06.05.2020.

[4] Christoph G. Schmutz: Wem Italien Geld schuldet und warum gewisse Investoren schlechter vor einem Zahlungsausfall geschützt sind als andere. nzz.ch 12.05.2020.

[5] Deutsche Industrie verbucht größten Auftragsrückgang aller Zeiten. faz.net 06.05.2020.

[6] "Deutsches BIP schrumpft um 14 Prozent". boerse.ard.de 13.05.2020.

[7] Europäische Zentralbank trotzt deutschem Urteil. derstandard.at 11.05.2020.

[8] Christian Siedenbiedel: Rekord-Anleihekäufe der EZB. faz.net 12.05.2020.

[9] Klaus-Dieter Frankenberger: Die Kommission sollte es nicht zum Äußersten treiben. faz.net 12.05.2020.

[10] CDU-Europaabgeordnete warnen vor Vorstoß von der Leyens. focus.de 11.05.2020.

[11] Reinhard Müller: "Das EZB-Urteil war zwingend". faz.net 12.05.2020.

[12] Euro muss international mehr Gewicht haben. faz.net 13.05.2020.

[13] German court decides to take back control with ECB ruling. ft.com 12.05.2020.

[14] Aloysius Widmann: Wirtschaftshistoriker über Karlsruher EZB-Urteil: "Eine Beleidigung zu viel". derstandard.at 12.05.2020.

[15] Christian Reiermann: Dieses Urteil ist ein Attentat. spiegel.de 08.05.2020.


Wer das Recht spricht

von German-foreign-policy, 7. Mai 2020

https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8267/

Bundesverfassungsgericht widerspricht EuGH-Urteil und stellt Maßnahmen zur Stabilisierung der EU in Frage.

KARLSRUHE - Mit Entsetzen haben Ökonomen und Politiker außerhalb Deutschlands auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Staatsanleihekäufen der Europäischen Zentralbank (EZB) reagiert. Das Gericht hatte am Dienstag die Anleihekäufe als "teilweise verfassungswidrig" eingestuft und dabei ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) für unrechtmäßig erklärt - obwohl dessen Rechtsprechung über nationalem Recht steht. Darüber hinaus hat es die Unabhängigkeit der EZB attackiert, sie deutschen Vorgaben zu unterwerfen versucht sowie ein zentrales Instrument zur finanziellen Stabilisierung der EU, den Kauf von Staatsanleihen durch die EZB, in Frage gestellt. Während Frankreichs Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire warnt, das Urteil gefährde die "Stabilität" der EU, wird Enrico Letta, ein ehemaliger Ministerpräsident Italiens, mit der Äußerung zitiert, der Gerichtsentscheid bedeute "Die Deutschen zuerst". Tatsächlich erhöht das Urteil den wirtschaftlichen Druck auf Italien - zu einer Zeit, zu der in dem Land der Unmut über Deutschland rasch wächst.

"Nicht mehr nachvollziehbar"

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von diesem Dienstag hat in zweierlei Hinsicht äußerst weitreichende Bedeutung. Zum einen betrifft es die Rechtsordnung innerhalb der EU. Das Verfassungsgericht hatte mit Beschluss vom 18. Juli 2017 dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) mehrere Fragen zu Maßnahmen der Europäischen Zentralbank (EZB) zur Vorabentscheidung vorgelegt. Das war nichts Ungewöhnliches: Zu den Aufgaben des EuGH gehört es unter anderem, die nationalen Gerichte der Mitgliedstaaten bei der Anwendung von EU-Recht zu unterstützen; das Bundesverfassungsgericht war mit deutschen Klagen gegen den Kauf von Staatsanleihen durch die EZB befasst, die EU-Recht zu befolgen hat. Der EuGH kam der Bitte aus Karlsruhe mit einem Urteil vom 11. Dezember 2018 nach.[1] Darin erklärte er, das von der EZB am 4. März 2015 aufgelegte Public Sector Purchase Programme (PSPP), das den Kauf von Staatsanleihen vorsieht, entspreche in jeder Hinsicht den Normen der EU; es gebe an ihm also nichts zu beanstanden. Das nun wiederum akzeptiert das Bundesverfassungsgericht nicht. In seinem Urteil vom Dienstag widerspricht es dem EuGH-Beschluss vom Dezember 2018 in ungewöhnlich scharfen Worten - "schlechterdings nicht mehr nachvollziehbar" -, und es verpflichtet darüber hinaus die Bundesbank zu praktischen Konsequenzen, nämlich zur Einstellung der Mitwirkung am PSPP, sollte die EZB seinen Forderungen nicht entsprechen. Damit stellt es - präzedenzlos - seine Entscheidungen gegebenenfalls über diejenigen des EuGH.

