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Kurzinfos Mai 2015Anhörung der Schweiz im EU-Parlament
Der Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz des EU-Parlaments beschäftigt sich periodisch mit der Verwirklichung des Binnenmarkts in den EWR-Staaten und in der Schweiz. Im Herbst 15 will das Parlament einen neuen Bericht zum Thema verabschieden, weshalb Anfangs Mai der Schweizer Botschafter bei der EU, Roberto Balzaretti, und andere Referenten an einer Anhörung in Brüssel zum Berichtsentwurf Stellung nehmen konnten. Mit Überraschungen wartet der vom Baden-Württemberger CDU-Abgeordneten Andreas Schwab entworfene Text nicht auf. Vielmehr wird die Absage der EU-Kommission, mit der Schweiz über die Personenfreizügigkeit zu verhandeln, «voll und ganz befürwortet».
Zwar verfügt das EU-Parlament in den Beziehungen zur Schweiz über viel weniger Gewicht als die Kommission und die EU-Staaten, doch war die lebhafte Debatte im Ausschuss ein Gradmesser für die Stimmungslage in Brüssel. Balzaretti erinnerte an die engen Wirtschaftsbeziehungen und rief die EU dazu auf, eine konstruktive Lösung zu suchen. Dabei könne es neben dem Freizügigkeitsabkommen auch um andere Massnahmen gehen, die der Schweiz eine bessere Steuerung der Zuwanderung ermöglichten. Zudem forderte der Schweizer Botschafter die EU auf, die Freizügigkeit nicht isoliert zu betrachten und den Bilateralismus in anderen Gebieten weiterzuentwickeln.
Doch im Zentrum des Interesses der Europaparlamentarier stand die Freizügigkeit. Der Bundesrat müsse sich im Klaren sein, dass Verhandlungen seitens der EU trotz dem Ja zur Masseneinwanderungsinitiative «nicht denkbar» seien, betonte Schwab. Ins gleiche Horn stiess Kristin Schreiber, die in der EU-Kommission die Direktion für die Steuerung des Binnenmarkts leitet und Kontingente als «ausgeschlossen» bezeichnete. Kaum Unterstützung für die Schweiz gab es auch von Vicky Ford, die den britischen Konservativen angehört, die gegenüber der Personenfreizügigkeit eigentlich kritisch eingestellt sind. Jedes EU-Land habe seine Probleme mit der Zuwanderung, weshalb es schlecht ankomme, wenn die Schweiz den Unterschied zwischen Freizügigkeit und Migration aus Drittstaaten verwische.
Ihre harte Haltung gegenüber der Schweiz bei der Freizügigkeit wie auch die Forderung nach einem institutionellen Abkommen begründeten die Parlamentarier auch damit, dass die Freizügigkeit ein untrennbarer Pfeiler des Binnenmarktes sei, dessen Regeln auch von der Schweiz einzuhalten seien. Die Kommissionsbeamte Schreiber zog einen Vergleich zum Sport: «Im Fussball ist es auch nicht möglich, dass ein Team mit zwölf Spielern antritt oder die Offside-Regeln nicht akzeptiert.»
Die in Leiden und Basel lehrende Europarechtlerin Christa Tobler, die als Expertin vorgeladen worden war, kritisierte diese Begründung mit Blick auf die Personenfreizügigkeit. Der Bilateralismus unterscheide sich vom EU- und vom EWR-Recht, zumal sich die Schweiz nur partiell und nur an drei von vier Pfeilern des Binnenmarkts beteilige. Brüssel könne daher die Ablehnung von Verhandlungen zur Freizügigkeit mit der Bedeutung dieses Prinzips für die EU und für die bilateralen Verträge I begründen, nicht aber mit der Unteilbarkeit des Binnenmarkts, an dem die Schweiz nicht voll beteiligt sei. NZZ, 8. Mai 2015, S. 11
Gutachten zur Auslegung des Stabilitätspaktes In einem von den EU-Finanzministern bestellten Gutachten erklärt der Rechtsdienst des Ministerrats, Teile der Mitteilung bezüglich Stabilitätspakt der EU-Kommission an die Mitgliedsländer würden über das hinausgehen, was die einschlägigen EU-Verordnungen zum Pakt zuliessen. Zwei Punkte stehen im Vordergrund. Erstens verlangt das Gutachten, dass grössere Strukturreformen verbindlich verabschiedet sein müssen, bevor sie eine vorübergehende Lockerung der finanzpolitischen Disziplin (etwa mehr Zeit für den Defizitabbau) rechtfertigen können. Laut der Mitteilung reicht hingegen ein umfassender, detaillierter Reformplan mit einem glaubwürdigen Zeitplan. Zweitens geht es um die Frage, wann öffentliche Investitionen gleichwertig zu grösseren Strukturreformen sind und im «präventiven Arm» des Pakts eine temporäre Abweichung vom ausgeglichenen Haushalt oder vom Konsolidierungspfad erlauben (bei Staaten mit einem Defizit unter 3% des BIP).
