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Kurzinfos Mai 04

Welthandel gefährdet regionale Agrarstrukturen

Ende März stellte das entwicklungspolitische Netzwerk EUROSTEP zusammen mit terre des hommes und WEED in Brüssel eine Studie über die möglichen Auswirkungen von "Wirtschaftspartnerschaftsabkommen", neuer Freihandelsabkommen mit den Staaten Afrikas, der Karibik und des Pazifik (AKP-Staaten), vor. Die Autoren der Studie folgern, dass die geplante Handelsliberalisierung mit den AKP-Staaten massiv den Erfolg der Armutsbekämpfungs-Programme in den untersuchten Ländern gefährdet und die Ziele des Cotonou-Abkommens selbst untergräbt. Die Studie beinhaltet fünf Länderstudien aus Benin, Kamerun, Ghana, der Dominikanischen Republik und Jamaika, die von Partnerorganisationen erstellt wurden. Die Autoren kritisieren, dass sich die derzeitigen Verhandlungen im Eigeninteresse der EU auf den Zollabbau konzentrieren, während nicht-tarifäre Handelshemmnisse und andere Probleme, die steigenden Exporten aus den AKP-Staaten in die EU entgegenstehen, ausgeklammert bleiben. "Statt aus ökonomischem Eigennutz auf der Marktöffnung zu bestehen, sollte die EU zunächst eine autonome regionale Entwicklung unterstützen und auf Freihandel verzichten", so WEED. Die Autoren schließen mit zehn Empfehlungen an die EU, deren Umsetzung sicherstellen würde, dass zukünftige Handelsabkommen mit den AKP-Staaten der Bekämpfung der Armut dienen.

Kontakt/Informationen WEED, Klaus Schilder, Projektreferent, Torstr. 154, 10115 Berlin Tel. 030 / 27582 163 Fax 030 / 27596 928 eMail: weed@Weed-online.org www.weed-online.org (DNR-EU-Rundschreiben, Mai 04, S. 6)



Gentechnik über Hintertür?

Seit Mitte April müssen in der EU sämtliche Lebensmittel, die mehr als 0,9 Prozent gentechnisch veränderte Bestandteile enthalten oder aus gentechnisch veränderten Ausgangsstoffen hergestellt wurden, gekennzeichnet werden. Damit wurde ein langjähriger Wunsch von Konsumentenschutzorganisationen erfüllt. Doch in Deutschland sehen Umweltschutzorganisationen wie Greenpeace oder Save our Seeds (SOS), aber auch der ökologische Anbauverband Bioland oder die Grünen-Fraktion im bayrischen Landtag die gerade erst gewonnene Wahlfreiheit schon wieder in Gefahr. Die Ursache dafür ist eine momentan bei der EU-Kommission in Vorbereitung befindliche Richtlinie für Saatgut. Der kürzlich publik gemachte Entwurf der Richtlinie enthält Grenzwerte, die angeben, bis zu welchem Grad von Vermischung mit gentechnisch veränderten Samen Saatgut noch als «gen-technikfrei» bezeichnet werden darf. Sollte diese Version tatsächlich in Kraft treten, würde die EU-Kommission Grenzwerte von 0,3 bis 0,7 Prozent -je nach Pflanze - festschreiben. Konkret hiesse das, dass zum Beispiel in Saatgut von Raps eine Verunreinigung mit gentechnisch veränderten Samen erst ab 0,3 Prozent gekennzeichnet werden müsste. Bei Mais oder Kartoffeln dürfen gemäss dem Entwurf im Saatgut bis zu 0,5 Prozent gen-technische Verunreinigungen enthalten sein, bei Soja bis 0,7 Prozent. Laut SOS würde dies bedeuten, dass auch auf Äckern, die nicht für eine gentechnische Aussaat angemeldet sind, jede 333. Rapspflanze und jede 200. Maispflanze gentechnisch verändert sein könnten. Sollte die neue Richtlinie tatsächlich in dieser Form beschlossen werden, dann müsste man also früher oder später davon ausgehen, dass in jeder Ernte auch geringe Mengen an gentechnisch veränderten Pflanzen enthalten wären. In Lebensmitteln aus diesem Erntegut wäre der Anteil an gentechnisch veränderten Bestandteilen in aller Regel allerdings derart gering, dass er die magische Kennzeichnungsgrenze von 0,9 Prozent nicht überschreiten würde.

