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Kurzinfos Juni 2010 Vor- und Nachteile der Landsgemeinde-Demokratie
Der Vergleich von Landsgemeinde-Demokratien mit der anderer Kantone ergibt erstens, dass Landsgemeindekantone ihren Bürgern im Durchschnitt mehr und deutlich leichter zugängliche direktdemokratische Rechte bieten als Urnenkantone. Die Hürden zur Ergreifung von Referenden und Initiativen liegen niedriger: In Versammlungskantonen werden weniger Unterschriften benötigt - oft
reicht sogar eine einzige -, für deren Sammlung werden längere Fristen gewährt, und Ausgabenbeschlüsse unterstehen bereits ab geringen Beträgen dem Referendum.
Zweitens finden in Landsgemeindekantonen deutlich mehr Sachabstimmungen statt: Während an jeder Landsgemeinde durchschnittlich mehr als zwölf Abstimmungen durchgeführt werden, liegt der Durchschnittswert für Urnenkantone bei rund fünf Sachvorlagen pro Jahr. Die Landsgemeinde begünstigt demnach nebst der Zugänglichkeit auch die effektive Nutzungshäufigkeit direktdemokratischer Instrumente.
Drittens aber zeigen die Daten zur Stimmbeteiligung - selbst wenn die Teilnehmerzahlen für die Landsgemeinden grosszügig geschätzt werden -, dass auch in Landsgemeindekantonen die Bäume nicht in den direktdemokratischen Himmel wachsen: In den Urnenkantonen macht regelmässig ein um zehn bis zwanzig Prozent höherer Anteil der Stimmbürger vom direktdemokratischen Stimmrecht Gebrauch. Alle drei genannten Ergebnisse gelten nicht nur für einen Vergleich der heutigen Landsgemeinde- und Urnenkantone. Auch ein Vorher-Nachher-Vergleich zur Entwicklung jener drei Kantone, welche die Landsgemeinde abgeschafft haben, stützt die gemachten Befunde.
So hat in Nidwalden, Obwalden und Appenzell Ausserrhoden seit dem Systemwechsel ein gewisser Abbau bei den verfügbaren direktdemokratischen Instrumenten stattgefunden, und die institutionellen Hürden zu deren Ergreifung sind erhöht worden; die Anzahl Sachabstimmungen pro Jahr ist überall deutlich zurückgegangen; und alle drei Kantone weisen eine höhere Stimmbeteiligung auf als noch zu ihren Landsgemeinde-Zeiten.
Dabei hat die Abschaffung von Landsgemeinden nicht zu einem langsamen Prozess der Anpassung an die Urnenkantone geführt, sondern zu einem sofortigen Wechsel auf deren Niveau oder sogar darüber hinaus. Diese Ergebnisse belegen erstmals und in bemerkenswerter Eindeutigkeit Zusammenhänge, welche bisher nur vermutet werden konnten. Sie zeigen zudem, dass sowohl Landsgemeinde- als auch Urnensystem gewisse Stärken, aber auch gewisse Schwächen haben. Eine umfassende Bewertung der beiden Systeme wird deshalb erst dann möglich sein, wenn neben der direkten Demokratie noch weitere Aspekte von Demokratiequalität untersucht sind (NZZ, 5. Juni 2010, S. 15, Hans-Peter Schaub, Politikwissenschafter an der Universität Bern, vom Ergebnisse eines vom Schweizerischen Nationalfonds finanziertes Forschungsprojekt «Demokratiequalität in den Schweizer Kantonen»).
EU-Parlament stimmt gegen die Lebensmittel-Ampel Das EU-Parlament hat die von Verbraucherschützern und Ärzteverbänden geforderte Ampel-Kennzeichnung für Lebensmittel abgelehnt. Damit müssen Lebensmittelverpackungen künftig nicht mit den Ampelfarben rot, gelb und grün aufzeigen, wie viel Salz, Fett und Zucker in den jeweiligen Produkten enthalten ist. Eine solche Einteilung sei irreführend und wissenschaftlich nicht fundiert, heißt es zur Begründung. Stattdessen sollen die Hersteller verpflichtet werden, auf den Vorderseiten der Verpackungen Angaben zum Gehalt an Fett, gesättigten Fettsäuren, Salz und Zucker zu machen. Außerdem muss der Brennwert der Lebensmittel künftig in Kalorien pro 100 Gramm angegeben werden. Handel und Industrie begrüßen das Nein für die Ampel-Kennzeichnung. Die Verbraucherorganisation Foodwatch kritisierte das Votum als vergebene Chance für eine leicht verständliche Information.