Während diese «Investitionsklausel » laut der Kommissionsmitteilung per Definition auf nationale Kofinanzierungen bestimmter EU-Projekte (zum Beispiel transeuropäische Netze) anwendbar ist, fordert das Rechtsgutachten eine Einzelfallprüfung. Die EU-Kommission weist die Vorwürfe zurück. Ob der Streit Folgen haben wird, ist unklar. Kommissionsvertreter betonen, die Behörde werde sich bei der Formulierung haushaltspolitischer Empfehlungen an die EU-Staaten weiterhin auf die strittige Mitteilung stützen, die in ihrer eigenen Kompetenz liege. Solche Empfehlungen müssen anschliessend ohnehin vom Ministerrat gutgeheissen werden; dieser könnte sie also im Einzelfall zurückweisen. Auch ist theoretisch möglich, dass Mitgliedstaaten die Kommission vor den EU-Gerichtshof ziehen, falls die Mitteilung aus ihrer Sicht tatsächlich EU-Recht verletzt. NZZ, 8. Mai 2015, S. 23
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Cassis de Dijon: Nationalrat für Abschaffung Gemäss dem Cassis-de-Dijon-Prinzip dürfen bestimmte nach Vorschriften der EU hergestellte Produkte auch in der Schweiz in Verkehr gebracht werden. Dadurch werden die Schweizer Qualitäts- und Produktionsstandards verwässert, wie Bauernverbandspräsident Markus Ritter (cvp., St. Gallen) namens der Mehrheit der Wirtschaftskommission sagte. Louis Schelbert (gp., Luzern) betonte, diese würden durch billigere Zusatz- und Inhaltsstoffe «untergraben».
Seit 2010 können die meisten in der EU oder einem EU-Land zugelassenen Produkte auch auf dem Schweizer Markt verkauft werden. Die Schweiz hat das sogenannte Cassis-de-Dijon-Prinzip damals einseitig übernommen. Für Lebensmittel gilt allerdings eine spezielle Regelung. Diese brauchen zusätzlich eine Bewilligung des Bundesamtes für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV), welches unter anderem prüft, ob ein Produkt gesundheitlich unbedenklich ist und die Inhaltsstoffe korrekt deklariert sind. Gemäss einer aktuellen Statistik des BLV wurden im Lebensmittelbereich bisher lediglich 53 Gesuche bewilligt.
Die Votanten für die Abschaffung bezweifelten, dass die Nachfrage nach diesen Produkten überhaupt bestehe. Sie wiesen darauf hin, dass die erwartete Auswirkung auf die Preise bisher ausgeblieben sei. «Der in Aussicht gestellte Vorteil im Umfang von zwei Milliarden Franken ist bei den Konsumenten nie angekommen», sagte Schelbert. Hansjörg Walter (svp., Thurgau) ergänzte, man müsse jetzt den Mut haben, «etwas, das sich nicht bewährt hat», wieder abzuschaffen. NZZ, 7. Mai 2015, S. 9
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Schweizer Multis lassen für Brüssel viel Geld springen Für Schweizer Grossunternehmen ist Brüssel wichtig. Das zeigen neue Daten, die das Volumen der Lobbying-Aktivitäten in der EU-Hauptstadt erstmals umfassend ausweisen. Insbesondere die beiden Grossbanken UBS und Credit Suisse investieren jährlich Millionen, um im europäischen Machtnetz ihre Interessen zu sichern.
Am stärksten engagiert sich die UBS als grösste Schweizer Bank. Wie die Auflistung im entsprechenden EU-Transparenzregister für 2014 zeigt, gab die UBS für ihr Lobbying in Brüssel 1,7 Millionen Euro aus. Der Credit Suisse als Nummer 2 des Finanzplatzes war die Interessenwahrnehmung in der EU-Kapitale eine Summe zwischen 1,25 und 1,5 Millionen Euro wert. Der Pharmamulti Novartis war mit einer Bandbreite von 1,5 bis 2 Millionen Euro allerdings ausgabefreudiger.
Anfang Jahr war die UBS in einem Artikel der «NZZ am Sonntag» noch mit 225'000 Euro fürs Lobbying aufgeführt. Der Anstieg auf 1,7 Millionen Euro sei nicht die Folge einer massiven Ausweitung der Aktivitäten in Brüssel, betont die Grossbank. Vielmehr sei es im EU-Transparenzregister zu einer «Anpassung der Methodologie» gekommen, begründet eine Sprecherin. Das Gleiche sagt die CS. Geändert habe die Erfassung des Aufwands für das Lobbying.
