GATS hebelt Demokratie aus
Das GATS-Abkommen (General Agreement on Trade in Services) ist ein internationaler Rechtsvertrag, den alle 149 WTO-Mitglieder einhalten müssen und der tief in die nationale Politik eingreift. So fordert der Artikel VI des GATS, dass innerstaatliche Regelungen - also beispielsweise Umweltschutzgesetze in der Schweiz – „angemessen, objektiv und unparteiisch angewendet werden und keine unnötigen Hemmnisse für den Dienstleistungshandel darstellen“ sollen. Gesetze, Verordnungen und Massnahmen werden aus der Sicht der WTO hauptsächlich als Handelsschranken angesehen, die den weltweiten Austausch von Dienstleistungen behindern. Im Konfliktfall soll die WTO-Streitschlichtung urteilen, ob eine Massnahme als angemessen, objektiv und unparteiisch gilt. Dadurch wird für Regierungen die Möglichkeit, ihre Tourismus- und Investitionspolitik angemessen zu regulieren, auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene empfindlich eingeschränkt. Speziell im Tourismus, der von attraktiven, unverbauten Landschaften und der grosszügigen Gastfreundschaft der lokalen Bevölkerung lebt, ist es wichtig, dass nachhaltige und faire Initiativen gezielt gefördert werden können. So sollen lokale Regierungen Gesetze zu Eigentums- und Grundstückrechten zugunsten der lokalen Bevölkerung erlassen können oder zum Beispiel Konzessionen an Hotels vergeben, die besonders viele Arbeitskräfte aus der lokalen Bevölkerung beschäftigen, Baustoffe, Lebensmittel und Handwerk aus der Gegend bevorzugen und eine sorgfaltige Energie- und Wasserpolitik betreiben.
Indem die GATS-Regelungen auch auf lokaler Ebene gelten, erleiden wichtige Dezentralisierungsprozesse, wie sie in einzelnen Ländern angestrebt werden, einen empfindlichen Rückschlag, So gesteht zum Beispiel die indische Zentralregierung den Gemeinden in den einzelnen Bundesstaaten erst seit 1992 einen grösseren politischen Handlungsspielraum zu. Dieser neu geschaffene Raum ist nun aber durch das GATS wieder in Frage gestellt. Dazu meint K. T.Suresh, früherer Koordinator der indi schen Nichtregierungsorganisation «Equations»: «Jetzt, wo wir seit kurzem erlernen, Demokratie auf Gemeindeebene zu verankern, geraten diese Prozesse durch das mul- tilaterale GATS-Abkommen, das sich bis auf die lokale Ebene auswirkt, in Gefahr.»
Insbesondere die Industrieländer fordern von den Entwicklungsländern, Regulierungsmassnahmen zu beseitigen, die jedoch aus entwicklungspolitischer Sicht sehr sinnvoll sind. Vorschriften, die ausländische Firmen zur Zusammenarbeit mit lokalen Firmen verpflichten, müssen z.B. abgeschafft werden. Auch die steuerliche Bevorzugung lokaler Anbieter zur gezielten
Förderung einer lokalen Entwicklung soll nicht länger erlaubt sein. Oder von einer ausländischen Firma darf nicht länger gefordert werden, sie müsse lokales Personal beschäftigen. Auch der vielerorts angewandte Wirtschaftlichkeitstest, der geplante Investitionen daraufhin prüft, ob sie wirtschaftlich überhaupt sinnvoll sind oder nicht, ist in Zukunft verboten. Und es darf keine Auflage mehr geben, dass ein Teil des Gewinns einer ausländischen Firma im Gastland verbleiben muss. (WTO-Pauschalarrangement: GATS und nachhaltiger Tourismus: Ein Widerspruch, Erklärung von Bern, 2006).
Die Schweiz ist an vorderster Front dabei, wenn es darum geht, die GATS-Instrumente noch zu verschärfen. Gravierend ist das Demokratiedefizit: Obwohl solche neuen Instrumente tief in den Handlungsspielraum von Regierungen auf kommunaler, kantonaler und nationaler Ebene eingreifen werden, haben zur Schweizer Position keine Konsultationen stattgefunden, gab es keine breite Vernehmlassung. Laut Auskunft des Staatssekretariats für Wirtschaft SECO wurden nicht einmal die anderen Bundesämter kontaktiert. Eine Diskussion darüber, inwiefern die GATS-Bestimmungen das Recht beeinträchtigen, innerstaatliche Regulierungen zu erlassen und aufrechtzuerhalten, ist dringend notwendig. WoZ, 2. November 2006, S. 7.
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Den neuen EU-Ländern laufen die Fachkräfte weg
Die Zuwanderer der neuen EU-Länder in die alten verdrängten das bestehende legale Arbeitsangebot nicht, sondern ergänzen es. Die drei Länder Schweden, Irland und Grossbritannien, welche keine Restriktionen bezüglich der Freizügigkeit eingeführt hatten, profitierten von den meist überqualifizierten Zuwanderern und könnten jetzt mehr Wachstumskraft entfalten.
