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Kurzinfos Januar 2018
Afrika/Militarisierung: Geschäftemachen und Aufrüsten Afrika wird von Berlin, Paris & Brüssel wieder verstärkt als erweitertes europäisches Einflussgebiet betrachtet. Ein gutes Geschäft für die Rüstungsindustrie.
Von Günther Lanier, Autor des Buches zu Burkina Faso "Land der Integren".
Frankreichs Krieg in Mali und im Sahel zahlt sich aus – seine kampferprobten Waffen verkaufen sich in arabischen Landen gut. Jüngster Beweis: Der Riesenauftrag, den Macron am 7. Dezember 2018 in Doha an Land zog: am 7. Dezember kaufte Katar zwölf Kampfjets vom Typ Rafale und 490 gepanzerten Fahrzeuge. Insgesamt wurden anlässlich des Besuchs des französischen Präsidenten in Katar Aufträge von 11,1 Mrd Euro für die französische Industrie[1] unterzeichnet[2].
Seit einigen Jahren engagiert sich Paris wieder verstärkt militärisch in seinen früheren afrikanischen Kolonien. Dass Gaddafi 2011 auf Betreiben Sarkozys von der Macht gebombt worden war, hat nicht nur Libyen dauerhaft destabilisiert. Die gesamte Region litt, insbesondere Mali. Der internationale Kampf gegen den Terrorismus erlaubte es in der Folge Paris, Bamako zu Hilfe zu eilen. Obwohl die Operation Serval nur halb erfolgreich war, wurde sie, umgetauft auf Barkhane, auf große Teile des Sahel ausgeweitet, und erlaubt die Präsenz französischer Truppen und die Demonstration ihrer Waffen im wirklichen Kampf.
Macht & Rebbach
Auf Gewalt und Waffen basierende Macht und das Einfahren von Profiten waren seit jeher die Hauptziele des Imperialismus. Das hat sich mit den Unabhängigkeiten der Ex-Kolonien nicht geändert. Paris hat kein Interesse daran, in Mali und im Sahel wirklich für Frieden zu sorgen oder die Terroristen ganz loszuwerden – dann gäbe es ja keinen Vorwand mehr für die Stationierung seiner Truppen dort. Und könnten diese nicht immer wieder ihre beeindruckend überlegene Waffentechnologie gegen die islamistischen Fundamentalisten in Anschlag und zum Einsatz bringen – wer würde dann noch französische Waffen kaufen? Berlin versucht mittlerweile, Paris einen Teil des Rüstungskuchens streitig zu machen, engagiert sich vermehrt im Sahel, auch wenn da keine koloniale Tradition besteht.
Gelungener Spagat
Eines muss man dem französischen Präsidenten lassen: Er ist ein genialer Verkäufer. Kurz davor war er in Abu Dhabi, in den Vereinigten Arabischen Emiraten, und er hat gerade erst den neuen starken Mann Saudi-Arabiens getroffen, Kronprinz Mohammed Ben Salman. Zwischen Katar einerseits und Saudi-Arabien und seinen Verbündeten andererseits verläuft seit kurzem eine Frontlinie – die Saudis werfen Katar Unterstützung des internationalen Terrorismus vor, ein scheinbar immer und überall anwendbares Totschlagargument, das in diesem Fall aber an Absurdität kaum zu übertreffen ist, wissen wir doch, dass Saudi-Arabien keinerlei Hemmungen hat, terroristische Gruppierungen zu unterstützen. Das hat in den 1980 er Jahren in Afghanistan angefangen und hat in der jüngsten Vergangenheit im syrischen Bürgerkrieg seine Fortsetzung gefunden. [3]
In Wirklichkeit geht es um den Iran, Riads grossen Rivalen. Saudi-Arabien will Katar zwingen, seine Nähe zu Teheran aufzugeben. Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate sind nicht nur zweit- bzw. drittgrößter Waffenimporteur der Welt[4], Riad ist zudem traditionell einer der Hauptkunden Frankreichs. Mit dem Milliarden-Deal in Doha hat Macron den Spagat geschafft: Frankreich verkauft seine Waffen somit beiderseits der Frontlinie.
