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Kurzinfos Januar 2019



Norwegischer Arbeitsmarkt unter Druck

Durch das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) ist Norwegen seit 1994 Teil des EU-Binnenmarktes– mit freiem Warenverkehr, Personenfreizügigkeit, Dienstleistungsfreiheit und freiem Kapital- und Zahlungsverkehr. Seit der ab 2004 erfolgten EU-Erweiterung durch die ost-europäischen Länder, gab es Jahre mit mehr als 300 000 Osteuropäern, die in Norwegen arbeiteten. Die norwegischen Gewerkschaften hiessen diese Arbeitskräfte willkommen – unter der Bedingung, dass sie zu Löhnen und Arbeitsbedingungen gemäss norwegischen Standards arbeiten. In der Praxis es erwies sich allerdings als unmöglich, dies durchzusetzen. Das Resultat war eine endlose Folge von ernstem Sozialdumping, mit Ausbeutung der osteuropäischen Arbeitskräfte und gleichzeitigem unfairen Lohnwettbewerb auf dem Arbeitsmarkt. Die Gewerschaften wurden geschwächt: der Organisationsgrad sank und der Druck auf bestehende Lohn- und Arbeitsbedingungen stieg.

Über die Jahre führte dies in den Gewerkschaften zu einem wachsenden Widerstand gegenüber dem EWR. Die widerständischen Gewerkschafter verlangen ein alternatives Handelsabkommen zwischen Norwegen und der EU. Das EWR-Abkommen ist viel mehr als ein Handelsabkommen. Als Teil des EWR wurde Norwegen verpflichtet, die in Brüssel entschiedenen Binnenmarktregulierungen zu übernehmen. Abertausende von neuen EU-Richtlinien und Verordnungen müssen jedes Jahr ins norwegische Recht übernommen werden. Bezüglich Arbeitsmarktregulierungen gab es in der EU nach dem sogenannten „Laval-Quartett“ (EU-Gerichtshof-Urteile unter dem Namen Viking, Laval, Rüffert und Luxemburg in den Jahren 2007/08) einen bedeutsamen Schritt zu mehr Arbeitsmarktderegulierung. In den vier Entscheidungen wurde festgelegt, dass die EU-Regulierungen als Maximalstandards zu betrachten sind. Mitgliedstaatliche Gesetze und Abkommen dürfen nicht strenger sein als die EU-Regelungen. Dies begrenzte die Möglichkeiten eines wirksamen Kampfes gegen Sozialdumping.

Die wirtschaftlichen und politischen „Eliten“ Norwegens, samt Arbeitgeberverbänden, rechten Parteien und der sozialdemokratischen Partei sind starke Befürworter des EWR-Abkommens – ebenso die Gewerkschaftsspitzen auf Landesebene. In Wirklichkeit ist aber rauh und der Widerstand in wichtigen Teilen der Gewerkschaften wächst. In diesem Herbst 2019 wird zum Thema ein neuer Kongress der grössten Gewerkschaft des privaten Sektors, des Fellesforbundet, stattfinden und es ist offen, ob dort der EWR bejaht oder abgelehnt wird. Wie dem auch sei, die norwegischen Gewerkschaften wollen von allen Erfahrungen bezüglich erfolgreichem Kampf gegen Sozialdumping lernen, einschliesslich der schweizerischer Erfahrungen. Februar 2019, Roar Eilertsen, Leiter von De Facto – Gewerkschaftsinstitut in Oslo. Roar Eilertsen unternahm im Januar 2019 mit einer Gruppe von lokalen Gewerkschaftsfunktionären eine Reise unter anderem auch in die Schweiz, um sich über die Erfahrungen mit den Bilateralen Verträgen und Lohndumping zu informieren. Der Schweizerische Gewerkschaftsbund SGB war nicht bereit, einen Vertreter oder eine Vertreterin für ein Treffen zu schicken (pr).


Die Prüfer der EU geben dem Juncker-Plan nur durchzogene Noten

Die EU tätigt zuweilen fragliche Investitionen. Das geht aus einem Bericht des Europäischen Rechnungshofs hervor. In Brüssel ist man zuversichtlich, dass die nötigen Verbesserungen bereits aufgegleist sind. Der Rechnungshof der EU hat in einem Sonderbericht grundlegende Fragen zum auch Juncker-Plan genannten Investitionsvehikel EFSI der EU aufgeworfen. Demnach soll die EU teilweise private Investoren verdrängt und die Errungenschaften der Initiative überzeichnet haben.

Die Kritik trifft einen wunden Punkt, schliesslich ist man bei der Kommission stolz auf die Ende 2014 gestartete «Investitionsoffensive für Europa». Mit dem Vorhaben wollte man die nach der Finanzkrise von 2008 zurückgegangenen Investitionen wieder ankurbeln und eine «Investitionslücke» von jährlich 230 Mrd. bis 370 Mrd. € zumindest teilweise schliessen. Das nach Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker benannte Füllhorn wird gemeinsam mit der Europäischen Investitionsbank (EIB) über grosse und kleine Projekte in der ganzen EU ausgegossen.

Charakteristisch ist dabei im Vergleich mit anderen EU-Geldtöpfen, dass Garantien und Mittel unkomplizierter und für vielerlei Zwecke bewilligt werden können. Zuständig für die Entscheidungen sind ein Lenkungsrat mit drei Vertretern der Kommission und einem Abgesandten der EIB, ein Investitionsausschuss und ein geschäftsführender Direktor.

So gewährte man im November vergangenen Jahres etwa eine Garantie über 10 Mio. € zugunsten von bis zu 650 Mikrounternehmern in Italien. Diese erhalten bei der Banca Popolare Sant’Angelo Darlehen mit geringeren Zinskosten und weniger hohen Ansprüchen an dafür zu gewährende Sicherheiten als marktüblich. Bevorzugt werden Frauen, junge Erwachsene und Startups. Im Dezember investierte man ferner 40 Mio. € in Allego. Die niederländische Firma betreibt in ganz Europa Ladestationen für elektrische Fahrzeuge und will mit dem Geld Investitionen finanzieren. Die Unterstützung läuft über 17 Jahre und hat mit Eigenkapital vergleichbare Eigenschaften. Im Rahmen eines anderen Investitionsplans, der Connecting Europe Facility, hatte Allego bereits früher 29 Mio. € für Schnellladestationen erhalten. Die Liste lässt sich beinahe beliebig verlängern. Bis Mitte 2018 wurden fast 700 Operationen unterzeichnet mit einem Finanzierungsbetrag von 42,9 Mrd. €. Nimmt man noch die genehmigten, aber noch nicht fertig unterzeichneten Projekte dazu, belief sich der Betrag per 17. Juli 2018 auf knapp 66 Mrd. €. Damit übertraf man das ursprüngliche Ziel von 61 Mrd. €. Mit dieser Summe hat die EU-Kommission laut eigenen Angaben insgesamt gar 335 Mrd. € an Investitionen «mobilisiert» und damit die angestrebten 315 Mrd. € mehr als erreicht.

Hier setzt denn auch die Kritik des Rechnungshofs, der EU-Finanzkontrolle, an. Die Zahl von 335 Mrd. € sei aus verschiedenen Gründen deutlich zu hoch ausgefallen. Die Prüfer wollten sich vor den Medien nicht auf eine konkrete Zahl festlegen. Doch die Auditoren schreiben von einzelnen extremen Beispielen, wo dieser sogenannte Multiplikatoreneffekt wegen Doppelzählungen und falscher Zurechnungen um das Vier- bis Fünffache überschätzt worden ist. EU-Kommission und EIB entgegnen dem, die genauen kausalen Zusammenhänge beim Anregen von Finanzierungen liessen sich im Vorfeld kaum darstellen und auch nicht schlüssig nachweisen. Man halte sich aber an die eigens für den Juncker-Plan ins Leben gerufene ordentliche Berechnungsmethode.