Beide Finanzinstitute bestreiten jedoch nicht, dass für sie Brüssel und die Europäische Union von grosser Bedeutung sind. Ausdruck davon, dass die Musik häufig in Brüssel spielt – Stichworte sind die europaweite Regulierung unter dem Schlagwort Mifid II, die Entwicklung bei den Kapitalvorschriften und die EU-Obergrenzen bei den Bankenboni –, ist die Gründung eines eigenen Lobbybüros in der belgischen Hauptstadt.
Seit zwei Jahren unterhalten die UBS und die CS in der EU-Hauptstadt einen gemeinsamen Horch- und Lobbyposten namens Swiss Finance Council (SFC). Ziel sei es, die «Stimme der Drittstaaten in der politischen Diskussion» zu stärken, heisst es bei der UBS. Der Swiss Finance Council wird vom früheren Diplomaten und EU-Delegierten Alexis Lautenberg als Leiter geführt.
Die jährlichen Millionenbeträge zeigen, dass die UBS und die CS gewillt sind, im riesigen EU-Regelwerk Einfluss auszuüben. Die «Financial Times» berichtete kürzlich von einem beträchtlichen Ausbau der Lobbyausgaben der US-Bank Goldman Sachs. Diese habe ihre Kosten in Brüssel deutlich nach oben geschraubt. Absolut betrachtet liegt das Wallstreet-Haus mit 800'000 Euro Gesamtausgaben für 2014 allerdings deutlich hinter der europäischen Konkurrenz zurück. Die Deutsche Bank lässt sich die Lobbyarbeit 3,9 Millionen Euro kosten, bei der britischen HSBC liegen die Ausgaben zwischen 1,2 und 1,4 Millionen Euro. Der Bund, Mittwoch, 13. Mai 2015, S. 11 (erschien auch im Tagesanzeiger vom 13. Mai 2015).
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Polen und der Euro Die Frage des Euro schwebt seit langem über der polnischen Tagespolitik. Mit dem EU-Beitritt im Jahr 2004 verpflichtete sich Polen – wie auch die anderen östlichen Beitrittsländer – dazu, früher oder später die Gemeinschaftswährung zu übernehmen. Doch mit der Erfüllung der Beitrittspflicht hat man es seither nicht eilig. Bemerkenswerterweise sind die drei grössten Volkswirtschaften der östlichen EU weiter nicht in der Währungsunion, nämlich neben Polen auch Tschechien und Ungarn. Dabei würden zumindest Warschau und Prag die Maastricht-Kriterien, die für einen Beitritt ausschlaggebend sind, weitgehend erfüllen. Dies gilt mit Blick auf Inflation und Zinsen, und im Gegensatz zu vielen Euro-Ländern liegt in Polen auch die Staatsverschuldung mit 51% unter der Maastricht-Grenze von 60% des Bruttoinlandprodukts (BIP). Einzig das Staatsdefizit ist mit knapp 3% des BIP noch etwas zu hoch.
Nicht nur in Polen, sondern auch andernorts in Ostmitteleuropa hat man ein grosses Selbstvertrauen in der Euro- Frage entwickelt. Man ist ziemlich gut durch die Verwerfungen der Wirtschafts- und Finanzkrise gekommen – ganz im Gegensatz zu vielen Euro-Ländern. Polen war das einzige europäische Land, das nicht in eine Rezession geriet. Das hatte mit der inneren Stärke und etwas Glück zu tun, aber wichtig war eben auch die eigene Währung. Der Zloty verlor in der Krise markant an Wert, was die Exporte stützte. Den Euro-Krisenländern blieb diese wichtige währungsbedingte Abwertung verwehrt. In Polen dominiert deshalb der Eindruck, dass man mit dem Zloty gut gefahren ist. Dazu kommt, dass sich die Währungsunion derzeit nicht in attraktiver Verfassung befindet. Die Euro- Zone habe ihre Probleme noch nicht gelöst und ihre künftige institutionelle Struktur sei unklar, wird in Ostmitteleuropa oft gesagt. Man wartet deshalb lieber ab.
Entsprechend ist die Popularität eines Euro-Beitritts markant zurückgegangen.
