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Kurzinfos April



Jubiläum Einführung Referendum

Am 19. April 1874, also vor 150 Jahren, hat die Schweiz eine neue Bundesverfassung angenommen, die zusätzlich zum bereits bestehenden obligatorischen Referendum bei Verfassungsänderungen neu das Gesetzesreferendum enthielt. 30 000 Stimmberechtigte konnten nun eine Volksabstimmung über ein neues Gesetz verlangen. Dadurch konnte man die Macht der Räte besser kontrollieren. Bei einer Stimmbeteiligung von 81,6 Prozent wird die neue Verfassung in der Volksabstimmung vom 19. April 1874 von Volk (63,21 % Ja-Stimmen, 340 199 zu 198 013 Stimmen) und Ständen (14,5 zu 7,5) angenommen. Die offizielle Schweiz feierte den Geburtstag dieses neuen Volksrechtes nicht – direkte Demokratie scheint die hiesigen «Eliten» nicht zu begeistern. Darum – mit einem Glas guten Wein auf die Einführung dieses direktdemokratischen Instrumentes – eventuell garniert mit ein paar Gedanken, was man zur Verteidigung und zum eventuellen Ausbau der Demokratie tun könnte …. (April 2024)


Die sogenannnte Europa-Initiative ist da – viel später als angekündigt und ohne grossen Rückhalt

«Das proeuropäische Lager geht in die Offensive»: Unter diesem Motto hat am 02. März 2024 Dienstag eine Allianz um die Grünen und die Operation Libero die Europa-Initiative lanciert. Sie verlangt:

1 Der Bund beteiligt sich aktiv an der europäischen Integration.

2 Er schliesst zu diesem Zweck völkerrechtliche Verträge mit der Europäischen Union ab, welche eine gesicherte und entwicklungsfähige Teilhabe an den Freiheiten des Europäischen Binnenmarktes und an weiteren Bereichen der europäischen Zusammenarbeit ermöglichen, insbesondere an Kultur, Bildung, Forschung, und am Schutz des Klimas.

3 Bund und Kantone stellen im Rahmen der geltenden Verträge den Schutz der demokratischen und föderalen Grundwerte, der natürlichen Lebensgrundlagen sowie des sozialen Ausgleichs im Gemeinwesen und auf dem Arbeitsmarkt sicher.

Damit verlangt die Initiative, dass die jeweiligen Verträge Vorrang vor Demokratie, «föderalen Grundwerten», den natürlichen Lebensgrundlagen und dem sozialen Ausgleich haben. Im übrigen ist sie ziemlich schwammig formuliert: was heisste aktive Beteiligung? Genügen diesbezüglich bilaterale Verträge oder ist ein EU-Beitritt gemeint – ein EWR-Beitritt führt ja nicht wirklich zu einer aktiveren Beteiligung als die bilateralen Verträge.

Klar ist hingegen, dass das «proeuropäische Lager», das hinter der Initiative steht, auffällig klein und einseitig zusammengesetzt ist. Ausser aus der Operation Libero und den Grünen besteht die Allianz unter anderem aus den Verbänden der Studierenden, der Kulturschaffenden und der Berufsorchester, den Jungen Grünen und der Europäischen Bewegung Schweiz. Will heissen: Es fehlen sämtliche relevanten Kräfte, die den bilateralen Weg bis anhin geprägt und gegen die Angriffe der SVP verteidigt haben – die SP, die FDP, die Mitte, die Wirtschaftsverbände und die Gewerkschaften.

Man habe alle diese Parteien und Verbände angeschrieben, von ihnen aber nur vage Rückmeldungen erhalten, erklärte Sanija Ameti, die Co-Präsidentin der Operation Libero, vor den Medien. Das klang bedauernd. Ihr Mitstreiter Thomas Cottier hingegen, emeritierter Rechtsprofessor der Universität Bern, wollte in der schmalen Basis keinen Nachteil sehen: Es gehe hier um eine Volksinitiative aus dem Volk heraus. NZZ, 03. April 2024. https://europa-initiative.ch/


20 Jahre EU-Osterweiterung: «Westeuropa hat enorm profitiert»

Vor 20 Jahren kamen zehn neue Länder in die EU. In den bisherigen Mitgliedsstaaten war die Skepsis vor allem gegenüber den mittel- und osteuropäischen Ländern gross – zu Unrecht, wie der Ökonom Richard Grieveson erklärt.

NZZ: Herr Grieveson, vor 20 Jahren ging in vielen Ländern Westeuropas die Befürchtung um, von billigen Arbeitskräften aus den neuen Ländern überrannt zu werden. War diese Angst berechtigt?

Grieveson: Man kann diese Frage natürlich politisch beantworten, aber ich bin Ökonom. Und da muss ich sagen, die Migrationsbewegungen waren vor allem ein Vorteil für Westeuropa. Die Lücken auf dem Arbeitsmarkt wären enorm, ich glaube gewisse Länder könnten ohne die Arbeitskräfte aus den neuen EU-Ländern gar nicht wachsen. Soweit ich das überblicken kann, gibt es auch kaum Integrationsprobleme mit Menschen aus den mittel- und osteuropäischen Ländern. Man kann allerdings argumentieren, dass die Auswanderung ein Problem für die osteuropäischen Länder war und ist. Sie bilden die Leute aus, und die gehen dann fort.

NZZ: Welche Bilanz ziehen Sie aus der ersten EU-Erweiterung?

Die kurze Antwort lautet: Es ist eine Erfolgsgeschichte. Die wirtschaftlichen Fortschritte sind deutlich. Das gilt vor allem für die Länder, die damals nicht so weit entwickelt waren. Polen zum Beispiel war 2004 ungefähr bei 35 Prozent des deutschen Wohlstandsniveaus, nun ist es bei fast 70 Prozent. Es hat eine Integration in das Kerneuropa stattgefunden. Die ausländischen Direktinvestitionen waren sicher der Haupttreiber. Vor allem die Visegrad-Länder, also Polen, Tschechien, Ungarn und die Slowakei, sowie Slowenien sind heute Teil der westeuropäischen und vor allem der deutschen Lieferketten.

NZZ: Wer hat denn am meisten in die neuen Länder investiert?

Vor allem Deutschland, aber auch Österreich, Frankreich, die Niederlande, die Schweiz und Grossbritannien. Und auch die USA spielen immer noch eine Rolle. In den letzten Jahren kam mehr Kapital aus China. Aber man kann eine sehr umfassende Integration in den Kern der mitteleuropäischen Industrie feststellen – und der befindet sich vor allem in der deutschsprachigen Welt.

NZZ: Was hat sich für die Bürger verändert?

Auch die sozialen Entwicklungen sind relativ positiv. Natürlich gibt es soziale Herausforderungen, wie überall in Europa. Aber in den Visegrad-Ländern und Slowenien sind die Werte für Ungleichheit und Armut ähnlich wie in Westeuropa, wenn nicht sogar niedriger. Die Abwanderung, vor allem von jungen und gut qualifizierten Leuten, ist allerdings ein Problem. Und es gibt immer noch einen deutlichen Unterschied in den Lohnniveaus zwischen den alten und den neuen EU-Ländern.

NZZ: Hat sich die Struktur dieser Volkswirtschaften in den letzten 20 Jahren verändert?

Nicht wirklich. Sie waren auch im Kommunismus stark industrialisiert, bevor dann nach der Wende der Zusammenbruch kam. Durch die Direktinvestitionen aus Westeuropa wurden sie reindustrialisiert. Heute macht die Industrie wieder 20 bis 30 Prozent des BIP aus. Exporte – in Ungarn und der Slowakei machen sie etwa 90 Prozent des BIP aus – bestehen ebenfalls hauptsächlich aus Industriegütern. In Ungarn und der Slowakei sind es etwa 91 Prozent. Das ist ungewöhnlich. Selbst in Deutschland sind es nur 50 Prozent, in Frankreich oder Italien eher 30 Prozent. Selbst im globalen Vergleich sind die Visegrad-Länder hoch industrialisiert. Das war in den vergangenen Jahrzehnten eine Stärke, aber mittelfristig wird es zur Gefahr.

NZZ: Inwiefern?

Die Visegrad-Länder sind immer noch sehr auf die Produktion fokussiert, die grossen Gewinne werden aber anderswo gemacht. Man sieht in Osteuropa wenig Dynamik hin zu mehr Innovation, Forschung, Entwicklung oder auch Dienstleistungen.

NZZ: Woran liegt das? Gerade in den neueren Mitgliedstaaten nimmt doch der Anteil an gut ausgebildeten Menschen zu?

Es geht nicht um die Arbeitskräfte, sondern um das Kapital und damit um den Ort, wo die Entscheidungen getroffen werden: Das ist dann eher Frankfurt oder München statt Budapest und Warschau. Es gibt schon Ausnahmen, es gab mehrere Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen in Bratislava, zum Beispiel. Aber es ist nicht genug im Vergleich zum Gewicht der Produktion. Die ist meist arbeitsintensiv, und darum lohnt es sich für deutsche Firmen, sie nach Osteuropa auszulagern, weil dort die Lohnkosten immer noch niedrig sind.

NZZ: Also sind die Investoren schuld?

Nein, es liegt auch an den Ländern selbst. Es gab in den letzten Jahrzehnten zu wenig Überlegungen in Politik und Gesellschaft, wie die nächste Stufe der Entwicklung geschafft werden könnte. Auch gibt es fast keine Diskussion über eine moderne Industriepolitik. In Berlin, Paris, Brüssel ist das ja seit ein paar Jahren ein Dauerthema, aber nicht in Ostmitteleuropa. Und soweit ich weiss, gibt es kein Land, das das deutsche Entwicklungsniveau erreicht hat, ohne über irgendeine Innovations- oder Industriepolitik zu verfügen.

NZZ: Warum denkt man denn so wenig an die Zukunft?

Ich glaube, das Mantra ist immer noch, dass man vor allem ausländische Investoren ins Land holen muss, egal aus welchem Sektor.

NZZ: Wir haben jetzt viel über Investitionen gesprochen. Aber die wären ja vermutlich nicht gekommen, wenn die EU keine Transferleistungen für die Infrastruktur getätigt hätte.

Es gibt drei Gründe, warum diese EU-Erweiterung wirtschaftlich so erfolgreich war. Erstens die institutionellen Reformen, und zwar vor allem vor dem Beitritt, da waren die Fortschritte in allen Ländern gross. Zweitens das EU-Geld – man kriegt 2, 3, 4 Prozent des Budgets pro Jahr, das ist über 20 Jahre wahnsinnig viel. Und das bringt, drittens, die besseren ausländischen Direktinvestitionen. Die Investoren bauen auf die EU in Bezug auf Rechtssicherheit und verlassen sich auf eine gewisse Qualität der Infrastruktur.

NZZ: Gerade die Rechtssicherheit hat in Polen und Ungarn jüngst gelitten. Sehen Sie Auswirkungen auf die Direktinvestitionen?

In Polen nicht, das bleibt attraktiv, vermutlich auch wegen der Marktgrösse. Man muss hier festhalten, dass Polen das einzige Land in Europa war, das 2009 nicht in eine Rezession gerutscht ist. Aber die PiS-Regierung ist auch nicht so weit gegangen wie Orban in Ungarn. Ich weiss, nicht alle freut es, wenn ich das sage: In Polen ist es relativ unwichtig, wer an der Macht ist – rein wirtschaftlich gesehen. In Ungarn ist es etwas anders. Orban geht zwar sehr vorsichtig mit den grossen deutschen Firmen um, die dort seit Jahren aktiv sind. Er weiss, was er an ihnen hat. Es gibt noch Investitionen, aber vor allem von Unternehmen, die schon da sind. Neue Projekte gibt es dagegen wenig. Dafür kommt immer mehr chinesisches Geld ins Land.

NZZ: Also auch Ungarn nimmt keinen wirtschaftlichen Schaden dadurch, dass es sich nicht an das EU-Regelwerk hält.

Eher nein. Wobei man festhalten muss: Ungarn leidet merklich darunter, dass die EU Gelder zurückhält. Bis zur Pandemie war das Land einer der Top-Performer in der Region, doch seit sie weniger EU-Mittel bekommen, ist der Abschwung sehr stark.

NZZ: Diese EU-Gelder sind auch ein hochpolitisches Thema. Unbestritten sind sie für die Empfänger ein Segen – aber was haben die Nettozahler davon?