Die Nahrungsmittelindustrie hatte in die Kampagne und die Lobbyarbeit in Brüssel gegen die Lebensmittel-Ampel 1 Milliarde Franken investiert. Unter http://www.corporateeurope.org/lobbycracy/content/2010/06/red-light-consumer-information findet man e-mails, die Lobbyisten an die EU-Parlamentarier geschickt haben, und weitere Informationen zur Lobbykampagane der Industrie. Juni 2010.
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EU-Kredite für Athen an Rüstungsaufträge für Deutschland und Frankreich geknüpft Erst vor kurzem ist an die Öffentlichkeit gedrungen, dass Merkel und Sarkozy die Bewilligung neuer Kredite für Griechenland davon abhängig gemacht haben, dass Griechenland die Rüstungsaufträge im Umfang von mehreren Milliarden Euro bei deutschen und französischen Unternehmen "bestätigen" müsse. Damit wird sichergestellt, dass die EU-Kredite umgehend wieder auf den Konten von EADS, Thales, Thyssen-Krupp und Siemens landen. Allein für den Kauf neuer Rüstungsgüter gibt die Regierung in Athen im laufenden Jahr 2,8 Milliarden Euro aus, das sind 60% der Einsparungen, die im sozialen Bereich geplant sind.
Alle aktuellen Sparmaßnahmen der griechischen Regierung bringen 2010 Einsparungen im Wert von 4,8 Milliarden Euro. Allein für den Kauf neuer Rüstungsgüter gibt die Regierung in Athen im laufenden Jahr 2,8 Milliarden Euro aus. Damit entsprechen allein die Neueinkäufe von Waffen bereits knapp 60 Prozent der genannten Einsparungen, die im sozialen Bereich geplant sind. Der Großteil der Waffenlieferungen kommt aus Deutschland und Frankreich.
Mitten in der Griechenlandkrise, im Februar 2010, hat der deutsche Außenminister Westerwelle Griechenland öffentlich aufgefordert, sich endlich für den milliardenschweren Ankauf von Eurofightern zu entscheiden. Erst vor kurzem ist nun an die Öffentlichkeit gedrungen, dass Merkel und Sarkozy die Bewilligung neuer Kredite für Griechenland davon abhängig gemacht haben, dass die griechische Regierung die Rüstungsaufträge im Umfang von mehreren Milliarden Euro bei deutschen und französischen Unternehmen "bestätigen" müsse. Es handelt sich dabei vor allem um französische bzw. deutsche Fregatten, Hubschrauber, Flugzeuge und U-Boote. (Quelle: Standard 7.5.2010 „Athen-Hilfen an Rüstungsgeschäfte geknüpft“). Damit wird sichergestellt, dass die EU-Kredite umgehend wieder auf den Konten von EADS, Thales, Thyssen-Krupp und Siemens landen.
Dass Korruption in Griechenland ein großes Problem ist, haben wir in letzter Zeit oft gehört. Man sollte vielleicht auch dazu sagen, woher – unter anderem, aber wohl nicht zuletzt - die Schmiergelder fließen. So hat der Münchner Rüstungskonzern Siemens in jüngster Zeit rund 100 Millionen Euro für die Bestechung griechischer Politiker beider Großparteien – der Sozialdemokraten und Konservativen – aus (Quelle: Zeitung gegen den Krieg, Nr. 30, 2010).