Ein Land ist gleicher

Das Karlsruher Urteil ist bei der EU-Kommission umgehend auf offenen Widerspruch gestoßen. "Wir bekräftigen den Vorrang des EU-Rechts und die Tatsache, dass die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für alle nationalen Gerichtshöfe bindend sind", teilte EU-Kommissionssprecher Eric Mamer mit.[2] Dass das Bundesverfassungsgericht nachgeben wird, ist unwahrscheinlich. Klar ist damit, dass sich von nun an Gerichte anderer Mitgliedstaaten ihrerseits auf den deutschen Präzedenzfall berufen können, sollten sie in Widerspruch zum EuGH geraten. Schon jetzt wird damit gerechnet, dass Gerichte aus Polen und aus Ungarn das tun; gegen beide Länder hat die EU, nicht zuletzt auf Betreiben der Bundesregierung, Rechtsstaatsverfahren eröffnet. Freilich läuft es den Vorstellungen Berlins zuwider, dass Warschau und Budapest gleichfalls nationales Recht über EU-Recht stellen könnten. Entsprechend erklärt das Bundesverfassungsgericht, die von ihm praktizierte Aushebelung von EU-Recht sei nur in engen Grenzen zulässig - und zwar dann, wenn ein "ausbrechender Rechtsakt" einer EU-Institution vorliege.[3] Karlsruhe ist offensichtlich der Ansicht, zur Feststellung eines solchen Rechtsakts berechtigt zu sein. Dafür, dass nach deutscher Auffassung auch Polen oder Ungarn dies beanspruchen dürften, liegen keine Hinweise vor.

EZB-Unabhängigkeit ausgehöhlt

Weitreichende Bedeutung hat das Urteil auch in ökonomischer Hinsicht. Zwar lehnt das Bundesverfassungsgericht den Kauf von Staatsanleihen durch die EZB nicht prinzipiell ab; es verlangt aber, solche Käufe müssten "verhältnismäßig" sein - insbesondere im Verhältnis zu ihren Folgen für die Sparer, die Immobilienmärkte und den Bankensektor. Die EZB müsse nun einen Bericht vorlegen, in dem sie die "Verhältnismäßigkeit" ihrer Schritte sorgsam begründe. Damit schwingt sich das Bundesverfassungsgericht zum Befehlsgeber für die offiziell unabhängige EZB auf. Hinzu kommt, dass die Bundesregierung angekündigt hat, bei der EZB auf die umfassende Prüfung der Anleihekäufe zu dringen.[4] Dass ausgerechnet Berlin jetzt die EZB-Unabhängigkeit aushöhlt, die es bislang stets eingefordert hat, ruft in der Finanzwelt außerhalb Deutschlands konsternierte Reaktionen hervor. Druckmittel zur Durchsetzung ist Karlsruhes Beschluss, komme die EZB seinen Forderungen nicht nach, dann müsse sich die Bundesbank von den Käufen von Staatsanleihen zurückziehen. Damit wäre das EZB-Programm kaum aufrechtzuhalten. Das Bundesverfassungsgericht hat der EZB für die Erfüllung seiner Forderungen eine Frist von drei Monaten gesetzt.

"Schmerzstillende Mittel"

Darüber hinaus stellt das Bundesverfassungsgericht mit den EZB-Anleihekäufen ein Instrument in Frage, das in den vergangenen Jahren eine zentrale Rolle beim Erhalt der Stabilität der Eurozone gespielt hat. Die Eurozone leidet unverändert strukturell daran, dass der Euro den ökonomisch schwächeren Ländern die Möglichkeit nimmt, ihre unzureichende Schlagkraft vor allem gegenüber der übermächtigen deutschen Exportindustrie durch Abwertung ihrer Währung auszugleichen. Da Berlin jeden anderen Ausgleich - etwa durch ein Eurobudget oder durch Eurobonds - unerbittlich ablehnt, ist die EZB in der Krise mit dem systematischen Kauf von Staatsanleihen eingesprungen: quasi "als Apotheke für schmerzstillende Mittel" für die südlichen Eurostaaten, urteilt der emeritierte Direktor am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung Wolfgang Streeck - damit "der Schmerz" in jenen Ländern "so weit gelindert werden" kann, "dass ihre politische Klasse 'proeuropäisch' bleib[t]".[5] Karlsruhe stellt dieses Modell nun in Frage. Insbesondere begrenzt das Urteil vom Dienstag "die Spielräume ... für den Kauf italienischer Staatsanleihen", urteilt Clemens Fuest, Präsident des Münchner ifo-Instituts.[6]

"Die Deutschen zuerst!"

Während das EZB-Direktorium seit Dienstag Abend Krisenvideokonferenzen abhält, äußern sich zahlreiche Ökonomen und Politiker jenseits der deutschen Grenzen entsetzt. Das Karlsruher Urteil sei eine "Kriegserklärung an den EuGH", urteilt der Ökonom Guntram Wolff, Leiter des Brüsseler Think-Tanks Bruegel.[7] Die Londoner Financial Times prangert in einer redaktionellen Stellungnahme an, die EZB sei "von fehlgeleitetem, aber unbarmherzigem juristischen Druck aus Deutschland zur Geisel genommen" worden.[8] Das Karlsruher Urteil sei "kein stabilisierendes Element", erklärt mit höflicher Untertreibung Frankreichs Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire.[9] Scharfe Kritik wird vor allem in Italien laut, dessen ökonomische Stabilität von dem Karlsruher Urteil ernsthaft gefährdet wird. "Es kommt keinem Verfassungsgericht zu, zu entscheiden, was die EZB machen kann oder nicht", erklärte Ministerpräsident Giuseppe Conte gestern in einem Interview; "auch Deutschland" habe die Unabhängigkeit der Bank anerkannt.[10] In italienischen Finanzkreisen heißt es, das Bundesverfassungsgericht habe "von Conte bis Prodi alle" im Land gegen sich aufgebracht; Italiens ehemaliger Premierminister Enrico Letta wird mit der Feststellung zitiert: "Die Deutschen haben "Die Deutschen zuerst!" gesagt."[11]