G5 Sahel: Aufrüstung in Westafrika
Wie schon in Mali erprobt[5], will Paris seine Sahel-Intervention mutualisieren und afrikanisieren, trotzdem will es freilich die Kontrolle weitestgehend behalten. Macron hatte für den, 13. Dezember 2017, am Tag nach dem Klima-Gipfel, die Staatschefs der G5-Sahel-Länder zu einem Treffen in Paris bestellt, wo es um weitere Schritte bei der Implementierung der G5-Sahel-Einheiten und die noch nicht komplettierte Finanzierung geht. Von Saudi-Arabien wird für die allernächste Zukunft die Ankündigung eines Beitrags von 100 Mio USD erwartet[6].
Gleichzeitig wird die Militarisierung des Sahel auch anderweitig vorangetrieben. In Kürze werden sowohl die USA als auch Frankreich ihre in Niger stationierten, bisher nur für Aufklärungsflüge eingesetzten Drohnen mit Raketen ausstatten. Seit Ende November 2017 soll dazu die Genehmigung Niameys vorliegen. Bei fast 24-stündiger Flugautonomie beträgt der Aktionsradius der zum Einsatz kommenden Reaper-“Killerdrohnen“ stattliche 1.800 km[7]. Aus anderen Weltgegenden wissen wir, dass die Zielgenauigkeit dieser Waffen sehr zu wünschen überlässt, aber auch 90% einheimische ZivilistInnen als Kollateralopfer[8] sind offenbar nicht zu viel, wenn es darum geht, tapfer den internationalen Terrorismus bekämpfende SoldatInnen der Satten Welt vor Tod und Verletzung zu bewahren.
Seit einigen Jahren, noch einmal verstärkt seit der Wahl Trumps zum Präsidenten der USA, macht sich vor allem Deutschland für eine Militarisierung der EU stark. Im Inneren und Äußeren, mental und real, ist Aufrüstung angesagt. Am 11. Dezember 2017, wurde diesbezüglich ein neuer Höhepunkt erreicht. Es geschah unter dem Kürzel PESCO. Das englische Akronym steht für “Permanent Structured Cooperation“, also “permanente strukturierte Kooperation“ – das klingt nicht nach Krieg, versteckt aber die Verwandlung der EU in eine Verteidigungs- oder besser Militärunion. In Brüssel unterzeichneten 25 der 28 EU-Außenminister 17 Programme zur verstärkten Kooperation ihrer Heere[11].
Viele Gegner, changierende Fronten
Waffen und Wirtschaft sind die entscheidenden Aspekte von Vorherrschaft. Deutschland hat ökonomisch seine EU-Partner in den Schatten gestellt oder in die Knie gezwungen. Was unter IWF- und Weltbank-Führung seit den 1980 er Jahren der Dritten Welt in Form von Strukturanpassungsprogrammen angetan wurde, ist innerhalb der Europäischen Union mittlerweile in verschärfter Form durchgesetzt. Paris hat mehrmals versucht, sich gegen das Berliner Austeritätsdiktat querzulegen, hat aber regelmäßig zurückstecken müssen. Macron hat schon anlässlich seines Wahlkampfes “die Waffen gestreckt“ und ein Einschwenken auf den deutschen ökonomischen Kurs versprochen, insbesondere, was die geschäftsfördernde Schlechtbehandlung der ArbeitnehmerInnen betrifft. Merkel & Co hatten ihn dafür auch sehr gelobt.
Die nicht zuletzt mittels Euro zusammengewachsene europäische Union hat ökonomisch erhebliches Gewicht, daran besteht kein Zweifel, zuvorderst das Zugpferd Deutschland. Was die militärischen Mittel betrifft, mischt die EU hingegen nicht unter den ganz Großen dieser Welt mit. Dem soll PESCO jetzt ein Ende setzen.
Feindschaft und Freundschaft verteilen sich stets neu. Gegenüber den USA werden insbesondere seit dem Brexit schärfere Töne angeschlagen. Zwar wird die militärische Kooperation innerhalb der NATO nicht in Frage gestellt, aber Berlin & Brüssel wollen ganz offensichtlich den riesigen Vorsprung der USA in Sachen Militär schnellstmöglich verringern.
Nachdem der EU-interne Widerstand gegen ein Hochrüsten ausgeschaltet werden konnte – insbesondere durch die “Freiwilligkeit“ (Stichwort Kerneuropa) der PESCO-Verträge – geht es letztlich um Weltherrschaft. Neben den USA ist China der bedeutendste EU-Konkurrent, Russland kann da kaum mithalten, auch wenn Moskau in Syrien überraschend erfolgreich war.