Nicht ganz so günstig fällt die Bilanz freilich in Bezug auf die Emigrationsländer aus. Vor allem in den baltischen Staaten mit ihrer ganz besonders wanderungsfreudigen Bevölkerung fehlen laut der Studie nun die Fachkräfte. Die Folgen seien Lohnauftrieb und Probleme mit der Inflation. Weiter sei zu be- fürchten, dass die Wachstumskraft der Länder mit besonders grosser Abwanderung gedämpft und dass dort die von der wirtschaftlich aktiven Bevölkerung zu tragende Umverteilungslast zugunsten des rasch wachsenden Heeres von Rentnern allzu gross werde. Anderseits profitieren die drei baltischen Staaten gemäss der Weltbank mit ihren chronisch sehr hohen Leistungsbilanzdefiziten
von den wachsenden Geldtransfers (Rimessen) ausgewanderter Arbeitskräfte. Sollten diese in Zukunft wieder zurückkehren, werde ihnen zusätzliches «human capital» zufliessen.
Die gleichen Phänomene lassen sich aber auch in den industriellen Ballungsräumen zwischen Budapest und Prag nachweisen: Es fehlt an Facharbeitern - bei gleichzeitig hoher Arbeitslosigkeit unter den schlechter ausgebildeten oder gesellschaftlich marginalisierten Bevölkerungsteilen. Zu Letzteren gehören hauptsächlich die Roma.
Die Behörden in den neuen EU-Ländern beurteilen die Lage an den Arbeitsmärkten denn auch mit zunehmendem Pessimismus. Im Verlauf des Aufschwunges der letzten Jahre habe sich die Beschäftigung zwar spürbar verbessert, es bleibe jedoch ein erheblicher Teil struktureller Arbeitslosigkeit, der sich auch im Fall einer Fortsetzung des günstigen Konjunkturverlaufes kaum weiter senken lasse.
In typischer Weltbankmanier fordert diese Bastion des Rechtsliberalismus einen weiteren Abbau der Lohnnebenkosten und «in einigen Fällen» auch geringere soziale Zuwendungen an die Arbeitslosen. Ausserdem legt sie den neuen EU-Mitgliedern nahe, die eigenen Immigrationsgesetze zu lockern, um den Facharbeiter-Bedarf mit Zuwanderern aus den östlichen Nachbarstaaten zudecken.
Die Regierungen werden aber auch aufgefordert, in ihrem Haushalt «Raum zu schaffen» für höhere Löhne in besonders abwanderungsgefährdeten öffentlichen Tätigkeiten (etwa den Spitälern) oder für höhere Investitionen in Bereichen, die unter lohnbedingten Kostensteigerungen leiden (etwa der Bausektor). «Raum schaffen» heisst laut der Weltbank auch, dass die Ausbildungskosten künftig vermehrt über Abgaben zu finanzieren seien, zumindest in den höheren Stufen (Hochschule, Fachausbildung), von denen später hauptsächlich private oder ausländische Arbeitgeber profitieren. NZZ, 14. November 06, S. 25
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Dienstleistungsrichtlinie: Weiterer Brüsseler Liberalisierungsschub
Das EU-Parlament hat am Mittwoch am 15. November einen Gesetzgebungsvorschlag zur Öffnung der Dienstleistungsmärkte in der EU verabschiedet. Damit findet ein fast dreijähriges erbittertes Ringen ein Ende. Die Richtlinie zur grenzüberschreitenden Öffnung der Dienstleistungsmärkte in der EU hat das EU-Parlament in Strassburg mit grosser Mehrheit in zweiter Lesung gebilligt. Damit hat die Dienstleistungsrichtlinie die letzte politische Hürde genommen. Nach Abschluss letzter Formalitäten und der Publikation im Amtsblatt werden die Mitgliedstaaten drei Jahre Zeit für die Umsetzung in nationales Recht haben.
Inhaltlich haben die Abgeordneten jenen auch von der EU-Kommission unterstützten Vorschlag bestätigt, den sie im Februar in erster Lesung geschmiedet hatten und der im Mai vom mitent- scheidenden Ministerrat (Gremium der Mitgliedstaaten) korrigiert worden war. Sie übernahmen nun den Text des Ministerrats ohne weitere Änderungen in der Substanz.
Im Vergleich zum ursprünglichen Kommissionsvorschlag vom Januar 2004 wird der Kompromiss aber zu einer etwas weniger massiven Liberalisierung führen. Denn er kam, nicht zuletzt unter dem von Gewerkschaften und Globalisierungsgegnern auf die Strasse getragenen Druck, nur dank einer leichten Abschwächung des Vorhabens zustande.