Beim knapp drei Viertel der ursprünglichen Ausstattung ausmachenden Teil des Juncker-Plans für Infrastruktur und Innovation wiederum fanden die Prüfer heraus, dass 31% der befragten Unternehmen ihre Projekte laut eigenen Angaben auch ohne die EU-Hilfe vollständig hätten am Markt finanzieren können. Der Juncker-Plan wurde aber vorgezogen, weil er niedrigere Zinsen, längere Laufzeiten und allgemein attraktivere Bedingungen bot. Demnach wurden nicht nur private Investoren durch die EU ausgestochen, sondern auch andere, mit strengeren Auflagen verknüpfte, bereits bestehende öffentliche Finanzierungsquellen. Die Kommission entgegnete, die Prüfer hätten alte Projekte aus den Anfangsjahren erwischt und mittlerweile seien beim 2017 aufgestockten Juncker-Plan zahlreiche Verbesserungen eingeführt worden. So prüfe man vor der Kreditvergabe systematisch, ob ein Marktversagen vorliege. Zudem will die EU im Rahmen des nächsten mehrjährigen Finanzrahmens unter dem Namen Invest-EU 14 bisher separate Finanzinstrumente zusammenführen und damit allenfalls verbleibende Überschneidungen eliminieren. NZZ, 29. Januar 2019, S. 25


Menasse und das Zitieren

Der glühende „Europäer“ Robert Menasse nimmt es mit dem Zitieren nicht sehr exakt. Für seine Idee der „Überwindung der Nationen“ führte Menasse wiederholt Walter Hallstein ins Feld. Hallstein (1901–1982) wurde 1958 erster Kommissionsvorsitzender der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), des offiziellen Vorläufers der EU. In einem für die «FAZ» verfassten Artikel («Es lebe die europäische Republik!», 23. März 2013) zitiert Menasse Hallstein mit dem Satz: «Die Abschaffung der Nation ist die europäische Idee.» Diese und zwei weitere Äusserungen des EWG-Präsidenten sind aber konstruiert, wie der Historiker Heinrich August Winkler herausfand. Sie sollten Hallstein zum Vordenker der Vereinigten Staaten von Europa machen. In Wirklichkeit aber habe der Politiker, so Winkler, der Vision eines Supranationalstaats sogar widersprochen. Menasse behauptete sowohl in seinem Roman als auch bei einer Diskussion, Hallstein habe seine Antrittsrede als EWG-Präsident 1958 auf dem Gelände des Vernichtungslagers Auschwitz gehalten, an einem Ort, wo man sehe, wohin der Nationalstaat geführt habe. Wie die «FAZ» berichtet, hat der Historiker Hans-Joachim Lang versucht, Menasses Quellen zu ermitteln. Recherchen bis hin zum Historischen Archiv der EU in Brüssel und zum Bundesarchiv in Koblenz ergaben: Der Auftritt muss erfunden sein. «FAZ»-Redaktor Patrick Bahners hat Menasses herbeiphantasierte Verbindung von Auschwitz und europäischem Projekt scharf kommentiert. Im öffentlichen moralischen Bewusstsein sei Auschwitz der «Inbegriff der Tatsache, mit der man nicht spielt». Auch die Friedenspreisträgerin Aleida Assmann hat sich gegen Menasses Geschichtsklitterung ausgesprochen. Die These, Europa sei als Reaktion auf Auschwitz gegründet worden, leugne die geschichtlichen Fakten: «Was wir heute nicht mehr verstehen, aber anerkennen müssen, ist, dass in den ersten vier Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg von der Ermordung der europäischen Juden auf der politischen Bühne nicht die Rede war», so die Kulturwissenschafterin in einem Interview mit der «Welt»-Ausgabe vom Wochenende.

Menasse versucht in der Folge den den Spiess umzudrehen: Nicht er, der fahrlässig mit historischen Reden, Figuren und Orten verfahrende Autor hat das Problem, sondern die «erregten oder höhnischen Journalisten und Blogger». Letztlich gehe es darum, «eine europapolitische Idee niederzukartätschen». Jene, die ihm, Menasse, nun «Fälschung», «Bluff» und «Lüge» vorwürfen, beförderten nur das Machwerk der Nationalisten. NZZ, 7. Januar 2019, S. 28.


No-Deal Brexit!

Sowohl das Brexit-Austrittsabkommen als auch die EU-Verträge ziehlen darauf ab, neoliberale Politiken zu verfestigen und soziale Alternativen zu verhindern. Eine Rückkehr zur Demokratie kann nur über einen No Deal-Berxit gelingen.

Von Danny Nicol

Die europäische Integration hat ein Regelwerk geschaffen, das traditionelle Labour-Politiken zunehmend diskriminiert und konservative Politik bevorzugt. Das Austrittsabkommen zwischen Großbritannien und der EU ist in dieser Hinsicht nichts anderes: Es bindet die britische Politik an marktliberale, konservative Politikmuster und verbaut auf diese Weise eine Rückkehr zu einer demokratischen Politik, die von der überwiegenden Mehrheit der britischen Bürger herbeigesehnt wird -ganz unabhängig davon, wie sie im Referendum abgestimmt haben. Der Aushöhlungsprozess der Demokratie spielte bei der ,,Leave"-Stirmme im EU-Referendum von 2016 eine gewichtige Rolle, wie Costas Lapavitsas überzeugend feststellt: ,.Die arbeitende Bevölkerungen Europas haben die Aushöhlung der Demokratie zu Recht als Verlust der Souveränität wahrgenommen, denn die Demokratie ist ein integraler Bestandteil der Volkssouveränität und geht weit über die bloße Möglichkeit, regelmäßig zu wählen, hinaus. Es bedeutet natürlich die Fähigkeit der Mittellosen, der Arbeiter, der Selbständigen und anderer, Einfluss auf ihre Lebensbedingungen zu nehmen( ... ). Als die Mechanismen und Institutionen der [Demokratie] in Europa in den letzten Jahrzehnten ausgehöhlt wurden, setzte sich bei den „unteren Schichte“ ein beispielloses Gefühl der Machtlosigkeit durch. ( ... ) Der Niedergang der Demokratie und der Verlust der Volkssouveränität in Europa spiegeln einen historischen Wandel zugunsten des Kapitals und gegen die Arbeit wider." (Costas Lapavistas, 2018: The Left Case Against the EU, Cambridge: Polity, S. 5).

Homogene Parteien

Die Einsichten von Lapavitsas sind sowohl für Großbritannien als auch für Kontinentaleuropa gültig. Territorialstaatliche Souveränität und Demokratie sind untrennbar miteinander verbunden. Umso mehr nutzt die herrschende Elite seit Jahrzehnten den Supranationalismus, um eine Welt zu gestalten, in der die Macht der Privatwirtschaft über der demokratischen Auseinandersetzung steht. Die freie Wahl der Wirtschaftspolitik - etwa bei der staatlichen Unterstützung der Industrie oder der Wahl zwischen Marktlösungen und öffentlichen Monopolen - wurde zunehmend rechtlich unzulässig gemacht. Innerhalb dieser postdemokratischen Welt dienen Wahlen als Schaufensterdekoration. Die Wähler können eine Partei jeder politischen Couleur wählen - vorausgesetzt, dass diese nach ihrer Amtszeit nur eine Politik verfolgt, die mit dem EU-Recht vereinbar ist. Manifeste und Mandate zählen nicht. Die Stärke des supranationalen Apparats ist so groß, dass sich die Parteien der Linken schnell dem Konformitätsdruck beugen - erst recht, wenn sie falschlieherweise glauben, dass die Mitgliedschaft in der EU oder der Eurozone mit ihren politischen Zielen vereinbar sei, wie das Beispiel der Syriza in Griechenland zeigt.