Das eigentliche Problem liegt jedoch woanders. Momentan können nämlich Biobauern oder konventionell produzierende Landwirte in Deutschland und auch in Österreich und manch anderen Ländern dem Lebensmittelhersteller oder auch dem Konsumenten nachweisbar versichern, dass die eigenen Produkte frei von gentechnisch veränderten Bestandteilen sind. Denn zurzeit gelten da beim Saatgut Grenzwerte von 0,1 Prozent. Das hat zur Folge, dass ein Saatgutverkäufer seine Ware nur dann als frei von gentechnischen Bestandteilen verkaufen darf, wenn sie das auch tatsächlich ist. Wenn die neue Saatgutrichtlinie mit den erwähnten Grenzwerten in Kraft träte, würde sich dies ändern. Kein Landwirt, auch kein Biobauer, könnte also noch sicher sein, dass das von ihm gekaufte Saatgut wirklich frei von gentechnisch veränderten Samen ist. Das wiederum hätte zur Folge, dass auch niemand mit Bestimmtheit sagen könnte, seine Produkte seien frei von Bestandteilen mit gentechnischen Veränderungen. Der deutsche Bauernverband fordert angesichts der momentanen Saatgutdiskussion so schnell wie möglich klare Regelungen und sieht die Bauern als Hauptleidtragende der Debatte. Organisationen wie Bioland, SOS oder Greenpeace fordern einstimmig ein «Reinheitsgebot für Saatgut». Auch im deutschen Landwirtschaftsministerium wolle man den niedrigstmöglichen Grenzwert und wäre mit 0, 1 Prozent sehr zufrieden, teilte die stellvertretende Pressesprecherin Ursula Horzetzky mit. Dass die Gefahr, ungewollt Saatgut mit gentechnisch veränderten Bestandteilen zu erhalten, durchaus real ist, zeigen Beispiele der letzten Monate. Laut Medienberichten ist importiertes Saatgut, vor allem bei Soja oder Raps, immer wieder mit gentechnisch verändertem Saatgut verunreinigt, da Länder wie die USA, Kanada oder Argentinien sehr viel gentechnisch veränderte Pflanzen anbauen. Gälten die Grenzwerte der neuen EU-Richtlinie, so wäre die Einfuhr solchen Saatguts legal - solange die Verunreinigung innerhalb dieser Grenzwerte läge. Mit der neuen Saatgutrichtlinie könnten gentechnisch veränderte Pflanzen durch die Hintertür eingeführt werden, ohne dass es eine rechtliche Handhabe dagegen gäbe. NZZ, 21.Mai, 04, S. 7


Zollstreit beigelegt

Die Europäische Union (EU) verzichtet nach intensiven Verhandlungen mit der Schweiz auf die von ihr ins Auge gefasste Erhebung von Zöllen auf Re-Exporten. Mit Letzterem ist EU-Ursprungs-Ware gemeint, die vorübergehend in die Schweiz gelangt und ohne weitere Verarbeitung wieder in den EU-Raum ausgeführt wird. Wie seit der Schliessung des Freihandelsabkommens im Jahr 1972 üblich, bleiben somit Re-Exporte aus der Schweiz bzw. Re-Importe in die EU auch in Zukunft zollfrei. Um jegliche Rechtsunsicherheit in dieser Sache zu beseitigen, wird eine entsprechende Interpretation ins bestehende Freihandelsabkommen aufgenommen. Der formelle Beschluss wird noch vom gemischten Ausschuss der beiden Parteien zu fassen sein. Wie aus glaubwürdiger Quelle zu vernehmen ist, stellt dies jedoch eine reine Formsache dar.

Die Schweizer Handelsdiplomatie hat ihr von Anfang an verfolgtes Ziel erreicht, die geltende Praxis zu wahren. In heiklen und schwierigen Verhandlungen auf verschiedenen Ebenen gelang es ihr zunächst, die von Brüssel auf den 1. März 04 vorgesehene Umsetzung der Zollbelastung auf Re-Importen in die EU auf den 1. Juni 04 zu vertagen und jetzt, wie eingangs erwähnt, die EU zum definitiven Verzicht auf dieses Handelshemmnis zu bewegen. Die Schweiz hatte von Anfang an erklärt, Zölle auf Re-Importen in die EU verstiessen gegen die Bestimmungen des Freihandelsabkommens. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) liess auch keine Zweifel daran, dass vor der Welthandelsorganisation (WTO) geklagt würde, falls Brüssel stur bliebe. Doch dies alles hätte vielleicht nicht gereicht, die EU zum Einlenken zu bewegen, wenn nicht auch Wirtschaftsverbände und Handelskammern in der EU auf die EU-Kommission Druck ausgeübt hätten. Für die Unternehmen im EU-Raum hätten die geplanten Zollbarrieren ebenfalls etwelche negative Konsequenzen gehabt. In der Schweiz wären von der Praxisänderung nicht nur einzelne Firmen, sondern eine ganze Branche hart getroffen worden. In- und ausländische Logistikunternehmen haben im Lauf der Zeit aus geographischen, fiskalischen und anderen Gründen Verteilerzentren in der Schweiz angesiedelt. Hätte die EU ihre Drohung wahr gemacht, wäre der Standort Schweiz für Verteilerzentren, die den EU-Markt bedienen, unattraktiv geworden.