Die Bilanz ist auch für sie positiv. Die Menschen aus den neueren EU-Ländern retten den westeuropäischen Arbeitsmarkt seit Jahren. Die westeuropäischen Firmen, vor allem aus Deutschland und Österreich, aber auch aus der Schweiz, machen enorme Gewinne in der Region. Aus französischer oder spanischer Perspektive sieht die Bilanz vielleicht gemischter aus.

NZZ: Hatte die erste EU-Erweiterung auch negative Auswirkungen?

Ja, aber vor allem für die neuen Mitgliedsländer, die einen Teil der Bevölkerung nach Westeuropa verloren haben. Und zwar eher junge, gut ausgebildete Leute. Das hat in gewissen Ländern den Stadt-Land-Graben verstärkt, und das zeigt sich zum Teil auch in den politischen Entwicklungen, etwa in Polen. Und in manchen Ländern kam die wirtschaftliche Entwicklung nicht ganz so schnell voran. Die Stars sind Polen, Rumänien und das Baltikum. In Ungarn, Tschechien oder Slowenien ging es weniger schnell, wobei die letzten beiden von Anfang an reicher waren.

NZZ: Aber nimmt der Braindrain nach Westen nicht ab? Seit ein paar Jahren ist zum Beispiel in Polen der Wanderungssaldo positiv.

Nicht wirklich. Es gibt inzwischen einige gut ausgebildete Leute, die nach Osteuropa zurückgehen, aber das ist kein Trend. Die Wanderungsbilanz ist positiv geworden, weil diese Länder auch das Ziel von Migranten sind, allen voran für Flüchtlinge aus der Ukraine. Aber auch weil sie Arbeitskräfte ausserhalb Europas anwerben, vor allem in Asien. Auch sie leiden unter Fachkräftemangel, Tschechien ist besonders betroffen.

NZZ: Bei grösseren Erweiterungsschritten gab es im Vorfeld immer viel Skepsis. Sehen Sie Parallelen zu den Diskussionen, die heute im Hinblick auf die Ukraine und den Westbalkan geführt werden?

Wenn man in Wien sitzt, hat man den Eindruck, dass eine neue Erweiterung auch heute möglich ist, mindestens in den Westbalkan. Es gibt viel Unterstützung, auch weil die Wirtschaft sich grosse Vorteile in Südosteuropa ausrechnet. Gegenüber der Ukraine ist man hier skeptischer. Aber ich weiss, dass dies in anderen Teilen Europas anders gesehen wird. Dort gibt es mehr Unterstützung für die Ukraine und mehr Skepsis gegenüber dem Balkan. Ganz generell würde ich aber sagen: Der Ukraine-Krieg hat grundsätzlich die Offenheit gegenüber einer Erweiterung erhöht. Man ist sich bewusst: Es muss eine Reaktion auf Russlands Angriffskrieg geben. Dennoch bin ich skeptisch, dass es bald so weit kommt.

NZZ: Weshalb?

Neben den unterschiedlichen Präferenzen hinsichtlich der Beitrittskandidaten gibt es weitverbreitete Ängste: um das EU-Budget und um die Landwirtschaft, vor allem wenn die Ukraine dazukommt. Und das grösste Problem ist das Vetorecht eines jeden Mitgliedstaates. Das krasseste Beispiel ist Nordmazedonien. Fast 20 Jahre haben sie mit Griechenland über die Namensänderung gestritten. Jetzt, da dies vorbei ist, wird die Annäherung an die EU von den Bulgaren blockiert, weil sie eine Verfassungsänderung zugunsten der bulgarischen Minderheit fordern. Wenn alle 27 Länder ihre individuellen Bedenken anmelden können, und damit den Prozess stoppen, wird das sehr schwierig.

NZZ: Das war auch eine der Befürchtungen der Erweiterungsskeptiker – dass die EU weniger handlungsfähig wird.

Absolut. Bei dieser Bilateralisierung geht es ja auch gar nicht mehr darum, dass diese Länder die Bedingungen für den Beitritt erfüllen. Allein das ist schwierig, und das ist auch gut so. Es ist per se viel politische Arbeit – und dann kommen die Bulgaren und blockieren, ich finde das höchst problematisch.

NZZ: Aber das geopolitische Interesse einer Erweiterung war wohl kaum je grösser als heute.

Ja, aus rein geopolitischen Gründen müsste man sofort erweitern. Aber die Diskussionen in Brüssel drehten sich schon immer darum, ob eine Erweiterung geopolitisch begründet sein soll oder eben streng an die Erfüllung von Bedingungen geknüpft. Ich glaube, es war und ist immer eine Mischung. Schon 2004 und vor allem 2007 waren die geopolitischen Argumente stark. Niemand war wohl überzeugt, dass Rumänien und Bulgarien institutionell wirklich bereit waren. Aber dieser Krieg in der Ukraine zeigt jetzt, was für eine wichtige Entscheidung das war. Beide Länder sind als EU- und Nato-Mitglieder sehr wichtig bei der Unterstützung der Ukraine.

NZZ: Für welches Land stehen die Chancen am besten?

Ich denke für Montenegro. Es ist klein und institutionell wie auch wirtschaftlich weit fortgeschritten. Die derzeitige Regierung beschäftigt sich stark mit den notwendigen Reformen. Aus Sicht der EU sind Risiken und Kosten relativ klein, Montenegro hat 600 000 Einwohner. Und es wäre ein wichtiges Signal: Es ist jetzt 11 Jahre her, seit die EU zuletzt ein Land aufgenommen hat, Kroatien. Grade in Südosteuropa glauben viele Leute nicht mehr an die EU-Mitgliedschaft. Richard Grieveson ist stellvertretender Direktor des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW). Er koordiniert die Analysen und Prognosen für Mittel-, Ost- und Südosteuropa, forscht aber auch zum EU-Erweiterungsprozess und der damit verbundenen Integration. NZZ, 30. April 2024, S. 5


Personenfreizügigkeit: Kehrseite in der EU

Aus der Sicht der EU ist der freie Personenverkehr eine grosse Errungenschaft. Trotzdem gibt es auch in der EU negative Folgen. Die sehen aber ganz anders aus als jene, die in der Schweiz so heftig diskutiert werden. Kopfzerbrechen bereitet der EU die folgende Kehrseite der Personenfreizügigkeit: der Bevölkerungsrückgang in vielen Regionen der EU.

Der ehemalige italienische Ministerpräsident Enrico Letta hat in einem Bericht zum Binnenmarkt zuhanden des EU-Rates Mitte April 2024 darauf hingewiesen: 135 Millionen EU-Bürger, also fast ein Drittel der Bevölkerung, lebten in Regionen, die in den vergangenen 20 Jahren zurückgefallen seien. Binnenmarkt dürfe nicht bloss heissen, dass man dorthin ziehen könne, wo man wolle, sagt Letta. Vielmehr müsse es auch «die Freiheit zu bleiben» geben.

Das Herzstück der EU

Die Sicht der EU-Bürger und der Schweizer auf die Personenfreizügigkeit ist verschieden. Das ist auch auf die Zahl der Zuwanderer zurückzuführen. Denn merkwürdigerweise arbeiten nur in den grossen Mitgliedsländern Deutschland, Spanien und Italien mehr zugewanderte EU-Bürger als in der Schweiz. Prozentual zur Arbeitsbevölkerung betrachtet ist nur Luxemburg ein noch stärkerer Magnet als die Schweiz, das Grossherzogtum stellt als Kleinstaat aber einen Sonderfall dar. Migrationsdebatten gibt es zwar auch in den EU-Ländern, es geht dabei aber nicht um die Personenfreizügigkeit. In deutschen Dörfern klagen die Bewohner zum Beispiel darüber, dass sie im Verhältnis zur Bevölkerung zu viele Asylbewerber aufzunehmen hätten.

In der österreichischen Hauptstadt Wien schlagen die Lehrer gerade Alarm, weil das Schulsystem bei der Einschulung von Flüchtlingskindern an Grenzen stösst. Und in den Niederlanden weisen Ökonomen warnend darauf hin, dass das Land zu viele schlecht qualifizierte Migranten anziehe. Den Grund dafür sehen sie in den liberalen Arbeitsgesetzen. Von diesen profitierten besonders Branchen mit einer geringen Wertschöpfung, etwa die Landwirtschaft.

Keine dieser Klagen steht jedoch mit der Personenfreizügigkeit in Verbindung. «Sie ist das Herzstück der EU», sagt Jake Benford, Europa-Experte bei der Bertelsmann-Stiftung. Sie anzuzweifeln, stehe nicht zur Debatte. «Die Europäer scheinen sie komplett angenommen zu haben, viele kennen schliesslich auch nichts anderes.» Für die EU-Kommission stellt der Binnenmarkt ohnehin das Rückgrat der Wirtschaft dar. «Er ist eine der grössten Errungenschaften der EU», sagte Maros Sefcovic, der für die Schweiz zuständige Kommissar, jüngst gegenüber der NZZ.

Zuwanderung ist ein Erfolgsbeweis

Lettas Aussage, dass dieser Erfolg mit der Abwanderung eine Kehrseite habe, ist nicht neu. Seit Jahrzehnten verfolgt die EU das Ziel, dass sich der wirtschaftliche Entwicklungsstand der Regionen im Binnenmarkt möglichst angleichen sollte. Dafür gibt sie sehr viel Geld aus. Im laufenden Budget 2021 bis 2027 sind für die regionale Förderung fast 400 Milliarden Euro vorgesehen – das ist ein Drittel der Gesamtausgaben und etwa gleich viel, wie für die Landwirtschaft budgetiert ist. Was die Massnahmen gebracht haben, lässt sich wissenschaftlich allerdings kaum nachweisen. Schliesslich weiss niemand genau, was passiert wäre, wenn die EU weniger oder gar kein Geld in wirtschaftlich schwache Regionen gepumpt hätte. Die Abwanderung aus vielen ländlichen Gegenden konnten die Finanzhilfen auf jeden Fall nicht unterbinden. Vielleicht wäre sie aber ohne Unterstützung noch stärker ausgefallen.

In der EU fand in den vergangenen 30 Jahren eine Wanderung von Südost- nach Nordwesteuropa und in die grossen Agglomerationen statt. Den stärksten Sog hätten dabei diejenigen Städte entwickelt, die über einen hochentwickelten Tertiärsektor verfügten, schreibt der Brüsseler Think-Tank Espon. «Gut ausgebildete Migranten ballen sich in Orten, wo auch die einheimische Bevölkerung gut ausgebildet ist.» Ferner entfalten laut Espon erstklassige öffentliche Dienste, ein angenehmes soziales Klima und eine verlässliche Verwaltung Anziehungskraft auf Migranten.

Alle diese Kriterien treffen auf die Schweiz zu, das scheint auch in Brüssel die vorherrschende Meinung zu sein. Wirtschaftlich prosperierende Gegenden ziehen Migranten an, wodurch sie noch wohlhabender werden.

Gegenüber der NZZ hat der Kommissar Sefcovic betont, wie stark viele Regionen in der Schweiz vom Binnenmarkt profitiert hätten. Seine Sicht mag zwar politisch gefärbt sein, weil die Schweiz und die EU derzeit über ein neues Vertragswerk diskutieren. Aber auch der Think-Tank Espon hält die Schweiz für einen erstklassigen Wirtschaftsstandort mit hoher Anziehungskraft – sie stuft ihn gar als «strongly attractive» für Arbeitskräfte ein. In diese Kategorie fallen ausser der Schweiz die Grossregionen Oslo, Stockholm, Dublin, London oder Edinburg. NZZ, 29. April 2024, S. 21


Pandemieabkommen und Demokratie

Am 17. April 2024 wurde ein neuer offizieller Entwurf zu den Änderungen der Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV) veröffentlicht. Dieser entschärft zwar einige der bisherigen stark kritisierten Bestimmungen, gibt aber gleichwohl dem WHO-Generaldirektor eine weitreichende und alleinige Kompetenz zur Feststellung einer gesundheitlichen Notlage von internationaler Tragweite einschliesslich einer pandemischen Notlage – ohne unabhängige Überprüfungsmöglichkeit und Verantwortlichkeit. Der Generaldirektor braucht den Rat des von ihm selber eingesetzten Notfallausschusses auch nicht zu befolgen, sondern kann sich darüber hinwegsetzen.

