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Kurzinfos April 2014

Die Toten vor Europas Toren

Eine Gruppe von Journalisten hat untersucht, wie viele Migranten seit 2000 auf dem Weg nach Europa umgekommen sind. Es sind deutlich mehr als bisher angenommen. Erst wenn ein grosses Unglück passiert, richtet sich die Aufmerksamkeit der europäischen Öffentlichkeit auf die Not der Migranten. So wie im Februar dieses Jahres, als mindestens 15 Personen ertranken. Sie wollten schwimmend die spanische Enklave Ceuta in Marokko erreichen. Oder im Oktober 2013, als 360 Personen vor der Küste der italienischen Insel Lampedusa ertranken . Nach diesem Unglück erklärte José Manuel Barroso, Präsident der Europäischen Kommission: «Die Europäische Union kann es nicht hinnehmen, dass Tausende von Menschen an ihren Grenzen sterben.» Maltas Ministerpräsident Joseph Muscat sagte warnend, das Mittelmeer drohe sich in einen Friedhof für verzweifelte Migranten zu verwandeln.

Zahlreiche Tote und Vermisste

Diese gut dokumentierten Vorfälle und die darauffolgenden Eruptionen von Engagement seitens der Politiker und Behörden zeigen den Konflikt auf, der im Innern von Europas Asyl- und Migrationspolitik liegt. Auf der einen Seite anerkennen die Verantwortlichen den humanitären Imperativ, Menschenleben zu retten – auf der anderen Seite wenden sie eine restriktive Migrationspolitik an. Die Strukturen, die viele Menschen in Lebensgefahr bringen, bleiben somit bestehen.

Denn auch wenn niemand hinschaut, kommen immer wieder Personen auf dem Weg nach Europa ums Leben. Bisher war es aber schwierig, wenn nicht gar unmöglich, eine verlässliche Übersicht über die Anzahl verunglückter Migranten zu erhalten. Eine Arbeitsgruppe europäischer Journalisten unter Beteiligung der NZZ hat nun einen umfassenden und detaillierten Datensatz zu Todesfällen und Vermisstmeldungen zusammengestellt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Schockierende Zahlen

Die Untersuchung förderte erschütternde Zahlen zutage: Seit Anfang des Jahrhunderts sind über 23 000 Personen auf dem Weg nach Europa gestorben oder als vermisst gemeldet worden. Die Anzahl Todesfälle von Migranten auf dem Weg nach Europa ist damit viel höher als bisher angenommen. Frühere Schätzungen gingen von 17 000 bis 19 000 Opfern seit den frühen neunziger Jahren aus. Bei allen Angaben dürfte die wahre Anzahl, einschliesslich aller nicht dokumentierten Fälle, noch einiges höher liegen.

Für das Projekt unter dem Titel «The Migrants' Files» stützte sich die Arbeitsgruppe unter anderem auf Daten der Nonprofitorganisation United for Intercultural Action sowie auf das Projekt «Fortress Europe» des italienischen Journalisten Gabriele Del Grande, der die Anzahl Toter und Vermisster unter den Migranten auf dem Weg nach Europa protokolliert hat. Del Grandes Projekt prägte den Ausdruck «Festung Europa», der heutzutage vielerorts als Synonym für die Asylpolitik der EU verwendet wird.

Zur Überprüfung der Informationen nutzten die Journalisten öffentlich zugängliche Quellen – also beispielsweise Medienbeiträge oder Regierungsdokumente –, um die Vorfälle zu verifizieren. Das geprüfte Material wurde schliesslich in einer einzigen Datenbank aufgeführt.

Schweizer Vorfälle

In der Datenbank sind 19 Schweizer Vorfälle seit dem Jahr 2000 verzeichnet. Darunter auch der Fall des Mannes, der am 18. April 2010 tot in Weisslingen in einem Waldtobel gefunden wurde. Es ist anzunehmen, dass er als blinder Passagier im Fahrwerkschacht eines Flugzeugs in die Schweiz fliehen wollte und aus diesem stürzte, als das Flugzeug im Ostanflug auf den Flughafen Zürich die Räder ausfuhr.