Gefangen im Backstop

Das Austrittsabkommen hat nicht die Beseitigung dieses antidemokratischen Trends zur Folge, sondern seine Fortsetzung mit anderen Mitteln. Das Abkommen ist wegen seines ,Backstops‘ berüchtigt geworden: Es kann nur dann durch ein anderes Abkommen abgelöst werden, wenn die EU diesem zustimmt. Die antidemokratische Bedeutung des Austrittsabkommens wird deutlich, wenn man es sorgfaltig analysiert. Eine solche Analyse zeigt, dass die Vereinbarung die Souveränität Großbritanniens derart beschneidet, dass es auch weiterhin keinen demokratischen Wettbewerb zwischen der politisch Linken und Rechten geben kann:

• So beinhaltet das Austrittsabkommen die Zusage von Theresa May, "eine Vorabverpflichtung zur Beibehaltung eines gemeinsamen Regelwerks für staatliche Beihilfen" mit der EU einzugehen. Wie Lapavitsas zeigt, würde jede radikale industrielle Strategie von Labour gegen diese Beschränkungen verstoßen. Denn das Regelwerk zielt darauf ab, Regierungen daran zu hindern, den Wettbewerb im Binnenmarkt zu verzerren. Die Verteidiger der EU-Beihilferegelung argumentieren zwar, dass diese Infrastrukturausgaben nicht ausschließt. Ausgeschlossen wird jedoch eine radikalere Urnstrukturierung der britischen Wirtschaft zugunsten des verarbeitenden Gewerbes und anderer Sektoren mit hohem Exportpotenzial, da sie zugunsren neuer ‚britischer Champions‘ und im Interesse britischer Produkte und Arbeitnehmer in den Markt eingreifen müsste. Genau das zu tun ist aber ein legitimes politisches Ziel, das in einer Demokratie nicht ausgeschlossen werden sollte. Einige Labour-Politiker werden sich nun dieser Bedrohung nachträglich bewusst: Oppositionsführer Jeremy Corbyn kündigte im Dezember 2018 eine Überprüfung der Regeln für staatliche Beihilfen an: „( ... ) ganz klar, wenn man eine Winschaft regenerieren will, wie wir es in der Regierung tun wollen, dann will ich nicht von jemand anderem gesagt bekommen, dass wir keine staatlichen Beihilfen verwenden können, um die Industrie in diesem Land entwickeln zu können" (The Guardian, 21.12.2018)

• Das Austrittsabkommen sieht ferner vor, dass staatliche Eingriffe weder die· Märkte verzerren, noch den Handelsliberalismus untergraben dürfen; dass das Vereinigte Königreich keine Maßnahmen erlässt, die gegen die EU-Wettbewerbsregeln in Bezug auf öffentliche Unternehmen verstoßen, und dass die Auslegung dieser Verpflichtung durch alle einschlägigen Rechtsakte der EU-Organe gepeitscht wird. Zu diesen Rechtsakten gehören auch die Liberalisierungsrichtlinien für die „öffentlichen Versorgungsuntemehmen“ wie Post, Gas, Elektrizität, Telekommunikation und Eisenbahn, die Großbritannien zu Marktlösungen in diesen Sektoren zwingen. Das Abkommen verbietet daher eine Verstaatlichung öffentlicher Versorgungseinrichtungen, wie sie von der Labour-Regierung 1945 durchgeführt wurde. Gleichzeitig würden die Wettbewerbsbestimmungen auch die Schaffung neuer öffentlicher Monopole in Sektoren verbieten, die traditionell von privaten Unternehmen dominiert werden, wie Banken und Bauunternehmen. Allerdings sollte in Demokratien das Verhältnis des öffentlichen zu dem des privaten Eigentums nicht durch supranationale Vereinbarungen auf Dauer festgezurrt werden, sondern eine Frage sein, über das eine demokratischen Entscheidung möglich bleibt.

• Was den freien Warenverkehr bebetrifft, wird Großbritannien durch das Austrittsabkommen dem gesamten Spektrum der EU-Vorschriften unterworfen, die nicht der demokratischen Kontrolle des Parlaments unterliegen. Der freie Warenverkehr ist nicht unpolitisch. Sein Anwendungsbereich ist riesig: Er umfasst nicht nur Grenzmaßnahmen, sondern auch interne Maßnahmen, da Importe aus den EU-Mitgliedstaaten nicht diskriminiert werden dürfen. Tatsächlich deckt er alle staatlichen Regeln ab, die in der Lage sind, den Handel mit der EU indirekt oder potentiell zu behindern. Das Abkommen soll alles verbieten und sanktionieren, von staatlichen ,,Buy British"-Kampagnen bis hin zum Verbot, Arbeitnehmer an der Blockade von Importen zu hindern. All diese Regeln werden einem eingehenden Test der Verhältnismäßigkeit unterzogen: ob nämlich das gleiche politische Ziel mit Mitteln hätte erreicht werden können, die den freien Warenverkehr weniger beeinträchtigen. Die Freizügigkeit ist damit gegenüber sozialen Belangen privilegiert. Bestenfalls würden interventionistische Maßnahmen auf Drängen der Unternehmen bis zur Entscheidung der EU ausgesetzt, wie dies bei den schottischen Mindestpreisvorschriften für Alkohol der Fall war, die zum Nachteil des schottischen Volkes um zweieinhalb Jahre verschoben wurden. Wie bei staatlichen Beihilfen und öffentlichem Eigentum wird das Regime nach marktliberalen Lösungen bewertet, unabhängig davon, wie das Land bei demokratischen Wahlen abstimmt.

Der Aufstieg der Ungewählten

Ein Teil des Krieges der neoliberalen Globalisierung gegen die Demokratie war die Ermächtigung nicht gewählter, nicht rechenschaftspflichtiger Organe, vor denen aber gewählte Politiker Rechenschaft ablegen müssen. Ein demokratischer Brexit sollte die Entscheidungsfindung durch nicht rechenschaftspflichtige Organe unterbinden. Stattdessen aber führt das Austrittsabkommen zu deren Verbreitung. Theresa May hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass Großbritannien im Rahmen des Austrittsabkommens den Zuständigkeitshereich des Europäischen Gerichtshofs verlassen wird. Sicherlich usurpiert der EuGH routinemäßig die Rolle demokratisch gewählter Parlamente, wie seine zukunftsträchtigen, arbeitnehmerfeindlichen Entscheidungen im Fall von Vxking und Laval zeigen. Das Austrittsabkommen sieht jedoch vor, dass überall dort, wo Großbritannien EU-Recht oder -Konzepte anwendet (was allgegenwärtig der Fall ist), diese in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des EuGH auszulegen sind. Ein kurzer Satz über den freien Warenverkehr in Artikel 41 Absatz 2 importiert beispielsweise eine Vielzahl von Grundsätzen des Gerichtshofs, die in Tausenden von entschiedenen Fällen festgelegt wurden. Der EuGH verliert daher kaum an Kompetenzen und zementiert deren Macht. Darüber hinaus schafft das Abkommen eine alptraumhafte neu berufene Organisation - den sogenannten "Gemischten Ausschuss" -, der Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU bezüglich der Bedingungen des Austrittsabkommens lösen soll. Es ist vorgesehen, dass der Gemischte Ausschuss befug wird, Entscheidungen zu treffen, die für das Vereinigte Königreich verbindlich sind (Artikel166). So viel zur Souveränität des Parlaments. Erstaunlicherweise haben die Beschlüsse des Gemischten Ausschusses den gleichen Status wie die Austrittsvereinbarung selbst (Artikel 166 Absatz 2). Darüber hinaus werden seine Sitzungen vertraulich sein, so dass er im Wesentlichen im Geheimen Gesetze erlassen wird können (Artikel 10 Absatz 1 des Anhangs 9). Der Gemischte Ausschuss würde Schiedsgerichte einrichten, die jeweils aus fünf „unabhängigen“ Personen ·bestehen. Diese Gerichte haben das Recht, den EuGH um eine Entscheidung zu bitten (Artikel 171-17 4). Der Vorrang nicht gewählter, nicht rechenschaftspflichtiger Organe vor dem gewählten, rechenschaftspflichtigen Parlament bleibt daher unvermindert bestehen.