Ein wesentliches Instrument zur Kompetenzerweiterung sind insbesondere Bestimmungen, die als Einfallstor für Zensurmassnahmen und die praktische Ausgestaltung der Begriffe «Fehlinformation und Desinformation» und deren «Bekämpfung» bzw. «Verhinderung» gewertet werden müssen: Was im Bereich der öffentlichen Gesundheit «falsche oder unzuverlässige Information», «glaubwürdig und faktengestützt» oder «Fehlinformation und Desinformation» sein soll, bestimmt sich damit nicht mehr im freiheitlichen offenen Diskurs, sondern unterliegt der Deutungshoheit der WHO und ist von den Vertragsstaaten auf dem Wege der Zensur und Informationsunterdrückung – völkerrechtlich verbindlich – durchzusetzen.

Das sind nicht Anpassungen der IGV von «eher geringfügiger und technischer Natur», als welche diese schon heruntergespielt wurden. Vielmehr stellen sie eine Bedrohung freiheitlich-demokratischer Grundrechte wie Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit dar, deren Auswirkungen bereits etwa bei der in der EU geltenden Digital Services Act (DSA) sichtbar werden und zu einer zunehmenden Verengung des Meinungskorridors führen.

Besonders stossend ist, dass die WHO sich um ihre eigenen gesetzlichen Regeln foutiert. Eigentlich muss gemäss Art. 55 Abs. 2 IGV der Wortlaut jedes Änderungsvorschlags allen Vertragsstaaten durch den Generaldirektor mindestens vier Monate vor der Gesundheitsversammlung, auf der er zur Beratung vorgeschlagen wird, übermittelt werden, was jedoch nicht geschehen ist. Die WHO verletzt damit zudem Art. 26 des Wiener Übereinkommens über das Recht der (völkerrechtlichen) Verträge, wonach ein in Kraft stehender Vertrag die Vertragsparteien bindet und von ihnen nach Treu und Glauben zu erfüllen ist. Es wäre unverantwortlich, noch mehr Macht einer – finanziell erheblich von nichtstaatlichen Akteuren abhängigen – Organisation einzuräumen, welche gegen Treu und Glauben ihre eigenen Verfahrensregeln bricht. Das hat weder mit Ängsten vor einer globalen Organisation noch mit «Fehlinformation» zu tun, sondern das sind einfache rechtlich erhebliche Fakten. Diesen ins Auge zu sehen, liegt in der Verantwortung der zuständigen nationalen Organe.

Einen Anfang dazu gemacht hat das niederländische Parlament mit der Gutheissung einer Motion, die von der Regierung die Ablehnung der IGV verlangt. Und in der Schweiz hat der Nationalrat unlängst eine Motion gutgeheissen, welche vom Bundesrat die Vorlage der Pandemieverträge im Parlament verlangt. Das intransparente Durchwinken der IGV an der Weltgesundheitsversammlung dagegen bedeutete einen elementaren Rechtsbruch mit unabsehbaren Folgen für unsere Demokratie. Jürg Vollenweider war Leitender Staatsanwalt im Kanton Zürich. Er engagiert sich im Widerstand gegen die beiden geplanten WHO-Regelwerke und ist Mitglied des Netzwerks Dialog Globale Gesundheit. NZZ, 29. April 2024, S. 18


Die EU kämpft um ihr finanzielles Gleichgewicht

und führt neue Regeln zur Reduktion von Staatsschulden ein

Viele Gräben bestehen zwischen den EU-Mitgliedsstaaten, ein besonders tiefer existiert aber in der Fiskalpolitik. Einige Länder sind für strikte Budgetdisziplin und leben diesem Prinzip auch nach. Bei anderen ist die Staatsverschuldung längst aus dem Ruder gelaufen. Im Fall von Italien etwa liegt sie bei 137 Prozent der Wirtschaftsleistung (BIP). Schweden dagegen weist lediglich einen Wert von 31 Prozent auf. Einige kleine Länder sind noch weniger verschuldet.

Eigentlich wären die Staaten verpflichtet, bei den Schulden und dem Budget strenge Schwellenwerte einzuhalten. Die Verschuldung sollte höchstens 60 Prozent des BIP betragen, das Budgetdefizit maximal 3 Prozent. Wer es nicht schafft, diese Limiten einzuhalten, muss mit finanziellen Sanktionen der EU-Kommission rechnen.

Die Länder foutieren sich um die Regeln

Allerdings blieb das reine Theorie. Bisher ist kein EU-Mitglied wegen zu hoher Schulden bestraft worden, obwohl 13 von ihnen derzeit die Verschuldungsgrenze nicht einhalten. Die Regeln haben so ihre Glaubwürdigkeit längst verloren. Die EU will daher den sogenannten Stabilitäts- und Wachstumspakt reformieren. Das Parlament hat diesem Vorhaben im April 2024 zugestimmt. An den Schwellenwerten von 60 Prozent und 3 Prozent wird man festhalten. Neu wird dagegen sein, dass die Kommission mit jedem Defizitsünder eine Vereinbarung trifft, wie dieser mit der Zeit auf eine Maximalverschuldung von 60 Prozent des BIP kommt. Stark verschuldete Mitglieder etwa sollen ihre Verbindlichkeiten um einen Prozentpunkt pro Jahr vermindern. Im Vergleich mit heute erhalten die Länder damit mehr Zeit, um den Staatshaushalt in Ordnung zu bringen.

Gerade die individuellen Vereinbarungen stossen allerdings auch auf Kritik. Das sei zu viel Flexibilität, sagt ein Parlamentarier. Weiterhin bestehe das Risiko, dass ein stark verschuldeter Staat wie Frankreich nicht mit Sanktionen belegt werde – einfach weil es sich um das mächtige Frankreich handle.

Ein schwaches Land ist eine Gefahr für die ganze EU

Der finanzielle Spielraum gewisser Mitglieder ist mittlerweile sehr eng geworden. Italien beispielsweise ist kaum mehr in der Lage, Schocks standzuhalten. Als im März 2020 die Covid-19-Pandemie ausbrach, initiierten die Kommission und die Europäische Zentralbank riesige Hilfspakete. Der grösste Nutzniesser davon war Italien. Damals bestand das Risiko, dass sich das südeuropäische Land und weitere EU-Staaten am Kapitalmarkt nicht mehr finanzieren könnten. Wenn dieser Fall eingetreten wäre, hätte das eine Gefahr für die EU als Ganzes bedeutet.

Politiker drängen daher darauf, dass die EU-Kommission künftig die Strafverfahren durchsetzt, wenn sich Länder um die Fiskalregeln foutieren. «Wenn die Kommission die gleiche ‹Laisser-faire›-Strategie wie bei den alten Regeln anwendet, sind wir dem Untergang geweiht», sagt Markus Ferber von der Europäischen Volkspartei. Der Parlamentarier meint damit: Ein Zwischenfall in einem Land kann schwere Folgen haben für alle EU-Mitgliedsländer.

Die EU hat Angst, abgehängt zu werden

Die EU und die Mitgliedsstaaten verfolgen gerade ehrgeizige Projekte. Sie wollen den Schienenverkehr ausbauen, die Landwirtschaft soll grüner werden und die Wirtschaft generell digitaler. Im Staatenbund geht die Angst um, von den USA und von China wirtschaftlich abgehängt zu werden. Eine aktive Industriepolitik ist in der EU deshalb kein Tabu mehr. Niemand weiss allerdings, woher das Geld für die vielen Projekte kommen soll.

Der ehemalige italienische Ministerpräsident Enrico Letta hat in einem Bericht für die Kommission vor einer Woche vorgeschlagen, eine Kapitalmarktunion zu schaffen. Ein einheitlicher Binnenmarkt auch im Finanzbereich würde es laut ihm erleichtern, privates Kapital für die von der EU geplanten Vorhaben zu gewinnen. Investoren geben den EU-Mitgliedsländern allerdings nur Geld für Grossprojekte, wenn sie ihnen auch vertrauen. «Am Schluss entscheidet der Kapitalmarkt, ob man Geld erhält», sagt ein Parlamentarier. Solide Staatsfinanzen sind dafür eine Voraussetzung. Das setzt aber Sparmassnahmen voraus. Gewisse Parteien, etwa die Grünen, sind dazu aber nicht bereit. Sie haben die Reform des Stabilitätspakts abgelehnt. Das zeigt, in welchem Dilemma sich die EU und die Mitglieder befinden.

Die EU wird zum Geldesel

Kurzfristig kann sich die EU diesem Widerspruch entziehen, indem sie als fast schuldenfreie Organisation Kapital aufnimmt und dieses an die Mitgliedsländer weiterreicht. So geht sie beim Covid-Aufbaufonds vor, für den sich die EU mit bis 750 Milliarden Euro verschulden darf.

Dieses Vorgehen birgt aber Gefahren. Ein Teil des Geldes, das die Länder von der EU erhalten, sind Beihilfen («grants»), als nicht rückzahlbare Geschenke. Die EU wird ihre Gläubiger aber bedienen müssen. Noch fehlen ihr die Einnahmen dazu. Die Länder haben zwar versprochen, der EU neue Finanzquellen zu verschaffen. Noch haben sie diese Zusage aber nicht eingehalten. Wen erstaunt’s? Schliesslich können zu viele von ihnen die Verschuldungs- und Budgetregeln nicht einhalten. Geld nach Brüssel umzuleiten, liegt aus ihrer Sicht nur schwer drin. NZZ, 24. April 2024, S. 24.


Der Covid-Aufbaufonds der EU: Wenn viel Geld auch ein Fluch ist

Um die Folgen der Pandemie zu bekämpfen, hat die EU einen riesigen Hilfsfonds geschaffen. Soeben hat der die Hälfte seiner Laufzeit erreicht. Die Zwischenbilanz fällt gemischt aus. Italien hat gerade ein Problem, das niemand mit dem Land in Verbindung brächte: zu viel Geld zum Ausgeben. Es allein erhält rund 200 Milliarden Euro aus dem EU-Aufbaufonds, in dem über 730 Milliarden liegen. «Die Zeit ist zu kurz bemessen, um dieses Geld sinnvoll zu verwenden», sagt der Ökonom Tito Boeri von der Mailänder Bocconi-Universität. Der Verwaltung fehlten die Fachleute, um Projekte zu initiieren und professionell zu begleiten. Die EU hat den Aufbaufonds 2021 als Massnahme gegen die Verwerfungen der Covid-19-Pandemie gegründet. Bis 2026 wird er Auszahlungen vornehmen. Es ist also Halbzeit, und für Brüssel ist der Moment gekommen, um Bilanz zu ziehen zum vielleicht teuersten Vorhaben in der Geschichte des Staatenbundes.

Die EU stand in den vergangenen 16 Jahren mehrmals vor Krisen. Im Jahr 2008 wurde sie schwer von der Finanzkrise getroffen, und ab 2010 führten die Liquiditätsprobleme Griechenlands immer wieder zu heftigen Konflikten in der EU und zu Spannungen am Finanzmarkt.

Diese Krisen haben Europa geprägt. Als im Frühjahr 2020 die Pandemie ausbrach, wollte die EU verhindern, von den Ereignissen erneut überrollt zu werden. In Brüssel ging die Furcht um, dass sich vor allem die südeuropäischen Länder am Finanzmarkt nicht mehr zu günstigen Konditionen finanzieren könnten. Es bestand die Gefahr einer neuerlichen Zerreissprobe zwischen den wohlhabenden und den ärmeren Mitgliedsstaaten.

Dieses Risiko wollte die EU-Kommission mit dem Aufbaufonds abwenden. Gleichzeitig soll er dazu beitragen, die grüne und digitale Transformation des Kontinents voranzutreiben – ein Vorhaben, das ohnehin verfolgt wird. Staatsanwaltschaft geht gegen Betrüger vor

Der deutsche EU-Parlamentarier Niclas Herbst von der Europäischen Volkspartei (EVP/CDU) hält den Fonds für eine gute Idee und erachtet ihn als nötiges Projekt. «Die technische Umsetzung durch die Kommission funktioniert», sagt der Politiker und stellvertretende Leiter des Haushaltsausschusses.

Die Kommission begutachtet die Projekte genau. Sie will unbedingt den Eindruck vermeiden, dass sie mit dem vielen Geld nachlässig umgehe. Doch das milliardenschwere Programm zieht Betrüger an. Die Europäische Staatsanwaltschaft EPPO hat 2023 über 230 Ermittlungen eingeleitet. Anfang April nahm die Polizei zum Beispiel in Italien, Österreich, Rumänien und in der Slowakei mehr als 20 Verdächtige fest. Über Scheinfirmen sollen sie über 600 Millionen Euro aus dem Fonds erschlichen haben.