Afrika ist auf der Weltbühne zwar sicher kein Hauptakteur, wird von Berlin, Paris & Brüssel jedoch ganz offensichtlich wieder verstärkt als Vorfeld, als erweitertes europäisches Einflussgebiet[14] betrachtet. Berlin macht Paris diesbezüglich auch immer stärker Konkurrenz, beginnt z.B., in Mali und Niger mitzumischen.
Subimperialismen, eine Nachbemerkung
Frankreich ist schon seit dem 2. Weltkrieg keine Großmacht mehr, auch wenn es sich gern weiter so gebärdet. Es steht in der zweiten Reihe. Deutschland hat seit der Wiedervereinigung beträchtliches Terrain gutgemacht und traut sich mittlerweile – unbeeinträchtigt von seiner Nazi-Vergangenheit – international nicht nur ökonomisch, sondern auch militärisch aggressiv aufzutreten, wobei es sich in vieler Hinsicht und immer mehr der EU bedient, um seine Interessen durchzusetzen. EU-interne Differenzen bedürfen freilich trotzdem weiterhin der Beachtung.
Für Schwarzafrika haben die Verschiebungen globaler Machtverhältnisse erhebliche Bedeutung. In den 1990 ern war es der Niedergang der Sowjetunion und das daraus resultierende Ende der Systemkonkurrenz UdSSR-USA, die erhebliche Anpassungen erforderten. Seither hat insbesondere das aufstrebende China für Verschiebungen gesorgt – gegen Beijings Projekt der Neuen Seidenstraße und seinen zunehmenden Einfluss in Afrika laufen ja auch Berlin & Paris Sturm.
Doch soll darüber nicht vergessen werden, dass es zwischen den Großen und den Kleinen noch die Mittleren gibt. Aus meiner westafrikanischen Sahelland-Sicht sehe ich eine Kette, die von der EU, Deutschland und Frankreich über Marokko und die Côte d’Ivoire bis eben zu uns hier in der Trockensavanne und Wüste reicht.
Freilich gilt es, nicht zu sehr dem Denken in nationalen Einheiten zu verfallen. Ohne Brückenköpfe in den beherrschten Ländern hätte es keinen Kolonialismus gegeben und könnte kein (Neo)Imperialismus bestehen. KompradorInnen sind wesentliche Elemente der globalisierten Wirtschaft. Innerstaatliche Interessengegensätze sind oft ausgeprägter als die zwischen Nationen.
Marokko etabliert sich in Schwarz- und insbesondere in Westafrika
Eine dieser subimperialistischen Mächte ist Marokko. Seit ein paar Jahren orientiert sich Rabat verstärkt nach Schwarzafrika. Schon davor hatten freilich marokkanische Unternehmen kontinentweit und insbesondere in Westafrika investiert und aufgekauft. Der Wiedereintritt des Landes in die Afrikanische Union (davor war die Mitgliedschaft der Westsahara der Stein des Anstoßes gewesen) hat ein deutliches Signal gesetzt, die neueren Bemühungen um eine Verbesserung der Beziehungen zu Südafrika und Angola (traditionelle Polisario-Unterstützer) passen hier dazu. Die praktische Umsetzung der Mitgliedschaft Marokkos in der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas könnte nun unmittelbar [16].
Vergessen wir nicht: Marokkos Ökonomie ist sehr viel “entwickelter“ als die der allermeisten afrikanischen Staaten. Von Freihandel profitieren nun einmal aber die Starken Günther Lanier, Ouagadougou 13.12.2017
Günther Lanier ist Autor des Buches "Land der Integren - Burkina Fasos Geschichte, Politik und seine ewig fremden Frauen", das 2017 im guernica-Verlag erschienen ist.
Anmerkungen:
[1] Zu den Flugzeugen und Panzern kommt noch der Bau der U-Bahn in Doha durch ein halb (49%) französisches, halb katarisches Konsortium. Außerdem wurde die Bestellung von 50 Airbus-Flugzeugen bestätigt, statt der ursprünglichen A320 werden es jetzt die neuesten Modelle sein, A321 Neo.
[2] Im österreichischen Standard gab es dazu am 7.12.2017 um 12h07 am Internet einen kleinen, auf eine APA-Meldung gestützten Artikel “Macron erhält in Katar Milliardenaufträge“. Sehr viel ausführlicher z.B. in der Le Monde: Éric Béziat, Dominique Gallois, Cédric Pietralunga, Métro, Rafale, A321... 11,1 milliards d’euros de contrats signés à l’arrivée de Macron au Qatar, Le Monde 7.12.2017, 10h16; http://www.lemonde.fr/economie/article/2017/12/07/macron-au-qatar-plus-de-11-milliards-d-euros-de-contrats-en-guise-de-cadeau-de-bienvenue_5226053_3234.html#1VDWUbYQdKKSO4r2.99
[4] Zahlen des Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) für 2012-16 – siehe die Waffenimport-Tabelle auf https://en.wikipedia.org/wiki/Arms_industry#cite_note-SIPRI_armstrade-14.