Als einziges Land in Ostmitteleuropa hat die Slowakei 2009 den Euro- Beitritt gewagt. Entsprechend ist die Arbeitslosigkeit relativ hoch. Entsprechend sind auch in der Slowakei jüngst wieder kritische Stimmen laut geworden. Man möchte nicht für Euro-Krisenländer wie Griechenland zahlen, denn man verfügt über ein niedrigeres Wohlstandsniveau und musste selbst durch schmerzhafte „Reformprozesse“ gehen. Im «Bruderland» Tschechien dominiert hingegen grosse Skepsis – ebenso wie in Polen. Falls sich dies dereinst ändern sollte, würden die Vorbereitungen für den Euro-Beitritt einige Jahre dauern. Es gilt daher als ausgeschlossen, dass Polen oder Tschechien vor 2020 der Währungsunion beitreten werden. NZZ, 19. § 2015, S. 21
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Mindestlohnstreit mit Berlin Die EU-Kommission hat am Dienstag echtliche Schritte (ein «Vertragsverletzungsverfahren») gegen einzelne Aspekte des neuen deutschen Mindestlohngesetzes eingeleitet. Dessen Anwendung auf den Transitverkehr und auf "bestimmte grenzüberschreitende Beförderungsleistungen lasse siehch nicht rechtfertigen, da es unverhältnismässige bürokratische Hürden schaffe, hielt Brüssel fest. Es behindere den Binnenmarkt und schränke die Dienstleistungsfreiheit und den freien Warenverkehr unverhältnismässig ein. Die Kommission betonte zugleich unter Verweis auf sozialpolitische Ziele, dass sie den Mindestlohn an sich begrüsse. Die deutsche Regierung hat zwei Monate Zeit für eine Antwort. Wird keine Lösung gefunden, kann das mehrstufige Verfahren bis vor den EU-Gerichtshof führen. Gegen die Anfang Jahr eingeführte Regelung haben unter anderen Polen und seine Spediteure protestiert. Ende Januar setzte Berlin die Durchsetzung im reinen Transitverkehr bis zur Klärung der europarechtlichen Fragen aus. NZZ, 20. Mai 2015, S. 21
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Kritik an Vorschlägen zur Flüchtlingskrise Als die EU-Kommission Mitte Mai 2015 ihre migrationspolitische Reform-Agenda präsentierte , schlug ihr heftiger Widerstand entgegen. Frankreich und Spanien meldeten Bedenken an, und fast alle osteuropäischen Staaten stellten sich kategorisch gegen die Pläne zur Einführung eines Verteilschlüssels , mit dem ein gesamteuropäisches Kontingent von 20 000 Flüchtlingen aus Ländern ausserhalb Europas, aber auch bereits in Europa angekommene Asylsuchende auf die EU-Staaten verteilt werden sollen. Ende Mai hat sich die Kommission von der Kritik wenig beeindruckt gezeigt und ihre Pläne konkretisiert : 40 000 Syrer und Eritreer sollen in den nächsten zwei Jahren aus Italien und Griechenland in andere EU-Staaten umgesiedelt werden, die damit auch für die Durchführung der Asylverfahren zuständig wären. Die Kommission will die Umsiedlungen mit 6000 Euro pro Asylbewerber finanzieren.
Für die Umsiedlungen stützt sich die Kommission auf eine noch nie angewandte Klausel in den EU-Verträgen, die «vorläufige Massnahmen» zugunsten eines Staates ermöglicht, der sich wegen eines «plötzlichen Zustroms von Drittstaatsangehörigen in einer Notlage» befindet. Nach Ansicht der EU-Kommission trifft dies auf Italien und Griechenland zu, weshalb aus den beiden Ländern 24 000 beziehungsweise 16 000 Asylbewerber umgesiedelt werden sollen. 2014 kamen 170 000 Bootsmigranten in Italien und deren 54 000 in Griechenland an. Im Vergleich zu 2013 hatten Italien und Griechenland damit Zuwachsraten von 277 und 153 Prozent zu bewältigen. In Malta ist die Situation laut der Kommission derzeit weniger dramatisch. Doch betonte EU-Migrations-Kommissar Dimitris Avramopoulos, dass künftig auch andere Länder über den Mechanismus entlastet werden könnten – sofern die Pläne nicht am Widerstand der EU-Staaten zerschellen.
Während die Kommission den EU-Staaten die Aufnahme eines EU-Kontingents von 20 000 Flüchtlingen mangels Rechtsgrundlage nur nahelegen kann, schlägt sie für die Umsiedlungen aus Italien und Griechenland einen Gesetzestext vor. Diesem müssten mehr als die Hälfte der EU-Staaten zustimmen, die zudem mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren.
Avramopoulos war vor den Medien bemüht darum, die Kritik am Verteilschlüssel zu entkräften und «Missverständnisse» auszuräumen. So betonte er, es sei nicht die Absicht, „irreguläre Migranten“ umzusiedeln, sondern nur Menschen, die eindeutig des internationalen Schutzes bedürften. Daher sollen nur Syrer und Eritreer umgesiedelt werden, da diese bei den nationalen Asylverfahren in ganz Europa eine Anerkennungsquote von über 75 Prozent aufweisen. Nach Angaben des Uno-Hochkommissariats für Flüchtlinge sind etwa die Hälfte der Bootsmigranten im Mittelmeer Syrer oder Eritreer.