Der für den EU-Zollkodex zuständige Ausschuss in Brüssel hatte offenkundig die Tragweite, die gravierenden Folgen seines ursprünglichen, erst am 1. Februar 04 durchgesickerten Beschlusses, Re-Importe in die EU mit Zöllen zu belasten, nicht erkannt. Nur so ist denn auch zu erklären, dass man es in Brüssel damals nicht für nötig befunden hatte, den Freihandelspartner Schweiz zu konsultieren. Dieses Versäumnis hatte die zuständigen Stellen im Bundeshaus verärgert und irritiert und die Schweizer Wirtschaft empört. NZZ, 12. Mai 2004, S. 21


Sechs neue EU-Defizit-"Sünder"

Die EU-Kommission hat Mitte Mai 04 die bereits angekündigten Berichte über die Haushaltslage in jenen sechs neuen Mitgliedstaaten verabschiedet, in denen das Haushaltsdefizit 2003 den «Maastricht-Grenzwert» von 3% des Bruttoinlandproduktes (BIP) überschritten hat. Dies war in Malta, Polen, der Slowakei, Tschechien, Ungarn und Zypern der Fall, wobei die Fehlbeträge zwischen 3,6% des BIP in der Slowakei und 12,9% in Tschechien lagen. Alle sechs Staaten dürften laut den jüngsten nationalen und EU- Prognosen auchl 2004 über 3% bleiben. In keinem der Fälle ist die Überschreitung auf einen schweren Wirtschaftsabschwung oder ein aussergewöhnliches Ereignis, die beiden im Stabilitätspakt vorgesehenen «Entschuldigungsgründe», zurückzuführen. Die Einhaltung der 3%.Grenze zählt auch zu den Konvergenzkriterien, die für den Beitritt zur Euro-Zone erfül1t werden müssen.

Die sechs Berichte nach Art. 104/3 EG-Vertrag bilden eine Art Auftakt zu Defizitverfahren. Mit ihrem Beitritt am 1. Mai sind die neuen Mitglieder in die wirtschafts- und haushaltspolitische Zusammenarbeit und Überwachung einbezogen worden (Vgl. NZZ vom 29. 4. 04). Weil sie aber noch nicht zur Euro-Zone gehören, können Defizitverfahren nicht bis in die letzten beiden Stufen, die verstärkte Überwachung und Sanktionen, führen. Weil bei der Beurteilung der neuen Mitglieder zum Beispiel ein hohes Defizitniveau beim EU-Beitritt oder Wechselwirkungen zwischen Haushaltspolitik und Strukturwandel in Rechnung gezogen würden, könnten im Einzelfall die im Stabilitätspakt vorgesehenen «besonderen Umstände» zugestanden werden, vertritt die EU-Kommission. Dies erlaubt eine mehrjährige Anpassungszeit zur Korrektur des «übermässigen Defizits», während dieses im Normalfall im Folgejahr, konkret also bereits 2005, beseitigt werden muss.

"Brüssel" erwartet nun laut Wirtschaftskommissar Almunia, dass die Sechs in den mittelfristigen Haushaltsplänen (Konvergenzprogramme), die alle zehn neuen Staaten bis am Wochenende einreichen müssen, einen realistischen Zeitplan zur Defizitkorrektur vorlegen und dass dieser mit ihren Ambitionen für den mittelfristigen Euro-Beitritt übereinstimme. Unter Berücksichtigung dieser Programme will die Kommission im Juni Empfehlungen für die Haushaltskonsolidierung der Sechs aussprechen, so dass sich die Finanzminister am 5. Juli 04 damit befassen können. NZZ, 13. Mai 2004, S. 21