[5] Der Personalstand der MINUSMA - Mission multidimensionnelle intégrée des Nations Unies pour la stabilisation au Mali – belief sich per Ende Oktober 2017 auf stattliche 14.865, darunter waren nur etwa 1.500 ZivilistInnen. Das Jahresbudget (Juli 2016-Juni 2017) belief sich auf 1,048 Mrd USD. http://www.un.org/fr/peacekeeping/resources/statistics/factsheet.shtml.
[6] Siehe den kleinen Artikel “G5 Sahel. Tous unis à Paris“ im Jeune Afrique vom 10.12.2017, p.10.
[7] Siehe Benjamin Roger, Vers une guerre des drones, in: Jeune Afrique (Paris) 10.12.2017, pp.40f.
[8] Siehe die Box “Déjà de nombreuses bavures“ ebd., p.41 rechts unten. Es dürfte sich um einen Höchstwert handeln – die Zahl bezieht sich auf eine fünf Monate lange Periode 2012/13 der US-Operation Haymaker in Afghanistan. Für die gesamte Dauer der Operation soll die Zielgenauigkeit mit 17,5% auch nicht viel besser gewesen sein. Siehe ebd.
[10] Siehe insbesondere Gerald Oberansmayr, “Denn der Menschheit drohen Kriege...“ Neutralität contra EU-Großmachtswahn, Linz (guernica Verlag) 2013, diverse Artikel im Werkstatt-Blatt sowie Artikel von German Foreign Policy.
[11] Siehe Thomas Mayer, Start zur freiwilligen EU-Verteidigungsunion Pesco, DerStandard 11. Dezember 2017, 17:01 und ausführlicher German Foreign Policy, Der Start der Militärunion, 11.12.2017, https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7475/.
[12] Siehe Solidarwerkstatt, Putsch gegen Neutralität und Verfassung, 1.12.2017 und ihren Offenen Brief “ Nein zur Teilnahme am militärischen Kerneuropa!“, https://www.solidarwerkstatt.at/frieden-neutralitaet/ssz-putsch-gegen-neutralitaet-und-verfassung bzw. https://www.solidarwerkstatt.at/frieden-neutralitaet/offener-brief-nein-zur-teilnahme-am-militaerischen-kerneuropa.
[14] Auf Französisch standardmäßig als “pré carré“ bezeichnet.
[15] Nigeria und Ghana zögern. Siehe Vincent Duhem, Jules Crétois, Le Maroc aux portes de la Cedeao, in: Jeune Afrique (Paris) 10.12.2017, p.38.
[16] Siehe auch meinen Radio Afrika-Artikel “Auswärts, auf schwarzafrikanischem Boden: 1:0 für Israel gegen Marokko – oder doch 1:1“ vom 23.6.2017, http://www.radioafrika.net/2017/06/23/auswarts-auf-schwarzafrikanischem-boden-10-fur-israel-gegen-marokko-oder-doch-11/
Solidarwerkstatt Linz, Werkstatt-Rundbrief 1/2018, Januar 2018, https://www.solidarwerkstatt.at/international/geschaeftemachen-und-aufruesten
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EuGH als Speerspitze des Neoliberalismus Mit dem Polbud-Urteil hat sich der EuGH wieder einmal als Speerspitze des Neoliberalismus erwiesen. Das EuGH-Urteil ermöglicht Konzernen „Regime-Shopping“, um die Mitbestimmung von ArbeitnehmerInnen auszuhebeln.