Frontex-Einsätze von Schweizer Grenzwächtern sind seit Anfang 2011 möglich. Damals trat eine Vereinbarung zwischen der Schweiz und der Europäischen Union in Kraft, welche auf dem Grenz- und Sicherheitsabkommen von Schengen basiert. Die Schweiz ist seit Ende des Jahres 2008 Schengen-Mitglied. Darüber hinaus ist ein Einsatz von Schweizer Grenzwächtern an den EU-Aussengrenzen möglich. An der Frontex-Operation «Poseidon» waren ab 2011 auch Spezialisten des Schweizer Grenzwachtkorps (GWK) beteiligt. Im vergangenen Jahr wurden 39 Entsendungen mit insgesamt 1150 Einsatztagen unter Schweizer Beteiligung geleistet. Für das laufende Jahr sind für Mitarbeitende des GWK rund 1250 Einsatztage vorgesehen, insgesamt 44 Entsendungen.

Veränderte Routen

Die Daten aus «The Migrants' Files» geben Einblicke in die Dynamik der Migration. Sie zeigen unter anderem auf, wie die Migrationsströme zwischen See- und Landrouten variieren – je nach Jahreszeit, lokalen Konflikten und Kriegszonen sowie je nach Vorliebe der Menschenhändler. So hat die Europäische Union in den letzten Jahren mit verschiedenen afrikanischen Ländern bilaterale Abkommen unterschrieben und Bestrebungen unternommen, die Sicherheitsbestimmungen entlang der Aussengrenze Europas zu verschärfen. Sobald die jeweiligen Verschärfungen griffen, verschoben sich die Routen der Migranten: von Spanien nach Italien oder weiter nach Griechenland. Die Bewegungen sind äusserst dynamisch und anpassungsfähig.

Ein anderes Beispiel hierfür ist die Operation «Poseidon», die Frontex, die für die Überwachung der EU-Aussengrenzen zuständige Behörde, im Jahr 2011 lancierte. Sie sollte die Grenzkontrollen zwischen Griechenland und der Türkei verstärken. Tatsächlich fiel die Anzahl Migranten auf dieser Route von 55 000 im Jahr 2011 auf knapp über 12 000 im Jahr 2013. Währenddessen wurde aber auf dem Seeweg zwischen der Türkei und Griechenland ein achtfacher Anstieg an Migranten verzeichnet. Die Zahl stieg in derselben Zeitspanne von weniger als 1500 Personen auf über 11 000.

Drehscheibe Libyen

Zurzeit finden wieder mehr Menschen den Weg nach Europa über die griechischen Inseln. Seit der Landweg vom Horn von Afrika über den Sinai nach Israel nicht mehr passierbar ist, ist überdies der Seeweg zwischen Libyen und Lampedusa bei den Menschenhändlern beliebt geworden. Als Startpunkt ist Libyen heute das wichtigste Drehkreuz für Migranten auf dem Weg nach Europa. Der Mangel an Strafverfolgung, ein Resultat des wachsenden Machtvakuums in Libyen, macht die Situation der Migranten dort äusserst prekär.

Die Daten von Frontex bestätigen zwar die Resultate aus «The Migrants' Files», doch Frontex zählt die Toten und Vermissten an den Grenzen ebenso wenig wie das europäische Grenzüberwachungssystem Eurosur oder die Internationale Organisation für Migration (IOM). Die Zahlen über verstorbene oder vermisste Personen laufen deshalb Gefahr, vergessen zu werden. Das Ziel von «The Migrants' Files» ist nicht zuletzt, diese Zahlen für Politiker, Journalisten und die Öffentlichkeit zu erhalten.

«The Migrants' Files» ist ein Projekt mehrerer Organisationen für Datenjournalismus. Beteiligt sind Journalism++ SAS , Journalism++ Stockholm und Dataninja . Zu den Medienpartnern gehören die «Neue Zürcher Zeitung», «El Confidencial», «Sydsvenskan» und «Radiobubble» sowie die freien Journalisten Jean-Marc Manach und Jacopo Ottaviani . Das Projekt wurde teilweise von Journalismfund.eu finanziert. NZZ, 2. April 2014, S. 7.



Patent auf klimarobuste Sojabohnen

Das Europäische Patentamt hat ein Patent auf die Nutzung konventioneller genetischer Sojavarianten erteilt. Das Bündnis Keine Patente auf Saatgut! wirft dem Agrochemiekonzern Monsanto Biopiraterie vor.

Monsanto hat Ende Februar 2014 vom Europäischen Patentamt (EPA) in München ein Patent auf die Untersuchung und Auswahl von Sojapflanzen (EP08742297) erhalten. Diese sollen an unterschiedliche klimatische Bedingungen angepasst sein und so einen erhöhten Ertrag ermöglichen. Dazu gehören wilde und gezüchtete Sojapflanzen aus Asien und Australien.

