Auf dem Weg in die Zensur in der EU Falschnachrichten in der Pandemie können eine Gefahr für die Gesundheit und die Demokratie sein, findet die EU-Kommission. Als Mittel dagegen fordert die Behörde mehr Kooperation von den Online-Plattformen – und sie benennt einen zentralen Schuldigen: China.
Nein, ein kalter Krieg gegen China sei nicht geplant, sagte der EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell am 10. Juni 2020, nachsichtig lächelnd, auf die Nachfrage eines Journalisten. Er glaube auch nicht, dass China militärische Ambitionen habe, fügte der Diplomat hinzu.
Nur kurz zuvor hatten Borrell und seine Kollegin, die tschechische EU-Kommissarin «für Werte und Transparenz», Vera Jourova, im Brüsseler Berlaymont-Gebäude die neue Strategie der EU im Kampf gegen Desinformation vorgestellt und dabei zum ersten Mal auch China beschuldigt, für die gezielte Verbreitung von Falschnachrichten in Europa verantwortlich zu sein. Bisher wurde diese Anklage offiziell nur gegen Russland erhoben. Doch nun wird der Ton in Brüssel auch gegenüber China merklich rauer.
Laut dem Papier der Kommission hat die Volksrepublik während der Corona-Krise gezielte Desinformationskampagnen betrieben, «um den demokratischen Diskurs zu unterminieren und gesellschaftliche Polarisierung zu verstärken, während sie ihr eigenes Image im Umgang mit Covid-19 beschönigt hat».
Als Mittel gegen solch «staatlich gesponserte Propaganda» will Jourova Unternehmen wie Facebook, Twitter oder Youtube künftig stärker in die Pflicht nehmen. Die sozialen Netzwerke und Online-Plattformen müssten viel besser mit Fakten-Checkern kooperieren und monatlich darüber Rechenschaft ablegen, forderte die EU-Kommissarin. Man habe es schliesslich nicht nur mit einer Pandemie in Europa zu tun, so Borrell warnend. Der Kontinent sei gleichzeitig von einer massiven «Infodemie» befallen, die für die Gesundheit der Menschen und für den sozialen Zusammenhalt ebenfalls eine Gefahr darstelle.
Als Beispiel nannte der Spanier Aufrufe im Internet, als Gegenmittel zum Coronavirus Bleichmittel zu trinken. Ohne Donald Trump beim Namen zu nennen, der auf einer bizarren Pressekonferenz Ende April vorgeschlagen hatte, Desinfektionsmittel intravenös zu spritzen (und dies später als «Scherz» abtat), rügte Borrell damit auch indirekt den amerikanischen Präsidenten.
Jourova zitierte als weiteres Beispiel eine Studie, laut der die Impfbereitschaft in Deutschland in den vergangenen zwei Monaten um fast 20 Prozentpunkte gesunken sei. Grund hierfür könnten Verschwörungstheorien im Netz sein, wonach Impfungen unnötig oder schädlich seien.
Dass russische und chinesische Akteure an der Verbreitung solcher Theorien beteiligt sind, ist für Borrell evident. Beweise liefere eine eigene «Abteilung für Strategische Kommunikation» im Auswärtigen Dienst der EU zuhauf. Nur fehlen der Kommission die Druckmittel, wie der EU-Aussenbeauftragte am Mittwoch selber eingestehen musste. Russische und chinesische Behörden gäben vor, nicht verantwortlich zu sein, und schöben die Schuld angeblichen «Privatunternehmen» zu.