Ostgrenze der EU

Die EU-Kommission hat in einem am Mittwoch verabschiedeten Strategiepapier ihre Vorstellungen für die vor gut einem Jahr angeregte europäische Nachbarschaftspolitik (ENP) konkretisiert. Deren Grundidee ist eine enge Zusammenarbeit mit jenen Nachbarstaaten im Osten und Süden der Europäischen Union, die auch längerfristig keine Aussicht auf einen EU-Beitritt haben. Die ENP richtet sich in Europa an Russland, die Ukraine, Weissrussland und die Moldau und im Mittelmeerraum an die Teilnehmer am «Barcelona-Prozess» (ausser der Türkei), der die Mittelmeeranrainer von Syrien bis nach Marokko erfasst. Zudem schlägt die Kommission eine Ausweitung des Geltungsbereichs auf Armenien, Aserbeidschan und Georgien vor. Dank der ENP sollen diese Nachbarstaaten laut dem Erweiterungs-Kommissar Verheugen an den "Vorteilen" der erweiterten EU teilhaben. Es solle verhindert werden, dass die Erweiterung per 1. Mai neue Trennlinien schaffe. "Ein Ring verantwortungsvoll regierter Staaten" um die EU herum biete neue Perspektiven für Demokratie und Wirtschaftswachstum und sei daher im Interesse ganz Europas. Unter dem Dach der ENP sollen mit den einzelnen Nachbarstaaten massgeschneiderte Aktionspläne ausgearbeitet werden. Diese sollen auf einem Bekenntnis zu gemeinsamen Werten wie Menschenrechten, verantwortungsvoller Staatsführung und Marktwirtschaft beruhen und unter anderem einen politischen Dialog, die Aussicht auf Teilhabe am EU-Binnenmarkt und an EU-Programmen, eine Vernetzung von Energie und Verkehr, eine stärkere Marktöffnung und eine enge Zusammenarbeit in Bereichen wie Grenzschutz, Migration und Terrorismusbekämpfung umfassen. Die Kommission will sich zudem dafür einsetzen, dass ab 2007 die für die ENP zur Verfügung stehenden Finanzmittel stark aufgestockt werden. Für 2004 bis 2006 stehen hierfür 255 Millionen Euro bereit; hinzu kommen weitere 700 Millionen für die entsprechenden Grenzgebiete innerhalb der EU.

Die Aktionspläne sollen das Vorgehen in den nächsten drei bis fünf Jahren festlegen; der nächste Schritt könnte die Aushandlung europäischer Nachbarschaftsabkommen sein. Wie rasch die Beziehungen ausgebaut werden, wird im Einzelfall davon abhängen, inwiefern die Nachbarn die gemeinsamen Werte tatsächlich teilen. Bei manchen dieser Staaten kann die EU auf bestehenden Assoziations- beziehungsweise Partnerschafts- und Kooperationsabkommen aufbauen, bei anderen sind die Aussichten düsterer. So ist es laut dem Papier noch nicht möglich, Weissrussland alle Vorteile der ENP anzubieten, weil dort ein autoritäres System regiere.

Verheugen machte vor den Medien deutlich, dass alle ENP-Partner auf absehbare Zeit keine Aussicht auf einen EU-Beitritt haben. Die Westgrenze der ehemaligen Sowjetunion werde für relativ lange Zeit die Ostgrenze der EU bleiben. Eine Ausnahme bildeten die bereits zur EU gehörenden baltischen Staaten. Zudem verhandelt die EU mit Bulgarien und Rumänien längst über einen Beitritt, während die Türkei Kandidatenstatus noch ohne Verhandlungen hat und die Staaten des Westbalkans eine «Beitrittsperspektive» haben. Das Papier wird nun an den Ministerrat und das EU-Parlament weitergeleitet. NZZ, 13. Mai 2004, S. 3