Einen «Boom für Waffen made in Germany» stellt auch der Mitte März veröffentlichte Bericht des Stockholmer Friedensforschungsinstituts Sipri fest. Seit 2005 hätten sich die deutschen Waffenausfuhren vor allem durch den Verkauf von U-Booten und Panzern mehr als verdoppelt. Wichtigster Abnehmer für die deutsche Rüstungsindustrie waren nach der Türkei, an die 14 Prozent der Ausfuhren gingen, das mit der Türkei wettrüstende Griechenland, an das 13 Prozent der deutschen Waffen gelangten. (Quelle: NZZ, 22.3.2010), Werkstatt Frieden & Solidarität, Waltherstr. 15, 4020 Linz
Tel. 0732/771094, Fax 0732/797391
Mail: office@werkstatt.or.at, Web: www.werkstatt.or.at, 2. Juni 2010.
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Europas Mauern Im der Juni-Nummer des Le monde Diplomatique ist ein lesenswerter Artikel über den EU-Kampf (Schengen) gegen die Rechte von Migranten und Flüchtlingen zu lesen. Den Artikel findet man auch unter http://www.monde-diplomatique.de/pm/2010/06/11.mondeText1.artikel,a0009.idx,1.
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Arbeitslosigkeit in EU stagniert auf hohem Niveau - Anstieg im Euro-Raum Im Euro-Raum ist die saisonbereinigte Arbeitslosenquote laut Angaben des EU-Statistikamts Eurostat im April auf 10,1 % gestiegen, den höchsten Wert seit Juni 1998. Ein Jahr zuvor, im April 2009, hatte die Quote «nur» 9,2% betragen. Die Arbeitslosigkeit ist seit dem ersten Quartal 2008, als sie einen Tiefstand von 7,2% erreicht hatte, krisenbedingt deutlich gestiegen, wobei sich das Tempo des Anstiegs in den letzten Monaten verlangsamt hat. So verharrte die Arbeitslosenquote der Euro-Zone von September bis November 2009 bei 9,8%, im Dezember und Januar bei 9,9% und im Februar und März bei 10,0%. Da die Arbeitsmärkte meist mit Verspätung auf die Konjunkturentwicklung reagieren, werden auch für die nähere Zukunft weitere kleinere Steigerungen nicht ausgeschlossen.
In der ganzen EU (EU-27) blieb die Arbeitslosenquote im April mit 9,7% gegenüber dem Vormonat unverändert, während sie im selben Vorjahresmonat 8,7% betragen hatte. Zwischen den einzeInen Mitgliedstaaten gibt es weiterhin grosse Unterschiede: Die tiefsten Werte meldeten im April die Niederlande mit 4,1 % und Österreich mit 4,9%, die höchsten Lettland mit 22,5% und Spanien mit 19,7%. Deutschland hatte im Berichtsmonat als einziger EU-Staat mit 7,1% eine tiefere Arbeitslosenquote als ein Jahr zuvor (7,6%). In Frankreich lag die Quote, gegenüber dem Vormonat unverändert, bei 10,1 %.
Eurostat schätzt, dass im April EU- weit insgesamt 23,31 Mio. Menschen arbeitslos waren, davon 15,86 Mio. in der Euro-Zone. Dies entspricht gegenüber demselben Vorjahresmonat einer Zunahme um 2,40 Mio. in der EU-27 und um 1,28 Mio. im Euro-Raum. Besonders hoch ist die Jugendarbeitslosigkeit: Die Arbeitslosenquote der unter 25-Jährigen lag im April im Euro-Raum bei 20,0 (April 2009: 19,3)% und in der EU-27 bei 20,6 (19,2)%. Traurige Rekorde erreichten Lettland mit 44,6% im ersten Quartal und Spanien mit 40,3% im April. NZZ. 2. Juni 2010.