Der EU-Binnenmarktkommissar Charlie McCreevy lobte das Ergebnis als realistische und praktikable Lösung. Laut der für das Dossier zuständigen Berichterstatterin im EU-Parlament, der Sozialdemokratin Evelyne Gebhardt, ist die Dienstleistungsfreiheit sozial und fair gestaltet worden. Der Europäische Gewerkschaftsbund sprach von einer Erfolgsgeschichte, konservative EP-Abgeordnete bezeichneten das Resultat als ausgewogenen Kompromiss zwischen nötiger Liberalisierung und gerechtfertigtem Schutz von Konsumenten und Arbeitnehmern. Kritik kam unter anderem von den französischen Sozialisten und den Grünen, denen die Öffnung zu weit geht, und von einzelnen Liberalen, die umgekehrt die Verwässerung beklagten.
Ziel der Richtlinie ist es, Hindernisse für die Niederlassung von Dienstleistungsanbietern in anderen Mitgliedstaaten sowie für den grenzüberschreitenden Handel mit Dienstleistungen abzubauen. Hierzu sollen auf nationaler Ebene die Verfahren vereinfacht und einheitliche Ansprechstellen geschaffen werden. Davon betroffen sind eine Vielzahl von Sektoren vom Architekten bis zur Unternehmensberatung, aber auch der «plombier polonais», der Installateur aus Polen, der mit seinen Dumpingangeboten in Frankreich Kritik ausgelöst hatte. Neben Branchen, die die EU - wie die Finanzdienstleistungen - bereits separat geregelt hat, werden manche Sektoren ausgenommen, vom Gesundheitswesen (einschliesslich privater Dienstleistungen) bis zu Glücksspielen.
Fallengelassen worden ist das umstrittene Herkunftslandprinzip für die grenzüberschreitende Erbringung von Dienstleistungen. Laut diesem wäre ein Dienstleistungsanbieter für die Aufnahme und Erbringung einer Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat - abgesehen von Ausnahmen - nur den Vorschriften seines Herkunftslandes unterstellt. Stattdessen wird nun unter dem Titel «Dienstleistungsfreiheit» zwar festgehalten, die Mitgliedstaaten hätten das Recht der Anbieter zu achten, Dienstleistungen in einem anderen EU-Staat zu erbringen. Doch können sie Anbietern aus anderen Staaten Auflagen aus Gründen der öffentlichen Ordnung, der öffentlichen Sicherheit, des Umweltschutzes und der öffentlichen Gesundheit machen. Auch dürfen sie ihre eigenen Bestimmungen über Beschäftigungsbedingungen anwenden. NZZ, 16. November 06, S. 23
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EU-Verhandlungen über Arbeitszeit-Regeln gescheitert
Die EU-Arbeitsministerhaben sich Anfangs November 06 bei einer Sondersitzung nicht auf eine Revision der geltenden Arbeitszeit-Vorschriften einigen können. Zentraler Stolperstein war das Opt-out von der Höchstarbeitszeit von durchschnittlich 48 Wochenstunden: Unter der bisherigen EU- Richtlinie können die Mitgliedstaaten unter bestimmten Bedingungen, darunter die Zustimmung des Arbeitnehmers, Überschreitungen dieser Limite zulassen. Laut einem Kompromissvorschlag der finnischen Ratspräsidentschaft sollte das Opt-out vorerst beibehalten, aber mit schärferen Bedingungen versehen werden. Doch Frankreich, Italien, Spanien, Griechenland und Zypern, die gemeinsam eine Sperrminorität aufbringen, bestanden auf einem festen Datum für die Abschaffung des Opt-outs, was wiederum die Briten und deren Alliierte nicht akzeptierten. An dieser Frage sind bereits mehrere Anläufe zur Einigung gescheitert.
Wie es weitergeht, ist unklar: EU-Arbeitskommissar Spidla will verschiedene Möglichkeiten prüfen, darunter den Rückzug des Revisionsvorschlags. Auch müsse die Kommission nun gegen jene Staaten vorgehen, die nicht im Einklang mit dem geltenden Recht stünden. Dies ist vor allem bei Bereitschaftsdiensten von Kliniken der Fall. Das entsprechende Problem, das sich durch ein folgenreiches Urteile des EU-Gerichtshofs ergab, hätte die Revision ebenfalls lösen sollen. Es geht dabei um folgendes: Die derzeitige EU-Arbeitszeitrichtlinie detaillert nur Arbeits- und Ruhezeit, während sie sich zu Bereitschaftsdiensten ausschweigt. Unter diesen Umständen, befand der Europäische Gerichtshof (EuGH) in mehreren Urteilen, müssten Bereitschaftsdienste von Ärzten zur Arbeitszeit gezählt werden, wenn der Arzt während des gesamten Dienstes - also auch wenn er keinen Einsatz hat - im Spital anwesend sein müsse. Diese Urteile stellen das Gesundheitssystem vieler EU-Mitglieder vor grosse Probleme, fehlt es doch am Geld und oft auch an verfügbaren Personal, um die Arbeits- und Ruhezeitvorschriften unter Berücksichtigung der EuGH-Interpretation einzuhalten. NZZ, 7. November 06, S. 29; NZZ, 8. November 06, S. 23.
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