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Kurzinfos Juni 2014Die Stimme der Empörten
Eine neue Protestpartei gilt in Spanien als die grosse Überraschung der EU-Wahlen. Sie hat die politische Landschaft des Landes innerhalb weniger Tage verändert. Auf Anhieb schaffte es die frisch gegründete spanische Protestpartei «Podemos» (Wir können es) am vergangenen Sonntag ins EU-Parlament. Sie hat bereits für heftige Diskussionen gesorgt – kanalisiert «Podemos» doch die soziale Unzufriedenheit in einem Land, in dem die etablierten Parteien, nicht zuletzt wegen zahlreicher Korruptionsfälle, an Glaubwürdigkeit verloren haben.
Die Gruppierung, die sich erst im vergangenen März 2014 als Partei registrieren liess, hat aus dem Stand acht Prozent der Stimmen erlangen und sich somit zur viertstärksten Partei des Landes aufschwingen können. Entstanden ist sie aus der Protestbewegung der «Empörten»: Im Mai 2011 hatten vorwiegend junge Leute wochenlang die öffentlichen Plätze im Land besetzt, um gegen das bestehende System und eine Politik des sozialen Kahlschlags zu protestieren. Drei Jahre später nun hat die Bewegung Einzug in die Institutionen gehalten. Angesichts einer nach wie vor heftig wütenden Krise und einer Arbeitslosigkeit von 26 Prozent hat die Partei dem Spardiktat, der Macht der Banken und der Korruption im Land den Kampf angesagt. Ihr Spitzenkandidat Pablo Iglesias, ein 35-jähriger Politikprofessor, der als redegewandter Moderator in alternativen Internet-TV-Sendern aufzutreten pflegt, ist das Gesicht dieser Partei. «Podemos» will sich dafür einsetzen, dass künftig Zwangsräumungen verhindert werden, die im Zuge der Krise immer mehr zahlungsunfähige Familien betreffen. Ausserdem fordert die Partei ein Grundgehalt für alle Spanier. Pablo Iglesias, die Nummer eins der Gruppierung, liess gleich nach seinem Wahlerfolg wissen, man wolle sich künftig nicht auf eine Zuschauerrolle beschränken. Man wolle vielmehr ein politisches System in Spanien ändern, das die Banken rette und den Rest der Gesellschaft sich selbst überlasse. Bereits binnen anderthalb Jahren könne man ein Regierungskabinett präsentieren, verkündete Pablo Iglesias selbstbewusst am vergangenen Freitag. An die Adresse Europas gerichtet, hiess es, man wolle keine Kolonie Deutschlands oder der Troika sein. NZZ, 2. Juni 2014, S. 5
Solidarität in Portugal: Kraftakte gegen die Folgen der Krise Staatliche und gemeinnützige Träger betreiben in Portugal über 800 Kantinen für die wachsende Zahl bedürftiger Personen im Land.
Trotz drastischer Austerität hat bisher in Portugal der soziale Friede halbwegs gehalten, nicht zuletzt dank solidarischer Hilfe. Im Land wächst ein Know-how im Kampf gegen Not und Unterernährung.
Als arm oder bedürftig erscheinen manche der Frauen und Männer, die gegen 19 Uhr ins «soziale Restaurant» von Setúbal strömen, auf den ersten Blick kaum. Eine chic-leger gekleidete Dreissigerin erzählt, dass sie als Lehrerin keine feste Stelle gehabt habe und nun gar keine Arbeit mehr finde. Auch zwei rüstige Männer in ihren Fünfzigern wirken hier fremd. Ins Klischee passen eher eine dunkelhäutige Einwanderin und eine arbeitslose frühere Arbeiterin der städtischen Strassenreinigung. Sie will indes nicht an einem der gedeckten Tische speisen, sondern zu Hause mit ihrem Mann, einem ebenfalls arbeitslosen Anstreicher, und den beiden gemeinsamen Töchtern. Am Tresen, wo andere mit Tablett anstehen, lässt sie sich das Essen – heute gibt es Thon mit Bohnen und Kartoffeln – in mitgebrachte Plasticbehälter abfüllen.
Das «soziale Restaurant» in der Hafenstadt rund 50 Kilometer südlich von Lissabon befindet sich in einem Raum des Gemeindezentrums, das zur modernen Kirche Nossa Senhora da Conceição gehört. In Rufweite liegt das für sozial schwache Familien erbaute «Problemquartier» Bairro da Bela Vista, das Viertel der schönen Aussicht – ein Name, der schon vor der jüngsten Krise kaum auf die Perspektiven seiner Bewohner passte. Seit drei Jahren gibt es dieses «Restaurant», das mit Unterstützung des katholischen Hilfswerks Caritas entstand.