Zudem erklärte Avramopoulos, dass es sich bei den Quoten nicht um Höchstgrenzen zur Aufnahme von Asylsuchenden handle, womit er Bedenken aus Paris zu zerstreuen versuchte. Schliesslich stellte der Kommissar klar, dass ein nach Polen umgesiedelter und dort anerkannter Flüchtling, der sich beispielsweise nach Schweden absetzen würde, gemäss geltendem Recht wieder nach Polen zurückgeschafft werden könnte.
Die EU-Kommission stellte auch einen eher vagen Aktionsplan zur Bekämpfung des Schlepperwesens vor, der über die heikle Marine-Operation im Mittelmeer hinausgeht. Weiter präsentierte sie Richtlinien zur Abnahme der Fingerabdrücke ankommender Asylsuchender – wobei sie im Falle fehlender Kooperation auch «limitierte Haft» und «als letztes Mittel» Zwangsmassnahmen vorschlägt. Durch die Registrierung will die EU einerseits die Rückschaffung von Migranten erleichtern, deren Asylgründe nicht anerkannt werden. Andererseits soll verhindert werden, dass Migranten die Registrierung umgehen und auf eigene Faust nach Nordeuropa ziehen, um dort Asylanträge zu stellen. Die Kommission nimmt auch Italien und Griechenland in die Pflicht und verlangt Aktionspläne zur Verbesserung ihrer Asylsysteme und Erhöhung der Aufnahmekapazitäten.
Die Umsiedlung soll vor diesem Hintergrund auch die unkontrollierten Wanderungen nach Nordeuropa in geordnete Bahnen lenken. Dennoch ist offen, ob die EU-Kommission den Widerstand der EU-Staaten brechen kann. Zwar hätte die Umsiedlung von 40 000 Syrern und Eritreern für viele EU-Staaten eine überblickbare Zahl von zusätzlichen Asylsuchenden zur Folge. Dennoch werden manche Staaten an den Kriterien des Verteilschlüssels schrauben wollen, der sich auf die Bevölkerungszahl, die Wirtschaftsleistung, die Arbeitslosigkeit sowie die Zahl bereits anwesender Asylbewerber stützt. Andere Staaten fürchten grundsätzlich die Präzedenzwirkung des Schlüssels, der in Zukunft viel breiter zur Anwendung kommen könnte. NZZ, 28. Mai 2015, S. 3
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Drei Jahre EBI - EU-Kommission zieht zurückhaltende Bilanz Das Instrument der Europäischen Bürgerinitiative (EBI) – eine etwas noblere Form von Petition an die EU-Kommission, sollte die EU 2012 bürgernäher machen. Von bislang 51 eingereichten EBIs erreichten drei die notwendige Unterschriftenzahl von einer Million innerhalb eines Jahres. Die EU-Kommission wertet dies als Zeichen, dass die EBI als Instrument der Bürgerbeteiligung funktioniert, betont aber, dass die Verfahren verbessert werden könnten.
Um eine EBI anzumelden, müssen sich Personen aus sieben EU-Staaten zusammentun. Nach der erfolgreichen Registrierung bei der EU-Kommission haben die Organisatoren ein Jahr Zeit für die Unterschriftensammlung. Neben dem EU-weiten Ziel von einer Million müssen in einem Viertel der EU-Staaten Quoren erreicht werden.
28 eingereichte Initiativen erreichten in den letzten drei Jahren die notwendige Unterschriftenzahl nicht oder wurden von den Initiatoren zurückgezogen. 20 EBIs lehnte die Kommission schon vor der Registrierung ab - das darf sie, wenn keine Kommissionszuständigkeit erfüllt ist oder das Ziel der EBI gegen die europäischen Verträge verstößt. Die Ablehnung einer EBI zu den Freihandelsabkommen TTIP und CETA im letzten Herbst ließ allerdings Zweifel aufkommen, ob die Entscheidung über die Registrierung wirklich immer neutral ist (EU-News vom 18. September 2014).