Als "Feind" eingestuft

Das Urteil erhöht den ökonomischen Druck auf Italien zu einer Zeit, zu der im Land ohnehin der Unmut über Deutschland rasch wächst. Auslöser waren zuletzt die Weigerung, Italien in der Covid-19-Pandemie zu Hilfe zu kommen, die Schließung der Grenzen sowie die Verhinderung jeder Art von "Coronabonds", mit denen sich Rom über die Krise retten wollte.[12] Eine Umfrage zeigte vor kurzem, dass knapp die Hälfte der Bevölkerung Deutschland als "Feind" einstuft - mehr als jedes andere Land.[13] Heftiger Unmut über die Bundesrepublik hat dabei auch linksliberale, traditionell Deutschland und der EU gegenüber positiv eingestellte Milieus in den italienischen Eliten erreicht.[14]

[1] Beschlüsse der EZB zum Staatsanleihekaufprogramm kompetenzwidrig. Bundesverfassungsgericht: Pressemitteilung Nr. 32/2020 vom 5. Mai 2020.

[2] Eszter Zalan: German court questions bond-buying and EU legal regime. euobserver.com 06.05.2020.

[3] Corinna Budras: Auf dem Höhepunkt des Argwohns. Frankfurter Allgemeine Zeitung 06.05.2020.

[4] Staatsanleihenkäufe der EZB teilweise verfassungswidrig. Frankfurter Allgemeine Zeitung 06.05.2020.

[5] Die Zeitbombe ist der Verfall Italiens. Frankfurter Allgemeine Zeitung 06.05.2020.

[6] Christian Siedenbiedel: EZB-Urteil lässt die Märkte kalt. Frankfurter Allgemeine Zeitung 06.05.2020.

[7] Eszter Zalan: German court questions bond-buying and EU legal regime. euobserver.com 06.05.2020.

[8] A misguided court judgment in Germany. ft.com 05.05.2020.

[9] BCE: la décision de la justice allemande «n'est pas un élément de stabilité», réagit Le Maire. lefigaro.fr 06.05.2020.

[10] Maddalena Oliva, Marco Travaglio: Coronavirus, Conte al Fatto: "Se gli italiani continuano così, il contagio non risale. Ma la crisi sarà dolorosa". ilfattoquotidiano.it 06.05.2020.

[11] Laura Naka Antonelli: Bce è indipendente: da Conte a Prodi tutti contro Karlsruhe. Letta: Germania ha detto "prima i tedeschi". finanzaonline.com 06.05.2020.

[12] S. dazu Wer die Regeln setzt und Germany First (II).

[13] S. dazu Die Verdächtigungskampagne.

[14] S. dazu Die Solidarität der EU (II).


Neue Studie bestätigt: EU-Kommission als Motor des Gesundheits- und Sozialabbaus

https://www.solidarwerkstatt.at/soziales-bildung/neue-studie-bestaetigt-eu-kommission-als-motor-des-gesundheits-und-sozialabbaus, Mai 2020

Eine neue Studie zeigt: Die EU-Kommission forderte allein zwischen 2011 und 2018 63 Mal die EU-Staaten auf, im Gesundheitsbereich zu kürzen bzw. zu privatisieren. 50 Mal wurden die EU-Staaten aufgefordert, das Lohnwachstum zu begrenzen, 38 Mal die Gewerkschaftsrechte zu verschlechtern, 45 Mal den Schutz von Arbeitslosen und Menschen mit Behinderung zu reduzieren.

Die Solidarwerkstatt hat öfters darüber berichtet, wie die EU-Kommission insbesondere nach Einführung des EU-Fiskalpakts enormen Druck auf die EU-Staaten ausgeübt hat, um neoliberale Strukturreformen zu erzwingen. Der linke EU-Parlamentsabgeordnete Martin Schirdwan hat in einer Studie nachrecherchiert (1). Das Ergebnis ist eindeutig. Die EU-Kommission hat allein zwischen 2011 und 2018 sage und schreibe 63-mal die EU-Staaten aufgefordert im Gesundheitsbereich zu kürzen bzw. zu privatisieren. Der EU-Fiskalpakt hat der EU-Kommission zu einer Machtposition verholfen, die die Staaten oftmals dazu gezwungen hat, diesen Aufforderungen Folge zu leisten. Oftmals leisteten die nationalen Eliten dem wohl auch bereitwillig Folge, konnten sie doch mit dieser Schützenhilfe aus Brüssel eine Politik exekutieren, die sie im nationalen Kräfteverhältnis nie durchzusetzen vermocht hätten. Viele der Toten der Corona-Krise – gerade in Ländern wie Italien und Spanien - gehen auf das Konto dieser brutalen Austeritätspolitik.

Die Studie hat ans Tageslicht gebracht, dass auch andere Sozialbereiche und Arbeitnehmerrechte von der EU-Kommission hart attackiert wurden:

- 50 Mal wurde zwischen 2011 und 2018 an die Mitgliedstaaten die Aufforderung gerichtet, das Lohnwachstum zu unterbinden

- 39 Mal wurde die Anweisungen zur Verringerung der Arbeitsplatzsicherheit, des Beschäftigungsschutzes und der Rechte von ArbeitnehmerInnen und Gewerkschaften auf Tarifverhandlungen erteilt

Zusätzlich zu den routinemäßigen Forderungen, die Staatsausgaben für Sozialdienstleistungen generell zu senken, hat die Kommission 45 Mal spezifische Forderungen gestellt, die darauf abzielen, die Leistungen für Arbeitslose, schutzbedürftige Menschen und Menschen mit Behinderungen zu verringern oder zu streichen.