Dem Patenttext zufolge wurden mehr als 250 Pflanzen aus den Herkunftsregionen untersucht. Für die konventionelle Züchtung hat Monsanto mit dem Patent ein Monopol auf die Verwendung von mehreren 100 Genvarianten, die bei diesen Sojabohnen natürlicherweise vorkommen. Das Patent wurde auch in anderen Ländern wie den USA, Kanada, China und Südafrika angemeldet, aber offenbar noch nicht vergeben.

„Dieses Patent ist nichts anderes als Biopiraterie in großem Maßstab. Monsanto versucht, die Kontrolle über die genetische Vielfalt zu erlangen, die benötigt wird, um beispielsweise Nutzpflanzen an den Klimawandel anzupassen“, sagte Ruth Tippe vom Bündnis Keine Patente auf Saatgut!. Die europäischen Patentgesetze erlaubt aber nicht, Patente auf Verfahren zur konventionellen Züchtung erteilen. Um diese Patente zu stoppen, müssten die Mitgliedstaaten nun eine deutliche Reaktion zeigen.

Vor knapp zwei Jahren hatte das EU-Parlament eine Resolution verabschiedet, die das EPA aufforderte, Produkte aus konventioneller Züchtung nicht mehr zu patentieren. Bislang ignorierte das Patentamt diese Aufforderung aber weitgehend. Der Verwaltungsrat des EPA könnte die politische Entscheidung treffen, derartige Patente zu stoppen. Im Verwaltungsrat sitzen Repräsentanten der Mitgliedstaaten. Die Bundesregierung in Berlin hat eine Initiative auf europäischer Ebene angekündigt. Auch der französische Senat forderte im Januar 2014 die Regierung von Frankreich auf, aktiv zu werden. [mbu] umwelt aktuell, April 2014, S. 18. http://www.no-patents-on-seeds.org/ http://www.epa.org/


Der Mythos von der Abschottung

Eine hauchdünne Mehrheit der stimmenden Bürgerinnen und Bürger will die Zuwanderung stärker kontrollieren. Kontrolle ist aber nicht dasselbe wie Abschottung. Die Zuwanderung soll in den Dienst der Wirtschaft gestellt werden – sicher unsympatisch, aber nicht mit „Abschottung“ zu titulieren. Wer „kontrollierte“ Zuwanderung auf hohem Niveau als „Abschottung“ bezeichnet, verrät nicht viel Differenziertheit und qualifziert sich selber als Europopulisten. Seit dem Inkrafttreten der vollen Personenfreizügigkeit (2007) findet jährlich eine Nettozuwanderung von rund 80 000 Menschen statt. Das bevölkerungs- und flächenmässig fast zehnmal so grosse Deutschland wies zwischen 2007 und 2012 netto nur gut 10 000 Einwanderer pro Jahr mehr auf als die Schweiz; Frankreichs Nettozuwanderung betrug im gleichen Zeitraum 0,07%, also weniger als einen Zehntel des Vergleichswerts für die Schweiz (und selbst absolut weniger als zwei Drittel der schweizerischen Zahlen). In Österreich machte die absolute Zuwanderung einen Drittel der schweizerischen aus. Diese Relationen gelten nicht in einem einzelnen Jahr, sondern über etliche Jahre hinweg.

Auch im grösseren europäischen Vergleich ragt die Schweiz mit ihrer Offenheit ziemlich heraus. So liegt die Nettozuwanderung in Europa im Durchschnitt all jener Länder, die überhaupt eine Nettozuwanderung aufweisen, bei 0,4% und somit bei weniger als der Hälfte der schweizerischen Vergleichszahl. Auf eine ähnliche hohe Zahl der Zuwanderung wie die Schweiz kommen zwischen 2007 und 2012 nur noch Zypern und Norwegen sowie – mit 1,5% deutlich höher – Luxemburg. Als Folge der seit Jahrzehnten starken Zuwanderung sind gegen 30% der schweizerischen Wohnbevölkerung im Ausland geboren, und über ein Drittel hat ausländische Väter und/oder Mütter, dies im deutlichen Gegensatz zu Norwegen, wo die Zuwanderung erst im Gefolge der Erdölbonanza eingesetzt hat und nur etwa 14% der Wohnbevölkerung aus dem Ausland stammen. Die Schweiz ist tatsächlich eines der weitaus offensten Länder Europas – und sie bliebe es selbst dann, wenn ihre Zuwanderung auf hohem Niveau „kontrolliert“ würde. NZZ, 26. April 20145, S. 25.


