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Kurzinfos März 2017

Kohäsionsmilliarde: Bund bereitet Rückzug aus Osteuropa vor

Der nächste Erweiterungsbeitrag der Schweiz liegt wegen der Verhandlungsblockade zwischen Bern und Brüssel auf Eis. Die meisten Projekte laufen bereits im Sommer aus. Die Verwaltung plant den geordneten Rückzug.

Vor zehn Jahren hat eine knappe Mehrheit der Stimmenden die Gesetzesgrundlage für die sogenannte Kohäsionsmilliarde zugunsten der neuen EU-Staaten im Osten angenommen. Nach dem Beitritt Rumäniens, Bulgariens und Kroatiens belaufen sich die Beiträge auf 1,3 Milliarden Franken. Die Schweiz trage so zum Abbau der sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheiten in Europa bei, argumentierte der Bundesrat damals im Abstimmungsbüchlein.

Die Landesregierung tönte aber auch an, dass der Erweiterungsbeitrag das Eintrittsbillett für den europäischen Binnenmarkt sei und eine Ablehnung der Vorlage «den erfolgreichen bilateralen Weg gefährden» würde. Inzwischen sind die Kohäsionsbeiträge für die EU-10-Staaten aufgebraucht, die letzten Projekte laufen im Juni 17 aus. Jene für die drei später beigetretenen Mitgliedstaaten müssen 2019 bzw. 2024 abgeschlossen sein.

Doch das ist vermutlich nicht das Ende der Geschichte. Die EU signalisiert seit Jahren, dass sie von der Schweiz analog zu den drei Efta-Staaten im EWR einen neuen Erweiterungsbeitrag erwartet. Dieser sollte «in einem angemessenen Verhältnis zu den erheblichen Vorteilen» der bilateralen Abkommen stehen, heisst es im jüngsten Strategiepapier der EU zu den Beziehungen zur Schweiz.

Auch das Schweizer Parlament rechnet mit einem neuen Erweiterungsbeitrag – jedenfalls war dem noch so, als es im letzten September 16 mit grossen Mehrheiten die Rechtsgrundlage dazu beschloss. Die SVP verzichtete auf ein Referendum mit der Begründung, sie wolle ihre Kräfte im Hinblick auf eine europapolitische Grundsatzabstimmung sparen. Gegen den Rahmenkredit, der die Höhe des Betrags und die Stossrichtung der Programme definiert, kann das Referendum nicht ergriffen werden. Das Parlament entscheidet abschliessend.

Nachdem die Verhandlungen über eine Steuerung der Zuwanderung mit der EU gescheitert sind, regt sich in den Räten Widerstand gegen eine neue Zahlung. Er werde dem Parlament «einzig im Gesamtkontext der Beziehungen zur EU» einen Kredit unterbreiten, lautet die Sprachregelung des Bundesrats. Aussenminister Didier Burkhalter dementierte kürzlich im Nationalrat Meldungen, wonach er von dieser Position abgerückt ist.

Im Moment knüpft also die Schweiz einen neuen Erweiterungsbeitrag an Zugeständnisse der EU in den Verhandlungen um ein neues Rahmenabkommen. Ob und wann es hier zum Handschlag kommt, ist nicht absehbar. Und dann müsste ein solches Abkommen auch noch die innenpolitischen Hürden nehmen. Für das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) und die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) bedeutet das mit hoher Wahrscheinlichkeit, dass sie ihre Aktivitäten in den zehn EU-Ländern, die 2004 beigetreten sind, in diesem Jahr beenden müssen.

Der Entscheid, ob die fünf Büros in der EU-10 Ende Jahr geschlossen würden, dürfte im Sommer fallen, sagt Hugo Bruggmann, der im Seco das Ressort Erweiterungsbeitrag leitet. In den EU-10-Partnerstaaten sind zurzeit noch dreizehn Personen beschäftigt, unter ihnen ist ein Schweizer. Dazu kommen die Mitarbeiter in der Zentrale. Bei einem gänzlichen Rückzug aus diesen zehn Ländern ginge das dortige Beziehungsnetz verloren, das in den letzten zehn Jahren aufgebaut wurde. Bei einem späteren Wiedereinstieg müsste man teilweise von vorne anfangen.