Weg mit dem Deckel!

Auch Österreich war und ist von diesen „Aufforderungen“ der EU-Kommission betroffen. Um aus dem „EU-Defizitverfahren“ entlassen zu werden, musste sich Österreich verpflichten, seine ab 2012 seine Gesundheitskosten zu „deckeln“. Sprich: Ein Wachstum der Gesundheitsausgaben wurde mit dem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) beschränkt. Angesichts einer stark wachsenden älteren Bevölkerung und den damit verbundenen Pflege- und Behandlungsbedarf hat das in Österreich seither zu empfindlichen Kürzungen geführt. So sind in Österreich im letzten Jahrzehnt über 4.500 Akutbetten abgebaut, 29 öffentliche Krankenanstalten geschlossen und 300 Kassenarztstellen gestrichen worden. Die realen Pflegeausgaben pro Kopf der Über-75-Jährigen Bevölkerung sind um 15% gesunken.

Diese Deckelung der Gesundheitsausgaben ist in einer Artikel 15a-Vereinbarung zwischen Bund und Ländern verankert. 2021 soll das nächste Mal darüber entschieden werden, ob bzw. wie diese Deckelung erneuert wird. Angesichts der nun schrumpfenden Wirtschaft könnte die Fortsetzung dieser Deckelung, die an die BIP-Entwicklung gekoppelt ist, eklatante Kürzungen im Gesundheitsbereich nach sich ziehen.

Quelle:

(1) https://www.dielinke-europa.eu/de/article/12609.neuer-bericht-überwachen-und-strafen-ende-für-den-stabilitäts-und-wachstumspakt.html

(2) Bericht: https://www.dielinke-europa.eu/kontext/controllers/document.php/948.9/3/d70fc8.pdf


La monnaie unique chancelle

L’UE, une affaire allemande. Pour des raisons géographiques, historiques. Et bien sûr économiques. Dès lors, quand la chancelière franchit ses propres « lignes rouges », c’est qu’à Berlin, on s’inquiète vraiment. Il convient, a martelé Angela Merkel, d’« agir en responsabilité pour que l’euro puisse subsister ». Rien de moins. C’était l’objet de la proposition conjointe du « couple franco-allemand » annoncée le 18 mai : un plan de 500 milliards qui seraient empruntés sur les marchés par la Commission européenne puis donnés – et non prêtés – aux secteurs et régions agonisants.

C’est la violence de la crise déclenchée par le virus qui a conduit Mme Merkel à briser ce tabou majeur : une mutualisation des dettes et un remboursement collectif, non par les bénéficiaires, mais par les Etats les plus riches : l’Allemagne, bien sûr, mais aussi la France, qui, si le plan était adopté par les Vingt-sept, co-financeraient le renflouement italien ou espagnol – un point sur lequel le président français ne s’est pas étendu. Il s’est en revanche flatté d’avoir amené sa partenaire vers les vues traditionnelles de Paris : plus de centralisation économique et budgétaire.

La concession allemande doit probablement plus au réalisme de sa partenaire qu’au charme jupitérien. Berlin est depuis longtemps accusé – à juste titre – de profiter largement de la monnaie unique pour accumuler excédents commerciaux et budgétaires, et ce, au détriment des pays les plus faibles. Cette situation menaçait de devenir explosive.

Car si tous les pays sont touchés par une brutale récession avec des conséquences sociales jamais connues depuis la guerre, la puissance économique germanique devrait permettre de remonter la pente, là où les pays du sud risquent de plonger sans retour. Avec à la clé une aggravation du fossé au sein même de la zone euro. C’est politiquement de moins en moins tenable, et, surtout, économiquement, périlleux : quel avenir pour une puissance massivement exportatrice si nombre de ses voisins sombrent ?

Un autre événement germano-allemand, et non des moindres, a bousculé la chancelière : l’arrêt historique du Tribunal constitutionnel fédéral du 5 mai. Les juges de Karlsruhe ont exigé de la Banque centrale européenne (BCE) qu’elle s’explique sur le programme de création monétaire massive lancé en 2015, et fixé un ultimatum de trois mois. Il est peu probable qu’à cette échéance de très court terme, la Cour ordonne finalement à la banque centrale allemande de se retirer du programme, comme elle en a brandi la menace, car cette arme nucléaire provoquerait illico la désintégration de l’euro : pour l’Italie et l’Espagne notamment, mais aussi pour la France, cesser l’injection monétaire de la BCE reviendrait à débrancher le respirateur artificiel d’un patient Covid en réanimation.

En revanche, les juges constitutionnels ont rappelé que la participation de Berlin à un programme de planche à billets (quels que soient les déguisements inventés par les juristes financiers) était contraire à l’« identité constitutionnelle » du pays. Le nouveau programme lancé en mars, censé combattre la course à l’abîme économique déclenchée par le virus, est donc dans le viseur. Bref, le sauvetage de la zone euro par la voie monétaire, comme c’est le cas depuis 2011, est désormais interdit. Ne reste que la voie budgétaire, par la communautarisation des dettes.

Le Tribunal constitutionnel a posé, par son verdict, une bombe encore plus explosive, cette fois pour l’UE dans son entier. Il a confirmé que, de son point de vue, il existe des circonstances où le droit national doit prévaloir sur le droit européen, ce qui a immédiatement fait hurler les partisans de l’intégration. Ce faisant, il prolonge ses sentences précédentes et confirme ainsi que la primauté du droit communautaire, à l’origine simplement auto-proclamée par la Cour de justice de l’UE, ne vaut que dans la mesure où les Etats l’acceptent.