Misstrauensantrag gegen die EU-Kommission abgelehnt

Am 3. Mai 2004 wurde im EU-Parlament in Strassburg ein Misstrauensantrag gegen die Kommission klar abgelehnt. Nur 88 Abgeordnete stimmten für den Antrag, 515 dagegen. Erforderlich wäre eine Zweidrittelmehrheit gewesen. Einige Abgeordnete hatten der Kommission vorgeworfen, im Zusammenhang mit millionenschweren Schwarzgeldkonten bei der Statistikbehörde Eurostat keine Verantwortung übernommen und auf die Fragen des Parlaments nur unzureichend geantwortet zu haben. Bei einem Erfolg des Antrags hätte die Kommission geschlossen zurücktreten müssen. Bereits Mitte April hatte das Parlament die Kommission für ihr Verhalten bei der Eurostat-Affäre kritisiert. Gleichzeitig lehnten die grossen Fraktionen mehrheitlich den Misstrauensantrag zum jetzigen Zeitpunkt ab. Zum einen seien wichtige Kommissare wie der für Eurostat zuständige Pedro Solbes nach seiner Rückkehr in die spanische Politik nicht mehr im Amt. Zum anderen befürchteten sie ein Vakuum, weil die Amtszeit der Kommission bereits im Herbst ausläuft. Es sei nahezu unmöglich, für diese kurze Zeit eine Übergangskommission einzusetzen. NZZ, 5. Mai 2004, S. 5


Avenir Suisse und Wachstum: Irrwitz entlarvt

Damit die Schweizer Wirtschaft im Wachstums-Wettlauf mithalten kann, müssen wir unzufrieden werden und die Demokratie abbauen. Das ist die Logik von Avenir Suisse und Co.

von Hanspeter Guggenbühl

Werden über die Wirtschaft Witze gerissen, so betreffen sie meist das Bruttoinlandprodukt, abgekürzt BIP: Heiratet ein Mann seine Haushälterin und macht sie zur Hausfrau - was bewirkt er damit? Er schmälert das BIP. Stossen zwei Jumbo-Jets über New York zusammen - was resultiert daraus? Das BIP wächst. Die Witze sind wahr. Die Realsatire besteht darin, dass beinahe alle Ökonomen, Unternehmer und Politiker dieses Witz-Produkt und seine Entwicklung zum Massstab nehmen, um das Wohl der Menschheit zu bewerten. Steigt das BIP, dann jubeln sie, sinkt es, so jammern sie und beklagen - weil Wachstum auch sprachlich ihr Mass aller Dinge ist - das «Negativ-Wachstum».

Der Jammer des Wohlgefühls

In der Schweiz herrscht seit Jahren Katzenjammer. Nicht etwa, weil die irrwitzige Brutto-Produktion nicht wächst (im Jahr 2003 war das reale BIP immerhin um 13 Prozent höher als 1990), sondern weil das BIP hierzulande langsamer wächst als in andern Ländern. Zu jenen, die den Wachstums-Wettlauf des BIP und die hintere Platzierung der Schweiz besonders intensiv verfolgen, gehört die Wirtschaftsstiftung «Avenir Suisse». Diese hat kürzlich zwei Bücher herausgegeben: «Ökonomik der Reform», mitverfasst vom altlinken Thomas Held, und «Wohlstand ohne Wachstum - eine Schweizer Illusion», mitverfasst vom neuliberalen Silvio Borner. Beide Bücher beklagen im Wesentlichen das Gleiche, das die Zusammenfassung zum Borner-Buch wie folgt formuliert: «In der Schweiz leben die Menschen nach wie vor auf einem sehr hohen Wohlstandsniveau. Gleichzeitig verzeichnete das Land in den vergangenen dreissig Jahren unter den OECD-Staaten das geringste Wirtschaftswachstum. Dank dem erreichten Wohlstand blieb die schweizerische Bevölkerung bisher von schmerzhaften Einschränkungen weit gehend verschont. Deshalb sind sich viele der Wohlstandsgefährdung durch ausbleibendes Wachstum noch nicht bewusst.»

Das Unglück der Schweiz besteht also darin, dass sich die Menschen in diesem Land zu wohl fühlen. «Der gefühlte Wohlstand ist auch in Zeiten mit objektiv niederen Wachstumsraten noch immer ausgesprochen hoch»" klagen Held und Mitautoren in «Ökonomik der Reform». Diese «Wohlstandsillusion» sei schuld an unserer «Wachstumsschwäche» und unserem «Reformstau».

Wachstum als Selbstzweck

Damit erfahren wir endlich, was im Leben wirklich zählt: Wohlfühlen ist schlecht, das Wachstum der Wirtschaft respektive des BIP ist gut. Damit wir das Gute wollen, müssen wir zuerst einmal unseren «gefühlten Wohlstand» überwinden, also uns ein Unwohl-Gefühl verschaffen. Dieses Unwohl-Gefühl ist laut Borner, Held & Co. die Voraussetzung, um die notwendigen Reformen einzuleiten, die unsere «Wachstumsschwäche» überwinden.