Wirtschaftlich hat Europa nach der Pandemie rasch aus der Krise gefunden, eine Finanzkrise konnte vermieden werden. Ob das mehr dem Fonds geschuldet war oder eher der wiedererwachten Konsumfreude der Europäer nach der lähmenden Zeit der Lockdowns, wird man jedoch nie nachweisen können.

Derselbe Einwand gilt, wenn die EU leicht triumphierend darauf hinweist, dass dank dem Fonds 5,5 Millionen Haushalte schnelle Internetverbindungen erhalten hätten. Möglicherweise wären diese Investitionen auch sonst getätigt worden, bloss hätte sie in diesem Fall der Mitgliedsstaat finanziert und nicht die EU. Es könnte sich also um reine Mitnahmeeffekte handeln.

Grundsätzliche Vorbehalte gegen den Fonds gibt es allerdings auch, und diese werden in Brüssel auch künftig zu heftigen Diskussionen führen. Manche Politiker sehen in dem Vehikel nämlich eine Art Mustervorlage für weitere Finanzierungsfonds der EU, etwa im Bereich der Verteidigung. Doch diese Absichten sind sehr umstritten.

Für den Aufbaufonds nimmt die EU zum ersten Mal in grossem Umfang Geld am Kapitalmarkt auf. Die Obergrenze beträgt 750 Milliarden Euro. Dieses Geld verteilt sie teilweise als nicht rückzahlbare Beihilfen («Grants») an die Mitgliedsländer. Niclas Herbst von der EVP kritisiert diesen Mechanismus. Eigentlich ist angedacht, dass die EU neue Einnahmequellen bekommt, etwa aus dem Emissionshandelssystem ETS. Schliesslich muss sie das aufgenommene Kapital bis 2058 zurückzahlen.

Aber die Mitgliedsstaaten haben es nicht eilig, die EU mit zusätzlichen Geldmitteln auszustatten, zumal viele von ihnen selbst Finanzprobleme haben. Gleichsam Gratisgeld in der Form von Beihilfen aus Brüssel zu erhalten, das bei ihnen nicht als Schuld auftaucht, damit können einige Mitgliedsländer offenbar gut leben. Herbst dagegen will sich damit nicht abfinden. Er befürchtet, dass die EU zu wenig Mittel erhält, um die Schulden des Aufbaufonds zurückzubezahlen, und deshalb bei nichtgebundenen Ausgaben sparen muss, etwa bei der Forschung. «Die Mitgliedsländer sollen politische Prioritäten setzen, statt mehr Schulden zu machen», fordert er.

Das Parlament fühlt sich ausgeschlossen

Der Fonds ist für die EU ein völlig neues Instrument. Daher fehlen die Erfahrungen mit dessen Stärken und Schwächen. Ein Demokratiedefizit hatte die Schaffung des Fonds aber auf jeden Fall. Die Kommission und die Mitgliedsländer (der Rat) stützten sich dabei auf den Notstandsartikel 122 des EU-Vertrages. Das Parlament wurde zwar informiert und angehört, hatte aber nichts zu sagen. «Es gab kein legislatives Verfahren», sagt Herbst. Das dürfe sich nicht wiederholen.

Der Ökonom Laurent Maurin von der Europäischen Investitionsbank EIB vermisst am Aufbaufonds zudem die europäische Dimension. «Er hat die Integration der EU zu einem einheitlichen Wirtschaftsraum nicht vorangetrieben», sagte er an einem Anlass des Brüsseler Think-Tanks Bruegel. Stattdessen sei er vollständig auf die Mitgliedsstaaten ausgerichtet.

Das ist auch auf die Entstehungsgeschichte des Aufbaufonds zurückzuführen. Nicht alle Mitgliedsländer wurden von der Pandemie im gleichen Mass getroffen: Einige waren widerstandsfähiger, weil sie über ein effizientes Gesundheitswesen und solide Staatsfinanzen verfügten, andere verletzlicher, weil es ihnen gerade daran mangelte.

In grösster Not befand sich Italien im März 2020. Als die Pandemie über Europa hereinbrach, stiegen die Zinsen für italienische Staatsanleihen stark. Die Europäische Zentralbank (EZB) musste intervenieren, um eine Finanzkrise zu verhindern. Gleichzeitig war die pandemische Lage zeitweise nirgends in Europa so dramatisch wie in Norditalien. Das ist der Hauptgrund, warum das Land den höchsten Betrag aller EU-Staaten erhält.

Die Angst vor hohen Folgekosten

Mit dem Ökonomen Boeri stammt aber auch ein besonders scharfzüngiger Kritiker des Fonds aus Italien. Er bemängelt nicht nur, dass sein Heimatland einen kaum zu bewältigenden «Superbonus» aus Brüssel bekommen habe, sondern hinterfragt auch die Art und Weise, wie die Projekte umgesetzt werden.

Gemeinden beispielsweise könnten zwar Geld erhalten, um Kindergärten und Krippen zu schaffen. Viele würden aber vor einer solchen Investition zurückschrecken, weil sie die Folgekosten der Projekte fürchteten. Für diese kommt nicht mehr Brüssel auf, vielmehr müssen sie dann von den oft finanzschwachen Gemeinden gedeckt werden.

Boeri räumt ein, dass sich wohl nie schlüssig beantworten lasse, ob ein Fonds in diesem Umfang angezeigt gewesen sei. Zumal ja auch die EZB zugunsten der Länder am Kapitalmarkt interveniert habe. Letztlich wüssten weder die Länder noch die EU genau, was mit dem vielen Geld tatsächlich bewirkt werde. NZZ, 22. April 2024, S. 4


Der Menschenrechtsgerichtshof hat den Rubikon überschritten

Richter und Richterinnen sollten nur über das entscheiden, was ein Urteil auch anordnen und gestalten kann. Der Klima-Entscheid des Europäischen Gerichtshofs gegen die Schweiz ist politisch motiviert und nützt dem Klimaschutz nichts. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg (EGMR) hat die Beschwerde des Vereins Schweizer Klimaseniorinnen gutgeheissen und festgestellt, dass unser Land zu wenig für den Klimaschutz unternehme. Damit sei Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verletzt, welcher den Anspruch auf Achtung des Privat- und Familienlebens garantiert.

Dieses Urteil steht juristisch auf tönernen Füssen. Es nützt dem Klimaschutz nichts und gefährdet das System des Menschenrechtsschutzes in Europa.

Fehlende Justiziabilität

Die Grenzziehung zwischen Politik und Justiz – was ist Sache dieser, was ist Sache jener – ist das fundamentale Thema, seit es den demokratischen Rechtsstaat westlicher Prägung gibt. Dazu hat sich im Laufe der Jahrhunderte ein gesicherter Fundus an rechtlichen Einsichten und Erkenntnissen herausgebildet. Diesen wirft der EGMR mit seinem neuesten Urteil vollends über Bord. Der Rubikon ist überschritten – definitiv.

«Schuster, bleib bei deinem Leisten», sagt der Volksmund, was auf Stufe Gerichte heisst: Richter, Richterin, entscheide nur über das, was dein Urteil anordnen, gestalten kann. Mit der aktuellen Sentenz aus Strassburg wird nicht ein Jota am Klimaschutz verbessert. Es ist ein reines sogenanntes «Appellurteil», das heisst, die Schweiz, ihre Behörden, Volk und Stände werden aufgerufen, im Sinne des im Urteil Gesagten zu handeln. Der Inhalt dieses Appells ist total unbestimmt. Auch in der Klimapolitik führen viele Wege nach Rom. Das nun ergangene EGMR-Urteil ist nicht vollstreckbar.

Richterliche Zurückhaltung aufgegeben

Die Geschichte seit der Aufklärung lehrt, dass all jene rechtsstaatlichen Ordnungen zusammengebrochen sind, in denen sich die Justiz zu viel zugemutet hat. Daher ist richterliche Zurückhaltung in politischen Auseinandersetzungen ein Gebot jeder Stunde: Wo sich ein Ziel – auf staatlicher und auf internationaler Ebene – auf verschiedene Weise, mit unterschiedlichen Ansätzen und Konzepten anstreben lässt, hat nicht das Gericht ein «Recht» zu sprechen, das es so gar nicht gibt. Vielmehr ist das eine Angelegenheit für die politische – bei uns: für die demokratische – Ausmarchung.

Verzicht auf den rechtlichen Anfechtungsgegenstand

Es gehört nun wirklich zum ABC des Prozessrechts: Das müsste auch der EGMR wissen: Es bedarf eines «Anfechtungsobjektes», wie es im juristischen Jargon genannt wird, damit ein oberes Gericht (oder hier im Falle des EGMR ein internationales Gericht) urteilen darf. Darauf hat der EGMR in seiner Rechtsprechung schon seit geraumer Zeit mehr oder weniger verzichtet. Und einen solchen innerstaatlichen Justizakt gibt es hier überhaupt nicht mehr. Worüber der EGMR in Sachen Klage der Klimaseniorinnen direkt geurteilt hat, ist schlicht und einfach die schweizerische Klimapolitik als solche. Darin liegt eine Einmischung in die Politik, die nicht nur – weil selber völkerrechtswidrig – klar unzulässig, sondern darüber hinaus auf längere Sicht dazu geeignet ist, den europäischen Menschenrechtsschutz in seinen Grundfesten zu erschüttern. Denn in politischen Dingen gibt es nun einmal keine rechtlich gesicherte Akzeptanz. NZZ, 12. April 2024

Ulrich Meyer war von 1987 bis 2020 Bundesrichter und von 2017 bis 2020 Bundesgerichtspräsident und ist SP-Mitglied.


Frankreich droht zu einem finanzpolitischen Problem für Europa werden

wie Griechenland. Nur viel grösser

Ein Milliardenloch im Staatshaushalt führt dazu, dass für Paris die Einhaltung der Maastricht-Kriterien reines Wunschdenken geworden ist. «Die Situation ist ernst», sagt Frankreichs Premierminister Gabriel Attal – und meint damit die roten Zahlen. «Ein überschuldetes Land ist kein freies Land.» Die Statistiken sind in der Tat alarmierend. Wie kürzlich bekanntwurde, betrug das Staatsdefizit im letzten Jahr 5,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP).

Frankreich hat nun Gesamtschulden von über 3100 Milliarden Euro angehäuft, das entspricht 110 Prozent des BIP und damit dem dritthöchsten Wert in der EU. Es ist die logische Folge davon, dass Frankreich seit 1974 keinen ausgeglichenen Staatshaushalt mehr ausgewiesen hat. Damals endeten mit dem Erdölschock die «Trente Glorieuses», die knapp 30 Boomjahre nach dem Zweiten Weltkrieg.

50 Milliarden für Schuldzinsen

Noch droht nicht unmittelbar ein Staatsbankrott, noch findet Frankreich Leute und Institutionen, die seine Schulden finanzieren. Schliesslich ist es ein «sicheres und sehr offenes Land», wie Pierre Moscovici betont, der Präsident des Rechnungshofes und frühere Finanzminister. Bei der Rating-Agentur Moody’s hat Frankreich derzeit noch die zweitbeste Bonitätsnote, «Aa», als «guter Schuldner». Eine neue Einschätzung ist für den 26. April angekündigt, es droht eine Rückstufung. Doch der Schuldendienst belastet den Staatshaushalt schwer. Die Schuldzinsen belaufen sich derzeit auf über 50 Milliarden Euro, in zwei Jahren könnten es angesichts der anhaltend hohen Zinsen sogar 60 Milliarden sein. Das sind ähnliche Dimensionen wie die Ausgaben des französischen Staates für Bildung (89 Milliarden Euro) oder das Militär (68 Milliarden Euro). Es bleibt deshalb kaum Geld übrig für nötige Investitionen, wie Gabriel Attal betont. Und auch die Zurückhaltung Frankreichs bei der finanziellen und militärischen Unterstützung der Ukraine lässt sich teilweise mit den maroden Finanzen erklären.

Zudem ist Frankreich weit davon entfernt, die Verpflichtungen des Vertrags von Maastricht einzuhalten. Um in der europäischen Währungsunion ein solides Finanzgebaren der Mitglieder zu sichern, erlaubt der Vertrag ein Defizit von höchstens 3 Prozent des BIP. Geschafft hat das Frankreich unter Präsident Emmanuel Macron immerhin zweimal – in seinen beiden ersten vollen Amtsjahren 2018 und 2019. Dann kam die Pandemie und mit ihr ein Rekorddefizit.

Defizit reduzieren – aber wie?