Si les juges constitutionnels allemands ont strictement dit le droit, ils ont aussi traduit un état d’esprit répandu parmi les Allemands, peu enclins à accepter des sacrifices supplémentaires (notamment en matière d’affaiblissement de l’épargne) au nom de « l’Europe ». Un état d’esprit populaire sur lequel pourrait surfer une partie de l’élite dirigeante d’outre-Rhin, y compris au sein même du parti de la chancelière.

Et un état d’esprit qui est partagé – pour des raisons certes diverses – dans de nombreux pays de l’UE. L’Europe, ou plutôt sa mise au rancart : une affaire des peuples. (éditorial paru dans Ruptures du 26/05/20) Pierre Lévy – @LEVY_Ruptures. https://ruptures-presse.fr/actu/euro-karlsruhe-allemagne-edito/ 30 mai 2020

Le tribunal de Karlsruhe a ainsi confirmé que la primauté du droit communautaire ne vaut que dans la mesure où les Etats l’acceptent


Der EU-"Wiederaufbaufonds" – Feigenblatt und trojanisches Pferd

Die geplanten 500-Milliarden des EU-Corona-Wiederaufbaufonds, die als Zuschüsse ausbezahlt werden sollen, erregen Aufsehen und Streit. Es gehe um europäische Solidarität meinen die einen, es gehe darum, eine Schuldenunion zu verhindern, meinen die anderen. Beides liegt daneben.

Die Regierungschefs Merkel und Macron haben vorgelegt, EU-Kommissionspräsidentin Van der Leyen ist nachgetrippelt: 500 Milliarden sollen von der Kommission an Anleihen aufgenommen werden, um dann anschließend im Rahmen des EU-Budgets 2021-2027 an die Corona-geplagten EU-Staaten in Form von Zuschüssen verteilt zu werden. Dieser sog. „Wiederaufbaufonds“ erregt derzeit großes Aufsehen und Streit. Eine halbe Billion ist schließlich kein Klacks.

Gewinner und Verlierer der Währungsunion

Schaut man etwas ins Detail, relativiert sich diese Zahl gewaltig. Sie ist bestenfalls ein Feigenblatt für die Wunden, die in etlichen EU-Staaten durch die Einführung der Währungsunion geschlagen wurden. Es gibt eine Studie aus dem Jahr 2019 über Gewinner und Verlierer der Währungsunion, über die so gut wie nicht berichtet wird, obwohl (oder weil) sie politischen Sprengstoff enthält. Diese Studie stammt von Centrum für Europäischen Politik, einem mainstreamigen Think Tank, in dessen Kuratorium sich u.a. der ehemalige EU-Kommissar Frits Bolkestein oder der (mittlerweile verstorbene) deutsche Präsident Roman Herzog befinden bzw. befanden. Die Studie „20 Jahre Euro – Gewinner und Verlierer“ (1) kommt zu einem eindeutigen Ergebnis: Deutschland hat im Zeitraum 1999 bis 2017 enorm gewonnen: Fast 1,9 Billionen Euro zusätzliches Bruttoinlandsprodukt (BIP) errechneten das CEP akkumuliert über diesen Zeitraum für die BRD. Auch die Niederlande steigen mit über 1,1 Billionen Euro deutlich positiv aus. Auf der anderen Seite erlitten andere Länder horrende Verluste: Italien minus 4,3 Billionen Euro, Frankreich fast minus 3,6 Billionen Euro, Spanien über 200 Millionen, Portugal über 400 Millionen Euro (sh. Tabelle, Spalte [1]).

Die Ursachen für diese wachsenden Ungleichgewichte: Wenn der Schutzmantel der Wechselkurse wegfällt, können die durch Lohndumping "wettbewerbsfähigeren“ Nationen die anderen niederkonkurrieren. Die rot-grüne Regierung Fischer/Schröder hat mit Hartz IV den Niedriglohnsektor massiv ausgeweitet und seit Einführung der Währungsunion damit einen explodierenden Handelsbilanzüberschuss auf Kosten anderer Euro-Staaten erzielt. Gewinner sind damit auch in Ländern wie Deutschland keineswegs alle, viele sind dort aufgrund Reallohnsenkungen und Verschlechterung der Sozialleistungen massive Verlierer, Hauptprofiteur ist die deutsche Exportindustrie – und im Schlepptau auch die niederländische bzw. österreichische (2).