„No.Deal“-Demokratie

Die Angriffe des Austrittsabkommens auf die britische Souveränität sind zutiefst undemokratischer Natur. Indem der Neoliberalismus über die Demokratie gestellt wird, bindet das Abkommen, wie auch die EU-Verträge, Regierung und Parlament nicht etwa in peripheren Angelegenheiten, sondern in grundlegenden Fragen der links-rechts Spaltung britischer Politik. Es bevorzugt rechte Politikmodelle, verunmöglicht die der Linken und legt damit eine Schlinge um den Hals der britischen Demokratie. Daher muss die britische Linke ihre Ablehnung eines ,,No-Deal"-Brexit grundlegend überdenken. Die ursprünglichen Einwände gegen einen ,,No-Deal" werden immer dünner, zu weit hergeholt ist die Angst vor dem wirtschaftlichen Armageddon und dem Krieg in Nordirland. Nur ein ,,No-Deal" kann die Wiedergeburt der britischen Demokratie als eine echte, ständig wiederkehrende Wahl zwischen Links und Rechts befördern - eine demokratische Wiederbelebung, die die Briten dringend brauchen.

aus: Makroskop - Kritische Analysen zu Politik und Wirtschaft, https:// makroskop.eu/ *) Danny Nicol ist Professor für Öffentliches Recht an der University of Wesiminster mit den Schwerpunkten britische Verfassung. EU-Recht, britische Parlamentssouveränität und Menschenrechte. Er ist Autor von The Constitutional Proteerion ofCapitalism (2010) und EC Membership and the Judicialisation of British Politics (2001). Aus Werktstattblatt 1/2019, Waltherstrasse 15, A-4020 Linz. Dieses aus: Makroskop – Kritische Analxen zu Politik und Wirtschaft, http://makroskip.eu/

Danny Nicol ist Professor für Öffentliches Recht an der University of Westminster mit den Schwerpunkten britische Verfassung, EU-Recht, britische Parlamentssouveränität und Menschenrechte. Er ist Autor von The Constituional Protection of Capitalism (2010) und EC Membership and the Judicialation of British Politics (2001).


Die Cox-Analyse des Brexit-Austrittsvertrags

Der Vertrag, den das britische Parlament drei Mal ablehnte, ist im Grunde kein EU-Austrittsvertrag, sondern ein Text mit möglichst wenig Brexit und möglichst viel EU. Dem EU-Austrittsvertrag liegt das Ziel zugrunde, Großbritannien in den kommenden Jahren so nahe an der EU wie möglich zu halten. Das wurde im Detail von Geoffrey Cox, dem Generalanwalt der britischen Regierung, herausgearbeitet. Er ist Tory; und er analysierte den Vertragsentwurf wohlgemerkt im Auftrag von Premierministerin Theresa May. Die Sprengkraft dieser Analyse war dann allerdings derart, dass die britische Regierung nichts unversucht ließ, um ihre Veröffentlichung zu verhindern. Es brauchte eine Revolte des britischen Unterhauses, um die Veröffentlichung zu erzwingen. Erstmals in der britischen Nachkriegsgeschichte hat ein Parlamentsbeschluss die amtierende Regierung der „Verachtung gegenüber dem Parlament“ beschuldigt.

Cox widmete sich insbesondere den Auswirkungen des Austrittsvertrages auf Nordirland. In der Bilanz soll sich Großbritannien EU-Regeln und Gesetzen unterwerfen, gleichzeitig aber als Drittstaat behandelt werden.

Hier nun einige der von Geoffrey Cox herausgearbeiteten Punkte: Großbritannien als Ganzes (einschließlich Nordirland) soll für eine Übergangsperiode eine Zollunion mit der EU bilden. Diese Zollunion wird aber für Nordirland und den Rest Großbritanniens jeweils unterschiedlich gehandhabt. Demnach bleibt Nordirland für die Dauer der Übergangszeit in der derzeit bestehenden Zollunion mit der EU. Die EU-Kommission und der Europäische Gerichtshof haben somit Gerichtsbarkeit über Nordirland. So sollen Güter zwischen Nordirland und der Republik Irland transportiert werden können, ohne dass eine EU-Außengrenze nötig wird. Gleichzeitig kann Nordirland während der Übergangsperiode Güter via Republik Irland in die EU exportieren, ohne sich Kontrollen oder Zöllen zu unterwerfen, wie sie normalerweise für Drittstaaten gelten würden. Für den Rest Großbritanniens gilt dies in dieser Form nicht. Zwar soll zwischen der britischen Hauptinsel und Nordirland Zollfreiheit herrschen. In allen anderen Belangen werden jedoch die außerhalb Nordirlands liegenden Teile Großbritanniens als Bestandteile eines Drittstaats behandelt. Somit stehen England, Wales und Schottland ab dem Wirksamwerden eines Brexits zwar nicht mehr unter der direkten Aufsicht der EU-Kommission und des Europäischen Gerichtshofes. Wollen diese Landesteile aber nach Nordirland exportieren, müssen sie sich dennoch an EU-Regularien und Einfuhrbedingungen halten. Das bedeutet, dass es für Güter, die von der britischen Hauptinsel nach Nordirland exportiert werden, Inspektionen und Kontrollen durch Zollbeamte geben wird.

Würde der Austrittsvertrag so implementiert, wie Cox dies beschreibt, würde dies einer Annäherung Nordirlands an die Republik Irland und im Umkehrschluss einer schleichenden Entfremdung Nordirlands vom Rest Großbritanniens gleichkommen. Gleichzeitig erhält Nordirland damit Privilegien, wie sie Schottland nicht zugestanden werden. Während der Austrittsvertrag also Gift für nordirische Unionisten ist, ist er gleichzeitig für die auf den europäischen Exportmarkt schielenden schottischen Industriellen problematisch. Deshalb sind sowohl nordirische unionistische Parteien als auch die schottische Unabhängigkeitspartei SNP gegen den Vertragstext.

Cox spricht in seiner Analyse davon, dass das Austrittsabkommen eine „potentiell unendliche Gültigkeitsdauer“ hat. Zwar geht der Vertragstext von der Notwendigkeit der Aushandlung von Folgeabkommen aus. Allerdings warnt Cox davor, dass im Austrittsabkommen bereits Vorbedingungen für ein erfolgreiches Folgeabkommen festgelegt sind. Dazu gehören offene Grenzen zwischen Nordirland und der Republik Irland. Offene Grenzen zwischen der EU und Drittstaaten sind aber eigentlich nicht vorgesehen, wie man am Umgang mit Flüchtlingen im Mittelmeer gut erkennen kann. Die Irlandfrage bleibt also ungelöst.