Deza und Seco haben die Erfahrungen mit dem Erweiterungsbeitrag laufend ausgewertet. Eine externe Evaluation von 2015 hat das Konzept grundsätzlich bestätigt. Tendenziell würde man bei einem weiteren Erweiterungsbeitrag versuchen, mit den gleichen bewährten Partnern weiterzuarbeiten, dabei aber stärker fokussieren, sagt Bruggmann. Es zeichne sich auch ab, dass innovative Themen aufgenommen werden könnten, zum Beispiel Jugendarbeitslosigkeit und Berufsbildung sowie das Migrationsmanagement. Im ersten Bereich gebe es eine grosse Zahl von Anfragen, und die Schweiz verfüge bei beiden Themen über spezifisches Know-how.

Anders als die Schweiz finanzieren Norwegen, Island und Liechtenstein mit ihren Kohäsionsbeiträgen (rund 350 Millionen Euro pro Jahr) auch Projekte in Südeuropa. So unterstützten die drei Efta-/EWR-Staaten Griechenland unter anderem bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise. Für eine geografische Ausweitung der Schweizer Aktivitäten kann das Bundesgesetz Ost aber nicht als Grundlage dienen. Es ist auf die dreizehn neuen EU-Mitglieder begrenzt. Bis jetzt haben Seco und Deza rund 300 Projekte im Rahmen des Erweiterungsbeitrags realisiert. Die Gegengeschäfte beziffert der Bundesrat auf 110 Millionen Franken. NZZ, 9. März 2017.



CETA-Abkommen: EU-Parlament gibt grünes Licht

Das EU-Parlament hat Mitte Februar 17 dem umstrittenen Freihandelsabkommen der EU mit Kanada (CETA) zugestimmt. 408 Abgeordnete stimmten mit Ja, 254 stimmten dagegen und 33 enthielten sich. Die Zustimmung des Parlaments bedeutet, dass die vorläufige Anwendung des Abkommens nun schon in Kürze in Kraft treten kann. Das gilt für alle Bereiche des Vertrags, die unter alleinige Zuständigkeit der Europäischen Union fallen. Der Rest des Abkommens wird erst dann umgesetzt, wenn die Regierungen aller EU-Mitgliedstaaten den Ratifizierungsprozess abgeschlossen haben.

Ein Bericht des französischen Umweltministeriums hatte kurz vor der Abstimmung auf besorgniserregende Bereiche des CETA-Abkommens aufmerksam gemacht, wie etwa die Auswirkungen des geplanten Investitionsgerichtssystems (ICS) auf künftige und bestehende Umweltgesetzgebung. Auch zivilgeselischaftliche Organisationen wie die NaturFreunde zeigten sich enttäuscht. Am Morgen der Abstimmung hatten sie noch 3,5 Millionen Unterschriften gegen das Abkommen überreicht: ,,Natürlich ist das Abstimmungsergebnis enttäuschend - doch das letzte Wort ist damit noch längst nicht gesprochen“, sagte Maritta Strasser, Sprecherin des Stop-TTIP-Bündnisses. Die Hoffnung liegt jetzt beim Ratifizierungsprozess - insgesamt 38 nationale und regionale Parlamente müssen zustimmen, ansonsten ist das CETA-Abkommen vorerst gescheitert. Umwelt aktuell, März 2017, S. 27 (www.kurzlink.de/ep-ceta-ja; www.kurzlink.de/ceta-reakt-fr)


Junckers Szenarien für die künftige EU

Vor dem EU-Parlament in Brüssel präsentierte EU-Kommissions-Präsident Jean-Claude Juncker am 1. März 17 ein Weissbuch zur Zukunft Europas. In bekannter Übergriffigkeit erweist sich Juncker als unfähig, zwischen der EU und Europa zu unterscheiden.