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Kennt die europäische Not kein Gebot? „Was die europäischen Organe zur Abwendung der Euro-Krise jüngst unternommen haben, im Griechenland-Hilfspaket ebenso wie im Euro-Stabilisierungs-Mechanismus, erscheint, bezieht man es auf die geltende Grundlage des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, geradezu abenteuerlich. Gezielt wird das Bail-out-Verbot ausser Kraft gesetzt, über das Verbot des Erwerbs von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank hinweggegangen und die Veränderung der Währungsunion in Richtung einer Transferunion angebahnt. Dafür gibt es im Vertragsrecht der EU weder eine Ermächtigung noch eine andere Rechtfertigung. Was man zugunsten der getroffenen Massnahmen anführen kann – ihre fragwürdige Zwecktauglichkeit einmal unterstellt –, ist die Maxime «Not kennt kein Gebot»; juristisch formuliert: der Rekurs auf den Ausnahmezustand, der das Recht der Normallage suspendiert. Solche Ausnahmebefugnisse sind aber im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union nicht geregelt; sie lassen sich auch nicht einfach als «ungeschrieben» geregelt substituieren, sollen die europäischen Verträge nicht zu Soft Law in der Hand der politischen Akteure werden“ Prof. Dr. Ernst-Wolfgang Böckenförde, Emeritus für öffentliches Recht und Rechtsphilosophie der Universität Freiburg i.Br. Von 1983 bis 1996 Richter am deutschen Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe und in dieser Eigen-schaft 1993 Mitwirkung am sogannnten Maastricht-Ur-teil.„ Kennt die europäischse Not kein Gebot? Die Webfehler der EU und die Notwendigkeit einer neuen politischen Ent-scheidung“). NZZ, 21. Juni 2010, S. 333
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EU-Kredite für Athen an Rüstungsaufträge für Deutschland und Frankreich geknüpft Erst vor kurzem ist nun an die Öffentlichkeit gedrungen, dass Merkel und Sarkozy die Bewilligung neuer Kredite für Griechenland davon abhängig gemacht haben, dass Griechenland die Rüstungsaufträge im Umfang von mehreren Milliarden Euro bei deutschen und französischen Unternehmen "bestätigen" müsse. Damit wird sichergestellt, dass die EU-Kredite umgehend wieder auf den Konten von EADS, Thales, Thyssen-Krupp und Siemens landen. Allein für den Kauf neuer Rüstungsgüter gibt die Regierung in Athen im laufenden Jahr 2,8 Milliarden Euro aus, das sind 60% der Einsparungen, die nun im sozialen Bereich geplant sind. SONDERRUNDBRIEF zum Thema "Griechenland und EU-Politik", (Juni 2010, Werkstatt-Rundbrief Nr. 8/2010, www.werkstatt.or.at)
Die Berliner Kriegsdebatte
Nach dem Verlust seines Rückhaltes in maßgeblichen Teilen des Berliner Establishments hat Bundespräsident Horst Köhler am gestrigen Montag seinen Rücktritt erklärt. "Kamerad Köhler: Bitte wegtreten!" hatte eine der einflussreichsten deutschen Zeitungen bereits vor Tagen im Kommandoton getitelt. Der Präsident habe bei seinem Afghanistan-Besuch "dies und das" über den Krieg am Hindukusch "dahergefloskelt", kritisierte das Blatt Köhlers als mangelhaft empfundene Unterstützung für die Bundeswehr. Während es in Berlin offiziell heißt, Köhlers entscheidender Fehler sei es gewesen, Wirtschaftsinteressen als Kriegsgrund zu nennen, findet sich ebendiese Aussage in zentralen handlungsleitenden Dokumenten der Bundesregierung. Tatsächlich ist die Berliner Kriegsdebatte schon längst fortgeschritten und nennt geostrategische Vorteile in der Rivalität gegenüber China ebenso als Motiv für Militäreinsätze wie die Stärkung staatlicher Kooperation innerhalb der EU. Die Berliner Publizistik kündigt neuen Imperialismus und eine Wiederkehr des Kolonialismus an, fragt, ob "gescheiterte, verlorene oder schlichtweg lebensunfähige Staaten nicht mit einem Dasein als Protektorat besser bedient" seien, und denkt ausdrücklich über künftige "Energiekriege" nach. Das weltpolitische Ausgreifen Berlins geht in Teilen der Regierungsapparate mit einer deutlichen Verschiebung nach rechts einher. So hat sich der ranghöchste Militärberater der Kanzlerin schon vor Jahren als ein Anhänger Carl Schmitts zu erkennen gegeben. Schmitt wird von Kritikern als geistiger Wegbereiter des Nationalsozialismus eingestuft.