Schon bisher hat der EuGH die Niederlassungsfreiheit extensiv ausgelegt und damit etwa die Errichtung eines neuen Unternehmens als „Limited“ (nach britischem Recht) ermöglicht, die etwa die in Österreich vorgeschriebene Drittelparität oder die in der BRD vorgeschriebene paritätische Mitbestimmung von Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat nicht kennt. Mit dem im Oktober 2017 erlassenen Polbud-Urteil geht der EuGH darüber hinaus. Bei Polbud geht es nämlich um den nachträglichen, ausschließlichen Rechtsformenwechsel. Dieser unterliegt ebenfalls, so der EuGH in seinem Urteil, dem Schutz des EU-Rechts und darf durch nationale Regelungen nicht „weniger attraktiv“ gemacht werden. Was „attraktiv“ ist, wird freilich ausschließlich aus dem Blickwinkel der Kapitalseite betrachtet. D.h. ein Unternehmen kann einen Rechtsformenwechsel durchführen, ohne den Verwaltungssitz oder eine wie auch immer geartete Verlagerung der wirtschaftlichen Aktivitäten ins Zielland zu verlegen. Es muss schlicht überhaupt keine realwirtschaftliche Betätigung dort erfolgen.
Der EuGH ermöglicht damit reines „Regime Hopping“: Die Konzerne können nach Belieben jene Rechtsform wählen, die ihnen am „attraktivsten“ erscheint, z.B. um die Arbeitnehmermitbestimmung zu eliminieren.
Freilich ist nicht sofort damit zu rechnen, dass Unternehmen reihenweise von dieser Möglichkeit, sich eine Rechtsform á la carte auszusuchen, Gebrauch machen werden. Was aber sofort geschieht, ist die Verschiebung des Kräfteverhältnisses zwischen Kapital und Arbeit zugunsten der Kapitalseite. Diese hat nun ein weiteres Erpressungsmittel in der Hand, die Arbeitnehmerseite gefügig zu machen: Wenn Ihr nicht spurt, schmeißen wir Euch mittels Wechsel der Rechtsform aus dem Aufsichtsrat.
Der EuGH erweist sich damit erneut als Speerspitze des Neoliberalismus. Erinnert soll in diesem Zusammenhang an jene Urteile werden, durch die der EuGH die Tür für das Unterlaufen von Kollektivverträge aufgestoßen und gewerkschaftliche Kampfmaßnahmen dagegen als „EU-binnenmarktwidrig“ untersagt hat.
Letztlich exekutieren die obersten EU-RichterInnen damit den Grundauftrag des EU-Primärrechts, die neoliberalen „Freiheiten“ des Waren-, Dienstleistungs-, Kapital- und Arbeitskräfteverkehrs gegen Sozialstaat und Gewerkschaften durchzusetzen, um alle EU-Staaten auf eine „offene Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“ (Wortlaut des EU-Vertrags) zu verpflichten. Aus dieser neoliberalen Zwangsjacke müssen wir uns befreien, wenn wir wieder Raum für demokratische und soziale Alternativen zurückgewinnen wollen. Gerald Oberansmayr, Januar 2018, https://www.solidarwerkstatt.at/arbeit-wirtschaft/eugh-als-speerspitze-des-neoliberalismus
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EU-Freihandelsabkommen Am 15. November 2017 fand in der Arbeiterkammer Linz die Veranstaltung „Die EU-Freihandelspolitik in Afrika & mögliche Alternativen“ statt. In diesem Zusammenhang referierte Dr. Boniface Mabanza zum umstrittenen Freihandelsabkommen EPA (Economic Partnership Agreement). Hier einige Auszüge aus seinem Referat.
„Zweifellos hat Afrika eine große geostrategische Bedeutung für Europa, da der Wohlstand in Europa von der Öffnung der Märkte und der Rohstoffversorgung aus Afrika abhängig ist. Durch die Strukturanpassungsprogramme wurden afrikanische Länder und deren noch junge Industrien zerstört.
Afrika hat nun schon 30 Jahre Erfahrung mit Freihandel und deshalb gibt es aus breiten Schichten der Bevölkerung massiven Widerstand gegen EPA. Nigeria und Tansania haben sich bislang dem EPA(s) verweigert. Einer der Hauptgründe dafür ist, dass deren noch junge Industrien der Konkurrenz aus der EU nicht standhalten können. Benin, der nördliche Anrainerstaat von Nigeria, war wirtschaftlich gesehen ein Transitland, um Waren weiter in den Süden zu transportieren. Nun stauen sich Berge von Hühnerfleisch aus der EU in Benin, die dort tonnenweise verbrannt werden müssen, weil kein Mensch jeden Tag so viel Hühnerfleisch essen könnte.