Cox argumentiert darüber hinaus, dass die beschriebenen Grenzregelungen für Nordirland laut Austrittsvertrag so lange bestehen bleiben, bis ein neuer Vertrag beschlossen wird. Kommt es aufgrund der komplexen Lage zu keinem neuen Vertrag, behält der Austrittsvertrag seine Gültigkeit. Cox verweist darauf, dass ein Ausstieg aus dem Vertrag nach seiner Ratifizierung nur „durch gemeinsamen Konsens“ möglich ist. Man braucht sich nur den bisherigen Verhandlungsverlauf anzuschauen, um zu sehen, wie unwahrscheinlich ein solcher Konsens ist. Cox stellt außerdem fest: „Der derzeitige Vertragsentwurf bietet Großbritannien keine legale Möglichkeit, um einseitig aus der Zollunion mit der EU auszutreten.“ Winfried Wolf, in https://www.solidarwerkstatt.at/medien/disskusion-briefe/der-brexit-die-eu-und-ein-plaedoyer-fuer-demokratie


Die SSZ-Aufrüstungsunion - Die Geburt eines Monsters

EU-Kommissionpräsident Juncker begrüßte die Begründung der „Aufrüstungsunion“ (EU-SSZ/Pesco) mit den Worten: „Endlich ist die schlafende Schönheit des Lissabon-Vertrags geweckt“. Für die große Mehrheit der Menschen bedeutet dieses Milliardenfeuerwerk für Aufrüstung und Kriegsvorbereitung wohl eher die Geburt eines Monsters, das wir so schnell wie möglich wieder loswerden sollten. „Superstaat – Supernation – Supermacht“

Seit Anfang der 10er Jahre prägt die Denkfabrik „Group on a Grand Strategy“ (GoGS) immer stärker die EU-Sicherheits- und Militärpolitik. Oder besser gesagt: Diese spricht offen aus, was seit Anfang an die politische DNA der Europäischen Union ist, in dieser Brutalität aber vom EU-Establishment aus taktischen Gründen selten offen artikuliert wird. James Rogers, der Leiter der GoGS: „Die Europäische Union muss ein Superstaat und eine Supernation werden, was sie dann wiederum in die Lage versetzt, eine Supermacht zu werden“(1). Der Schlüssel für diese EU-Supermacht ist – so die GoGS - die politische, wirtschaftliche und militärische Kontrolle der EU über eine „Grand Area“. Das heißt – so Rogers – „uneingeschränkter Zugang zu einer weiten, angrenzenden Zone, die die östliche Nachbarschaft und das westliche Russland, den Kaukasus und große Teile Zentralafrikas, die arktische Region, die nördliche Hälfte von Afrika, den gesamten Nahen und Mittleren Osten, genauso den Indischen Ozean und Südost-Asien umfasst. Diese ‚Grand Area’ beinhaltet die meisten Rohstoffe, die von der europäischen Wirtschaft benötigt werden; alle zentralen Schifffahrtsrouten von Asien, Australien, Afrika und den Nahen und Mittleren Osten; alle Energiepipelines – gegenwärtige und zukünftige – von Russland, Zentralasien und Nordafrika…“. (2) Ziel dieser aggressiven Militärpräsenz sei es, „ausländischen Regierungen das Fürchten zu lehren und sie gegenüber europäischen Präferenzen aufgeschlossener zu machen.“ (2)

Krieg in Zentralafrika, im Nahen Osten und im Indischen Ozean

Diese Ausführungen haben dem EU-Establishment so imponiert, dass James Rogers beauftragt wurde, den EU-Gipfel im Dezember 2013 mit dem Strategiepapier „Enabling the future“ vorzubereiten. Dieses Strategiepapier wiederholt im Wesentlichen die obigen Thesen des GoGS in etwas diplomatischerem Stil und kommt zum Schluss, dass es darum gehe, die militärischen Fähigkeiten der EU-Staaten schrittweise zu einem „Euro-Militär“ zu zentralisieren. Denn „die Bereitschaft der EU-Staaten, ihre militärischen Fähigkeiten zu integrieren, geht Hand in Hand mit ihren erklärten Ambitionen auf der Weltebene. […]Indem man die Streitkräfte der EU-Staaten unter einer EU-weiten Streitkräftestruktur zusammenbringt, würde man eine beträchtliche Gesamtkapazität zusammenbringen, die es den Europäern ermöglicht, die anspruchsvollsten Operationen zu unternehmen“(3). Wie solche „anspruchsvollsten Operationen“ zukünftig ausschauen könnten, wird dann anhand von Luftlandeeinsätzen in Zentralafrika, Marineoperationen im Indischen Ozean und Großkriegen im Nahen Osten durchgespielt. Der solcherart vorbereitete EU-Gipfel im Dezember 2013 ist in die Geschichte als „EU-Rüstungsgipfel“ eingegangen, da die EU-Staats- und Regierungschefs beschlossen, von nun an bedingungslos aufs militärische Gaspedal zu steigen.

Aufrüstung als generelle Verfassungspflicht im EU-Vertrag…

Die Rüstungsbudgets stiegen zwar im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts kräftig an, die tiefe Wirtschafts- und Finanzkrise ab 2008 ging jedoch auch an den Militärhaushalten nicht spurlos vorbei. Zwischen 2010 und 2013 sanken EU-weit die Militärausgaben, nachdem auf EU-Ebene eine drakonische Austeritätspolitik verordnet wurde. Damit ist seit dem EU-Rüstungsgipfel 2013 Schluss. Die von oben verordnete Austerität soll zwar „den Sozialstaat zu einem Auslaufmodell machen“ (O-Ton EZB-Chef Mario Draghi), aber in keiner Weise den Militarisierungskurs gefährden. Und tatsächlich: Seit 2013 rauschen die Militärhaushalte EU-weit wieder in die Höhe. Handhabe dafür, die Militärausgaben vom generellen Sparzwang auszunehmen, liefert der berüchtigte Artikel 42, Abs. 3 des EU-Vertrags, der 2009 mit dem EU-Vertrag von Lissabon in Kraft trat. Dieser Artikel verpflichtet alle EU-Staaten dazu, „ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern.“ Abrüstung ist also in der EU per Verfassung untersagt.

… und als konkretes Gebot für die Militärhaushalte in der EU-SSZ

Ein weiterer Artikel des EU-Lissabon-Vertrags half dem EU-Establishment schließlich, diese Aufrüstungsabsichten in ein stabiles Korsett zu gießen: der Artikel 42, Absatz 6 (EUV), in dem die Gründung einer „Ständig Strukturierten Zusammenarbeit“ (EU-SSZ/Pesco) ermöglicht wird, in der all jene EU-Staaten zusammenfinden, die „anspruchsvollere Kriterien in Bezug auf die militärischen Fähigkeiten erfüllen.“ Diese EU-SSZ wurde schließlich Ende 2017 aus der Taufe gehoben, 25 EU-Staaten – darunter Österreich – unterschrieben die Aufnahmebedingungen. Dazu zählt die Verpflichtung

- zur ständigen Erhöhung der Militärausgaben: Das informelle Ziel der SSZ ist identisch mit dem offiziellen der NATO: zumindest zwei Prozent der BIPs für das Militär. Damit droht ein gewaltiger EU-Aufrüstungsschub im nächsten Jahrzehnt (sh. Grafik), wenn die EU-Staaten – wie vom EU-Parlament gefordert – bis 2030 die 2%-Marke erreichen sollen.

- sich einem ständigen EU-Evaluierungsprozess (CARD) zu unterwerfen, der die SSZ-Staaten jährlich auf Herz und Nieren prüft, ob sie brav ihre Aufrüstungshausaufgaben machen.

- zur Teilnahme an EU-Militärinterventionen (EU-Battlegroups) und zu schrankenlosen EU-Kriegsmaterial- und Truppentransporten (Projekt „Militärische Mobilität“).