Vitale Sicherheitsinteressen
Horst Köhler war in den vergangenen Tagen wegen seiner Äußerung heftig kritisiert worden, gegebenenfalls sei auch ein "militärischer Einsatz notwendig (...), um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege".[1] Damit bewegte Köhler sich explizit im Rahmen der öffentlich formulierten Handlungsgrundlagen deutscher Militärpolitik, die seit den 1990er Jahren von allen Bundesregierungen beachtet werden - von der gegenwärtigen Regierung ebenso wie von der großen Koalition und Rot-Grün. Schon im Jahr 1992 etwa hieß es in den damals neu verabschiedeten "Verteidigungspolitischen Richtlinien", zu den "vitalen Sicherheitsinteressen", von denen sich "die deutsche Politik" in ihrer Gesamtheit leiten lassen müsse, gehöre die "Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt".[2] Das aktuell gültige "Weißbuch" des deutschen Verteidigungsministeriums aus dem Jahr 2006 legt fest, die "Sicherheitspolitik Deutschlands" werde nicht zuletzt von "dem Ziel geleitet", "den freien und ungehinderten Welthandel als Grundlage unseres Wohlstands zu fördern".[3]
Fregatten statt Panzer
Bereits kurz vor der Verabschiedung des "Weißbuchs" hatte der damalige Verteidigungsminister festgestellt: "Vor einem militärischen Einsatz müssen wir stets die Frage beantworten: Wo liegen unsere sicherheitspolitischen Interessen?"[4] Der Minister fügte damals hinzu, ohne auf größeren Widerspruch zu stoßen: "Zu denen gehört auch eine freie und sichere Energieversorgung. Wenn Terroristen etwa eine Meerenge kontrollieren, dann liegt es natürlich auch im deutschen Interesse, wieder für einen freien Handel zu sorgen." Seit den Festlegungen des Jahres 2006, die Köhler jetzt wiederholte, hat sich die militärpolitische Debatte jedoch weiterentwickelt. Ein Beispiel bot letzten Herbst der ehemalige Leiter des Planungsstabes im Verteidigungsministerium Ulrich Weisser. Wie Weisser in einer großen Tageszeitung erklärte, sei der Indische Ozean, in dem die deutsche Marine gegen Piraten operiert, nicht nur wegen seiner Bedeutung für den "Welthandel" von Bedeutung. Er sei insbesondere "entscheidend für das künftige Machtgefüge in Asien" und aus diesem Grund, mit Blick auf den Rivalen China, eine "Schlüsselregion".[5] Die Überschrift über Weissers Artikel zog die Konsequenzen: "Fregatten statt Panzer".
Nation in Fesseln
Über ökonomische und geostrategische Motive hinaus schreibt der amtierende deutsche Außenminister der EU-Militärpolitik eine bündnisstabilisierende Funktion zu. Die EU solle "ihrer politischen Rolle als globaler Akteur gerecht werden", sagte Minister Westerwelle im Februar bei der diesjährigen "Münchener Sicherheitskonferenz"; er erklärte, die dazu benötigte Militarisierung werde die EU enger als bisher zusammenschweißen: "Das europäische Projekt einer gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik wird ein Motor für das weitere Zusammenwachsen Europas sein."[6] Außenpolitik-Experten verlangen dabei ein entschiedenes Vorpreschen Berlins. Kürzlich hieß es in der führenden außenpolitischen Zeitschrift des Berliner Establishments, Deutschland sei nach wie vor als "Nation in selbstgelegten Fesseln" einzustufen; die außen- und militärpolitischen Entscheidungen der Bundesrepublik dürften nicht länger "in das Prokrustesbett eines moralischen, bündnis- oder innenpolitischen Sachzwangs gepresst werden".[7] Es genüge nicht, die deutschen Kriege stets "mit dem Ruf 'Nie wieder Auschwitz'" zu begründen. "Staatsraison" müsse stets die Verteidigung des eigenen Gesellschaftsmodells sein, und "am wirksamsten tun wir das nach wie vor, indem wir es exportieren".