Wiederaufbaufonds: Feigenblatt für die Wunden der Währungsunion…

Spannend ist es nun, diese akkumulierten Gewinne bzw. Verluste mit den Nettoausschüttungen aus dem Wiederaufbaufonds ins Verhältnis zu setzen. Das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim hat versucht, diese Nettoausschüttungen – anhand verschiedener Parameter zu entwickeln (3). Das ist sicherlich mit Unsicherheiten behaftet, gibt aber doch einen ersten Einblick in bestimmte Größenordnungen. Angenommen wurde, dass die Ausschüttungen an die Krisenländern v.a. aufgrund des Einbruchs beim BIP erfolgt (4), die Refinanzierung anhand des Anteils am gesamt EU-BIP. Das relativiert die Umverteilungswirkung des Wiederaufbaufonds bereits erheblich. Zwar sind Länder wie Deutschland oder die Niederlande Nettozahler - 23 Milliarden (0,7% am BIP) respektive 2 Milliarden (0,25% am BIP) – gestreckt über einen langen Rückzahlungszeitraum sind das aber keine atemberaubenden Beträge. Umgekehrt sind Italien (25,8 Mrd.), Spanien (13,7 Mrd.), Frankreich (10,7 Mrd.) und Portugal (0,1 Mrd.) Netto-Empfänger, doch auch hier sind die Beträge gemessen am BIP überaus bescheiden (sh. Tabelle, Spalten [2] bis [5]). Diese Zahlen ermöglichen, die jeweiligen Netto-Ausgaben bzw. Einnahmen des „Wiederaufbaufonds“ mit den bisherigen Gewinnen und Verlusten aus der Währungsunion zu vergleichen. Deutschlands Belastung beträgt gerade einmal 1,24% der Gewinne aus der Währungsunion, für die Niederlande sind es 0,18%. Und umgekehrt: Italien erhält 0,6% von dem zurück, was man vorher durch den Euro verloren hat, Frankreich 0,3%, Portugal 0,02%. Nur bei Spanien ist es mit 6,1% etwas mehr, aber eben auch nur ein gutes Zwanzigstel dessen, was das Land durch die Währungsunion eingebüßt hat (sh. Spalte [6]).

Das alles zeigt wieder einmal die völlig unhaltbare Konstruktion von EU und Euro auf: als eines Konkurrenzregimes, das systematisch Umverteilung von unten nach oben produziert, zwischen den Staaten und innerhalb dieser. Denn wo die äußere Abwertung als Puffer zwischen ungleichen Ökonomien nicht mehr zur Verfügung steht, bleibt nur mehr die innere Abwertung durch Lohn- und Sozialabbau.

… und Trojanisches Pferd

Dazu kommt, dass letztlich die EU-Kommission die Entscheidung darüber trifft, wofür und unter welchen Bedingungen die 500 Milliarden an die EU-Staaten ausgeschüttet werden. Die EU-Kommission hat angekündigt, dass man das klar mit dem „Empfehlungen“ im Rahmen des „Europäischen Semesters“ junktimieren werde. Was das heißt, zeigt eine Analyse der „Europäischen Semester“ im Zeitraum 2011 bis 2018. In diesem Zeitraum hat die EU-Kommission von den EU-Staaten

• 109-Mal Verschlechterungen bei den Pensionen
• 63-Mal gefordert, im Gesundheitsbereich zu kürzen bzw. zu privatisieren
• 50-Mal, das Lohnwachstum einzuschränken
• 39-Mal, Kündigungsschutz und Gewerkschaftsrechte zu beschneiden
• 35-Mal, Ausgaben für Arbeitslose und Menschen mit Behinderungen zu kürzen (5).


D.h. die 500 Milliarden verschaffen der EU-Kommission zusätzliche Macht, ihre Forderungen gegenüber den EU-Staaten durchzusetzen. Die Kommission hat bereits angekündigt, von diesem Druckmittel Gebrauch zu machen: EU-Kommissar für Soziales Valdis Dombrovski: „Der Konjunkturfonds wird ein zusätzliches Instrument sein, um sicherzustellen, dass die nationalen Regierungen ihre Empfehlungen umsetzen.“ EU-Wirtschafts-Kommissar Paolo Gentilonie ergänzt: „Ich bin sicher, dass die Mitgliedsstaaten, wenn man bedenkt, was auf dem Spiel steht, diesen Empfehlungen Beachtung schenken werden.“ (6) Finanziert wird diese Erpressungsmacht letztlich aus Steuermitteln der Einwohnerinnen und Einwohner der EU-Mitgliedstaaten.

Damit kommen wir wohl zum Kern der Sache: Die 500 Milliarden spielen bei der Bekämpfung der Coronakrise bestenfalls die Rolle eines Feigenblatts. Das einzige, was den besonders geplagten Mittelmeerländern strukturell helfen würde, wäre die souveräne Verfügung über Währung und Geldpolitik. Dieser Wideraufbaufonds ist aber nicht nur Feigenblatt, er sich auch ein trojanisches Pferd, um


• die Macht der EU-Technokratie zu stärken, um neoliberale Strukturreformen durchzusetzen. Freilich geht es auch um Geld für zusätzliche Investitionen. Da wird zwar einiges Gute versprochen – z.B. mehr Geld für Klima- und Umweltschutz. Doch auch hier empfiehlt sich, das Kleingedruckte zu lesen. Macron etwas versteht darunter auch Milliardenhilfen für die Automobil- und Flugzeugbranche (7). Und Van der Leyen will damit nicht zuletzt die „Strategische Autonomie“ der EU stärken (8 ), eine Chiffre, die oftmals verwendet wird, um den Aufbau strategischer EU-Rüstungskapazitäten euphemistisch zu umschreiben.
• um die Vorherrschaft der deutschen Machteliten und die Profite der deutschen Exportindustrie zu sichern, die von der Währungsunion enorm profitiert hat – auf Kosten der südeuropäischen Peripherie UND der Arbeitenden im eigenen Land.