Die im letzten Herbst vorgestellte Finanzplanung der Regierung sieht vor, das Defizit bis 2027 wieder auf unter 3 Prozent des BIP zu drücken. Der Wirtschaftsminister Bruno Le Maire betonte seine «totale Entschlossenheit», das Ziel zu erreichen und aus dem Teufelskreis von Defizit und Schuldzins auszubrechen. Dabei helfen soll auch die Rentenreform, die Macron im letzten Jahr gegen massiven Widerstand in der Bevölkerung durchgeboxt hat. Bis 2030 wird das Rentenalter stufenweise von 62 auf 64 Jahre erhöht.

Nach der Bekanntgabe des jüngsten Defizits ist in Frankreichs Politik eine fieberhafte Debatte über weitere Massnahmen gegen das Finanzmalaise ausgebrochen. Präsident Macron hat stets erklärt, höhere Steuern kämen nicht infrage – zumal Frankreich bereits eine der höchsten Steuerquoten in der OECD hat. Premierminister Attal weichte bei einer Fragestunde am Fernsehen diese Position kürzlich allerdings etwas auf. Die beiden «roten Linien», die keinesfalls überschritten werden dürften, sind für ihn Steuererhöhungen für den Mittelstand und für jene, die Arbeit schaffen, also die Unternehmen.

Yaël Braun-Pivet, Präsidentin der Nationalversammlung und Mitglied von Macrons Partei Renaissance, hat dennoch eine Sondersteuer ins Spiel gebracht: für Firmen, die «Superprofite» machen und hohe Dividenden auszahlen. Die 40 führenden französischen Aktiengesellschaften haben 2023 zusammen einen Gewinn von 155 Milliarden Euro erwirtschaftet – das weckt Begehrlichkeiten in der Politik.

Keine Anpassung an die Inflation

Die Regierung möchte allerdings lieber bei den Ausgaben als bei den Einnahmen ansetzen. Und da ist Kreativität gefragt angesichts des programmierten Widerstands von Interessengruppen, die von Sparmassnahmen betroffen wären. Der Renaissance-Fraktions-Chef Sylvain Maillard plädiert für eine «année blanche»: Sozialleistungen, Renten und Mindestlöhne sollen ein Jahr lang nicht an die Inflation angepasst werden. Hätte Frankreich dies auf das Jahr 2024 hin getan, hätte dies die Staatsausgaben um rund 25 Milliarden Euro reduziert.

Premierminister Attal hingegen verkauft eine Reform der Arbeitslosenversicherung als Allheilmittel. Sie soll zu tieferen Ausgaben führen und gleichzeitig mehr Leute in den Arbeitsmarkt bringen, die dann wiederum höhere Steuern bezahlen. Die Arbeitslosenquote in Frankreich liegt derzeit bei 7,5 Prozent. Das ist einer der tiefsten Werte der letzten 20 Jahre, aber er ist etwas höher als beispielsweise in Deutschland (6 Prozent). Auch bei der Quote der Erwerbstätigen (73,6 Prozent der Personen zwischen 15 und 64 Jahren) schneidet Frankreich ein bisschen schlechter ab als der östliche Nachbar (76,9 Prozent).

Um dieses brachliegende Potenzial zu nutzen, will Attal die Leistungen der Arbeitslosenversicherung zurückfahren. Die maximale Bezugsdauer, die derzeit bei 18 Monaten liegt, soll auf 12 bis 14 Monate sinken. Zudem plant Attal schärfere Regeln für die Bezugsberechtigung: 6 Monate Erwerbstätigkeit in den vergangenen 24 Monaten sollen nicht mehr reichen.

Opposition ist alarmiert

Einfach schärfere Regeln bei der Arbeitslosenversicherung dekretieren kann die Regierung nicht. Denn es gilt die Sozialpartnerschaft zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften. Nur wenn sich diese nicht einigen, darf der Staat nach den heutigen Regeln eingreifen. Es würde also eine Gesetzesänderung brauchen – und es ist alles andere als gewiss, dass die Regierung eine solche durch beide Parlamentskammern bringen kann. Denn selbst in seiner eigenen Partei gibt es Leute vom linken Flügel, die nichts von einem weiteren Umbau der Arbeitslosenversicherung «auf dem Buckel der Ärmsten» wissen wollen – es wäre bereits die vierte Reform des Sozialwerks in der Ära Macron seit 2017.

Attal hat bisher darauf verzichtet, das Sparpotenzial der Übung zu beziffern. Da die Arbeitslosenversicherung «nur» 40 Milliarden Euro im Jahr kostet, würden wohl einzig massive Einschnitte spürbare Auswirkungen auf das Gesamtbudget haben. So dürfte der französische Staatshaushalt vorerst hochdefizitär bleiben. Auch die Agentur Moody’s glaubt nicht daran, dass das Land in drei Jahren die Maastricht-Kriterien erfüllen kann: Das sei «unwahrscheinlich», schrieb sie letzte Woche. Frankreich droht damit endgültig zu einem weiteren finanzpolitischen Sorgenkind Europas zu werden, fast wie Griechenland. Nur viel grösser. NZZ, 9. April 2024, S. 22


Umstrittener Impfstoff-Deal: Nun ermitteln Europas Korruptionsjäger gegen Ursula von der Leyen

2021 vereinbarten die Kommissionschefin und der Pfizer-CEO Albert Bourla einen Impfstoff-Deal in Milliardenhöhe. Womöglich wurden dabei relevante Nachrichten gelöscht. Europäische Staatsanwälte gehen dem Fall nach – dies zu einem kritischen Zeitpunkt für von der Leyen.

Ursula von der Leyen hätte es wohl selber in der Hand, allen Gerüchten und Anschuldigungen in der sogenannten Pfizer-Affäre den Nährboden zu entziehen. Doch die Lippen der Kommissionspräsidentin bleiben seit Jahren versiegelt. «Uns liegen keine spezifischen Informationen vor, was die EPPO untersuchen könnte», sagte am Dienstag eine Sprecherin der Kommission. Punkt, aus. Mehr gab es in der bemerkenswerten Angelegenheit, dass die Europäische Staatsanwaltschaft (EPPO) erstmals direkt gegen von der Leyen wegen möglicherweise strafbaren Fehlverhaltens ermittelt, von offizieller Seite nicht zu sagen.

Das Nachrichtenportal «Politico» hatte zuvor berichtet, dass die Behörde mit Sitz in Luxemburg den Fall von der Staatsanwaltschaft in Lüttich übernommen habe. Die Belgier hatten bereits Anfang 2023 eine Ermittlung gegen von der Leyen wegen «Einmischung in öffentliche Ämter, Vernichtung von SMS, Korruption und Interessenkonflikten» eingeleitet, nachdem eine Zivilklage eingereicht worden war. Klagen von allen Seiten

Der Kläger, ein belgischer Lobbyist, fand, dass die Kommissionschefin vor aller Augen die Transparenzregeln der EU verletzt habe. Und mit dieser Überzeugung war er nicht allein: Seiner Klage schlossen sich wenig später die polnische und die ungarische Regierung an. Parallel dazu klagten ausserdem eine Gruppe von EU-Abgeordneten und die «New York Times» vor dem Europäischen Gerichtshof gegen von der Leyen – in beiden Fällen wegen mutmasslichen Verstosses gegen die Grundrechtecharta der EU.

Bei den Vorwürfen geht es um die turbulente Zeit der Impfstoff-Beschaffung während der Corona-Pandemie. Ende 2020 hatten die Mitgliedstaaten beschlossen, dass die EU gemeinsam Vakzine beschaffen sollte. Die Kommission bestellte direkt bei den Herstellern, und sie konzentrierte sich dabei auf den amerikanischen Pharmariesen Pfizer.

Zwei Mal führten Teams der Kommission (in denen Vertreter der Mitgliedstaaten und Sachverständige sassen) die Verhandlungen mit Pfizer. Die Verhandlungen für den dritten Liefervertrag aber übernahm von der Leyen im Frühjahr 2021 persönlich, ohne dafür ein entsprechendes Mandat zu haben. Dabei ging es um die Lieferung von 1,8 Milliarden Impfstoffdosen mit einem geschätzten Auftragsvolumen von 35 Milliarden Euro aus EU-Steuergeldern.

Von der Leyen rühmte sich damals ihres guten Drahtes zu Albert Bourla, dem Pfizer-Vorstandsvorsitzenden. Das vertraute sie der «New York Times» an, die im April 2021 erstmals über die vertraulichen Gespräche zwischen der Kommissionschefin und Bourla berichtete. Über mehrere Monate hatten beide per SMS über das Geschäft verhandelt. Als die «New York Times» eine Einsicht in den Schriftverkehr verlangte, weigerte sich die Kommission, den Inhalt offenzulegen.

Auch die EU-Ombudsfrau Emily O’Reilly und der Europäische Rechnungshof wollten wissen, was in den Textnachrichten stand. Doch von der Leyens Behörde speiste sie mit der Information ab, dass keine Dokumente gefunden worden seien, die in ihren Geltungsbereich fielen. Resigniert stellte O’Reilly fest: «Die Antwort der Kommission auf meine Untersuchungsergebnisse hat weder die grundlegende Frage beantwortet, ob die fraglichen Textnachrichten existieren, noch Klarheit darüber geschaffen, wie die Kommission auf eine Anfrage nach jeglichen anderen Textnachrichten reagieren würde.»

Hat von der Leyen etwas zu verbergen? Eigentlich galt der Deal mit Pfizer auf dem Höhepunkt der Pandemie als grosser Triumph für die lange glücklos agierende Kommissionschefin. Die schiere Menge der bestellten Impfstoffdosen sorgte jedoch im Nachhinein für Aufsehen. Pfizer lieferte so viel Vakzine, dass allein im letzten Jahr Dosen im Wert von mindestens 4 Milliarden Euro vernichtet werden mussten. Zugleich war der Preis trotz der hohen Abnahmemenge im dritten Liefervertrag um wundersame 25 Prozent pro Dosis angestiegen.

Lästige Geschichte

Die Kommission hatte Pfizer das Quasi-Monopol für den Impfstoffmarkt übergeben, was nach EU-Wettbewerbsregeln mindestens fragwürdig war. Schon 2022 kündigte die EPPO an, die Praxis der Vakzinbeschaffung generell zu prüfen. Der «Politico»-Bericht ist jedoch ein Hinweis, dass sich die Staatsanwaltschaft nun auch explizit mit von der Leyens Textnachrichten beschäftigt.

Die EPPO ist eine unabhängige Einrichtung mit weitreichenden Befugnissen, die für den Schutz der finanziellen Interessen der EU ins Leben gerufen wurde. Ihre Leiterin, die Rumänin Laura Kövesi, ist eine resolute Korruptionsjägerin, die nicht in dem Ruf steht, unter politischem Druck einzuknicken.