Neuer Imperialismus, neue Kolonien
Über die weltpolitischen Folgen der deutschen Kriegserwägungen lässt die Publizistik des Berliner Establishments niemanden im Unklaren. Erst vor kurzem erklärte der ehemalige Parlamentarische Staatssekretär im Verteidigungsministerium Friedbert Pflüger (CDU), der "dominierende Konflikt der Weltpolitik im 21. Jahrhundert" werde "der Kampf um Energie, Rohstoffe und Wasser" sein. "Energiekrisen und -konflikte" seien "unausweichlich", selbst "Energiekriege" könnten keinesfalls ausgeschlossen werden. Da genüge es „nicht, in Lateinamerika oder Afrika Gender-Projekte (...) oder Seminare zur kommunalen Selbstverwaltung zu finanzieren“, warnt Pflüger: „Vielmehr muss die EU lernen, ihre Interessen auf den Schauplätzen der Welt zu definieren und durchzusetzen.“ "Nationalismus, Kolonialismus und Imperialismus des 19. Jahrhunderts" kehrten zurück. Auf einen neuen Kolonialismus stimmen auch die Medien ein. So hieß es nach dem Erdbeben in Haiti in einer konservativen Tageszeitung, es mache das Wort 'Neokolonialismus' die Runde, doch diesmal mit einem positiven Beiklang“ - es stehe „für nachhaltiges Engagement“ und sei „nicht unfreundlich gemeint“. Eine linksliberale Wochenzeitung dachte, ebenfalls nach der Erdbebenkatastrophe, darüber nach, ob „gescheiterte, verlorene oder schlichtweg lebensunfähige Staaten nicht mit einem Dasein als Protektorat besser bedient“ seien.[10] So sei es „eine offene Frage“, 2ob der Staat Haiti überhaupt wiederbelebt werden soll“.
Verschiebung nach rechts
In Teilen der Berliner Regierungsapparate führt das weltpolitische Ausgreifen mittlerweile zu einer erkennbaren Verschiebung nach rechts. In diesem Frühjahr wurde bekannt, dass der ranghöchste Militärberater im Bundeskanzleramt nicht nur Beziehungen zu rechtslastigen Kreisen unterhielt, sondern sich darüber hinaus als Anhänger des berüchtigten Staatsjuristen Carl Schmitt zu erkennen gab. Kritiker bezeichnen Schmitt als Wegbereiter des Nationalsozialismus. In einem Text, den der Militärberater vor einigen Jahren in der Rechtsaußen-Zeitschrift Sezession abdrucken ließ, heißt es unter Bezug auf den Staatsrechtler, "Europa" müsse, "um auf Dauer zu bestehen, einen adäquaten Machtanspruch erheben und weltanschaulich begründen". In Deutschland hingegen zeige sich "die Handlungsunfähigkeit einer nachbürgerlichen politischen Klasse (...), deren Weltbild sich primär aus reeducation, aus den erstarrten Ritualen der Vergangenheitsbewältigung und Achtundsechziger-Mythologie speist." "Diese Verirrungen", schrieb der Militärberater, "bedürfen eines Gegenmittels, und in der politischen Philosophie Carl Schmitts könnte das zur Verfügung stehen". Dessen Ansatz allerdings stehe deutlich "im Gegensatz zur idealistischen Utopie einer weltweiten Entfaltung der Menschenrechte, eines friedlichen Ausgleichs der Kulturen und Zivilisationen sowie freizügiger, offener und multikultureller Gesellschaften."[11]
Bitte wegtreten!
