Institutionelles Rahmenabkommen mit der EU: Burkhalter hält an seiner Strategie fest Parallel zu den Gesprächen um eine Schutzklausel verhandelt die Schweiz mit der EU weiter um ein institutionelles Rahmenabkommen – und zwar getreu dem bisherigen Verhandlungsmandat vom Dezember 2013. Es bestehe seitens der EU weiterhin Gesprächsbereitschaft, sagte Aussenminister Didier Burkhalter. Damit tritt Burkhalter Informationen aus regierungsnahen Kreisen entgegen, die im Oktober erklärt hatten, die Verhandlungen seien an einem toten Punkt (NZZ 23. 10. 15). Zudem hatte der Präsident des EU-Gerichtshofes (EuGH), Koen Lenaerts, unlängst gegenüber der Fernsehsendung «10 vor 10» gesagt, eine Lösung, wie sie dem Bundesrat vorschwebt, sei «EU-verfassungsrechtlich nicht möglich».
Burkhalter räumt ein, dass es im entscheidenden Punkt, bei der Streitbeilegung, weiterhin keine Einigung gebe. Die EU beharrt darauf, dass der EuGH in Streitfällen über die Auslegung der bilateralen Verträge verbindlich entscheidet. Der Bundesrat will hingegen, dass der EuGH bloss «eine verbindliche Rechtsauslegung» abgibt. Der Entscheid über die Konsequenzen aus dieser Rechtsauslegung müsse unbedingt Sache der Politik bleiben, sagte Burkhalter. «Wir wollen keine fremden Richter.» Sollte die Schweizer Politik sich der Rechtsauslegung des EuGH nicht unterwerfen, wäre die EU berechtigt, im Gegenzug Sanktionen zu ergreifen. Wie diese aussähen, ist ebenfalls noch Gegenstand der Verhandlungen.
Offenbar glaubt Burkhalter trotz den Brüsseler Widerständen weiterhin an eine Lösung. Jedenfalls soll noch im Dezember eine weitere Gesprächsrunde über das Rahmenabkommen stattfinden – die elfte insgesamt. Auf Schweizer Seite führt der Chef der Direktion für Europäische Angelegenheiten, Henri Gétaz, die Verhandlungen.
Burkhalter machte auch klar, dass eine alternative Lösung mit den Efta-Institutionen, so wie sie hie und da wieder gefordert wird, «keine gleichwertige Option» sei. Beim Efta-Gerichtshof handle es sich definitiv um fremde Richter, auch wenn ein Schweizer Richter dort dabei wäre. Die Schweiz hätte Entscheide des Efta-Gerichts zu akzeptieren, von der EU würden sie aber nicht als verbindlich anerkannt. Zudem brächte die Efta-Lösung eine sehr aktive Überwachungsbehörde mit sich, während bei der vom Bundesrat präferierten Lösung die Schweiz selber die Einhaltung des EU-Rechts überwachen würde, sagte Burkhalter.
Man sei sich mit der EU in drei von vier Fragen einig (keine automatische Rechtsübernahme, autonome Überwachungsbehörde und Rechtsauslegung durch den Europäischen Gerichtshof). Einzig bei der Frage, ob die EuGH-Entscheide verbindlich seien und wie ein allfälliger Verstoss der Schweiz mit Sanktionen belegt würden, sei man sich noch nicht einig, sagte Burkhalter. NZZ, 5. Dezember 2015, S. 17.
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Freihandelsabkommen EU-Vietnam: Erster Vertrag mit Investitionsgericht «Done deal with Vietnam», frohlockte die EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström am Mittwoch, den 2. Dezember 2015, in ihrem Blog. Die beiden Verhandlungs-Partner haben gleichentags anlässlich eines Besuchs einer hochrangigen Delegation unter Leitung des vietnamesischen Ministerpräsidenten Nguyen Tan Dung in Brüssel die Verhandlungen über das Freihandelsabkommen formell abgeschlossen. Schon Anfang August hatten sie eine politische Grundsatzeinigung gemeldet, mit dem Zusatz, es seien noch «einige offene technische Fragen» zu klären.