Für von der Leyen kommt der Bericht zu einem unangenehmen Zeitpunkt. Die Deutsche bewirbt sich gerade um eine zweite Amtszeit als Kommissionspräsidentin und ist auf Unterstützung aus den Hauptstädten angewiesen. Immerhin kündigte Polens Premier Donald Tusk jüngst an, sich aus der gemeinsamen Klage mit Ungarn zurückzuziehen. Polens Vorgängerregierung und die Regierung von Viktor Orban hatten eine Chance gesehen, es von der Leyen, die beide Länder für Rechtsverstösse anprangert, mit gleicher Münze heimzuzahlen. NZZ, 3. April 2024, S. 3


Polen und die Eurozone

Fast 70 % der Polen wollen nicht, dass ihr Land der Eurozone beitritt. Die im Auftrag von Wirtualna Polska durchgeführte Umfrage zeigt, dass 66,8 % der Polen es vorziehen würden, den 500 Jahre alten Zloty beizubehalten, anstatt den Euro einzuführen, und fast die Hälfte ist „definitiv gegen“ einen Beitritt zur Eurozone. Nur 27,3 % befürworten die Einführung der europäischen Währung. People’s News, No.263, 11. April 2024, www.people.ie


Der Waffenhandel weltweit wächst sprunghaft an

Die Staaten in Europa haben ihre Einfuhren von Großwaffen zwischen 2014-18 und 2019-23 fast verdoppelt (+94 Prozent). Weitaus größere Mengen an Waffen flossen 2019-23 nach Asien und Ozeanien sowie in den Nahen Osten, wo sich neun der zehn größten Waffenimporteure befinden. Die Vereinigten Staaten steigerten ihre Waffenexporte zwischen2014-18 und 2019-23 um 17 Prozent, während sich die Waffenexporte Russlands halbierten. Russland ist zum ersten Mal der drittgrößte Waffenexporteur und liegt nun nur noch knapp hinter Frankreich. Dies geht aus neuen Daten zu internationalen Waffentransfers hervor, die vom Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) veröffentlicht wurden und unter www.sipri.org abrufbar sind. People’s News, No.263, 11. April 2024, www.people.ie


Die EU finanziert Israels Militär

Das erklärte Ziel der EU-Forschungspolitik ist es, einen „europäischen Forschungsraum“ zu schaffen und die entsprechende Industrie zu ermutigen, „wettbewerbsfähiger zu werden“. Dies geschieht derzeit durch das Programm Horizon Europe, das zwischen 2021 und 2027 mit einem Gesamtbudget von 95,5 Milliarden Euro ausgestattet ist. Neben Organisationen und Unternehmen aus den Mitgliedstaaten haben auch die Türkei und Israel einen privilegierten Zugang zu den entsprechenden Mitteln erhalten, letzteres im Bereich der Drohnentechnologie. Die Unterstützung der israelischen Rüstungsindustrie durch die EU ist aus moralischer und rechtlicher Sicht zweifellos fragwürdig - insbesondere vor dem Hintergrund der aktuellen Anklage wegen angeblichen Völkermordes in Gaza. Begründet wird dies unter anderem mit völkermörderischen Äußerungen hochrangiger israelischer Beamter und Politiker, darunter auch des israelischen Verteidigungsministers, dessen Ministerium für die Teilnahme an EU-Forschungsprojekten EU-Finanzen erhält. People’s News, No.263, 11. April 2024, www.people.ie


Westafrikas Kampf um Souveränität

EU steht vor Verlust von Privilegien in Senegal, unter anderem beim Fischfang. Die neue Regierung in Dakar strebt nach echter Unabhängigkeit von den Ex-Kolonialmächten – wie die Regierungen in Mali, Burkina Faso und Niger. Die EU und ihre Mitgliedstaaten stehen vor einem Verlust bisheriger Privilegien in Senegal. Ursache ist, dass die dort zu Monatsbeginn neu ins Amt gekommene Regierung darauf besteht, die Souveränität ihres Landes zu stärken sowie den Ausverkauf seiner Ressourcen – von den Erdgasvorräten bis zu den Fischbeständen – zu stoppen. Unter anderem wollen Präsident Bassirou Diomaye Faye und Ministerpräsident Ousmane Sonko den an den Euro gebundenen Franc CFA durch eine neue eigene Währung ersetzen und bestehende Verträge über die Erdgasföderung sowie über den Fischfang vor der senegalesischen Küste zugunsten ihres Landes neu verhandeln, darunter insbesondere auch Vereinbarungen mit der EU. EU-Ratspräsident Charles Michel war am Montag zu ersten Gesprächen in Dakar. Präsident Diomaye Faye hatte die Wahl in Senegal vor einem Monat nicht zuletzt deshalb gewonnen, weil er für größere Unabhängigkeit von Frankreich und den anderen westlichen Mächten eintritt. Senegal folgt einem Trend, der in Mali, Burkina Faso und Niger zum Durchbruch gekommen und mit einem rasanten Einflussverlust der europäischen Mächte, auch Deutschlands, in Westafrika verbunden ist.

Gegen die alten Eliten

Senegals neue Regierung ist Anfang April nach langen und heftigen Auseinandersetzungen ins Amt gekommen. Sie entstammt der Partei PASTEF (Patriotes africains du Sénégal pour le travail, l’éthique et la fraternité), die Anfang 2014 von Ousmane Sonko gegründet worden war; Sonko machte sich vor allem als Kämpfer gegen die Korruption der eng mit Paris kooperierenden senegalesischen Eliten einen Namen. 2021 wurde er auf der Grundlage von Vorwürfen, die er selbst und seine Anhänger als fingiert einstufen, angeklagt und 2023 schließlich zu einer Haftstrafe verurteilt. Dies löste schwere Proteste in der Bevölkerung aus, die wiederum Senegals damalige Regierung unter Präsident Macky Sall zum Anlass nahm, am 31. Juli 2023 die offizielle Auflösung von PASTEF wegen angeblicher Unruhestiftung zu verfügen.[1] Die weiter aktiven PASTEF-Strukturen, jetzt oft als „Ex-PASTEF“ bezeichnet, ernannten am 19. November 2023 als Ersatz für ihren inhaftierten Vorsitzenden Sonko Bassirou Diomaye Faye zu ihrem Kandidaten für die Präsidentenwahl.[2] Diomaye Faye war zwar zuvor gleichfalls unter dubiosen Vorwänden inhaftiert und vor Gericht gestellt worden [3], saß aber nur in Untersuchungshaft und durfte im Unterschied zu dem rechtskräftig verurteilten Sonko noch kandidieren.

Sieg im ersten Wahlgang

Die Auseinandersetzungen spitzten sich zu, als Senegals Präsident Sall am 3. Februar 2024 die für den 25. Februar vorgesehene Präsidentenwahl unbestimmt verschob.[4] Ursache waren Befürchtungen in der Regierungspartei, man könne einen Verlust der Macht an die Ex-PASTEF und deren Kandidaten Diomaye Faye womöglich nicht verhindern. Nach massiven Protesten aus der senegalesischen Bevölkerung gegen die Wahlverschiebung und auf starken Druck auch aus dem Ausland hin – hätte man Sall einen kalten Putsch durchgehen lassen, dann wäre jede westliche Kritik an den Putschregierungen in Mali, Burkina Faso und Niger unglaubwürdig geworden – erklärte der senegalesische Verfassungsrat die Wahlverschiebung für ungültig und legte einen neuen Wahltermin auf den 24. März fest.[5] Knappe zehn Tage vor der Wahl, am 14. März, wurden Sonko und Diomaye Faye aus der Haft freigelassen.[6] Diomaye Faye konnte die Wahl schließlich mit 54,3 Prozent der Stimmen im ersten Wahlgang klar für sich entscheiden; der Hauptkandidat der alten senegalesischen Eliten hingegen erreichte bloß 35,8 Prozent. Diomaye Faye trat das Präsidentenamt am 2. April an und ernannte umgehend Sonko zum neuen senegalesischen Ministerpräsidenten.

Wut auf die Ex-Kolonialmacht

Der Wahlerfolg von Diomaye Faye und Sonko beruht in hohem Maß auf der seit Jahren anschwellenden Wut auf die ehemalige Kolonialmacht Frankreich sowie ihren fortdauernden neokolonialen Einfluss in den frankophonen Staaten Westafrikas. In den drei Sahelstaaten Mali, Burkina Faso und Niger hat diese Wut jeweils Militärregierungen an die Macht gespült, die ihre Vorgängerregierungen per Putsch stürzten, aber mit ihrem Versuch, tatsächliche Unabhängigkeit zu erlangen, in ihren Ländern weithin Popularität erlangt haben.[7] Auch in Senegal wächst der Unmut über Frankreich schon seit Jahren; Kolonialdenkmäler wurden gestürzt [8], und bei den Massenprotesten gegen die Inhaftierung von PASTEF-Gründer Sonko wurden insbesondere Filialen französischer Konzerne angegriffen und geplündert [9]. Eine Umfrage im Jahr 2020 ergab, dass 68 Prozent aller jungen Menschen in Senegal den Einfluss Frankreichs negativ bewerteten.[10] Zugleich zeigte sich, dass panafrikanische Einstellungen vor allem in Westafrika an Verbreitung gewannen. Eine klar gegen Frankreich gerichtete Grundstimmung reicht weit über die Sahelstaaten und Senegal hinaus; sie wird längst auch im Pariser Establishment mit erheblicher Sorge thematisiert.[11]

Schluss mit dem Ausverkauf

Senegals neuer Präsident Diomaye Faye und Ministerpräsident Sonko zielen mit ihren Regierungsvorhaben und mit ihren ersten konkreten Maßnahmen darauf ab, zum einen den Einfluss Frankreichs zurückzudrängen, zum anderen Senegals Souveränität so umfassend wie möglich zu stärken. So hat Diomaye Faye angekündigt, nicht nur den „Kampf gegen die Korruption“ voranzutreiben und eine „Senkung der Lebenshaltungskosten“ anzustreben; er will zudem die Abhängigkeit des Landes von Lebensmittelimporten so umfassend wie möglich reduzieren und dazu in die senegalesische Landwirtschaft investieren.[12] Zudem plant er den Ausstieg aus dem Franc CFA, der auf die Kolonialära zurückgehenden Währung, die einst fest an den Franc gebunden war und heute an den Euro gebunden ist und damit jegliche eigenständige Währungspolitik vollständig unmöglich macht. Den Ausstieg aus dem Franc CFA hatten erst kürzlich die Regierungen Malis, Burkina Fasos und Nigers als Ziel genannt. Diomaye Faye hat nicht zuletzt bestätigt, die Verträge mit ausländischen Konzernen zur Förderung von Erdgas vor der senegalesisch-mauretanischen Küste neu verhandeln zu wollen – mit dem Ziel, seinem Land einen größeren Anteil an seinen Reichtümern zu verschaffen.[13]

„Die Partnerschaft überdenken“

In diesem Sinn fordert Senegals neue Regierung auch eine Neuverhandlung der bestehenden Fischereiabkommen mit der EU. Für den westafrikanischen Küstenstaat hat die Fischerei traditionell große Bedeutung. Allerdings werden die Fangaktivitäten senegalesischer Fischer stark durch industriell arbeitende Fangflotten eingeschränkt, die aus dem Ausland kommen – darunter Mitgliedstaaten der EU. Die deutlich verschlechterten Aussichten einheimischer Fischer tragen dazu bei, immer mehr Senegalesen in die Emigration nach Europa zu treiben, um dort den Lebensunterhalt für sich und ihre Familien zu verdienen. Diomaye Faye will die bestehenden Fischereiabkommen mit der EU nun zugunsten von Senegals Fischern ändern. Während eines Besuchs von EU-Ratspräsident Charles Michel am Montag in Dakar erklärte Senegals Präsident, die Kooperation seines Landes mit der EU sei „dicht und vielgestaltig“; nun aber werde man gemeinsam „die Partnerschaft überdenken“.[14] Details sind bislang noch nicht bekannt. Klar ist jedoch, dass die Union und ihre Mitgliedstaaten, sollte Senegals neue Regierung sich durchsetzen, auf bisherige Privilegien werden verzichten müssen. german-foreign-policy, 25. April 2024 , https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9540

[1] Sénégal: le gouvernement dissout le parti de l’opposant Ousmane Sonko, 2 morts dans des manifestations. rfi.fr 31.07.2023.

[2] Sénégal: avec le plan Bassirou Diomaye Faye, la stratégie électorale du Pastef. rfi.fr 20.11.2023.

[3] Sénégal: le bras droit de l’opposant Ousmane Sonko arrêté et placé en garde à vue. rfi.fr 15.04.2023.

[4] Marième Soumaré: Présidentielle au Sénégal : Macky Sall acte le report de l’élection. jeuneafrique.com 03.02.2024.

[5] Présidentielle reportée au Sénégal : le Conseil constitutional s’aligne sur la date du 24 mars. lemonde.fr 07.03.2024.

[6] Au Sénégal, les opposants Ousmane Sonko et Bassirou Diomaye Faye sont sortis de prison. jeuneafrique.com 15.03.2024.

[7] S. dazu Auf dem Weg zur Eigenständigkeit, Auf dem Weg zur Eigenständigkeit (II) und Der nächste Hinauswurf aus dem Sahel. https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9284

[8] Paul Munzinger: Hauptsache, keine Franzosen. Süddeutsche Zeitung 18.09.2023.

[9] Cyril Bensimon: Au Sénégal, une colère antifrançaise très ciblée. lemonde.fr 25.03.2021.

[10] African Youth Survey 2020: The Rise of Afro-Optimism. Published by the Ichikowitz Family Foundation. 2020.

[11] Jean-Marc Simon: Le sentiment anti-français en Afrique. De quoi parle-t-on? revueconflits.com 14.06.2023.

[12] Sénégal : les chantiers prioritaires du prochain président Bassirou Diomaye Faye. lemonde.fr 01.04.2024.

[13] Renégociation des contrats d’hydrocarbures au Sénégal : l’option « risqué » du president Faye. lemonde.fr 22.04.2024.