Der Militärberater der Kanzlerin ist nicht zurückgetreten - im Gegensatz zu Köhler, dem die einflussreiche Frankfurter Allgemeine Zeitung den Rücktritt schon vor einigen Tagen mit dem Titel nahelegte: "Kamerad Köhler: Bitte wegtreten!" Bundespräsident Köhler war schon oft der Vorwurf gemacht worden, nicht loyal genug mit der Bundesregierung zusammenzuarbeiten; zuletzt hieß es in der Frankfurter Allgemeinen nach seinem Afghanistan-Besuch, er habe "dies und das" über den Krieg am Hindukusch "dahergefloskelt" und es an ernsthaftem Verständnis für die Truppe fehlen lassen.[12] In Vorwürfen wie diesem liegen die wirklichen Ursachen für seinen Rücktritt. Nur so lässt sich verstehen, dass das Berliner Establishment über strategische Kriege und neue Kolonien debattiert und gleichzeitig, um den Bundespräsidenten aus dem Amt zu drängen, Empörung über Äußerungen zu einer Kriegspolitik heuchelt, die seit Jahren konsensuale Realität und von der außenpolischen Debatte schon längst überholt worden ist (http://german-foreign-policy.com/de/fulltext/57822, konsultiert 14. Juni 2010)
[1] Querkopf im Schloss Bellevue; www.sueddeutsche.de 31.05.2006
[2] Verteidigungspolitische Richtlinien, bekanntgegeben vom Bundesministerium der Verteidigung in Bonn am 26. November 1992
[3] Bundesministerium der Verteidigung: Weißbuch 2006 zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr
[4] Armee soll Ölversorgung sichern; www.focus.de 21.05.2006
[5] Ulrich Weisser: Fregatten statt Panzer; Süddeutsche Zeitung 17.11.2009. s. dazu Das Schlüsselmeer auf http://german-foreign-policy.com
[6] s. dazu Europas Motor auf http://german-foreign-policy.com
[7] s. dazu Deutschland in Fesseln auf http://german-foreign-policy.com
[8] s. dazu Eine neue Ära des Imperialismus auf http://german-foreign-policy.com
[9] Die neuen Kolonien; Welt Online 27.01.2010
[10] Lutz Herden: Protektorat Haiti; freitag.de 19.01.2010. S. dazu Neue Kolonien auf http://german-foreign-policy.com
[11] Erich Vad: Freund oder Feind. Zur Aktualität Carl Schmitts; Sezession 1, April 2003. S. auch Der Militärberater der Kanzlerin auf http://german-foreign-policy.com
[12] Kamerad Köhler: Bitte wegtreten! Frankfurter Allgemeine Zeitung 27.05.2010
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EU-Kohäsionspolitik Die EU-Kommission hat die Erfolge der zwischen 2000 und 2006 über den Europäischen Fonds für regionale EntwickIlung (EFRE) geförderten Projekte ausgewertet. Für »umweltrelevante Interventionen" wurden demnach 25,5 Milliarden Euro ausgegeben, ein Fünftel des Budgets. Damit sind unter anderem Wasserver- und -entsorgungssysteme sowie die Abfallbehandlung gemeint. Laut Schätzung der EU-Kommission profitierten mehr als 20 Millionen EuropäerInnen zusätzlich von Abwasserprojekten. Planung und Sanierung fallen ebenfalls unter "Umwelt" und wurden mit 11,5 Milliarden Euro finanziert. Die Kommission räumt ein, dass es bei den Projekten auch Probleme gab, etwa »zu große Investitionen, die zu Überkapazität und zu Schwierigkeiten bei der Sicherstellung der zukünftigen finanziellen Durchführbarkeit führten". Unter anderem wurden auch zahlreiche Müllverbrennungsanlagen finanziert, was Umweltverbände für alles andere als eine Umweltschutzmaßnahme halten.
Im Verkehrsbereich wurde ebenfalls ausgiebig investiert: 2.000 Kilometer Autobahn - ein Viertel der zwischen 2000 und 2006 in der EU überhaupt gebauten Autobahnstrecken - und 100.000 Kilometer Straßen wurden mit EU-Mitteln kofinanziert. Außerdem wurden 31 Flughäfen und 45 Seehäfen modernisiert und der Bau von 4.000 Kilometern Bahnstrecke gefördert. Umwelt aktuell, Juni 2010, S. 23, EFRE-Bericht: www.kurzlink.de/kohaesionOO-06 EFRE-Bewertung für Umwelt und Klimawandel: www.kurzlink.de/kohaesion-umwelt-06
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Festung Europa Claire Rodier und Alain Morice von Migreurop zeigen auf zwei Zeitungsseiten im Le Monde Diplomatique, wie die EU bei ihren Versuchen der Abschottung gegen Flüchtlinge und Immigrantlnnen nicht nur ein System von Lagern im Innern eingerichtet hat, sondern auch die Nachbarn als Pufferstaaten in ihre Politik einbindet. Plastisch wird dies durch eine Serie von Landkarten, auf der die Grenzen des Schengenraums, die gemeinsamen Aktionen von Frontex und die verschiedenen Typen von Lagern eingezeichnet sind.