Laut Malmström hat Vietnam dem neuen EU-Ansatz für die Beilegung von Konflikten zwischen Staaten und ausländischen Unternehmen zugestimmt. Hierfür soll ein permanentes, zweistufiges Gerichtssystem anstelle der bisher in vielen solchen Verträgen vorgesehenen privaten Ad-hoc-Schiedsgerichte eingerichtet werden.
Die EU-Kommission hat ihre einschlägigen Vorstellungen im September präsentiert und bekundet, den neuartigen Investorenschutz in alle laufenden und künftigen Verhandlungen mit Drittstaaten einbringen zu wollen. Der Hauptadressat sind die USA, weil die Schiedsgerichte zu den Hauptkritikpunkten der europäischen Gegner des geplanten Freihandelsabkommens der EU mit den USA (TTIP) zählen. Die Kommission hat den Vorschlag im November auch den USA offiziell vorgelegt. Noch ist aber unklar, wie diese reagieren werden – und wieweit der neue Ansatz die TTIP-Gegner zu besänftigen vermag.
Malmström betonte, das Abkommen mit Vietnam sei eine gute Nachricht für beide Seiten. Vietnam habe eine pulsierende Wirtschaft mit über 90 Mio. Konsumenten, einer wachsenden Mittelklasse sowie jungen und dynamischen Arbeitskräften. Sein Markt biete viele Möglichkeiten für Agrar-, Industrie- und Dienstleistungsexporte aus der EU.
Wie bereits im August mitgeteilt wurde, sieht das Abkommen beidseits die Abschaffung von über 99% der Zölle vor. 65% der Einfuhrzölle auf Güter aus der EU werde Vietnam bei Inkraftsetzung des Abkommens und den Rest im Verlaufe von zehn Jahren aufheben, erklärte Brüssel damals. Die EU werde ihre Zölle über eine Sieben-Jahres-Periode eliminieren. Zu den weiteren Elementen des Vertrags gehört unter anderem eine teilweise Öffnung des vietnamesischen öffentlichen Beschaffungswesens sowie einer breiten Palette von Dienstleistungssektoren, darunter Banken und Versicherungen, für Anbieter aus der EU. Hinzu kommt der Schutz von sogenannten geografischen Angaben. So dürfen beispielsweise künftig in Vietnam nur noch Produkte aus den traditionellen Hersteller-Regionen in der EU als Champagner, Roja-Wein oder Scotch-Whisky verkauft werden. Umgekehrt anerkennt die EU den Schutz vietnamesischer Bezeichnungen wie zum Beispiel MocChau-Tee. Malmström hob hervor, dass das Freihandelsabkommen auch ein «robustes und umfassendes» Kapitel über Handel und nachhaltige Entwicklung enthalte, das unter anderem eine Verpflichtung auf die Kernkonventionen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) festschreibe.
2014 erreichte der Warenhandel zwischen der EU und Vietnam ein Volumen von 28,2 Mrd. € (beide Richtungen). Für die EU ist es das zweite Freihandelsabkommen mit einem Asean-Staat nach jenem mit Singapur. Die zwei Verträge seien Bausteine im Streben nach einem regionalen Abkommen zwischen der EU und der Association of Southeast Asian Nations (Asean), betonte Malmström. Der mit Vietnam vereinbarte Text werde in wenigen Wochen publiziert. Folgen würden die juristische Prüfung und die Übersetzungen, danach werde man ihn dem Ministerrat (Mitgliedstaaten) und dem EU-Parlament zur Ratifikation vorgelegen, fügte sie an.
Auch die Efta (Schweiz, Norwegen, Island, Liechtenstein) führt derzeit Freihandelsverhandlungen mit Vietnam, die aber noch nicht abgeschlossen sind. NZZ, 3. Dezember 2015, S. 27
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