[14] Sénégal : Bassirou Diomaye Faye plaide pour un partenariat « repensé » avec l’Europe. lemonde.fr 23.04.2024.


Militärstaaten

Die westlichen Staaten und ihre Verbündeten – ein Siebtel der Weltbevölkerung – tätigen rund zwei Drittel der globalen Militärausgaben. Rüstungsindustrie gewinnt in Deutschland an Gewicht; Ökonomen sagen „Kanonen ohne Butter“ voraus. BERLIN/WASHINGTON (Eigener Bericht) – Der Anteil der westlichen Staaten und ihrer Verbündeten an den globalen Militärausgaben liegt mit rund zwei Dritteln doppelt so hoch wie der Anteil der nichtwestlichen Welt und wächst weiter. Dies geht aus einer neuen Studie hervor, die das Stockholmer Forschungsinstitut SIPRI am gestrigen Montag öffentlich präsentiert hat. Demnach sind die globalen Militärausgaben im vergangenen Jahr auf einen Rekordwert von rund 2,443 Billionen US-Dollar angestiegen. 37 Prozent davon wurden von den USA getätigt, 24 Prozent von den Ländern Europas; hinzu kamen die Ausgaben enger Verbündeter, darunter Japans. Deutschland liegt auf der SIPRI-Rangliste der Staaten mit den größten Militärausgaben weltweit auf Platz sieben; es könnte in diesem Jahr wegen seiner massiven Aufrüstung auf Platz fünf aufsteigen. Die forcierte Militarisierung im Westen geschieht in einer Zeit, in der der ökonomische und mittlerweile auch der politische Einfluss der transatlantischen Mächte schrumpft – eine Entwicklung, die womöglich nur mit Gewalt aufgehalten werden kann. Zugleich wachsen in Deutschland die politische Bedeutung der Rüstungsindustrie und der Wehretat – auf Kosten ziviler Haushaltsposten.

Kosten der Militarisierung

Die große Mehrheit der immer mehr anschwellenden weltweiten Militärausgaben wird von den westlichen Staaten getätigt. Dies geht aus einer am gestrigen Montag publizierten Studie des Stockholmer Forschungsinstituts SIPRI hervor. Demnach gingen im Jahr 2023 rund 37 Prozent der globalen Militärausgaben von 2,443 Billionen US-Dollar – 916 Milliarden US-Dollar – allein auf die USA zurück. Die NATO-Mitglieder kamen zusammengenommen laut SIPRI-Berechnungen auf 1,341 Billionen US-Dollar – gut 55 Prozent aller Militärausgaben weltweit.[1] Europa wiederum wendete 24 Prozent aller Mittel auf, die im vergangenen Jahr auf dem gesamten Globus in die jeweiligen nationalen Streitkräfte investiert wurden. Allein West- und Mitteleuropa steckten 407 Milliarden US-Dollar ins Militär – ein gutes Drittel mehr als etwa die Volksrepublik China, deren Militärausgaben SIPRI unter Einschluss von Mitteln abseits des offiziellen Streitkräfteetats für 2023 auf gut 296 Milliarden US-Dollar beziffert. Hinzu kommen eng mit dem Westen verbündete Länder: Japan und Südkorea, die mit Militärausgaben in Höhe von 50,2 respektive 47,9 Milliarden US-Dollar die Plätze 10 und 11 auf der Weltrangliste einnehmen, oder Australien, das mit 32,3 Milliarden US-Dollar auf Platz 13 rangiert.

Im Aufstieg

Deutschland steht in der aktuellen SIPRI-Rangliste auf Platz sieben – hinter den USA, China, Russland (109 Milliarden US-Dollar), Indien (83,6 Milliarden US-Dollar), Saudi-Arabien (75,8 Milliarden US-Dollar) und Großbritannien (74,9 Milliarden US-Dollar). Die deutschen Militärausgaben beziffert SIPRI auf rund 66,8 Milliarden US-Dollar – mehr als diejenigen Frankreichs (61,3 Milliarden US-Dollar). Dabei steigen sie künftig weiter. Laut Angaben des Bundesverteidigungsministeriums kommen in diesem Jahr zum offiziellen Militärhaushalt von 51,9 Milliarden Euro noch 19,8 Milliarden Euro aus dem sogenannten Sondervermögen hinzu, das nach Auffassung des Bundesrechnungshofs „Sonderschulden“ genannt werden muss.[2] Damit erreichen die deutschen Militärausgaben dieses Jahr offiziell 71,7 Milliarden Euro, wobei dies noch nicht den tatsächlichen Militärausgaben entspricht: Der Betrag, den Berlin jedes Jahr an die NATO meldet, bezieht Ausgaben jenseits des Militärbudgets ein und liegt deshalb regelmäßig über dem offiziellen Militärhaushalt. Allein dieser beläuft sich in diesem Jahr laut derzeitigem Wechselkurs auf 76,4 Milliarden US-Dollar; damit käme Deutschland auf der aktuellen Weltrangliste vor Saudi-Arabien auf Platz fünf.

Rüstungstreiber Europa

Die treibende Rolle des Westens und insbesondere Europas bei der globalen Aufrüstung ist seit geraumer Zeit deutlich erkennbar. So nahmen die Militärausgaben der USA von 2014 bis 2023 um 9,9 Prozent zu, diejenigen Deutschlands im selben Zeitraum um rund 48 Prozent, diejenigen Europas SIPRI zufolge sogar um 62 Prozent. Auch im globalen Waffenhandel nehmen die europäischen Staaten eine bedeutende Stellung ein. Frankreich war in den fünf Jahren von 2019 bis 2023 zweitgrößter Waffenexporteur weltweit; Deutschland, Italien, Großbritannien sowie Spanien folgten auf den Plätzen fünf bis acht. Europa war zudem im Fünfjahreszeitraum von 2019 bis 2023 die einzige Großregion, deren Waffenimporte stiegen, und dies massiv – um bemerkenswerte 94 Prozent gegenüber dem Fünfjahreszeitraum von 2014 bis 2018.[3] Darüber hinaus stockten in den Jahren von 2019 bis 2023 vor allem wichtige Verbündete des Westens die Einfuhr von Kriegsgerät deutlich auf – Südkorea (plus 6,5 Prozent), die Philippinen (plus 105 Prozent) und Japan (plus 155 Prozent). SIPRI-Angaben zufolge liegen US-amerikanische und europäische Waffenschmieden zudem beim Auftragsbestand, der faktisch die Aufrüstung der nächsten Jahre beziffert, klar vorn.[4]

Der Abstieg des Westens

Die westlichen Staaten forcieren ihre Aufrüstung in einer Zeit, in der ihr wirtschaftlicher Einfluss längst schrumpft und in politischen Einflussverlust zu münden beginnt. Hielten sie im Jahr 2000 noch einen Anteil von 56,36 Prozent an der globalen Wirtschaftsleistung – berechnet nach Kaufkraftparität –, so ist dieser auf aktuell nur noch 40,62 Prozent gesunken und wird nach Prognose des Internationalen Währungsfonds (IWF) kontinuierlich weiter zurückgehen, während der Anteil des Globalen Südens mittlerweile schon bei 59,38 Prozent liegt und weiter steigt. Die G7, die sich als „Lenkungsausschuss der Weltpolitik“ begreifen, erarbeiteten 2021 erstmals eine schwächereWirtschaftsleistung – ebenfalls berechnet nach Kaufkraftparität – als die BRICS (30,7 Prozent vs. 31,5 Prozent) und fallen seitdem mit großer Kontinuität immer weiter zurück, zumal die BRICS sich am 1. Januar 2024 erweitert haben. Die Banque de France sieht die BRICS+ im Jahr 2027 bei rund 37,6 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung, die G7 bei nur noch 28,2 Prozent.[5] Der Verlust des Westens an politischem Einfluss wiederum zeigt sich etwa darin, dass es ihm bis heute nicht gelingt, die Länder des Globalen Südens zur Beteiligung an den Russland-Sanktionen zu nötigen. Den Einflussverlust stoppen könnte womöglich nur der Rückgriff auf das Militär.

Das Gewicht der Waffenindustrie

Die massive Aufrüstung, die dazu erforderlich ist und ausweislich der SIPRI-Zahlen auch entschlossen vorangetrieben wird, hat freilich Auswirkungen auch im Innern der westlichen Staaten. In der Bundesrepublik etwa gehörte die Rüstungsindustrie jahrzehntelang nicht zu den Sektoren mit einer herausragenden Stellung in der nationalen Wirtschaft. Das beginnt sich mittlerweile zu ändern. Im März vergangenen Jahres zog mit Rheinmetall ein erster Rüstungskonzern in den Leitindex DAX ein – ein Symbol für den wachsenden Einfluss der deutschen Waffenhersteller.[6] Rheinmetall konnte seinen Umsatz im Jahr 2023 auf 7,2 Milliarden Euro steigern und geht davon aus, bis 2026 einen Umsatz von bereits 13 bis 14 Milliarden Euro erreichen zu können. Das ist immer noch Lichtjahre von Spitzenkonzernen wie Volkswagen mit einem Jahresumsatz von zuletzt 322 Milliarden Euro entfernt, nähert sich aber perspektivisch der ersten Liga der deutschen Industrie an. Schrittweise wächst mit dem ökonomischen auch das politische Gewicht der deutschen Rüstungsindustrie.

Kanonen ohne Butter

Parallel drängen die Militärausgaben andere Posten im deutschen Staatshaushalt zurück. So ist der Wehretat mit einem Anteil von 10,9 Prozent am gesamten Bundeshaushalt zur Zeit der zweitgrößte Etatposten nach dem Budget für Arbeit und Soziales.[7] Dabei sind jedoch die Ausgaben nicht eingerechnet, die aus dem „Sondervermögen“ getätigt werden sollen. Bezieht man sie ein, liegt der Militäranteil bereits bei rund 15 Prozent. Dies wird auf Dauer auf Kosten ziviler Etatposten gehen. Kürzlich konstatierte der Präsident des Ifo-Instituts, Clement Fuest: „Kanonen und Butter – das wäre schön, wenn das ginge. Aber das ist Schlaraffenland. Das geht nicht.“ Fuest sagte „Kanonen ohne Butter“ voraus.[8] 23. April, 2024, german-foreign-policy, https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9537

[1] Angaben hier und im Folgenden: Nan Tian, Diego Lopes da Silva, Xiao Liang, Lorenzo Scarazzato: Trends in World Military Expenditure, 2023. SIPRI Fact Sheet. Solna, April 2024.

[2] Pistorius im Bundestag: „Sicherheit gibt es nicht zum Nulltarif“. bmvg.de 01.02.2024. S. auch „Deutschland kriegstauglich machen“. https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9391

[3], [4] S. dazu Rüstungstreiber Europa. https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9512

[5] Expansion of BRICS: what are the potential consequences for the global economy? banque-france.fr 13.02.2024.

[6] Rheinmetall steigt in den DAX auf. tagesschau.de 04.03.2023. S. auch Kampfpanzer statt Dialyse. https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9183

[7] Bundeshaushalt digital. bundeshaushalt.de.

[8] Raphaël Schmeller: Ampel zerlegt Sozialstaat. junge Welt 24.02.2024. S. auch Der Wille zum Weltkrieg. https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9495


So will die EU das digitale Briefgeheimnis abschaffen

Die verdachtslose Überwachung privater Chats könnte in der EU schon bald zur Pflicht werden. Dies zeigt ein neues Leak.

Um der Verbreitung von Kinderpornografie einen Riegel zu schieben, plant die Europäische Union die Einführung der sogenannten Chatkontrolle – einer automatisierten und verdachtslosen Massenüberwachung sämtlicher privater Chat- und Mailkommunikation. Im Sommer verhandeln Kommission, Parlament und Rat einen entsprechenden Gesetzesentwurf der EU-Kommission. Während sich das Parlament mehrheitlich gegen den Entwurf positioniert, dürfte sich der Rat auf die Seite der Kommission stellen, wie ein neues Leak zeigt. Doch wie funktioniert die Chatkontrolle überhaupt?