Bisher die einzige erfolgreiche EBI im Umweltbereich ist die EBI für das Recht auf Wasser mit dem Ziel, das Menschenrecht auf Wasser in EU-Recht umzusetzen und beispielsweise Privatisierungen in dem Sektor zu verhindern. 1,9 Millionen Menschen hatten sie EU-weit unterzeichnet. Die Reaktion der EU-Kommission werteten die Organisatoren allerdings als enttäuschend - die Behörde hatte lediglich eine Konsultation zu dem Thema geschaltet und keinen Legislativvorschlag unterbreitet (EU-News vom 20. März 2014). Kritiker der EBI sehen sich durch diesen Umgang der Kommission mit dem Instrument in ihrer Skepsis bestätigt und fordern deshalb auch Bürgerentscheide auf EU-Ebene - die EBI kann die Kommission eben nur zwingen, sich mit einem Thema zu befassen, nicht aber bestimmen wie sie dies tut. Umwelt aktuell, Mai 2014, S. 23
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EU-Konsum mitverantwortlich für Regenwaldabholzung Die Brüsseler Umweltorganisation Fern hat am Dienstag in ihrer neuen Studie kritisiert, dass der europäische Verbrauch von Produkten wie Palmöl, Soja und Rindfleisch zur illegalen Abholzung in den Tropen beiträgt.
Die Fern-Studie „Stolen Goods“ beleuchtet das Ausmaß der Regenwaldzerstörung. In dem Zeitraum von 2000 bis 2012 wurde durchschnittlich alle zwei Minuten eine Fläche von der Größe eines Fußballfeldes abgeholzt. Die EU trage zu diesem Zustand erheblich bei. Für den europäischen Verbrauch führte die Europäische Union beispielsweise 2012 Soja, Rindfleisch, Palmöl und Leder im Wert von sechs Milliarden Euro ein, für deren Erzeugung unerlaubt Wald gerodet worden sei. Das entspreche fast einem Viertel der weltweit gehandelten Menge. Brasilien ist der mit Abstand größte Sojaproduzent, Indonesien stemmt den Löwenanteil im Palmöl-Export.
Die UmweltschützerInnen von Fern verlangen von der EU-Kommission ein entschiedenes Vorgehen gegen die illegale Abholzung und einen Aktionsplan. Illegale Rodungen seien zwar verboten, der Export der landwirtschaftlichen Erzeugnisse, die auf gerodeten Flächen angebaut werden, aber nicht. Für Hannah Mowat von Fern ist ein Aktionsplan ein notwendiger Beitrag zur Bekämpfung des Klimawandels: „Die Rolle, die Wälder zur Regulierung des Klimas spielen, ist nur zu gut bekannt. Damit Bäume stehen bleiben, ist es erforderlich, dass den Kräften, die die Entwaldung vorantreiben, Gegenkräfte entgegenstehen, so dass die EU eine Möglichkeit hat, der Entwaldung Einhalt zu gebieten, indem sie ihren Handel mit und Konsum von landwirtschaftlichen Grunderzeugnissen überdenkt und ändert“. Umwelt aktuell, Mai 2015, S. 19
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Konzerne dürfen Brokkoli und Tomaten patentieren Patente auf konventionell gezüchtete Pflanzen und Tiere sind weiterhin zulässig. Das hat die Große Beschwerdekammer des Europäischen Patentamtes (EPA) am Mittwoch letzter Woche endgültig entschieden.
Umweltverbände kritisieren die Entscheidung des EPA heftig und befürchten eine zunehmende Monopolisierung der Tier- und Pflanzenzüchtung. „Die Entscheidung des EPA, Patente auf konventionell gezüchtete Pflanzen auszusprechen, ist verheerend und dient ausschließlich den Interessen multinationaler Saatgutkonzerne! Züchter und Landwirte brauchen den freien Zugriff auf die genetische Vielfalt aller Pflanzensorten und Tierrassen“ sagte Felix Prinz zu Löwenstein, Geschäftsführer des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW). Der BÖLW fordert deshalb die Bundesregierung auf, sich bei der EU-Kommission für die Novellierung der EU-Bio-Patentrichtlinie einzusetzen und ihren Sitz im Verwaltungsrat des EPA zu nutzen, um das Amt auf eine Auslegungspraxis des Patentrechts zugunsten der biologischen Vielfalt zu drängen. Die Bundesregierung hatte sich im Koalitionsvertrag dazu verpflichtet, sich für ein europaweites Verbot von Patenten auf Pflanzen und Tiere stark zu machen. Umwelt aktuell, Mai 2015, S. 17
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Gefährliche Spielsachen und giftige Kleidungsstücke In der Europäischen Union sind 2014 mehr gesundheitsschädliche Produkte entdeckt worden als im Vorjahr. Das geht aus dem Jahresbericht des Schnellwarnsystems Rapex hervor, der gestern veröffentlicht wurde.
Fast 2.500 riskante Artikel haben Kontrolleure im vergangenen Jahr vom Markt genommen, so viele wie nie zuvor. Über ein Viertel davon war Spielzeug, gefolgt von Kleidung, Textilien und Modeschmuck. Der Großteil der mit Chemikalien versetzten oder schlecht verarbeiteten Waren stammte aus China. Vor allem Kinder können sich an den Spielsachen verletzen, ersticken oder mit giftigen Chemikalien in Kontakt kommen.