Was aber soll wachsen, welcher Teil des BIP? Die Autokäufe, damit die Staus noch länger werden? Die Krankheitskosten? Der vom Steuerhinterziehungsgeheimnis geschützte Finanzplatz? Die Südanflüge? Solche Fragen werden in beiden Büchern kaum thematisiert, geschweige denn beantwortet. Reformen und BIP-Wachstum sind hier nicht Mittel, um die Welt zu verbessern, sondern Selbstzweck. Und diesem Zweck hat sich das Wohlgefühl der Menschen unter zu ordnen.

Unsinnige Hochrechnungen

Um den «gefühlten Wohlstand» zu erschüttern, präsentieren uns Borner und sein Mitautor eine Tabelle. Diese zeigt, wie sich das teuerungs- und kaufkraftbereinigte BIP pro Kopf bis 2030 entwickelt, wenn die prozentualen Wachstumsraten zwischen 1970 und 2000 auf die nächsten dreissig Jahre fortgeschrieben werden. Resultat: Die Schweiz würde ihr BIP pro Kopf von heute 30 370 auf 41 350 US-Dollar im Jahr 2030 erhöhen - und trotzdem auf den 21. Rang in der OECD- Rangliste abrutschen. Irland hingegen würde, im gleichen Zeitraum sein BIP pro Kopf auf 100428 Dollar steigern und damit in dreissig Jahren auf das 3,5fache erhöhen. Der «Tages-Anzeiger» fand die Fortschreibung der vergangenen Wachstumsraten derart beeindruckend, dass er die Tabelle am 24. April 2004 abdruckte. Das macht den Unsinn solcher Extrapolationen allerdings nicht kleiner. Denn mit zunehmendem Wohlstand, so belegt ein Blick zurück, nehmen in Wirklichkeit die prozentualen Wachstumsraten in allen reichen Industriestaaten ab.

Ein Rückgang der Wachstumsraten ist nicht nur logisch, sondern überlebenswichtig. Denn ein gleichbleibender prozentualer Zuwachs führt in absoluten Zahlen zu einem exponentiellen und damit völlig unrealistischen Wachstum. Das lernt jeder Primarschüler. Hätten Borner und Bodmer ihre Tabelle noch zwanzig Jahre weiter hochgerechnet, dann wären sie zum Resultat gekommen, dass Irland im Jahr 2050 pro Kopf bereits achtmal mehr Güter- und Dienste konsumieren müsste als heute - und damit hätte vielleicht auch der «Tages-Anzeiger» den Irrwitz dieser Tabelle erkannt.

Staats- und Sozialabbau

Um die Position der Schweiz im globalen Wachstums-Wettlauf zu verbessern, schlagen alle Autoren die alten neoliberalen «Reformen für den Aufbruch» vor, nämlich: Mehr Wettbewerb mittels Deregulierung, weniger Staatsausgaben und weniger Sozialleistungen. Weil aber die Volks-Mehrheit in ihrem Wohlgefühl voraussichtlich zu dumm ist, diesen Medikamenten-Cocktail zu schlucken, braucht es laut Borner auch folgende «politisch-institutionellen Reformen»: Bereiche mit grossem staatlichem oder politischem Einfluss sind zu entpolitisieren. Individualrechte sind gegenüber Volksrechten zu stärken. «Status-quo-freundliche Vetomöglichkeiten im System müssen eingeschränkt werden», etwa durch Erschwerung von Referenden und Initiativen. Fazit: Um das BIP-Wachstum in der - durchschnittlich - satten Schweiz auf Teufel komm raus anzukurbeln, muss das Volk seine demokratischen Rechte abbauen. Und wenn es das nicht tut, bleibt Borner und Co. immer noch die Hoffnung auf sportliche Frustration: «Überholt aber ein Land nach dem anderen die Schweiz im kaufkraftbereinigten Pro-Kopf- Einkommen, wird sich das (angebliche) Glücksgefühl der Schweizer kaum mehr lange aufrecht erhalten lassen.» Deutlicher hat bisher noch niemand den Widerspruch zwischen Wachstumszwang und Wohlbefinden entlarvt.

"Wohlstand ohne Wachstum» Silvio Borner, Frank Bodmer: OF-Verlag, 2004, 44 Franken. "Ökonomik der Reformen», Thomas Held, Hans Rentsch, Thomas Straubhaar u.a., OF-Verlag 2004, 39.80 Franken. (PS, 17/04 6. Mai, AZ 8026 Zürich).