Wer Familienfotos aus dem Strandurlaub verschickt, läuft Gefahr, dass die Fotos wegen Verdachts auf Kinderpornografie auf dem Schreibtisch eines Bundespolizisten landen. Gängige amerikanische Kommunikationsdienste wie Gmail, WhatsApp oder Facebook Messenger sind heute schon per Gesetz verpflichtet, illegale Inhalte wie Pornos mit Kindern oder extreme Gewaltdarstellungen zu melden. Die Betreiber gehen dabei nicht nur spezifischen Verdachtsfällen nach. Vielmehr durchsuchen sie automatisch sämtliche hochgeladenen Inhalte, wie das vorhin erwähnte Familienfoto vom Strand. Und zwar mithilfe von Algorithmen, die nackte Haut von Kindern erkennen können. Sämtliche Inhalte, die ins Fadenkreuz dieser Algorithmen gelangen, werden automatisch an die private Non-Profit-Organisation National Center for Missing and Exploited Children (NCMEC) in den USA weitergeleitet. Befindet sich der Absender oder der Adressat in der Schweiz, sendet NCMEC die Inhalte unbearbeitet an das Fedpol weiter. Dort befasst sich dann zum ersten Mal ein Mensch mit den gemeldeten Inhalten. Jährlich treffen dort rund 10’000 solcher Meldungen ein, beim Grossteil davon handelt es sich jedoch um Fehlalarme. So sind gemäss Fedpol nur knapp 15 Prozent der Meldungen strafrechtlich relevant. Die Algorithmen operieren also mit einer ziemlich hohen Fehlerquote, ohne dass Betroffene jemals davon erfahren.

Der Zweck heiligt nicht alle Mittel

Gemäss Fedpol sind diese Meldungen im Kampf gegen die Verbreitung von Kinderpornografie hilfreich. Dennoch stellen Datenschützer wie die digitale Gesellschaft Schweiz vor dem Hintergrund der tiefen Trefferquote in Frage, ob das Vorgehen der Betreiber verhältnismässig ist. Schliesslich komme diese Praxis einer privaten Massenüberwachung gleich, die sämtliche Nutzer ohne Anlass unter einen Generalverdacht stellt und das Recht auf Privatsphäre verletzt. Wenn die notwendigen Hintertüren erst einmal installiert seien, könne die Überwachung zudem jederzeit problemlos und unbemerkt ausgedehnt werden. Etwa auf Regierungskritiker und politische Aktivisten oder zu Spionagezwecken.

Was in den USA Standard ist, soll nun auch in Europa zur Pflicht werden. Bereits im Mai 2022 stellte die EU-Kommission einen Gesetzesentwurf vor, der auch in Europa tätige Dienste, wie etwa den Ende-zu-Ende verschlüsselten Schweizer Messenger-Dienst Threema dazu verpflichten würde, eine Hintertür für die automatische Chatkontrolle einzuführen. Dies obwohl eine im März 2021 durchgeführte Umfrage zeigte, dass 72 Prozent der Befragten eine solche Überwachung entschieden ablehnen.

Parlament gegen den Entwurf

Das EU-Parlament hat im November 2023 in einem Verhandlungsmandat fast einstimmig beschlossen, sich in den im Sommer anstehenden Trilog-Verhandlungen gegen den Entwurf der EU-Kommission zu stellen. Und die Einführung der Massenüberwachung zu verhindern. Die Abgeordneten möchten die Überwachung auf spezifische Verdachtsfälle beschränken und die Ende-zu-Ende Verschlüsselung bewahren.

Dies könnte jedoch schwierig werden, denn auch der EU-Rat, der dritte Teilnehmer dieser Verhandlungen, macht sich für die Chatkontrolle stark. Dies zeigt der neueste Vorschlag der belgischen Ratspräsidentschaft, der letzte Woche vom französischen Nachrichtenportal contexte geleakt wurde.

Der Rat schlägt vor, dass die Anbieter selber das Risiko bewerten sollen, ob Kriminelle ihre Produkte verwenden. Überwacht würden demnach nur Anbieter mit hohem Risko. Ausserdem sollen nur noch Erwachsene gemeldet werden, bei denen einmalig bereits bekannte illegale Inhalte oder zwei Grooming-Versuche entdeckt wurden. Jugendliche, die Nacktbilder versenden, würden zunächst verwarnt werden. Belgien spricht dabei von einem Kompromissvorschlag, obwohl Messenger wie Signal oder Cloud-Dienste wie iCloud verpflichtet würden, sämtliche Inhalte ihrer Nutzer anlasslos zu überwachen.

Ende des digitalen Briefgeheimnisses

Der Vorschlag zeigt, dass der Ausgangsentwurf der EU-Kommission zur Chatkontrolle im Kern unverändert beibehalten werden soll, warnt Dr. Patrick Breyer, Europaabgeordnete der Piratenpartei und einer der profiliertesten Gegner der Chatkontrolle:

«Wie der juristische Dienst des Rates bestätigt hat, ändert der neueste Vorstoss nichts an der Natur der Chatkontrolle. Millionen privater Chats und Privatfotos unbescholtener Bürger sollen mit unzuverlässiger Technik durchsucht und ausgeleitet werden, ohne dass die Betroffenen auch nur entfernt mit Kindesmissbrauch zu tun haben – das zerstört unser digitales Briefgeheimnis.» Die sichere Ende-zu-Ende-Verschlüsselung solle allgemein ausgehebelt werden, um Smartphones zu Spionen umzufunktionieren, so Breyer.

Alternative Methoden gegen sexuelle Ausbeutung im Netz

Stattdessen plädiert Breyer für alternative Methoden, um junge Menschen vor sexueller Ausbeutung im Netz zu schützen:

• Security by design: Internetdienste und Apps sollten sicherer ausgestaltet werden. Es muss möglich sein, andere Nutzer zu blockieren und zu melden. Vor dem Verschicken von Kontaktdaten oder Nacktbildern wird rückgefragt.

• Das Netz säubern: Um das Netz von Kinderpornografie und Missbrauchsdarstellungen zu säubern, soll das neue EU-Kinderschutzzentrum proaktiv öffentlich abrufbare Internetinhalte automatisiert nach bekannten Missbrauchsdarstellungen durchsuchen.

• Löschpflicht: Anbieter, die auf eindeutig illegales Material aufmerksam werden, sollen zur Löschung verpflichtet werden. Strafverfolger, die auf illegales Material aufmerksam werden, sollen dies dem Anbieter zur Löschung melden müssen.

Philippe Stalder / 11.04.2024, https://www.infosperber.ch/freiheit-recht/datenschutz/so-will-die-eu-das-digitale-briefgeheimnis-abschaffen/


Die EU kämpft um ihr finanzielles Gleichgewicht und führt neue Regeln zur Reduktion von Staatsschulden ein

Der Staatenbund hat strenge Budgetvorgaben, an die sich die Mitgliedsländer halten müssen. Viele von ihnen foutieren sich aber um die Vorschriften. Nun werden diese reformiert. Die finanziellen Aussichten der EU bleiben trotzdem düster.

Viele Gräben bestehen zwischen den EU-Mitgliedsstaaten, ein besonders tiefer existiert aber in der Fiskalpolitik. Einige Länder sind für strikte Budgetdisziplin und leben diesem Prinzip auch nach. Bei anderen ist die Staatsverschuldung längst aus dem Ruder gelaufen. Im Fall von Italien etwa liegt sie bei 137 Prozent der Wirtschaftsleistung (BIP). Schweden dagegen weist lediglich einen Wert von 31 Prozent auf. Einige kleine Länder sind noch weniger verschuldet.

Eigentlich wären die Staaten verpflichtet, bei den Schulden und dem Budget strenge Schwellenwerte einzuhalten. Die Verschuldung sollte höchstens 60 Prozent des BIP betragen, das Budgetdefizit maximal 3 Prozent. Wer es nicht schafft, diese Limiten einzuhalten, muss mit finanziellen Sanktionen der EU-Kommission rechnen.

Die Länder foutieren sich um die Regeln

Allerdings blieb das reine Theorie. Bisher ist kein EU-Mitglied wegen zu hoher Schulden bestraft worden, obwohl 13 von ihnen derzeit die Verschuldungsgrenze nicht einhalten. Die Regeln haben so ihre Glaubwürdigkeit längst verloren. An den Schwellenwerten von 60 Prozent und 3 Prozent wird man festhalten. Neu wird dagegen sein, dass die Kommission mit jedem Defizitsünder eine Vereinbarung trifft, wie dieser mit der Zeit auf eine Maximalverschuldung von 60 Prozent des BIP kommt. Stark verschuldete Mitglieder etwa sollen ihre Verbindlichkeiten um einen Prozentpunkt pro Jahr vermindern. Im Vergleich mit heute erhalten die Länder damit mehr Zeit, um den Staatshaushalt in Ordnung zu bringen.

Gerade die individuellen Vereinbarungen stossen allerdings auch auf Kritik. Das sei zu viel Flexibilität, sagt ein Parlamentarier. Weiterhin bestehe das Risiko, dass ein stark verschuldeter Staat wie Frankreich nicht mit Sanktionen belegt werde – einfach weil es sich um das mächtige Frankreich handle.

Ein schwaches Land ist eine Gefahr für die ganze EU

Der finanzielle Spielraum gewisser Mitglieder ist mittlerweile sehr eng geworden. Italien beispielsweise ist kaum mehr in der Lage, Schocks standzuhalten. Als im März 2020 die Covid-19-Pandemie ausbrach, initiierten die Kommission und die Europäische Zentralbank riesige Hilfspakete. Der grösste Nutzniesser davon war Italien. Damals bestand das Risiko, dass sich das südeuropäische Land und weitere EU-Staaten am Kapitalmarkt nicht mehr finanzieren könnten. Wenn dieser Fall eingetreten wäre, hätte das eine Gefahr für die EU als Ganzes bedeutet. Politiker drängen daher darauf, dass die EU-Kommission künftig die Strafverfahren durchsetzt, wenn sich Länder um die Fiskalregeln foutieren. «Wenn die Kommission die gleiche ‹Laisser-faire›-Strategie wie bei den alten Regeln anwendet, sind wir dem Untergang geweiht», sagt Markus Ferber von der Europäischen Volkspartei. Der Parlamentarier meint damit: Ein Zwischenfall in einem Land kann schwere Folgen haben für alle EU-Mitgliedsländer.

Die EU hat Angst, abgehängt zu werden

Die EU und die Mitgliedsstaaten verfolgen gerade ehrgeizige Projekte. Sie wollen den Schienenverkehr ausbauen, die Landwirtschaft soll grüner werden und die Wirtschaft generell digitaler. Im Staatenbund geht die Angst um, von den USA und von China wirtschaftlich abgehängt zu werden. Eine aktive Industriepolitik ist in der EU deshalb kein Tabu mehr. Niemand weiss allerdings, woher das Geld für die vielen Projekte kommen soll.

Der ehemalige italienische Ministerpräsident Enrico Letta hat in einem Bericht für die Kommission vor einer Woche vorgeschlagen, eine Kapitalmarktunion zu schaffen. Ein einheitlicher Binnenmarkt auch im Finanzbereich würde es laut ihm erleichtern, privates Kapital für die von der EU geplanten Vorhaben zu gewinnen. Investoren geben den EU-Mitgliedsländern allerdings nur Geld für Grossprojekte, wenn sie ihnen auch vertrauen. «Am Schluss entscheidet der Kapitalmarkt, ob man Geld erhält», sagt ein Parlamentarier. Solide Staatsfinanzen sind dafür eine Voraussetzung. Das setzt aber Sparmassnahmen voraus. Gewisse Parteien, etwa die Grünen, sind dazu aber nicht bereit. Sie haben die Reform des Stabilitätspakts abgelehnt. Das zeigt, in welchem Dilemma sich die EU und die Mitglieder befinden.

Die EU wird zum Geldesel

Kurzfristig kann sich die EU diesem Widerspruch entziehen, indem sie als fast schuldenfreie Organisation Kapital aufnimmt und dieses an die Mitgliedsländer weiterreicht. So geht sie beim Covid-Aufbaufonds vor, für den sich die EU mit bis 750 Milliarden Euro verschulden darf.

Dieses Vorgehen birgt aber Gefahren. Ein Teil des Geldes, das die Länder von der EU erhalten, sind Beihilfen («grants»), als nicht rückzahlbare Geschenke. Die EU wird ihre Gläubiger aber bedienen müssen. Noch fehlen ihr die Einnahmen dazu. Die Länder haben zwar versprochen, der EU neue Finanzquellen zu verschaffen. Noch haben sie diese Zusage aber nicht eingehalten. Wen erstaunt’s? Schliesslich können zu viele von ihnen die Verschuldungs- und Budgetregeln nicht einhalten. Geld nach Brüssel umzuleiten, liegt aus ihrer Sicht nur schwer drin. NZZ, 23. April 2024.

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