In Ghana wurde die Tomatenproduktion ruiniert. In Kamerun sind die Konsequenzen ebenfalls schon spürbar. Zudem fehlen den Staatshaushalten die wichtigen Zolleinnahmen. So nehmen durch die Folgen dieser aggressiven Freihandelspolitik der EU auch die Spannungen zwischen den afrikanischen Ländern zu. Der Widerstand gegen dieses EU-Freihandelsabkommen geht quer durch die afrikanische Gesellschaft.“
Dr. Mabanza wurde im Anschluss an seinen Vortrag gefragt, wie er die Auswirkungen der Handelsbeziehungen zwischen Afrika und China bewertet. Er antwortete, dass es unterschiedliche Erfahrungen in den afrikanischen Ländern gibt, aber in Summe für Afrika die Vorteile überwiegen. China hat eine große Anpassungsfähigkeit bezüglich der Rahmenbedingungen, die von den afrikanischen Regierungen gestellt werden. Im Gegensatz zur EU investiert China sehr oft direkt in die Infrastruktur und solche Gegenleistungen (Straßen, Krankenhäuser, Schulen usf.) sind dann deutlich sichtbar. Johanna Weichselbaumer, Januar 2018, https://www.solidarwerkstatt.at/arbeit-wirtschaft/eu-motor-des-neoliberalen-freihandels
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„Vorläufig angewendet“ - dauerhaft entmündigt Der EU-Vertrag von Lissabon sorgt dafür, dass die nationale Mitbestimmung bei Freihandelsverträgen, die von der EU-Kommission ausverhandelt worden sind, nur eingeschränkt möglich ist. Es gibt „reine Freihandelsverträge“, bei denen die nationalen Parlamente gar nicht mehr gefragt werden müssen, und sog. „gemischte“ Verträge. Was ein „gemischter“ Vertrag ist – also über reine Handelsagenden hinausgeht – ist oft nicht eindeutig. Die grundsätzliche Entscheidungskompetenz darüber liegt bei der EU-Kommission, allenfalls beim EUGH.
Gründe für die Einordnung eines Handelsabkommens als gemischten Vertrag können etwa Vereinbarungen zum Investitionsschutz (umstritten), zum Arbeitsschutz, zur gegenseitigen Anerkennung von Berufsqualifikationen etc. sein.
Für das Inkrafttreten eines gemischten Vertrags bedarf es der Einstimmigkeit im Rat (die 27 Handels-/Wirtschaftsminister der EU) sowie der Zustimmung des EU-Parlaments. Anschließend muss der gesamte Vertrag von allen Mitgliedsstaaten ratifiziert werden, d.h. die Parlamente aller Mitgliedsstaaten müssen dem Vertrag zustimmen. Dies dauert Jahre, deshalb können die Teile eines gemischten Vertrags, die der ausschließlichen EU-Kompetenz unterliegen, aufgrund eines Beschlusses des Rates bereits „vorläufig angewendet“ werden. Die “Vorläufige Anwendung“ schafft Fakten auf kurzem Wege: Das Abkommen ist nicht vollständig ratifiziert, die betreffenden Vertragsteile sind jedoch rechtsgültig. Es wird dabei nichts darüber ausgesagt, was passiert, wenn dieser Ratifikationsprozess scheitert, weil nationale Parlamente die Zustimmung ablehnen. In Deutschland wurde der wissenschaftliche Dienst des Bundestages angefragt, was die Nichtratifizierung durch nationale Parlamente für völkerrechtliche Verträge bedeuten würde, die durch die EU „vorläufig angewendet“ werden. Die Antwort: Gar nichts. Dann wird das Abkommen auf unbestimmte Zeit „vorläufig angewendet“, also die Parlamentarier dauerhaft entmündigt. Susanne Müller, Januar 2018, https://www.solidarwerkstatt.at/arbeit-wirtschaft/eu-motor-des-neoliberalen-freihandels
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"Europa hat uns zerstört" Tomas Sobotka vom Vienna Institute of Demography schätzt, dass rund 14 Millionen Menschen seit Anfang der 90 er Jahre Zentral- und (Süd)Osteuropa Richtung Westen verlassen haben. Die Bevölkerung ist seither in diesem Raum um rund 23 Millionen oder mehr als 10 Prozent geschrumpft. Hinter diesen Zahlen versteckt sich eine ungeheure Umverteilung von arm zu reich.