Das Weissbuch skizziert fünf Zukunftsszenarien für das Jahr 2025, deren Elemente teilweise kombinierbar sind. Angesichts des Brexit und der verbreiteten EU-Skepsis plädiert Juncker nicht einfach für mehr europäische Integration. Vielmehr mimt das Weissbuch Bereitschaft, die EU etwas flexibler zu denken, wobei eine Union von 27 EU-Staaten allen fünf Szenarien zugrunde liegt und Juncker bewusst darauf verzichtet hat, ein Modell der Desintegration ins Weissbuch aufzunehmen.

Das erste Szenario steht unter dem Titel «Weiter so wie bisher». Die EU würde sich auf bereits beschlossene Prioritäten wie die Energie-Union oder den digitalen Binnenmarkt konzentrieren; in der Währungsunion oder der Migrationspolitik wären nur schrittweise Reformen möglich.

Das zweite Szenario sieht eine klare Konzentration auf den Binnenmarkt vor, dessen Funktionieren der eigentliche Daseinszweck der EU würde. In allen anderen Politikfeldern wie der Verteidigungspolitik gäbe es kein Zusammenrücken, und an den Grenzen zwischen den EU-Staaten würden wohl systematischere Kontrollen eingeführt. Auch eine Aussenhandelspolitik oder der Einsatz von „Entwicklungshilfe für Migrationspartnerschaften“ in Afrika würden erschwert.

Das dritte Szenario sieht unter dem Titel «Wer mehr will, tut mehr» ein Europa mehrerer Geschwindigkeiten vor. So könnten forsche Staaten in der Verteidigungspolitik oder beim Austausch von Geheimdienstinformationen zur Terrorbekämpfung ihre Kooperation intensivieren, ohne von den Skeptikern gebremst zu werden. Auch in der Wirtschafts- und Währungsunion könnte eine Koalition williger Länder Steuerregeln oder die Sozialstandards harmonisieren. In der Schengen- und der Euro-Zone ist ein Europa mehrerer Geschwindigkeiten längst Realität, aber nicht als offizielle Organisationsform der EU anerkannt. Juncker gab zu bedenken, dass Europa noch schwerer verständlich werden könnte. Dennoch könne er diesem Ansatz einiges abgewinnen, da das Voranschreiten einer «Avantgarde» Fortschritte ermögliche. Zudem wäre das Ziel nicht der Ausschluss zögerlicher Mitgliedstaaten, sondern ihr späterer Einbezug.

Das vierte Szenario steht unter dem Titel «Weniger, aber effizienter». Es sähe vor, dass die EU beim Konsumentenschutz oder in der Gesundheitspolitik die Harmonisierung auf ein Minimum zurückfährt. Im Gegenzug würden die EU-Kompetenzen in prioritären Bereichen wie Verteidigung, Handel oder Grenzschutz gestärkt, damit die EU die in sie gesetzten Erwartungen auch erfüllen kann. Allerdings räumt auch Juncker im Weissbuch ein, dass die 27 verbleibenden EU-Staaten wohl Schwierigkeiten hätten, sich politisch auf die prioritären Bereiche zu einigen.

Das fünfte Szenario schliesslich sieht einen flächendeckenden Integrationsschub in allen Politikbereichen vor. Das Modell «Viel mehr gemeinsames Handeln» würde Europa nach Ansicht der EU-Kommission zwar in vielerlei Hinsicht effizienter machen. Doch scheine im gegenwärtigen politischen Klima in vielen Ländern fraglich, ob die Mehrheit der Bevölkerung dafür wäre. NZZ, 2. März 2017, https://ec.europa.eu/commission/sites/beta-political/files/weissbuch_zur_zukunft_europas_de.pdf


Der neue EU-Botschafter in der Schweiz

Lesenswertes Interview mit dem neuen EU-Botschafter in der Schweiz. Ein schönes Beispiel dafür, wie man Probleme wegredet, überdeckt und versucht, Zuversicht zu verbreiten, z.B. „Der Euro ist ein Erfolg“. Weiterhin pflegt er den Mythos von den gleichen Werten der Schweiz und der EU. https://www.nzz.ch/schweiz/eu-botschafter-michael-matthiessen-damit-wuerde-eine-grenze-ueberschritten-ld.152966, 23. März 2017