EU verspricht Abkommen über Rückübernahme

Die EU hat sich in den Verhandlungen über das Schengen-Abkommen dazu bereit erklärt, bei ihren Vertragspartnern auch für Rückübernahmeabkommen mit der Schweiz zu werben (Anfangs Mai 04). Solche Abkommen fördern die Rückschaffung von abgelehnten Asylbewerbern. Die Schweiz hat bisher mit 34 Staaten derartige Verträge abgeschlossen. Weitere Verhandlungen laufen, wobei das Schwergewicht auf Russland, Georgien und afrikanischen Ländern liegt. Wie Andrea Rauber vom Integrationsbüro sagte, hat sich die EU in der gemeinsamen Erklärung zur Schlussakte des Schengener Vertrages dazu bereit erklärt, in ihren Verhandlungen mit den Herkunftsländern darauf zu drängen, dass der jeweilige Verhandlungspartner auch mit der Schweiz ein ähnliches Abkommen abschliesst. Die Schweiz könne dadurch von der Verhandlungsmacht der EU profitieren, sagte Rauber. Die EU verhandle derzeit mit acht oder neun Staaten, die auch auf der Wunschliste der die Schweiz regierenden Kräfte stünden. Mit "Erfolg" wenden bereits Norwegen und Island dieses "Kooperationsmodell" an. NZZ. 5. Mai 2004. S. 17


Das Zitat zum EWR

"Im übrigen ist "Schengen" [] in keiner Weise mit dem EWR-Vertragswerk vergleichbar, das die weitgehende Übernahme der Regelungen des EG-Binnenmarktrechts (insbesondere auch Freiheiten des Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehrs) durch die EFTA-Staaten vorsieht und insgesamt die Kompetenzen von Bundesversammlung und Stimmbürgern massiv beschnitten hätte", Prof. Daniel Thürer, bekannter Euro-Turbo, NZZ, 27. Mai, 04, S. 27)


Personenfreizügigkeit

Ab 1. Juni 04 haben Schweizer und Schweizerinnen freien Zugang zum Arbeitsmarkt der alten EU. Das Abkommen über die Personenfreizügigkeit mit den bisherigen 15 EU-Staaten wird seit dem 1. Juni 2002 angewendet. Seit diesem Zeitpunkt sind EU-Ausländer den Schweizern rechtlich weitgehend gleichgestellt. Die Übergangsregelung sah für die Zulassung zum Arbeitsmarkt bisher drei Einschränkungen vor. So haben inländische Arbeitskräfte noch immer Vorrang vor Bewerbern aus EU und EFTA, und für die Zuwanderung gelten zahlenmässige Beschränkungen. Zudem muss jeweils individuell kontrolliert werden, ob die Löhne und die Arbeitsbedingungen ortsüblich sind und dem Normalfall in den entsprechenden Branchen entsprechen. Nach zwei Jahren wird nun die zweite Phase des Übergangsregimes eingeläutet: Der Vorrang inländischer Arbeitskräfte und die individuelle Kontrolle der Lohn- und Arbeitsbedingungen in der Schweiz für Angehörige der 15 alten EU-Länder fallen nun weg. Was bleibt, ist die Kontingentierung. NZZ, 18. Mai 04, S. 16


Atomkraft wieder im Aufwind?

Das staatliche rumänische Atomenergieunternehmen SNN kann sich freuen: Ende März 04 genehmigte die EU-Kommission ein Euratom1-Darlehen für die Fertigstellung des Blocks 2 des Atomkraftwerks Cernavodä. Bei der Fertigstellung dieses Blocks sollen nach Angaben der Kommission international anerkannte Sicherheitsstandards eingehalten werden. Das Atomkraftwerk Cernavodä befindet sich am Nordufer des Donau-Schwarzmeer-Kanals nahe der bulgarischen Grenze. Euratom finanziert das Projekt mit zusammen mit den Darlehensgebern der Ausfuhrkreditanstalten Italiens, Frankreichs, Kanadas und der USA mit einem langfristigen Darlehen, wobei die EU 223,5 Mio. Euro übernimmt. Die Gesamtprojektkosten sind auf 777 Mio. Euro veranschlagt worden. Ein Teil wird auch vom rumänischen Staat und dem betroffenen Unternehmen selbst aufgebracht. Die Grünen-Abgeordnete und Mitglied des EU-Parlaments Hiltrud Breyer nennt die Vergabe des Kredites "skandalös". 1994 habe der Rat entschieden, dass Euratom-Kredite außerhalb der Mitgliedstaaten zur Finanzierung von Projekten zur Erhöhung der Sicherheit und Effizienz von Atomkraftwerken verwendet werden sollen, also nicht zur "Fertigstellung". Wenn die Kommission diesen Nachweis nicht erbringen könne, offenbare sie erneut ihre "Drahtzieher- und Handlangerfunktion für die Atomindustrie". .. DNR-EU-Rundschreiben, Mai 04, S. 33