„Deutsche Goldgrube – wirtschaftliche Verwüstung der Mittelmeerländer“

Der deutsche Sozialwissenschaftler Wolfgang Streeck resümiert: "Erstens wird die deutsche Regierung Wege finden, damit die EZB weiterhin „alles tun kann, was nötig ist“, um den Euro am Leben zu erhalten. (Ob dies letztendlich erfolgreich sein wird, ist eine andere Frage.) Der Euro ist die ultimative deutsche Goldgrube, und während es bei weitem nicht klar ist, warum Italien, Spanien und Frankreich so eifrig an ihm festhalten, ist er für Deutschland in diesen Zeiten langanhaltender kapitalistischer Stagnation eine Lebensader.

Zweitens, auch wenn die EZB und der Brüsseler Haushalt und die Europäische Investitionsbank und die anderen noch einige Jahre lang die Mittel finden, um die politischen Klassen der im Niedergang begriffenen südlichen Peripherie des Eurolandes durch europäische Geldinjektionen und geschickt inszenierte symbolische deutsche Kapitulationen an der Macht zu halten, wird dies die wirtschaftliche Verwüstung der Mittelmeerländer nicht aufhalten. Diese ist struktureller Art, wurzelt im Verzicht der Mittelmeerländer auf ihre Währungssouveränität und sind so tiefgreifend, dass sie nicht durch Transferleistungen behoben werden können, die deutsche Regierungen sich wirtschaftlich oder politisch leisten könnten.

Das Ergebnis wird wachsende Ungleichheit zwischen den Ländern der Währungsunion und innerhalb der Länder selbst sein, begleitet von noch schneller wachsender internationaler Feindseligkeit. Die Stunde der Wahrheit für die leeren deutschen Versprechungen der Vergangenheit, gemacht in der leichtsinnigen Hoffnung, dass sie niemals eingelöst werden müssen, kommt näher. Die Enttäuschung wird die europäische Politik zutiefst vergiften." (9)

Gerald Oberansmayr, https://www.solidarwerkstatt.at/arbeit-wirtschaft/der-corona-wiederaufbaufonds-feigenblatt-und-trojanisches-pferd (Mai 2020)

Anmerkungen:


1. https://www.cep.eu/fileadmin/user_upload/cep.eu/Studien/20_Jahre_Euro_-_Gewinner_und_Verlierer/cepStudie_20_Jahre_Euro_Verlierer_und_Gewinner.pdf
2. Österreich wurde in dieser Studie leider nicht untersucht.
3. http://ftp.zew.de/pub/zew-docs/ZEWKurzexpertisen/EN/ZEW_Shortreport2007.pdf
4. Ein anderes Szenario nimmt einen Verteilung an die EU-Staaten nach einem Schlüssel an, der sich aus einem Mix von BIP-Rückgang und Erhöhung der Arbeitslosigkeit berechnet.
5. https://www.dielinke-europa.eu/de/article/12609.neuer-bericht-überwachen-und-strafen-ende-für-den-stabilitäts-und-wachstumspakt.html
6. EurActive, 21.5.2020
7. FAZ, 20.5.2020
8. Wiener Zeitung, 23.4.2020
9. https://makroskop.eu, 26.5.2020



Berlin und Brüssel gehen bei der Lufthansa-Rettung auf Kollisionskurs

Kaum ist das Rettungspaket für die Lufthansa geschnürt, gibt es Zweifel an seinem Bestand. Die EU-Kommission will die Massnahmen nur mit harten Auflagen billigen. In Brüssel wachsen die Bedenken gegenüber der übermächtigen staatlichen Hilfe in Deutschland.

Die deutschen Hilfs- und Unterstützungsmassnahmen zugunsten der Lufthansa über 9 Mrd. € bekommen heftigen Gegenwind aus Brüssel. Die EU-Kommission muss das Ende Mai lancierte Rettungspaket der deutschen Regierung noch genehmigen, will dies offenbar aber nur unter strengen Auflagen tun.

Dem Vernehmen nach fordert die EU-Kommission vor allem die Abgabe von Start- und Landerechten in Frankfurt und in München – und geht damit voll auf Kollisionskurs mit Berlin. Bundeskanzlerin Angela Merkel soll im Parteipräsidium einen «harten Kampf» in der Sache mit Brüssel angekündigt haben. Die Bundesregierung werde nicht nachgeben, versprach sie offenbar. Ins gleiche Horn bliesen die Ministerpräsidenten der Lufthansa-Heimatländer Hessen und Bayern, Volker Bouffier und Markus Söder.

Für Fluggesellschaften sind die Start- und Landerechte, die sogenannten Slots, zu attraktiven Uhrzeiten im Hinblick auf bestimmte Destinationen ein wichtiger Wettbewerbsfaktor, um den seit Jahrzehnten hart gekämpft wird. Brüssel verlangt laut Medienberichten, dass die Kranich-Airline an ihren beiden deutschen Drehkreuzen Frankfurt und München bis zu zwanzig Flugzeuge und die dazugehörigen Slots an Wettbewerber abgibt – und zwar nicht an andere ehemalige Staatsunternehmen, sondern an Billiganbieter wie Easy Jet oder Ryanair. Für die Lufthansa ist die Forderung eine Provokation, kämpfen die Fluggesellschaften doch besonders mit der Konkurrenz durch Billiganbieter. Das Unternehmen hat in den letzten Jahren mit Eurowings zur Abwehr der Konkurrenz sogar selbst eine Billigmarke geschaffen.

In Deutschland kam die Lufthansa-Gruppe (inklusive der Töchter Eurowings, Germanwings, Swiss, Austrian Airlines und Brussels Airlines) in der Passagierluftfahrt, gemessen an den angebotenen Sitzen, im Sommer 2019 laut dem Datenanbieter Statista auf einen Marktanteil von 52%. Dahinter folgten mit immensem Abstand die beiden Billiganbieter Ryanair mit gut 8% und Easy Jet mit gut 6%. Die Ferienflieger Condor und Tui Fly liegen bei rund 4 und 2%.