Der leitende 65 Jahre alte Pfarrer Constantino Alves findet das Wort «Kantine» abfällig, er meidet es daher. 35 freiwillige Helferinnen und Helfer servieren an sieben Tagen pro Woche je 135 Abendessen – «mit Qualität, Zuneigung und Sympathie», zu symbolischen Preisen von 10, 20 oder 50 Cent – und für die meisten Gäste gratis. Die Nachfrage steige, sagt der Pfarrer mit dem Hinweis auf die in den letzten Jahren gestiegene Arbeitslosigkeit und eine höhere Zahl der prekären Arbeitsverhältnisse. Ins Restaurant kämen auch frühere Kleinunternehmer, die bankrottgingen, ebenso wie Senioren mit niedrigen Renten. In den letzten drei Jahren hat das Restaurant 90 000 Abendessen ausgegeben.
Im Mai 2011 hat sich Portugal gegenüber der «Troika» der Gläubiger zu harten Massnahmen der Haushaltsanierung verpflichtet, um einen Notkredit von 78 Milliarden Euro zu bekommen. Schon die im Juni 2011 abgewählten Sozialisten, die das Hilfsprogramm aushandelten, hatten mit Austerität nicht gegeizt. Und die nun amtierende bürgerliche Regierung von Ministerpräsident Passos Coelho verschärfte sie noch, oft weiter, als mit der Troika vereinbart. Als die Regierung am 17. Mai nach drei Jahren den Abschluss des Programms verkündete, verwies sie auf die starke Senkung des überhöhten Staatsdefizits als einen Erfolg. Gesunken sind indes ebenso die Saläre im Staatsdienst wie auch die mittleren und höheren Renten. Auch im Privatsektor sank das Lohnniveau. Zugleich wurden Steuern drastisch erhöht. Im Namen der Wettbewerbsfähigkeit wurde das Arbeitsrecht flexibler gestaltet, Abfindungen bei Entlassungen wurden stark gesenkt.
Kurz vor Ablauf des Hilfsprogramms beschloss die Regierung einen «clean exit», das Land will sich also ohne vorsorgliche Kreditlinie des Europäischen Stabilitätsmechanismus an den Märkten behaupten. Stolz verweist die Regierung darauf, dass die Wirtschaft nach der Rezession der Jahre 2011 bis 2013 wieder wächst und die Arbeitslosenquote wieder gesunken ist. «Sauber» findet Padre Constantino die soziale Lage im Land aber nicht.
Die Neuwagenverkäufe mögen wieder steigen und die Portugiesen wieder mehr reisen. Trotz solchen Indizien für eine wirtschaftliche Erholung sieht der Pfarrer im Alltag aber wenige positive Effekte. Er spricht von Leuten ohne Hoffnung und ohne Geld für die Miete, die Stromrechnung oder ihnen verschriebene Medikamente. Vielen Leuten seien die Sozialleistungen gekürzt worden. Für die Erhaltung des sozialen Friedens sei in dieser Lage das Netz der nachbarschaftlichen Hilfe unerlässlich gewesen.
In den letzten Jahren liefen Massenproteste gegen die Austeritätspolitik friedlich ab, obwohl die dem Land und seinen Leuten auferlegten Opfer letztlich viel schwerer waren als anfangs veranschlagt. Als die «Troika» ins Land kam, rechnete man mit einem Ansteigen der Arbeitslosenquote von damals gut 11 auf rund 13 Prozent. 2013 stieg sie zeitweise auf über 17 Prozent, mittlerweile sank sie auf rund 15 Prozent. Noch bis 2018 dürfte sie laut einer Schätzung der Regierung über 13 Prozent liegen. Ohne Emigration und Resignation läge sie wohl viel höher. Genaue Zahlen zur Auswanderung liegen nicht vor. In jüngerer Zeit dürften jährlich über 100 000 Portugiesinnen und Portugiesen das Land mit rund 10,5 Millionen Einwohnern verlassen haben. Und als arbeitslos gilt nur, wer nach Arbeit sucht, und nicht, wer die Suche aufgegeben hat.