Bleiben also nur die Online-Plattformen, die gemäss Brüssels Wunsch die Bevölkerung gegen den Einfluss von Fake-News «impfen» und deren Abwehrkräfte stärken sollen. NZZ, 11. Juni 2020, S. 3
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EZB: «Mächtigste und wenigsten kontrollierte Bürokratie» Die Europäische Zentralbank (EZB) kauft Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt auf, um im Rahmen der Währungsunion die fiskalische Erdrosselung der südeuropäischen Peripherie durch die Finanzmärkte zu verhindern, nutzt aber diese Macht zugleich gnadenlos aus, um neoliberale Strukturreformen durchzusetzen: 2011 schrieben EZB-Chef Trichet und sein Nachfolger Draghi einen Brief an die italienische Regierung, in dem sie diese aufforderten, ein umfassendes Paket an Privatisierungen, Sozialabbau und Beschneidungen von Arbeitnehmerrechten durchzuführen, wenn die EZB den Ankauf von italienischen Staatsanleihen fortsetzen solle.2015 drohte sie der linken griechischen Regierung mit dem Entzug der Liquidität, wenn diese das Ergebnis der Volksabstimmung, das mit großer Mehrheit ein Ende der Austerität verlangte, umsetzen würde. 2019 wiederholte sich diese EZB-Politik, als die ,,populistische" Regierung Italiens mittels eines höheren Defizits eine soziale Mindestsicherung verwirklichen wollte. Wir kennen die Ergebnisse dieser Erpressungen. Dass die EZB überhaupt den Euro-Staaten mit der Auslieferung an die Finanzmärkte drohen kann, ist selbst wiederum das Resultat der durch die EU-Verträge einzementierten neoliberalen Rahmenbedingungen, die den EU-Staaten die Verfügungsgewalt über ihre eigene Währung raubt. Der Euro ist für die Euro-Staaten faktisch eine Fremdwährung. Wie schaut es mit der demokratischen Legitimation der EZB-Politik aus? Andreas Nölke, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Frankfurt, kommt zu einem eindeutigen Urteil: ,,Die EZB ist inzwischen die mächtigste internationale Bürokratie der Geschichte . Gleichzeitig ist sie auch die am wenigsten demokratisch kontrolliete." (in: Makroskop, 2.6.2020, https://makroskop.eu/demokratie-und-internationale-politik-replik-auf-flassbeck-und-spiecker/).
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Die EZB bekämpft die schwere Rezession mit einer massiven Ausweitung der Pandemie-Notfallkäufe Die Euro-Währungshüter legen im Kampf gegen die beispiellosen wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie noch einmal kräftig nach. Die Europäische Zentralbank (EZB) stockt ihr Pandemie-Notfall-Kaufprogramm für Anleihen um 600 Milliarden Euro auf 1,35 Billionen Euro auf.
Die Europäische Zentralbank (EZB) bleibt angesichts eines von ihr selbst prognostizierten Konjunktureinbruchs im Euro-Raum um 8,7% in diesem Jahr im Rettungsmodus. Sie will die Bevölkerung, die Banken und die Unternehmen des Euro-Raums vor den schmerzhaften Folgen der Corona-Pandemie sowie die Konjunktur vor einer möglichen sehr niedrigen Inflation oder gar einer Deflation schützen – oder zumindest die Auswirkungen der tiefen Rezession mildern. Dazu erhöht die EZB das Volumen des Pandemie-Notfall-Kaufprogramms (PEPP) um 600 Mrd. € auf 1350 Mrd. € und verlängert seine Laufzeit von Ende 2020 bis mindestens Juni 2021, wie die Notenbank am 4. Juni 2020 mitteilte. Damit hat sie die Erwartungen der meisten Beobachter übertroffen. Wie immer hält sich der EZB-Rat diverse Hintertüren offen, um das Programm erneut auszuweiten und zu verlängern.
Mit den Massnahmen gestaltet die Notenbank das ohnehin seit Jahren sehr generöse geldpolitische Umfeld noch expansiver. Bei der Umsetzung will sie Regeln, die sie sich selbst in früheren Kaufprogrammen gesetzt hat, nicht mehr strikt anwenden. Entsprechend würden die Wertpapierkäufe im Hinblick auf die Periode, die Art der Anleihen und die Emittenten flexibel durchgeführt. In früheren Programmen wollte die EZB aus juristischen und wirtschaftlichen Erwägungen maximal 33% einer Emission und 33% aller Anleihen eines Emittenten erwerben sowie sich bei den Käufen strikt am Kapitalschlüssel der nationalen Notenbanken für das EZB-Kapital orientieren. Sollten Anleihen, welche die EZB im Zusammenhang mit dem PEPP erworben hat, fällig werden, will die Notenbank die Gelder zudem bis mindestens Ende des Jahres 2022 vollständig reinvestieren.