"Spielsachen sind ein ganz wichtiges Problem, das die Schwächsten trifft", sagte EU-Verbraucherkommissarin Věra Jourová. Um dies zu ändern, arbeite die EU-Kommission an strengeren Normen für die Sicherheit von Spielzeug und werde weitere Informationskampagnen starten.
Deutschland war mit 296 gefährlichen Produkten Spitzenreiter der gemeldeten Fälle. Es folgten Ungarn und Spanien. Schädliche Ware wird registriert, wenn sie in dem jeweiligen Land zum ersten Mal auftaucht. Über die Datenbank Rapex warnen sich die EU-Staaten gegenseitig vor solchen Waren. Daurch sollen diese schnell aus dem Handel verschwinden. Rapex umfasst Konsumgüter, aber keine Lebensmittel und Medikamente. Das System gibt es seit zwölf Jahren. Umwelt aktuell, Mai 2015, S. 16
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Jährlich 430.000 Tote durch Luftverschmutzung Laut der Europäischen Umweltagentur (EUA) verursachte die Luftverschmutzung allein durch Feinstaub im Jahr 2011 etwa 43.000 vorzeitige Todesfälle in der EU.
Die Daten stammen aus dem aktuellen SOER-Bericht zum Zustand der Natur in Europa, der Anfang März veröffentlicht wurde (EU-Umweltnews am 5. März). Zwar weist der Bericht zahlreiche Verbesserungen in umweltrelevanten Belangen auf, es gibt allerdings auch viele negative Fakten und Trends. Demnach verursachen Luft- und Lärmbelastung in städtischen Gebieten auch weiterhin ernste gesundheitliche Schäden. Die Exposition gegenüber Lärm etwa verursache jährlich mindestens 10.000 vorzeitige Todesfälle aufgrund von Herzerkrankungen. Zudem hat die EUA einen Zusammenhang zwischen dem steigenden Einsatz von Chemikalien, insbesondere in Konsumgütern, und der Zunahme hormonell bedingter Erkrankungen und Störungen beim Menschen festgestellt.
Die EUA geht nicht davon aus, dass die von der EU geplanten Verbesserungen der Luftqualität ausreichen, um anhaltende Schäden zu vermeiden, da gleichzeitigig die Auswirkungen des Klimawandels diese verschärfen würden. Umwelt aktuell, Mai 2015, S. 10
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Freihandelsabkommen EU-Singapur mit Klagsrecht für Konzerne Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit wurden im Herbst 2014 die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und Singapur abgeschlossen (EUSFTA). Darin enthalten sind auch Investorenschutzklauseln, die Konzernen ein Klagerecht gegenüber Staaten geben, wenn sie ihre Profite durch Sozial- oder Umweltauflagen in Gefahr sehen.
Seit vielen Monaten protestieren immer größere Teile der Bevölkerung gegen die Freihandelsabkommen TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership - zwischen den USA und der EU), CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement - zwischen Kanada und der EU) und TiSA (Trade in Services Agreement - zwischen den USA, der EU und 21 weiteren Staaten).
Währenddessen wurden weitgehend unbemerkt im Oktober 2014 die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen Singapur und der EU abgeschlossen. Damit dieses „EU - Singapore Free Trade Agreement“ (EUSFTA) in Kraft treten kann, muss es nach Zustimmung des Europäischen Rates nur noch von den beiden Verhandlungspartnern ratifiziert werden. Derzeit besteht auf Seiten der Europäischen Union noch Rechtsunsicherheit. Momentan wird vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) geprüft, inwieweit das Freihandelsabkommen in die Kompetenzen der Mitgliedsstaaten eingreift. Sollte dieser zu dem Schluss gelangen, dass es sich um einen weitreichenden Eingriff in die Kompetenzen der Mitgliedsstaaten handelt, müsste das Abkommen nicht nur durch das Europäische Parlament, sondern auch durch die Parlamente der Mitgliedsstaaten ratifiziert werden.
Vertreter beider Seiten heben die wirtschaftlichen Vorteile – wie erleichterter und gesteigerter Warenverkehr und die positive regionale Bedeutung als Tür zum ostasiatischen Markt – hervor. Singapur ist schon jetzt die bedeutendste Handels- und Finanzdrehscheibe Südostasiens und für deutsche Firmen Investitionsstandort und Absatzmarkt Nummer eins in der gesamten Region. Der geostrategisch (an der Straße von Malakka) äußerst günstig liegende Stadtstaat zählte in den vergangenen Jahren zum Beispiel regelmäßig zu den zehn größten Empfängern deutscher Rüstungslieferungen.