Auslöser für diese Wanderung waren in den 90 er Jahren die neoliberalen Schocktherapien des Internationalen Währungsfonds, beschleunigt in den Nullerjahren durch die neoliberalen Schocktherapien der EU mit ihrem marktradikalen Binnenmarktprogramm. Besonders hart betroffen ist z.B. Bulgarien: 1 ,6 Millionen Menschen sind abgewandert, das entspricht rund einem Drittel der derzeitigen erwerbsfähigen Bevölkerung. Der Anteil der Auswanderer in der Altersgruppe 20 bis 45 Jahre liegt sogar bei über 41%. Besonders intensiviert hat sich dieser Abfluss von Arbeitskräften mit dem EU-Beitritt der Mittel- und Osteuropäischen Staaten, der mit der "Arbeitnehmerfreizügigkeit" die Arbeitsmärkte neoliberal deregulierte. So sind schätzungsweise 2,2 bis 2,7 Millionen Arbeitskräfte aus Polen seither nach Westeuropa abgewandert. Auch die Baltischen Republiken bluten ökonomisch aus: Rund 370.000 Litauer zogen seit dem EU-Beitritt in den Westen. Die Bevölkerung Litauens ist in den 90 er Jahren um 22% gesunken, die Lettlands gar um 26%.
Die südliche Peripherie Europas wurde durch die drakonischen Austeritätsprogramme der EU wirtschaftlich devastiert. Immer weniger Menschen finden Arbeitsplatz und Perspektive in diesen Ländern. Rund 450.000 Griechinnen und 695 .000 Portugiesinnen haben in den letzten Jahren das Weite gesucht.
Braindrain
Es sind mittlerweile vor allem junge, gut qualifizierte Menschen, die von Ost bzw. Süd nach West bzw. Nord ziehen. Unter dem Begriff "Brain drain" ist diese Migration in der entwicklungspolitischen Debatte schon lange bekannt. Mit dem neoliberalen EU-Binnenmarktregime ist nun auch der europäische Kontinent voll davon erfasst. Rund 30% der Auswanderer aus Griechenland haben ein Studium absolviert; jede/r dritte Akademiker/in hat Estland verlassen, 9 von 10 Studierende dieser baltischen Republik sitzen bereits auf gepackten Koffern. Vor allem junge Ärztinnen und Pflegekräfte verlassen scharenweise den. Osten und Süden Europas und bringen die Gesundheitssysteme dieser Länder an den Rand des Kollapses: In Bulgarien gingen seit 2000 die Zahl der Pflegekräfte von mehr als 600 auf weniger als 450 je 100000 Einwohnerinnen zurück. Seit dem EU-Beitritt sind 7000 Ärztinnen aus Ungarn in den Westen gezogen, gemessen am heutigen Stand ist das jede/r vierte Arzt/ Ärztin. Aus Rumänien sind: 21.000 Ärztinnen seit den 90 er Jahren abgewandert, alleine 14.000 seit dem EU-Beitritt. Heute gibt es in Rumänien noch rund 40.000 Ärztlnnen. Jede/r 5. Arzt/Ärztin hat Polen verlassen; Damit beginnt sich ein Teufelskreis zu drehen: 35% der Auswanderungswilligen geben das schlechte Gesundheitssystem in Polen als Motiv für ihre Emigration an.
Das Polen-Magazin bringt die Stimmung vieler im Land zum Ausdruck: "Man liefert dem westlichen Europa gut ausgebildete hoch motivierte Arbeitskräfte, die gute Nettozahler für die dortigen Sozialsysteme sind - und das quasi zum Nulltarif. Auf Dauer kann sich Polen das nicht leisten."
Ungeheure Umverteilung
Diese neoliberale Arbeitsmigration ist eine ungeheure Umverteilung von relativ armen und zu relativ reichen Ländern. Wie eingangs festgehalten: Schätzungsweise 14 Millionen- Grossteils junge, vielfach hochqualifizierte - Menschen sind infolge der Marktliberalisierungen von (Süd-)Osteuropa nach Zentraleuropa gezogen. Das ist mehr als die gesamte erwerbstätige Bevölkerung Rumäniens und Ungarns zusammen, die addiert jährlich ein Bruttoinlandsprodukt (BIP) von rund 340 Milliarden Euro erwirtschaften. Man könnte sagen: Hirn- und Muskelschmalz, das 340 Milliarden Wertschöpfung jährlich generiert, ist von Ost nach West abgesaugt worden. Das ist zwar "nur" knapp 3% des jährlichen BIPs der Euro-Zone, aber rund ein Fünftel (!) der Wirtschaftsleistung des gesamten ( süd-) osteuropäischen Raums. Freilich stehen dem Rücküberweisungen von Emigrantinnen gegenüber, aber diese ändern nicht, ja zementieren sogar den peripheren Status der Abwanderungsländer.
