Die EWR-Sackgasse Das EWR-Abkommen wurde vor zwanzig Jahren von einer Mehrheit des Volkes abgelehnt. Verständlich also, wenn seine Merkmale inzwischen vergessen sind. Umso verständlicher, als sich die Schweiz im europäischen Vergleich ausgezeichnet schlägt und ihre wichtigsten Anliegen bilateral mit der EU ausgehandelt hat. Die Schweiz zählt übrigens bedeutend mehr Einwohner als die verbliebenen drei Efta-EWR- Länder Island, Liechtenstein und Norwegen zusammen. Sie ist auch als Wirtschafts- und Sozialpartner für die EU wichtiger als die drei, von der Sonderstellung des Nato-Mitgliedes Norwegen im Energiebereich abgesehen. Feststellungen dieser Art lösen bei Liebhabern schiefer Vergleiche keine Begeisterung aus, sind aber nützlich zur Orientierung. Wer die Schweiz mit Liechtenstein vergleicht, kann sie tatsächlich geradeso gut mit den USA vergleichen, legt man den Vergleichen die Verhältnisse von Bevölkerung und Wirtschaftsleistung zugrunde.
Der EWR wurde von der EU vorgeschlagen und geprägt, von den Strukturen bis zu den Verfahren. Die EU schrieb den Efta-EWR-Ländern, in denen heute noch knapp fünf Millionen Menschen (ein Pro- zent der Bevölkerung der EU-Mitgliedsstaaten) leben, sogar die Schaffung eines eigenen Gerichtshofs und einer eigenen Überwachungsbehörde vor. Die Efta-Länder können bei der Entstehung des aufden EWR ausgedehnten EU-Rechts nicht mitentscheiden, sie haben nicht einmal das Recht, im gemeinsamen EWR-Ausschuss mit eigener Stimme zu sprechen. Der EWR ist für Liebhaber grosser Worte ein typisches Satellisierungsabkommen. Wortpirouetten wie „decision shaping“ und „Evokationsrecht“ reichen zur Tarnung des fehlenden Mitentscheidungs-, Vorschlags- und individuellen Mitrederechts nicht aus.
Kein Wunder, dass Schweden, Österreich und Finnland den EWR bei erster Gelegenheit verliessen. Kein Wunder, dass sich seit 1992 kein einziger europäischer Nicht-EU-Mitgliedsstaat um eine Efta- und EWR-Mitgliedschaft beworben hat. Ein Jahrestag und Schwierigkeiten in institutionellen Verhandlungen, die kaum begonnen haben, können für ein selbstbewusstes Land kein Anlass sein, sich in einen Vertrag wie den EWR einweisen zu lassen. Der EWR wäre die schlechtestmögliche Lösung für eine künftige Gestaltung der Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU. Jakob Kettenberger, langjähriger Präsident des Internationaten Komitees vom Roten Kreuz und ehematiler Spitzendiplomat der Schweiz; SonntagsZeitung, 2. Dezember 2012, S. 13.
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EU-Puls des Stimmvolkes Der Bilateralismus ist für das Schweizer Stimmvolk der Königsweg in der EU-Politik. Dies besagt eine GfS-Umfrage im Auftrag der SRG, die am Freitag, den 30. November 2012, veröffentlicht worden ist. Gut 60 Prozent der Befragten befinden denn die Annahme der bilateralen Verträge im Jahr 2000 auch aus heutiger Sicht immer noch für richtig, und mehr als die Hälfte (54 Prozent) sind gemäss der Umfrage auch nach wie vor der Meinung, dass das EWR-Nein von 1992 der richtige Entscheid gewesen sei.
Auch die Personenfreizügigkeit hat sich für eine knappe Mehrheit der Befragten letztlich bewährt – wobei hier auch drei von vier Befragten angaben, dass der Bundesratsentscheid für die Ventilklausel angebracht gewesen sei, um die Zuwanderung aus den Ländern Osteuropas zu begrenzen.
Für die Zukunft wünschen sich knapp zwei Drittel eine Fortsetzung des bilateralen Wegs, nur für jeden zehnten Befragten hat der EWR-Beitritt noch Priorität, und gar nur 6 Prozent bevorzugen unter allen Optionen den EU-Beitritt. Der Bilateralismus stehe damit innenpolitisch auf sicheren Beinen, schreiben die Forscher, wobei wirtschaftsliberale Argumente für die Freizügigkeit zusehends auch von einer wertgeladenen Skepsis begleitet seien, was die Folgen der Zuwanderung etwa im Bereich der Infrastruktur anbelangt. Neben dem Bilateralismus wäre derzeit somit keine Alternative auch nur ansatzweise mehrheitsfähig.
Als grösste Belastung für die Bilateralen empfinden die Stimmbürger Fragen der institutionellen Anbindung. Es ergebe sich keine Mehrheit mehr für den bilateralen Weg, «wenn sich die Frage nach der EU-Rechts-Übernahme hart stellt», schreibt die GfS Bern. Der Bundesrat sei also gut beraten, eine Lösung «unterhalb des EWR-Niveaus anzustreben», wenn er die Abstützung beim Stimmvolk nicht verlieren wolle. NZZ, 1. Dezember 2012, S. 11
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Teilnahme der Schweiz an Grossmachtträumen der EU „Der Rat würdigt die Zusammenarbeit mit der Schweiz auf dem Gebiet der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP), insbesondere den kürzlich erfolgten Abschluss einer Kooperationsvereinbarung mit der Europäischen Verteidigungsagentur sowie die Beteiligung der Schweiz an GASP-Operationen und -Missionen der EU und die Tatsache, dass sich die Schweiz den EU-Sanktionsregelungen anschließt. Der Rat bedauert jedoch, dass die Schweiz sich der EU-Sanktionsregelung betreffend Iran nicht vollständig angeschlossen hat, und ersucht die Schweiz, die Maßnahmen zu ergreifen, die erforderlich sind, um ein Umgehen der EU-Sanktionen zu verhindern. Der Rat erinnert an seinen Beschluss über die Aufnahme von Verhandlungen über ein Abkommen zwischen der EU und der Schweiz über die Schaffung eines Rahmens für die Beteiligung der Schweiz an Krisenbewältigungsoperationen der EU und ersucht die Schweiz, ihre Zusammenarbeit mit der EU im Bereich der GASP, einschließlich der GSVP, noch weiter zu intensivieren.“ (Schlussfolgerungen des Rates zu den Beziehungen zwischen der EU und den EFTA-Ländern vom 20. Dezember 2012, Brüssel, den 8. Januar 2013 (09.01) 5101/13, AELE 1, EEE 1, CH 1, 1, ISL 1, FL 1) http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cms_data/docs/pressdata/DE/foraff/118466.pdf
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