Viele Leute der Mittelschicht, die ihre Stellen verloren haben und ihre Schulden nicht mehr bezahlen können, befinden sich sozial auf dem Abstieg. In dem Land mit einem gesetzlichen Mindestlohn von 485 Euro und einem mittleren Lohn von unter 1000 Euro pro Monat hat das Armutsrisiko in den letzten Jahren offenbar zugenommen. Die Zahl derjenigen, die monatlich weniger als 409 Euro zur Verfügung hatten, stieg von 17,9 Prozent im Jahr 2011 auf 18,7 Prozent im Jahr 2012; neuere offizielle Angaben liegen noch nicht vor. Vom Armutsrisiko betroffen sind gut 40 Prozent der Arbeitslosen und 22 Prozent der Familien mit Kindern.
In diesen Sommerferien werden in vielen Gemeinden erneut manche Schulen geöffnet bleiben, damit Kinder aus armen Familien in den Schulkantinen zu Mittag essen können. Für bedürftige Personen aller Altersgruppen betreiben staatliche und gemeinnützige Organisationen landesweit mehr als 800 «soziale Kantinen». Imposant ist in dieser angespannten sozialen Situation gerade auch der Mix aus Organisations- und Improvisationstalent sowie informeller Hilfe.
Allein der Banco Alimentar contra a Fome (BAF), die Nahrungsbank gegen Hunger, liefere bereits Nahrungsmittel an 420 000 Personen, rund vier Prozent der Bevölkerung, sagt Isabel Jonet, die dieses Netzwerk mit heute 21 regionalen Zweigstellen 1992 gründete und bis heute leitet. In zwei Jahren ist die Zahl der Empfänger um rund 100 000 gestiegen. In Lissabon befindet sich die grösste Niederlassung, und dort herrscht täglich Hochbetrieb. Paletten voller Büchsen und Gläser mit Thon, Würstchen, Bohnen und Kompott, Flaschen mit Speiseöl sowie Packungen mit Nudeln und Reis, Mehl, Zucker und Keksen und auch Kisten mit Obst und Gemüse füllen eine riesige frühere Lagerhalle für Bahnfracht ganz in der Nähe des Hafens.
Während Gabelstapler hin und her flitzen, verschwinden Kartons in Last- und Lieferwagen, die an einer Laderampe andocken. Sie bringen die Ware zu Hilfsorganisationen, die sie an Bedürftige ausgeben. Landesweit gelangen die Nahrungsmittel über rund 2300 staatliche oder gemeinnützige Organisationen zu den Endkonsumenten. Bei den «Einlagen» dieser «Bank» handelt es sich zu einem grossen Teil um Sachspenden von Handelsketten, die Ware mit bald ablaufender Haltbarkeitsfrist aus ihren Regalen nehmen, oder auch um unverkaufte frische Lebensmittel vom Grossmarkt und nicht zuletzt Zuwendungen von Privatleuten bei zwei grossen Sammelaktionen in jedem Jahr. An der letzten solchen Aktion beteiligten sich rund 40 000 Helferinnen und Helfer. In rund 2000 Supermärkten gaben sie Plasticbeutel an ankommende Kunden aus und schlugen ihnen vor, neben dem eigenen Bedarf doch auch haltbare Ware für bedürftige Familien einzukaufen. Hinter der Kasse nahmen die Aktivisten diese Beutel, mehr oder weniger gefüllt, wieder entgegen.
Andere Hilfswerke haben der Verschwendung von Essen aus Restaurants und Kantinen den Kampf angesagt. Ein Airline-Pilot gehörte 2011 zu den Gründern der Initiative «Zero Desperdício» (Null Verschwendung). Sie schätzt, dass täglich rund 50 000 nicht servierte Mahlzeiten in den Abfall wandern und dass sie selbst im Raum Lissabon in den letzten zwei Jahren 900 000 Mahlzeiten «gerettet» hat. Unter Einhaltung der Hygienestandards sammelt sie das Essen bei den Gebern, zu denen auch die Kantine des Parlaments gehört, um sie an Bedürftige auszugeben. Nach einem ähnlichen Prinzip funktioniert in Lissabon die Initiative «Refood», die ein Amerikaner ins Leben rief. Auf diesem Wege kann auch Essen aus den Cuisines feiner Hotels und Restaurants auf den Tischen von Opfern der Krise landen. NZZ, 28. Juni 2014, S. 6
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Korruption in den EU-Institutionen Transparency International hat Ende April einen Bericht zu den Korruptionsrisiken in den EU-Instutitonen veröffentlicht. Danach sind die zehn untersuchten Institutionen der EU durch Schlupflöcher und schlechte Umsetzung von Rgeln zu Ethik, Transparaenz und Finankontrolle anfällig für Korruption. Umwelt aktuell, Juni 2014, S. 23, www.kurzlink.de/transparency-eu-inst, www.kurzlink.de/eu-integrity-report
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EU-Agrarreform gefährdet Biodiversität Die neue Gemeinsame Agrarpolitik der EU (GAP) wird den Schutz der biologischen Vielfalt verschlechtern. Zu diesem Schluss kommt eine Studie des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (ufz), die im Juni 2014 in der Science veröffentlicht worden ist. Forscherinnen und Forscher haben für die Studie die Gesetzestexte der GAP analysiert und mit Daten von Eurostat, dem Statistischen Amt der EU, verglichen.