Laut der Luftverkehrsstatistik 2019 am Frankfurter Flughafen kam das Luftfahrtbündnis Star Alliance, in dem auch die Lufthansa Mitglied ist, auf einen Marktanteil von 74% bei den Passagieren, von 73% bei den Flugbewegungen und von 56% bei der Fracht. Der Löwenanteil davon dürfte jeweils auf die Lufthansa entfallen. Ähnlich sieht es bei den Verkehrsanteilen für die Fluggesellschaften aus, die aber nicht auf Einzelbasis ausgewiesen werden. Die Gruppe Lufthansa, Condor, Ryanair, United Airlines und Austrian Airlines kommt bei den Passagieren auf einen Marktanteil von 73%, bei den Flugbewegungen von 71% und bei der Fracht von 58%. Auch hier entfällt der Hauptanteil auf die Lufthansa, für die Frankfurt der Heimathafen ist, der zusammen mit München die beiden deutschen Drehkreuze bildet.

In Berlin ortet man eine unfaire Behandlung, weil Brüssel staatliche Hilfen für Air France-KLM (schon länger teilweise in Staatsbesitz), SAS und Finnair angeblich wohlwollender gehandhabt hat. In Deutschland hatten sich die Lufthansa und die Bundesregierung auf ein Unterstützungspaket geeinigt. Danach steigt der Staat mit 20% bei der Lufthansa ein und hat die Option auf weitere 5% plus eine Aktie, sollte eine feindliche Übernahme drohen oder die Lufthansa vereinbarte Zinszahlungen nicht leisten können.

Während man in Berlin grummelt, wachsen in Brüssel generell die Bedenken ob des schieren Volumens der Beihilfen des deutschen Staates. Die für die Bewilligung der Lufthansa-Hilfe zuständige EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager sagte an einer Videokonferenz mit einem Ausschuss des EU-Parlaments, dass Deutschland allein 47% der unter dem gelockerten Krisenregime bewilligten staatlichen Beihilfen von insgesamt 2130 Mrd. € beantragt habe. Dahinter folgen Italien (18%), Frankreich (16%), Spanien und Grossbritannien (je 4%). Alle anderen Staaten kommen nicht auf mehr als 2,5%. Die Feuerkraft sei nicht für alle Mitgliedstaaten gleich und entspreche auch nicht dem jeweiligen Anteil der Volkswirtschaften, stellte die sozialdemokratische Europaparlamentarierin Irene Tinagli aus Italien fest. In den Beträgen spiegle sich auch der fiskalische Spielraum der verschiedenen Länder, sagte Vestager. Sie wies zudem darauf hin, dass es sich nicht um die ausbezahlten Summen handle, sondern um Budgets.

Deutschland hat fast so viel Beihilfe bewilligt erhalten wie alle anderen Länder der EU zusammen

Die Kommission ist generell strenger, wenn die Mitgliedstaaten Eigenkapital von Firmen übernehmen, als wenn sie «nur» Darlehen gewähren. Das begründete die Dänin Vestager mit dem Risiko, wonach durch eine Beteiligung des Staates bei grossen Firmen in starken Marktpositionen der Wettbewerb langfristig verzerrt werden könnte. Dies wird vermutet bei Unternehmen mit erheblicher Marktmacht und bei solchen, die über 250 Mio. € erhalten. Beides trifft wohl auf die Lufthansa zu.

Nicht alle Firmen innerhalb eines Landes und in verschiedenen EU-Staaten hätten gleichermassen Zugang zu derartigen Kapitalspritzen, sagte Vestager. Air France-KLM, SAS und Finnair erhalten «nur» Kredite.

Um das Risiko eines verzerrten Wettbewerbs zu verringern, geht eine Bewilligung bei einer grossen Rettungsaktion wie bei der Lufthansa deshalb laut den Überlegungen Vestagers mit Auflagen einher. Diese sollen die Einschränkungen des Wettbewerbs zumindest teilweise kompensieren. Das sei sehr wichtig, betonte die Kommissarin gegenüber den EU-Parlamentariern.

Die Konzerne müssen zudem die Steuerzahler für ihr Kapital entschädigen. Und sie sollen einen Anreiz haben, den Staat als Aktionär möglichst schnell loszuwerden und wieder auf eigenen Beinen zu stehen. Deshalb verbietet die Kommission, dass die höheren Kader Boni erhalten, dass Dividenden fliessen oder Aktienrückkäufe stattfinden. Solange der Staat Mitaktionär ist, muss dieser zuerst entschädigt werden. Betroffene Konzerne haben ferner offenzulegen, was sie mit den Hilfsgeldern machen.

Noch bevor das Hilfspaket bewilligt wurde, hatte der Ryanair-Konzernchef Michael O’Leary einen Einspruch dagegen angekündigt. Die Lufthansa sei süchtig nach Staatshilfe, liess er sich in einer Mitteilung zitieren. Bei jeder Krise bestehe der erste Reflex des Unternehmens darin, seine Hand in die Taschen der deutschen Regierung zu stecken, so O'Leary weiter. Die Unterstützung verstärke den monopolartigen Zugriff der Lufthansa auf den deutschen Markt. NZZ, 27. Mai 2020, S. 17.

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