- zur Teilnahme an zumindest einem der immer zahlreicher werdenden SSZ-Rüstungsprojekten, deren Ziel es ist, die Armeen der EU-Staaten schrittweise zu einer „Euro-Armee“ (von der Leyen) zusammenzuführen.

Parallel zur Aufrüstung auf nationaler Ebene werden auf EU-Ebene neue Füllhörner für Aufrüstung und Rüstungsforschung eingerichtet, z.B. der Europäische Rüstungsfonds, der zur Kofinanzierung großer nationaler Rüstungsprojekte dient (Euro-Drohne, neue Generation von Kampfflugzeugen, usw.).

„So bedeutend für das Militär wie der Euro für die Wirtschaft“

Sven Biscop von der „Group on a Grand Strategy“ analysiert die SSZ/Pesco begeistert: „Pesco könnte für das Militär der EU einmal so bedeutend werden wie der Euro für die Wirtschaft“ (4). EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker gerät angesichts der Aussicht auf ein Milliardenfeuerwerk für Aufrüstung und Kriegsvorbereitung regelrecht in Verzückung: „Endlich ist die schlafende Schönheit des Lissabon-Vertrags geweckt“ (5). Das mag für Eurokraten und Rüstungsprofiteure zutreffen. Für die große Mehrheit der Menschen bedeutet es wohl eher die Geburt eines gefährlichen Monsters, das wir so schnell wie möglich wieder loswerden sollten. https://www.solidarwerkstatt.at/frieden-neutralitaet/die-ssz-aufruestungsunion-die-geburt-eines-monsters

Anmerkungen:

(1) James Rogers/Simón Luis, The new ‘long telegram’, Group on a Grand Strategy, Nr. 1, 2011

(2) James Rogers, A new Geography of European Power?, Egmont Paper Nr. 42, 2011

(3) EU-ISS, Enabling the future – European military capabilities 2013-2025: challenges and avenues , Brüssel 2013

(4) Morgenpost, 8.11.2017

(5) Twitter, 11.12.2018

Forderungen der Gelbwesten: http://www.wikistrike.com/2018/11/le-programme-politique-des-gilets-jaunes.html


Übernahme des EU-Beihilfenrechts hat weitreichende Auswirkungen auf die Schweiz

Die Verhandlungen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union (EU) über ein institutionelles Rahmenabkommen wie auch diejenigen über ein Stromabkommen haben gezeigt, dass der Frage der staatlichen Beihilfen grosse Bedeutung zukommt. Aus diesem Grund haben die Kantone zwei unabhängige Gutachten in Auftrag gegeben, die unter anderem die potenziellen Auswirkungen einer Übernahme von EU-Regulierungen im Bereich der staatlichen Beihilfen auf die Schweiz analysieren. Auf Basis dieser Gutachten und anlässlich der Plenarversammlung der Konferenz der Kantonsregierungen (KdK) vom 23. März 2018 haben sich die Kantone erneut vertieft mit dem Thema der staatlichen Beihilfen auseinandergesetzt und einen entsprechenden Positionsbezug verabschiedet.

Staatliche Beihilfen sind gemäss den Massstäben des EU-Rechts grundsätzlich verboten, wenn diese zu Wettbewerbsverfälschungen und Handelsbeeinträchtigungen führen. Allerdings existiert eine Reihe von Ausnahmen, beispielsweise zur Förderung der wirtschaftlichen Entwicklungen gewisser Regionen oder zur Förderung der Kultur. Dies zeigt sich insbesondere daran, als dass 2016 in den EU-Mitgliedsstaaten 105, 9 Milliarden Euro an Subventionen ausgeschüttet wurden. Weiteres Merkmal des EU-Beihilfenrechts ist die Überwachungskompetenz der Europäischen Kommission. So müssen die EU Mitgliedsstaaten grundsätzlich jede Vergabe von staatlichen Beihilfen der Kommission melden, worauf diese die Zulässigkeit prüft. Zudem kann die Kommission durch eigene Untersuchungen die Einhaltung des EU-Beihilfenrechts überwachen.

Staatliche Beihilfen Teilaspekt der laufenden Verhandlungen Schweiz-EU

Im Rahmen der laufenden Verhandlungen zum institutionellen Rahmenabkommen sowie hinsichtlich der Ver-handlungen über ein Stromabkommen möchte die EU Regelungen zu den staatlichen Beihilfen verankern. Vor diesem Hintergrund haben die Kantone zwei externe Gutachten beauftragt, um die Auswirkungen einer allfälli-gen Übernahme von EU-Regelungen auf die Schweiz zu analysieren. Die Ergebnisse beider Gutachten werden in der Folge kurz beschrieben.

Übernahme von EU-Beihilfenrecht hat weitreichende Auswirkungen

Grundsätzlich kann festgehalten werden, dass ein Verbot von staatlichen Beihilfen nach EU-Kriterien das gesamte staatliche Handeln in der Schweiz und somit sowohl Bund, Kantone wie auch Gemeinden betreffen würde. Aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der EU wäre auch die kantonale Steuerhoheit betroffen, da beispielsweise kantonale Steuervergünstigungen unter das EU-Beihilfenrecht fallen würden. Zudem ist die in der EU verankerte Genehmigungspflicht von Beihilfen verfassungsmässig problematisch und würde zu einem nicht abschätzbaren administrativen Mehraufwand für die Kantone führen.

Keine materiellen Regeln und Grundsätze in einem allfälligen institutionellen Rahmenabkommen

Die Kantone begrüssen, dass der Bundesrat am bewährten bilateralen Weg festhalten möchte. Gleichzeitig erachten die Kantone, dass ein institutionelles Rahmenabkommen weiterhin zielführend ist, um den bilateralen Weg zu festigen und weiterzuführen. In diesem Zusammenhang unterstreichen sie jedoch, dass materielle Regeln und Grundsätze zu den staatlichen Beihilfen nur in den bilateralen sektoriellen Abkommen geregelt werden können. Sollten künftig autonome Regeln verankert werden, so muss deren Anwendungsbereich präzise definiert werden und der föderalen Struktur der Schweiz sowie den Eigenarten der einzelnen Wirtschaftssektoren Rechnung tragen. Überwachung nur durch Schweizer Behörde Die Kantone sprechen sich dezidiert für einen sogenannten Zwei-Pfeiler Ansatz aus, bei dem jede Partei sich selbst überwacht. Sowohl die Kompetenzen als auch Befugnisse einer allfälligen Schweizer Überwachungsbehörde sind autonom und im Rahmen der geltenden Bundesverfassung zu regeln. Die Kantone sind bereit, gemeinsam mit den zuständigen Bundesbehörden die Fragen im Zusammenhang mit der Überwachung zu vertiefen. Standpunkt der Kantone 1/2018, https://kdk.ch/fileadmin/files/Newsletter/Fokusbeitrag__staatliche_Beihilfen_Kanton


Linke Argumente gegen die EU

Costas Lapavitsas wendet in seinem neuen Buch „The Left Case against the EU“ die Lehren des griechischen Debakels auf Großbritannien an und argumentiert, dass ein linker Brexit in greifbarer Nähe ist.

Costas Lapavitsas hat sich in den Jahren der Eurokrise international einen Namen als linker Volkswirtschafter gemacht. Aus Griechenland stammend, lehrt er als Wirtschaftsprofessor auf der Londoner SOAS-Universität. 2015 wurde er als Mitglied der „Linken Plattform“ von Syriza ins griechische Parlament gewählt. Aufmerksam wurde man auf ihn, als er schon im Februar 2015 das Abkommen mit der Troika ablehnte und für den Austritt aus dem Euro plädierte. Er stellte sich gegen Varoufakis, den er als Scharlatan und neben Tsipras als von der griechischen Seite als einen der Hautverantwortlichen für die Katastrophe, aus der sein Land nicht herauskommt, sieht.