Linkes Versagen in der EU-Kritik

Perry Anderson, Professor für Geschichte und Soziologie an der University of California in Los Angeles veröffentlichte im Le Monde Diplomatique einen lesenswerten Artikel über den Niedergang der Linke in der EU-Diskussion. Er stellt fest „Sechzig Jahre nach Gründung der Europäischen Gemeinschaft ist das Unbehagen an dem, was aus ihr geworden ist, größer denn je. Die EU gilt als neoliberales Elitenprojekt.“ „Nachdem die politische Kaste in Brüssel den in mehreren Referenden ausgedrückten Willen der EU-Bevölkerung missachtet und diktatorische Haushaltsregeln verfassungsrechtlich verankert hat, ist es keine Überraschung, dass so viele unterschiedliche Bewegungen entstanden sind, die gegen diese oligarchischen Methoden protestieren.“. „Ihre [der EU-Politik] schärfsten Kritiker sind heute [aber] nicht linke Antikapitalisten, sondern rechte Kräfte.“ Und Anderson stellt die Frage „Warum sind die Rechten erfolgreicher als die Linken?“ „Dass die rechten Bewegungen stärker sind als die linken, rührt vor allem daher, dass sie sich von Anfang an auf das dritte Thema, die fremdenfeindliche und rassistische Ablehnung von Zuwanderern, konzentriert haben, um möglichst große Teile der benachteiligten gesellschaftlichen Gruppen für sich zu gewinnen. Dabei gerieren sie sich (mit Ausnahme der rechten Bewegungen in den Niederlanden und in Deutschland, die wirtschaftsliberal ausgerichtet sind) als Verteidiger des Sozialstaats, der ihrer Meinung nach durch die Zuwanderung untergraben wird. Aber es wäre falsch, die Erfolge der Rechten allein mit dieser Prioritätensetzung zu erklären, denn einige punkten auch in anderen Bereichen, am deutlichsten beim Thema Währungsunion. Als mit den Maastricht-Verträgen der Euro eingeführt und die Europäische Zentralbank (EZB) gegründet wurde, entstand ein System, in dem sich die Durchsetzung strikter Haushaltsdisziplin und die Abschaffung der Volkssouveränität gegenseitig bedingen. Diese Entwicklung haben die linken Bewegungen vielleicht genauso scharf, wenn nicht schärfer kritisiert als die rechten. Aber die Lösungsvorschläge der Linken sind meistens weniger radikal. [..] Sie fordert allenfalls technische Verbesserungen bei der gemeinsamen Währung, die meist zu kompliziert sind und sich politisch schlecht verkaufen. Was die Zuwanderung betrifft, wollen sie vage Quotenlösungen, aber auch die sind der Wählerschaft nicht so leicht zu vermitteln wie die schlichten Angebote der Rechten.“ „Für die linken Bewegungen gegen das System in Europa ergibt sich aus den Erfahrungen der letzten Jahre eine eindeutige Lehre: Wenn sie nicht von den Rechten abgehängt werden wollen, können sie es sich nicht leisten, das bestehende System weniger radikal anzugreifen als diese. Zugleich muss ihre Opposition kohärenter werden. Und sie müssen von der Wahrscheinlichkeit ausgehen, dass die heutige EU als neoliberales Konstrukt sich nicht mehr von innen reformieren kann. Das heißt: Die Union müsste dekonstruiert werden, bevor etwas Besseres aufgebaut werden kann. Das könnte durch den Austritt aus der bestehenden EU geschehen oder durch einen Neuaufbau Europas auf einem anderen Fundament. Damit wären die Maas¬tricht-Verträge tot. Beide Entwicklungen sind allerdings wenig wahr¬scheinlich – außer im Gefolge einer weiteren und noch tieferen ökonomischen Krise.“ Le Monde diplomatique vom 09. März 2017, https://monde-diplomatique.de/artikel/!5381578

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