Wirre Argumentation

„Kein Nationalstaat ist in der Lage, sich gegenüber der Globalisierung zu wehren, weil die Märkte stärker sind. Wenn in 30 Jahren Brasilien, Indonesien, Mexiko, Indien, China, Russland und die USA an einem Tisch sitzen werden, um globale Entscheidungen zu treffen, wird keiner der europäischen Nationalstaaten allein mithalten können. Ein vereintes Europa schon.“ Daniel Cohn-Bendit, Sonntagszeitung, 13. April 2014. Offensichtlich sind Brasilien, Indonesion, Mexico, Indien, China, Russland und die USA Nationalstaaten. Die Aufzählung widerlegt entsprechend die Aussage, kein Nationalstaat sei in der Lage, sich gegenüber der Globalisierung zu wehren.


Keine Wende in der Euro-Zone

Gemäss EU-Statistikamt Eurostat betrug die saisonbereinigt Arbeitslosenquote im Februar 2014 in der Eurozone 11.9%. Damit verharrt die Quote seit Oktober 2013 unverändert auf diesem Wert, der nur knapp unter dem vom Februar bis September 2013 erreichten Rekord von 12.0% liegt. In der ganzen EU sank die Quote von 10.7% im Januar auf 10.6% im Februar. Eurostat schätzt, dass im Berichtsmonat EU-weit 25.92 Mio. Menschen arbeitslos waren, davon 18.97 Mio im Euro-Raum. NZZ, 2. April 2014, S. 27.


Gauck warnt vor der direkten Demokratie

Anlässlich seines zweitägigen Staatsbesuch in die Schweiz meinte der Deutsche Bundespräsident Gauck nach Gesprächen mit dem Bundespräsidenten Didier Burkhalter, er sehe Nachteile in der direkten Demokratie. «Die direkte Demokratie kann Gefahren bergen, wenn die Bürger über hochkomplexe Themen abstimmen», sagte Gauck an der Medienkonferenz im Landgut Lohn in Kehrsatz. Er sei ein überzeugter Unterstützer der repräsentativen Demokratie, mit der Deutschland «sehr gut fährt». Bundespräsident Burkhalter konterte, die direkte Demokratie sei ein Teil der Schweizer Kultur. Dazu gehöre, zu akzeptieren, wenn die Bevölkerung gegen die Empfehlung der Behörden stimme. Die Stimme jedes Einzelnen sei wichtig. «Ich kann nicht ganz verstehen, weshalb die EU wegen dem Volksentscheid Forschungsabkommen mit der Schweiz gestoppt hat», sagte Burkhalter, denn die Personenfreizügigkeit gelte zurzeit noch. Er forderte mehr Verständnis der EU für den Entscheid in der Schweiz. Burkhalter bekräftigte, die Schweiz wolle mit der EU weiter diskutieren - die EU müsse aber Verständnis aufbringen für den Schweizer Volksentscheid. Burkhalter sowie Gauck zeigten sich überzeugt, dass die Schweiz mit der EU eine Lösung finden werde. Der Bund, 2. April 2014. Das Zitat von Gauck ist ein beredete Zeugnis für die antidemokratische Einstellung der Deutschen Polit-„Eliten“.


Staat „gerettet“ – auf Kosten der Bevölkerung

Die griechischen Staatsfinanzen sind wieder im Lot. Mitte April 14 ist Griechenland an den Kapitalmarkt zurückgekehrt und hat mit Staatanleihen prompt drei Milliarden Euro eingenommen. Doch die Bilanz der rigiden Austeritätspolitik ist verheerend: die Wirtschaftsleistung ist um ein sagenhaftes Viertel eingebrochen. Löhne und Pensionen sind um bis zu 55 Prozent gesunken. Parallel dazu ist die Steuer- und Abgabenbelastung enorm gestiegen. Die Sparguthaben sinken, bei gleichzeitig explodierender Privatverschuldung. Die Zahl der Abeitslosen ist von unter 10 Prozent im Herbst 2008 auf 28 Prozente in die Höhe geschnellt. Mehr als 60 Prozent der jungen Griechen sind ohne Job. NZZ am Sonntag, 14. April 2014, S. 5

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