2015 verfasste er gemeinsam mit dem profiliertesten (und einsamen) deutschen Linkskeynesianer Heiner Flassbeck das Buch „Against the Troika. Crisis and Austerity in the Eurozone.“ Es ist kein Zufall, dass es auf Deutsch unter dem viel weicheren Titel „Nur Deutschland kann den Euro retten“ erschien. Er gründete das „European Research Network on Social and Economic Policy” (EReNSEP http://erensep.org/), das eine Alternative zum neoliberalen EU-Regime in Zusammenarbeit von akademischer und politisch-aktivistischer Welt entwickeln sollte. Das geschah parallel zur Beteiligung an den diversen Plan-B-Initiativen, denen es aber nicht gelang eine kohärente Alternative zu bieten. (1)

Griechenland fiel in jeder Hinsicht, auch intellektuell, nach der verheerenden Niederlage gegen die Troika in ein schwarzes Loch. Podemos orientierte sich darauf im Großen das zu machen, was die portugiesische Linke vorexerzierte, mit der entsprechenden Moderation: nämlich die Sozialdemokratie zu unterstützen im engen neoliberalen Rahmen der EU-Vorgaben die Spielräume auszunutzen. Und Ménechons „France Insoumise“ blieb als Kraft in einem Zentrumsland, das zudem sogar noch EU-Urheber ist, sowieso bei der Position zuerst den Plan A probieren zu wollen.

Lapavitsas beteiligte auch sich an den Foren der „Europäischen Koordination gegen Euro, EU und Nato“. (2) Heute engagiert er sich intensiv dafür, die Chance des Brexits für eine linke Wende zu nutzen. Er ist eng verbunden mit dem linken Flügel der Labour Party um Momentum [https://peoplesmomentum.com/] und Young Labour [https://www.facebook.com/YoungLabourUK/], in denen es einen starken Anti-EU-Flügel gibt.

In diesem Kontext erschien im Herbst sein neues Buch, mit dem Ziel, der Kampagne eine fundierte Argumentation zu geben. Bei der ersten Präsentation waren mehr als 500 Leute anwesend, so dass viele abgewiesen werden mussten. Für die nächsten Monate ist eine Tour geplant, die Lapavitsas durch England führen wird. Auch in Österreich soll er auf Einladung des „Personenkomitees Selbstbestimmtes Österreich“ sprechen. Gegenwärtig laufen Verhandlungen mit deutschen Verlagen für eine Übersetzung. Organisch mit dem Neoliberalismus verbunden

„The Left Case Against The EU” ist sehr konzis, beabsichtigt nicht akademisch, aber doch wissenschaftlich fundiert. Lapavitsas zeichnet eine kurze Geschichte der EU, die mit der Gründung des Binnenmarktes einen Qualitätssprung macht. Die nun entstehenden Institutionen sind organisch mit dem neoliberalen Projekt verbunden. Dabei verfolgt der die Idee einer europäischen Föderation bis auf Friedrich von Hayek zurück, den Vater des Neoliberalismus, der damit den über die Nationalstaaten vermittelten Druck der Arbeiterschaft ausschalten wollte. Eine weitere Radikalisierung ergibt sich durch die gemeinsame Währung, die auf den Maastrichter Verträgen aufgebaut wird. Der Autor betont die außerordentlich wichtige Rolle des Geldes, die der herrschenden neoklassischen Theorie ein Rätsel bleibt. Für ihn ist die antistaatliche Rhetorik des Neoliberalismus ideologische Blendung, denn der Neoliberalismus hat nichts Natürliches, sondern wurde durch die Staaten selbst betrieben. Das beste Beispiel dafür ist die Institution der EZB. Noch nie in der Geschichte verfügte eine Zentralbank über eine derartige politische Machtfülle. „Bedingte deutsche Hegemonie“

Für Lapavitsas ist der Euro jedoch nicht nur ein entscheidendes Instrument zur Durchsetzung der neoliberalen Ziele, sondern er begründet auch die „bedingte deutsche Hegemonie“ – eine wichtige Begriffsbildung dieses Buches. Diese geht einher mit der Peripherisierung des Südens und auch des Ostens, wenn auch in unterschiedlicher Weise. Während der Süden in der Dauerkrise bleibt, desindustrialisiert und verarmt, erleben Polen, Tschechien, Ungarn und die Slowakei eine abhängige Industrialisierung, bei der es vor allem darum ging, die Löhne in Deutschland substantiell abzusenken. Überhaupt profitiert nicht Deutschland als Volk, sondern das deutsche Exportkapital auf kosten der Arbeiterklasse, die nach der Wiedervereinigung eine historische Niederlage einstecken musste.

„Es ist nicht die wirtschaftliche Stärke des deutschen Kapitals an sich, die das Land zum Hegemon macht, sondern seine Stärke im institutionellen Rahmen der EU. Nach rein wirtschaftlichen Kriterien beruht die deutsche Hegemonie mehr auf der Niederdrückung der eigenen Lohnabhängigen, anstatt auf überlegener Investitionstätigkeit, Technologie oder Wachstum.“ (S.21) Also kein Vergleich mit dem Aufstieg Deutschlands am Ende des 19. Jahrhunderts.

Der Begriff der bedingten deutschen Hegemonie ist fruchtbar. Er hat den Vorteil sich auf der Grundlage fester sozioökonomischer Argumente zu bewegen und gleichzeitig den Gegner nicht (überhistorisch) zu überhöhen, sondern seine Schwächen bloßzulegen und dadurch auch einen Ausweg zu weisen – zu aller erst den Austritt der peripheren Staaten aus der EWU und damit der Entmachtung seiner organisch neoliberalen Institutionen. Währungsunion drückt Löhne

Lapavitsas lässt den Mechanismus der Machtentfaltung der deutschen Wirtschaftseliten im Gefolge der Weltwirtschaftskrise nach 2007 Revue passieren, chronologisch wie systematisch. Dabei verweist er – wie die meisten Neo- oder Postkeynesianer – auf die zentrale Bedeutung des Begriffs der Lohnstückkosten als Interpretationsschlüssel für die Eurokrise. Grob gesprochen handelt es sich um den Lohn bezogen auf das Produkt. Er dient als Maß für die Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft. Entweder man steigert die Produktivität und erhält bei gleichem Lohn einen höheren Ausstoß – das passiert im Neoliberalismus kaum, insbesondere nicht in Deutschland, denn die Nachfrage lahmt chronisch und wird mit der EU-weit verordneten Austerität noch verstärkt. Oder aber man senkt die Löhne, der deutsche Königsweg. Darauf reagierte die Peripherie – über Jahrzehnte recht erfolgreich – mit Wechselkursabwertung, womit die preisliche Konkurrenzfähigkeit wiederhergestellt wurde. Doch die gemeinsame Währung versperrt diesen Weg. All jene Volkswirtschaften, die die Löhne nicht so drücken können wie die BRD, also dort wo die arbeitenden Menschen noch mehr gesellschaftlichen Einfluss geltend machen können, kommen dadurch ins Hintertreffen. Es entwickeln sich Handelsbilanzdefizite, die in der Phase der Kreditexpansion mit Zufluss ausländischen Kapitals abgedeckt werden. Doch dann schlägt die Weltwirtschaftskrise zu, die Kapitalflüsse stocken oder kehren sich sogar plötzlich um. Die Euro-Falle