Aus zivilgesellschaftlicher Sicht wiegen die oben genannten Vorteile dieses Abkommens die Nachteile für die Bevölkerung aber bei weitem nicht auf. Hauptkritikpunkt von EUSFTA ist das darin (wie auch bei TTIP, CETA,…) vereinbarte Investorenschutzabkommen, das die umstrittene Schiedsgerichtsbarkeit bei Investor-Staat-Streitigkeiten enthält.
Klagsrecht gegen Mindestlöhne und Atomausstieg
ISDS (Investor-state dispute settlement) ist ein Instrument des internationalen Rechts, das es den Investoren ermöglicht, gegen eine ausländische Regierung, in deren Land sie investiert haben, zu klagen. Dies soll dann vor privaten Schiedsgerichten stattfinden, die an die Stelle von nationalen Gerichten treten. Die Unabhängigkeit und Objektivität von Juristen, die in solchen Verfahren einmal als Kläger, dann mal als Verteidiger oder Richter agieren, muss man berechtigterweise anzweifeln. Die Praxis zeigt schon jetzt die Auswirkungen dieses inakzeptablen Systems auf: Konzerne klagen Staaten weil sie z.B. Mindestlöhne (Viola -Ägypten) eingeführt haben, Umweltauflagen forderten (Renco - Peru) oder aus der Atomkraft aussteigen wollen (Vattenfall - Deutschland).
Dies ist aus demokratischer Sicht inakzeptabel, da der politische Handlungsspielraum für zukünftige sinnvolle Maßnahmen und Gesetze z.B. bezüglich des Schutzes von ArbeitnehmerInnen und Umwelt erheblich eingeschränkt wird.
EUSFTA: Klagerecht für Ölkonzerne gegen Umweltgesetze
Auch in dem von der EU und Singapur ausgehandelten Pakt sollen sämtliche Unternehmen, die einen Firmensitz in Singapur haben und „beträchtliche Geschäftstätigkeiten“ im Land nachweisen können, unter den Schutz von ISDS gestellt werden, unabhängig davon, wo sich ihr Hauptsitz befindet. Eine Greepeace-Analyse weist z.B. darauf hin, dass die zehn größten Ölkonzerne der Welt ausnahmslos Tochtergesellschaften mit solchen „beträchtlichen Geschäftstätigkeiten“ im asiatischen Steuerparadies haben. Nach Ratifizierung des Handelsabkommens zwischen EU und Singapur wird es ihnen in Zukunft möglich sein, gegen etwaige Umweltgesetze vor privaten Schiedsgerichten zu klagen.
Schon 1958 wurde von einer Reihe von Staaten die Basis für private internationale Schiedsgerichte geschaffen. Die Industriestaaten saßen bis jetzt nur selten auf der Anklagebank, dieses Los wurde meist nur Entwicklungs- und Schwellenländern zuteil. Seit einigen Jahren hat sich das geändert und zwingt uns nun endlich, kritisch über die praktizierte Form des Investitionsschutzes mittels intransparenter privater Schiedsgerichte nachzudenken.
Wollen wir eine solche Welt?
Wir müssen uns deshalb ernsthaft mit der Frage konfrontieren: Wollen wir eine Welt, in der die Kapitalrendite zum obersten gesellschaftlichen Wert erhoben wird und diesem dann die Sozialstaatlichkeit, der Umweltschutz und sogar die elementarsten Menschenrechte untergeordnet werden?
Sobald sich ein Staat fragen muss, ob er durch dringend anstehende Maßnahmen zur Verbesserung sozialer oder ökologischer Verhältnisse in ein Schiedsverfahren klagender ausländischer Investoren geraten kann, wird die staatliche Souveränität massiv ausgehöhlt. Gerade Entwicklungsländer sind davon doppelt betroffen. Sie haben einerseits großen Nachholbedarf bei der Einführung sozialer, menschenrechtlicher und ökologischer Standards und verfügen andererseits nicht über die Mittel, Schadenersatz infolge einer Investorenklage leisten zu können.
Diese fragwürdige Entwicklung muss beendet werden! Fordern wir von unserer Bundesregierung, dass sie sämtliche Abkommen, die ISDS bzw. „ratchet clauses“ (einmal durchgeführte Privatisierungen öffentlichen Eigentums können nicht mehr rückgängig gemacht werden) enthalten, nicht ratifizieren darf! Solidar-Werkstatt Linz, Mai, 2015, Susanne Müller, http://www.werkstatt.or.at/index.php?option=com_content&task=view&id=1188&Itemid=86
(Quellen: Europäische Kommission, Frankfurter Rundschau, German-Foreign-Policy, Greenpeace, Industrie- und Handelskammer München, Mitwelt.org, ÖGB/AK, Zeit online).
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