Bisher hat die EZB im Rahmen des am 18. März in einer mitternächtlichen Entscheidung beschlossenen PEPP laut Berechnungen der DZ Bank Wertpapiere über gut 200 Mrd. € erworben. Hielte die Notenbank das Tempo durch, wären die ursprünglichen 750 Mrd. € bereits Ende Oktober ausgeschöpft gewesen. Aus Finanzmarktkreisen werden bereits seit Wochen Forderungen immer lauter, die EZB solle das Programm ausweiten. Diesem Wunsch ist die Notenbank nun gefolgt, obwohl manche Aktienindizes bereits wieder nahe ihrer Rekordhochs notieren oder diese gar überboten haben, etwa der dänische Leitindex.
Die Notenbank kauft insgesamt bereits seit vergangenem Herbst im Rahmen des allgemeinen Wertpapierkaufprogramms (APP) wieder monatlich Wertpapiere, vor allem Staatsanleihen, über 20 Mrd. € und hat dieses Programm Mitte März insgesamt um 120 Mrd. € bis Ende 2020 aufgestockt. Diese Käufe führt die EZB ebenfalls fort. Eine Woche später hat der EZB-Rat im März 2020 schliesslich das PEPP aufgelegt. An der letzten turnusmässigen Sitzung Ende April beschloss der EZB-Rat dann noch neue subventionierte Kredite für Banken der Euro-Zone zur Unterstützung der Konjunktur und der Unternehmen. Dies werteten einige Experten als Zinssenkung durch die Hintertür. Durch die zahlreichen Kaufprogramme steigt die Bilanz der Währungsbehörde immer stärker, sie ist inzwischen auf rund 5,5 Bio. € geklettert und entspricht damit mehr als 42% der Wirtschaftsleistung der Euro-Zone.
Gemäss den am 4. Juni 2020 ebenfalls turnusmässig veröffentlichten Prognosen der hauseigenen Ökonomen für die Entwicklung der Konjunktur und der Inflation in der Euro-Zone geht die EZB in einem Basisszenario davon aus, dass das reale Bruttoinlandprodukt im Jahr 2020 um 8,7% einbrechen wird, sich aber in den kommenden beiden Jahren dann um starke 5,2 und 3,3% erholen wird. Für die Inflation im Euro-Raum gemessen an den harmonisierten Konsumentenpreisen, die im Mai nur noch 0,1 nach 0,3% im April betragen hat, erwarten die EZB-Ökonomen für die Jahre 2020 bis 2022 Werte von 0,3, 0,8 und 1,3%. Damit würde die Teuerung im Euro-Raum auch in zweieinhalb Jahren noch deutlich unter dem selbstgesetzten Ziel der EZB von unter, aber nahe 2% notieren. Dies gibt den Notenbankern weiterhin viel Spielraum, das Gaspedal geldpolitisch voll durchzutreten.
Im Hinblick auf das Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts von Anfang Mai scheint EZB-Präsidentin Christine Lagarde auf Deeskalation zu setzen. Die Verfassungsrichter fordern einen neuen Beschluss des EZB-Rates, in dem sie die Verhältnismässigkeit des 2015 beschlossenen und derzeit wieder aktiven Wertpapierkaufprogramms PSPP, das ein Teil des erwähnten APP ist, darlegen. Sollte dies nicht innerhalb von drei Monaten geschehen, darf sich die Deutsche Bundesbank nicht mehr am PSPP beteiligen.
Auf der Medienkonferenz erklärte Lagarde nun zwar, die EZB unterstehe dem Gerichtshof der EU, welcher die Anleihekäufe im Rahmen des PSPP-Programms als im Rahmen des Mandats gutgeheissen habe. Doch sie sei zuversichtlich, dass eine gute Lösung gefunden werde, welche die Unabhängigkeit der EZB und den Primat des europäischen Rechts nicht infrage stelle. Darüber hinaus erwähnte sie, der EZB-Rat habe bei seiner heutigen Entscheidung die Effektivität, die Effizienz sowie die Kosten und den Nutzen der Massnahmen diskutiert. Mit anderen Worten, die EZB habe die Verhältnismässigkeit besprochen. Dies kann man als ersten Schritt in Richtung des Bundesverfassungsgerichts sehen. NZZ, 5. Juni 2020, S. 17
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