Klimaschädliche Kühlanlagen sollen unkontrolliert bleiben

Das EU-Parlament hat Ende März 04 die vom Umweltausschuss vorgeschlagene Verschärfung der Kontrollen von klimaschädlichen fluorierten Gasen (F-Gase) abgelehnt. Der vom Parlament beschlossene Richtlinienentwurf basiert auf der Eindämmung statt auf dem Ersatz von F-Gasen wie z.B. Hydrogen-Fluor-Kohlenwasserstoffen (HFC). Damit kommt die Entscheidung den Forderungen der Tiefühlindustrie und der Hersteller von fluoriertem Kohlenwasserstoff nach. Bei Umweltgruppen stieß sie auf große Verärgerung. Die Anti-HFC-Gruppe "Mipiggs" bezeichnete die Abstimmung als einen "desatrösen Rückschritt für den Klimaschutz".

Zwar übernahm das Parlament den Vorschlag des Umweltausschusses, HFCs in Klimaanlagen von Fahrzeugen stufenweise zu verbieten, allerdings verschob es - zur Freude der Autoindustrie und zur Enttäuschung des Climate Action Network (CAN) - den Starttermin für das Verbot zwei Jahre nach hinten auf 2011. Darüber hinaus stimmte das EU-Parlament gegen eine Höchstgrenze für HFC-Emissionen aus mobilen Klimaanlagen, die ab 2005 gelten sollte.

Statt dessen forderte das Parlament, dass zuerst standardisierte Messmethoden entwickelt werden sollen. Auch der Vorschlag des Ausschusses, die Bestimmungen über F-Gase in die Binnenmarkt-Vorschriften des EU-Vertrages zu integrieren, wurde abgelehnt. Damit hätten die Mitgliedstaaten eigene schärfere Kontrollen einführen können. Schließlich überstimmte das Parlament Beschlüsse des Umweltausschusses, HFCs vom Isolierschaumstoff alter Kühlschränke zurück zu gewinnen sowie die Nutzung von HFCs in stationären häuslichen und industriellen Klimaanlagen und Kühlgeräten komplett zu verbieten. DNR-EU-Rundschreiben, Mai 04, S. 27


Eine Milliarde Franken für die EU-Osterweiterung

Der Bundesrat will sich mit einer Milliarde Franken am Ausbau der EU beteiligen (12. Mai 04). Die Erweiterung der Union sei ein wesentlicher Beitrag zu Frieden, Stabilität und Prosperität in Europa, von dem auch die Schweiz profitiere, heisst es in einer Mitteilung des Integrationsbüros. Die Schweiz sei deshalb grundsätzlich bereit, sich über die Zeitdauer von fünf Jahren mit dem Betrag von jährlich 200 Millionen Franken an der Förderung der sozialen und wirtschaftlichen Kohäsion in Europa zu beteiligen. Der Bundesrat bekräftigte zudem, dass der Betrag in Form von Projekten geleistet werde, die von der Schweiz autonom verwaltet würden. Die Finanzierung muss laut Bundesrat kostenneutral erfolgen. Das Geld wird im Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) und im Volkswirtschaftsdepartement (EVD) gespart. Wo genau, ist noch unklar. Die detaillierten Fragen über Finanzierung und Umsetzung der Massnahmen will der Bundesrat zu einem späteren Zeitpunkt klären. NZZ, 13. Mai 2004, S. 13


Schröder für Änderungen am Euro-Stabilitätspakt

Der deutsche Bundeskanzler Schröder hat am 12. Mai 04 erstmals offen für Veränderungen am europäischen Stabilitätspakt plädiert. Sinnvolle Ergänzungen, über die die EU- Kommission und andere diskutierten, würden von der deutschen Regierung und auch von den Regierungsparteien SPD und Grüne «positiv begleitet», sagte Schröder am Mittwoch in Potsdam. Unter den europäischen Partnern müsse in den nächsten Monaten darüber diskutiert werden, ob die Defizitobergrenze von drei Prozent des Bruttoinlandproduktes (BIP) das einzige ökonomisch vernünftige Kriterium sei, das man beachten müsse. NZZ, 13. Mai 2004, S. 1

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