Am Beispiel seines Heimatlandes Griechenland zeigt er die katastrophalen Folgen dieses Politik für die Bevölkerung der Peripherie und die systematische Entwicklung der Institutionen in der Durchsetzung der Macht der deutschen Eliten als dominanten Gläubigern – unter totaler Kollaboration der nationalen Eliten sowie der institutionellen Linken. Dabei ging es zunächst beim „Rettungsprogramm“ darum, die Interessen der Zentrumsbanken zu wahren. Die Last wurde den griechischen Banken und schließlich dem Staat umgehängt. Dieser wurde unter Kuratel der EU gestellt, mit dem Ziel der Verbilligung der Arbeitskraft bis zum Niveau der Konkurrenzfähigkeit und in der Folge der „Räumung des Arbeitsmarktes“, wie es in den Mainstream-Lehrbüchern heißt. Aber das trat nie ein und wird auch nie eintreten, denn gleichzeitig kollabiert die Nachfrage. Die Schockprogramme mussten mehrfach neu aufgelegt werden und sie gingen zuletzt sogar dem IWF zu weit, der argumentierte, dass auf diese Weise Griechenland nicht auf die Füße kommen würde. Mit dem einzementierten neoliberalen EU-Regime, Lapavitsas nennt es Euro-Falle, ist der Süden jedenfalls zu Jahrzehnten des sozialen Niedergangs verurteilt.

Die Schlussfolgerungen: Die Euro-Krise wurde auf der einen Seiten dafür genutzt das supranationale Institutionengebäude im Dienst des Kapitals unter deutscher Hegemonie massiv auszubauen, „befreit“ von jeder demokratischen Kontrolle. Damit werden die sozialen und auch politischen Errungenschaften systematisch angegriffen. Auf der anderen Seite haben die Eliten und eben diese ihre Institutionen einen starken Glaubwürdigkeitsverlust erlitten, genauso wie die Linke, die dem kontrafaktischen Wunschtraum nachläuft, die Brüsseler Institutionen progressiv zu wenden. Das griechische Debakel müsste allen gezeigt haben, dass die soziale Reform der EU unmöglich ist. Denn die Durchsetzung des Neoliberalismus ist ihr eigentlicher Zweck.

Bruch mit dem neoliberalen EU-Regime

So ist in der arbeitenden Bevölkerung ein politisches Vakuum entstanden. Der Wunsch, den sozialen Niedergang zu stoppen und die verlorene Demokratie wiederzugewinnen, vermischt und äußert sich im Ruf nach Souveränität. Die Rechte versucht da mit autoritären und chauvinistischen Losungen hineinzustoßen, was eigentlich Terrain der Linken sein könnte. Um wieder Tritt zu fassen und in der Opposition gegen den Neoliberalismus glaubwürdig zu werden, muss die Linke zum Bruch mit den neoliberalen Institutionen bereit sein, was insbesondere für die peripheren Länder als ersten Schritt einen Austritt aus der Währungsunion heißt. Ein radikaldemokratisches Programm des Bruchs muss ein Ende der Austerität, mehr Verteilungsgerechtigkeit, massive öffentliche Investitionen, eine aktive Industriepolitik, sowie die öffentliche Kontrolle über die Banken sowie die Schlüsselindustrien und -ressourcen umfassen. Nachdem es keinen europäischen Demos gibt, kann sich dieses Projekt der Volkssouveränität nur auf die Nationalstaaten beziehen. Die Beendigung des neoliberalen Binnenmarkts ist daher letztlich nur mit dem Austritt aus der EU zu haben. Für einen linken Brexit

In diesem Sinn spricht sich Costas Lapavitsas aktiv für einen linken Brexit aus. Es war eine Abstimmung „gegen die Austerität, schlechte Jobs, Sozialabbau, insbesondere seit der großen Krise 2007-9. Es handelte sich keineswegs um eine Kapitulation vor dem Rassismus, rabiatem Nationalismus und rechtem Autoritarismus, sondern das Referendum half einer Radikalisierung der britischen Politik in unerwarteter Weise auf die Sprünge. Nur mit knapper Not gewannen die Tories die Wahl 2017. Der wirkliche Gewinner war eine wiederbelebte Labour Party mit einem Manifest basierend auf einem sozialdemokratischen Programm gegen Austerität, das sogar für die Verstaatlichung der Eisenbahnen und anderer Ressourcen eintritt.“ (S. 139) Wilhelm Langthaler Januar 2019)

Anmerkungen:

(1) Das Begriffspaar Plan A / Plan B kam im Gefolge der Eurokrise und insbesondere um den Konflikt mit Griechenland 2015 in die Debatte. Plan A ergibt erst Sinn wenn es dazu auch ein Alternativszenario gibt. Wie die beiden Pläne genau aussehen können, bleibt bis heute politisch umstritten. Ausgangspunkt ist jedenfalls, dass das Versprechen auf ein „Soziales Europa“ nach Jacques Delors sich als Illusion entpuppte, insbesondere nach der Unterwerfung der griechischen Linksregierung von Syriza unter die Botmäßigkeit der Troika aus EU-Kommission, EZB und IWF. Unter Plan B wird der Bruch mit dieser neoliberalen Politik verstanden, im Allgemeinen auch der Austritt aus der Eurozone. Plan A meint einen sozialen Kurswechsel im Rahmen der gegebenen EU-Institutionen. Der griechische Regierungschef Tsipras und sein Finanzminister Varoufakis glaubten einen solchen im Rahmen von Verhandlungen erreichen zu können, hatten aber keinen Plan B und sei es nur um Verhandlungsmacht aufzubauen. Vertreter der Plan-A-Variante aus größeren Ländern argumentieren gerne, dass ihr jeweiliges Land mehr Gewicht hätte als Athen, um Änderungen durchzusetzen. Das gilt insbesondere für Frankreich als Architekt der EU. „France insoumise“ von Jean-Luc Mélenchon verspricht beispielsweise die EU-Verträge zu ändern (Plan A). Wenn die EU dies nicht akzeptieren würde, dann…

(2) Die „Europäische Koordination gegen Euro, EU und Nato“ wurde 2014 von verschiedenen linken Euro-Gegnern aus Griechen, Italien, Spanien, Frankreich, Deutschland und Österreich gegründet. Sie geht davon aus, dass das Ende des Neoliberalismus nur mit einem Bruch mit den EU-Institutionen, also der Währungszone und dem Binnenmarkt, möglich ist. Sie hat bisher vier europäische Foren abgehalten und ein fünftes ist für das Frühjahr 2019 in Vorbereitung. Nachstehend die wichtigsten Erklärungen:

Gründung Assisi, 23.8.2014 Erklärung: http://www.antiimperialista.org/de/node/244571

Forum Rom, 24.-25.1.2015 Erklärung http://www.antiimperialista.org/de/node/244651

Forum Athen 26.-28.6.2015 Erklärung http://www.antiimperialista.org/de/node/244737

Athen, 18.10.2015 http://www.antiimperialista.org/de/node/244772

Forum Chianciano Terme Bericht: http://www.antiimperialista.org/de/node/244877

Paris, 22.1.2016 Erklärung http://www.euroexit.org/index.php/2016/01/30/kommunique-der-europaischen-koordination-gegen-den-euro/

Plattform der Koordination: http://www.euroexit.org/index.php/2017/01/11/politische-plattform-der-europaeischen-koordination-fuer-den-austritt-aus-euro-eu-und-nato/

Forum Paris 16.3.2017 Erklärung: http://www.euroexit.org/index.php/2019/02/12/declaration-of-the-4th-forum-of-the-european-coordination-to-exit-the-euro-the-eu-and-nato/

https://www.solidarwerkstatt.at/demokratie-politik/linke-argumente-gegen-die-eu

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