Alain Morice; Claire Rodier: Europas Mauern - Mobile Hindernisse in Wüsten und Meeren, in: Le Monde Diplomatique Juni 2010, 5.1 und 12-13
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Die europäische Not kennt kein Gebot „Was die europäischen Organe zur Abwendung der Euro-Krise jüngst unternommen haben, im Griechenland-Hilfspaket ebenso wie im Euro-Stabilisierungs-Mechanismus, erscheint, bezieht man es auf die geltende Grundlage des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, geradezu abenteuerlich. Gezielt wird das Bail-out-Verbot ausser Kraft gesetzt, über das Verbot des Erwerbs von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank hinweggegangen und die Veränderung der Währungsunion in Richtung einer Transferunion angebahnt. Dafür gibt es im Vertragsrecht der EU weder eine Ermächtigung noch eine andere Rechtfertigung.
Was man zugunsten der getroffenen Massnahmen anführen kann – ihre fragwürdige Zwecktauglichkeit einmal unterstellt –, ist die Maxime «Not kennt kein Gebot»; juristisch formuliert: der Rekurs auf den Ausnahmezustand, der das Recht der Normallage suspendiert. Solche Ausnahmebefugnisse sind aber im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union nicht geregelt; sie lassen sich auch nicht einfach als «ungeschrieben» geregelt substituieren, sollen die europäischen Verträge nicht zu Soft Law in der Hand der politischen Akteure werden.“ Prof. Dr. Ernst-Wolfgang Böckenförde, von 1983 bis 1996 Richter am deutschen Bundesverfassungsgericht; NZZ, 21. Juni 2010, S.
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EU-Kohäsionspolitik Die EU-Kommission hat die Erfolge der zwischen 2000 und 2006 über den Europäischen Fonds für regionale EntwickIlung (EFRE) geförderten Projekte ausgewertet. Für »umweltrelevante Interventionen" wurden demnach 25,5 Milliarden Euro ausgegeben, ein Fünftel des Budgets. Damit sind unter anderem Wasserver- und -entsorgungssysteme sowie die Abfallbehandlung gemeint. Laut Schätzung der EU-Kommission profitierten mehr als 20 Millionen EuropäerInnen zusätzlich von Abwasserprojekten. Planung und Sanierung fallen ebenfalls unter "Umwelt" und wurden mit 11,5 Milliarden Euro finanziert. Die Kommission räumt ein, dass es bei den Projekten auch Probleme gab, etwa »zu große Investitionen, die zu Überkapazität und zu Schwierigkeiten bei der Sicherstellung der zukünftigen finanziellen Durchführbarkeit führten". Unter anderem wurden auch zahlreiche Müllverbrennungsanlagen finanziert, was Umweltverbände für alles andere als eine Umweltschutzmaßnahme halten.
Im Verkehrsbereich wurde ebenfalls ausgiebig investiert: 2.000 Kilometer Autobahn - ein Viertel der zwischen 2000 und 2006 in der EU überhaupt gebauten Autobahnstrecken - und 100.000 Kilometer Straßen wurden mit EU-Mitteln kofinanziert. Außerdem wurden 31 Flughäfen und 45 Seehäfen modernisiert und der Bau von 4.000 Kilometern Bahnstrecke gefördert. Umwelt aktuell, Juni 2010, S. 23, EFRE-Bericht: www.kurzlink.de/kohaesionOO-06 EFRE-Bewertung für Umwelt und Klimawandel: www.kurzlink.de/kohaesion-umwelt-06
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