Die EU-Agrarreform ist Anfang 2014 in Kraft getreten und gilt bis 2020. Mit einem Gesamtbudget von 360 Milliarden Euro wirkt sie sich auf etwa die Hälfte der Landfläche der EU aus. Laut Reform sollen möglichst viele Flächen für Biodiversitätsschutzmaßnahmen verwendet werden. Die Studie des ufz zeigt jedoch, dass wenn die Reform wie geplant umgesetzt wird, weder die Landwirtschaft ökologischer, noch der Schutz der Biodiversität verbessert wird. Stattdessen werde die Artenvielfalt auf landwirtschaftlich genutzten Flächen weiter zurückgehen. Den Grund dafür sehen die Autorinnen und Autoren in den vielen Ausnahmeregeln der Reform. Denn weil beispielsweise Betriebe mit einer Fläche unter 10 Hektar keinen Regelungen zur Diversifizierung von Fruchtfolgen einhalten müssen, gilt diese Pflicht nur für einen von fünf landwirtschaftlichen Betrieben. Auch ökologische Vorrangflächen sollen nur noch für etwa die Hälfte der Agrarflächen bereitgestellt werden.
Um diese Entwicklungen minimieren zu können, fordern die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter anderem, kleine, nachhaltig wirtschaftende Betriebe mit Mitteln zur Förderung der Entwicklung des ländlichen Raums zu unterstützen und für ökologische Vorrangflächen nur Bewirtschaftungsmethoden mit nachweislich positiven Auswirkungen für die Artenvielfalt zu fördern. Umwelt aktuell, Juni 2014, S. 18, http://www.ufz.de/index.php?de=32896; Studie: http://www.ufz.de/export/data/1/59953_peer-et_al_2014_Science06-06-14.pdf
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CO2-Speicherung: Ohne Erfolg Mit Erlösen aus dem Emissions-Handel finanziert die EU-Kommission C02-neutrale Technologien, darunter auch Kohlendioxid-Speicherungs-Methoden. Von den sechs EU-geförderten Projekten zur CO2-Abscheidung und –Speicherung (CSS) wird aber wohl nur das Drax White Rose Projekt in Grossbritannien fertiggestellt. Die Hälfte der seit 2009 geförderten EU-Projekte wurde inzwischen wegen zu hoher Entwicklungskosten und fehlender Kofinanzierung aufgegeben. Zwei CSS-Projekte in den Niederlanden und Grossbritannien stocken, weil die restliche Finanzierung nicht gesichert ist. Der Abbruch der Projekte kostete bereits 460 MillionenEuro Fördermittel, die nun nicht mehr für andere Projekte, etwa für erneuerbare Energien, zur Verfügung stehen. Umwelt aktuell, Juni 2014, S. 14.
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EU-Honigrichtlinie In der EU gilt Pollen im Honig künftig als „natürlicher Bestandteil“, nicht mehr als Zutat. Dementsprechend änderten die EU-Mitgliedstaaten im Mai 2014 die Honigrichtlinie. Eine Folge: Importierter Honig mit Pollen von beispielsweise Gentechnikraps muss nicht gekennzeichnet werden. Das EU-Parlament hatte die Änderung der Honigrichtlinie bereits in erster Lesung beschlossen. Damit wurde das Honig-Urteil des EU-Gerichtshofs von 2011 ausgehebelt. Das Gericht hatte damals entschieden, dass gentechnisch verunreinigter Honig nicht ohne entsprechende Kennzeichnung verkauft werden darf. Umwelt aktuell, Juni 2014, S. 18. Schlussfolgerungen des EU-Ministerrats vom 8.5. 2014.