Ein Beamter der nordrumänischen Stadt Certeze, die von 90% der arbeitsfähigen Bevölkerung verlassen wurde, zieht bittere Bilanz: „Europa hat uns zerstört“. Werkstatt-Blatt Januar 1/2018, Solidarwerkstatt Linz, Gerald Oberansmayr
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Bulgarien drängt in Richtung Euro Mit der Aufnahme von Litauen Anfang 2015 ist der Euro-Raum letztmals erweitert worden. Nun strebt mit Bulgarien ein 20. EU-Staat in die Währungsunion. Dies machten Vertreter der bulgarischen Regierung anlässlich der Feierlichkeiten zur Übernahme des halbjährlichen EU-Ratsvorsitzes durch das Land wiederholt deutlich. Man habe alle Hausaufgaben gemacht und sei bereit für den Wechselkursmechanismus II (WKM II), sagte Ministerpräsident Bojko Borisow am Freitag, den 12. Januar 2018 an einer gemeinsamen Medienkonferenz mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in Sofia. Zuvor hatte sein Finanzminister Wladislaw Goranow erklärt, Bulgarien wolle noch in diesem Halbjahr einen Antrag auf Teilnahme am WKM II stellen.
Im WKM II wird die Währung eines Nicht-Euro-Landes mit einer Schwankungsbreite von höchstens +/–15% an den Euro gebunden. Er ist eine Art «Vorhof» zum Euro: Vor einem Beitritt zur Währungsunion muss ein Kandidat diese Schwankungsbreiten mindestens zwei Jahre lang «ohne grosse Spannungen» einhalten. Dass Bulgarien die Landeswährung Lew bereits bisher unilateral an den Euro gebunden hat, ändert nichts an dieser Frist. Erfüllt das Land auch die übrigen Konvergenzkriterien, wäre somit ein Euro-Beitritt ab 2021 möglich.
Borisows Verweis auf gemachte Hausaufgaben ist insofern korrekt, als Bulgarien die übrigen nominalen Konvergenzkriterien (Preisstabilität, Zinssätze, Haushaltssaldo, Schuldenquote) weitgehend erfüllt. Juncker verwies in Sofia darauf, dass Bulgarien einen ausgeglichenen Staatshaushalt habe und seine Staatsverschuldung von unter 30% des Bruttoinlandprodukts (BIP) eine der niedrigsten in der EU sei. Allerdings erfüllen noch nicht alle für den Euro-Beitritt relevanten Gesetze die Vorgaben.
Für Debatten hinter den Kulissen sorgt aber die reale Konvergenz. Mit einem kaufkraftbereinigten BIP pro Kopf von 49% des EU-Durchschnitts war Bulgarien laut Eurostat 2016 der ärmste EU-Staat. Zwar wächst das BIP derzeit rasch, so dass der Rückstand schrumpft. Doch je rascher die Aufholjagd erfolgt, desto eher könnte sie die Inflation anheizen. Bekannt ist, dass die Europäische Zentralbank (EZB) und einige Euro-Staaten deshalb Bedenken gegen einen zu raschen Euro-Beitritt des Landes hegen. Bulgarien würde zudem mit der Euro-Übernahme in die Bankenunion eintreten, weshalb die Lage der Banken eine Rolle spielen dürfte. Ferner verweisen Beobachter auf Korruptionsprobleme.
Gleichwohl unterstützt Juncker die bulgarischen Ambitionen seit einiger Zeit vehement. «Ich habe nicht gesagt, dass Bulgarien morgen früh um halb zwölf Mitglied der Euro-Zone werden solle», sagte er an der erwähnten Pressekonferenz. Aber es sei auf gutem Weg. Er sei der Meinung, dass das Land so schnell wie möglich dem WKM II beitreten solle. Die sinkende Arbeitslosigkeit zeige, dass es auch in Sachen reale Konvergenz grosse Fortschritte gebe. Es reiche noch nicht ganz, aber das wüssten auch die Bulgaren.
Auf dem Papier haben ausser Dänemark und dem scheidenden Grossbritannien, für die eine Ausnahme gilt, alle EU-Staaten das Recht und die Pflicht zum Euro-Beitritt, sobald sie die Kriterien erfüllen. Doch abgesehen von Bulgarien fehlt derzeit allen anderen Nicht-Euro-Staaten entweder der politische Wille hierzu, oder sie sind zu weit von der Erfüllung der Kriterien entfernt. NZZ, 13. Januar 2018, S. 35
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