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Steuertrends in der EU Berücksichtigt man nicht nur die Steuersätze, sondern auch die Steuerbemessungsgrundlage, so hat in der EU nicht Irland die tiefsten Unternehmenssteuern, sondern Bulgarien. Die Iren folgen an vierter Stelle nach Lettland und Litauen. Dies ergibt ein Vergleich der effektiven durchschnittlichen Steuersätze (Effective Average Tax Rates, EATR) von Industrieunternehmen in der am Montag veröffentlichten jüngsten Ausgabe des jährlichen Steuerberichts der EU-Kommission und des EU-Statistikamts Eurostat Taxation Trends in the European Union ). In die EATR, die auf Modellrechnungen für ein «typisches» Unternehmen beruht, fliesst neben dem Steuersatz auch die Bemessungsgrundlage ein, auf der Steuern erhoben werden. Sie wird zum Beispiel geringer, wenn hohe Abzüge für die rasche Abschreibung von Maschinen oder Patenten gewährt werden.
Die EATR schwankten 2012 (neuere Daten liegen nicht vor) zwischen 9% in Bulgarien und 34,3% in Frankreich (vgl. Grafik). Der Satz gibt nicht an, was ein konkretes Unternehmen im Einzelfall zu bezahlen hat, aber er liefert doch wichtige Anhaltspunkte für Investitionsentscheide. Wenig überraschend ist er ausser in Irland vor allem in osteuropäischen EU-Staaten besonders tief, während er in den grossen westeuropäischen Ländern überdurchschnittlich ausfällt. Auch Luxemburg ist in diesem Vergleich kein Tiefsteuerland, doch bezieht sich die EATR nicht auf die dort stark vertretenen Finanzinstitute.
Immerhin war der Standortwettbewerb im Binnenmarkt nicht ganz wirkungslos: Reichte das Spektrum der EATR 2000 noch von 9,4% in Irland bis zu 40,4% in Deutschland, ist die Kluft seither geringer geworden. So haben vor allem in der ersten Hälfte des letzten Jahrzehnts viele Staaten den Körperschaftssteuersatz reduziert. EU-weit ist die EATR von 27,5% im Jahr 2000 auf 21,1% im Jahr 2012 geschrumpft, wobei sich in den letzten Jahren keine grossen Veränderungen mehr ergaben. Besonders markant gesunken ist die Steuerbelastung der Unternehmen in Bulgarien, Deutschland (ausgehend vom erwähnten Spitzenniveau), Zypern, Lettland und den Niederlanden.
Auch bei einer Betrachtung sämtlicher Steuern und Sektoren sind die Unterschiede zwischen den einzelnen EU-Staaten enorm. Die Abgabenquote, also die Summe aller Steuern und Sozialbeiträge in Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP), war laut dem Bericht 2012 mit 27,2% in Litauen am tiefsten und mit 48,1% in Dänemark am höchsten. Ebenfalls unter 30% lagen einige weitere Osteuropäer sowie Irland, auf über 40% brachten es neben den drei nordischen Mitgliedstaaten Belgien, Frankreich, Italien und Österreich. EU-weit lag die Quote bei 39,4%. Die EU als Ganzes belastete somit die Steuerzahler stärker als die Schweiz (27,9%), die USA (24,7%) oder Japan (30,3%). Die Abgabenquote der EU ist von 2000 bis 2004 gesunken und bis 2007 wieder gestiegen. Die Krise führte zunächst zu einem Einbruch, so dass die Quote 2010 das tiefste Nivea seit Beginn der Dekade erreichte. Seither haben Schritte zum Abbau der Staatsdefizite und eine bescheidene konjunkturelle Erholung dazu geführt, dass die Abgabenquote wieder anzog und 2013 weiter gestiegen sein dürfte. 2012 hat sie den höchsten Stand seit 2001 erreicht.
Unzufrieden zeigte sich der EU-Steuerkommissar Algirdas Semeta über die Steuerpolitik der EU-Staaten. Diese müssten die Besteuerung der Arbeit senken, um Arbeitsplätze zu schaffen, erklärte er. Die Belastung der Arbeit sei noch immer zu hoch, während viele Staaten «wachstumsfreundliche» Steuern wie etwa Umweltsteuern zu wenig nutzten. Auch könne der stete Anstieg der Mehrwertsteuersätze gedrosselt werden, wenn die Systeme effizienter würden; viele Staaten könnten den Satz gar senken, wenn sie die Bemessungsgrundlage ausweiten und weniger auf reduzierte Sätze abstellen würden. Laut dem Bericht haben Steuern und Abgaben auf Arbeit 2012 EU-weit 51% zum gesamten Steueraufkommen beigetragen, womit ihr Anteil gegenüber 2010 und 2011 entgegen den EU-Empfehlungen leicht zugelegt hat. Der Standardsatz der Mehrwertsteuer ist im EU-Durchschnitt von 19,5% im Jahr 2008 auf 21,5% in diesem Jahr gestiegen. NZZ, 17. Juni 2014, S. 37
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