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Kurzinfos Oktober 08EU-Spielzeugrichtlinie: Puppen mit Schwermetall
Nach dem Gesetzesvorschlag der EU-Kommission zur Überarbeitung der 20 Jahre alten Spielzeugrichtlinie sollen krebserregende, hormon- und erbgutverändernde Stoffe (CMR) sowie andere sehr gefährliche Chemikalien in Spielzeug weiter erlaubt sein: Neurotoxine, Phtalate, Flammschutzmittel sowie Duftstoffe, die Allergien auslösen können. Die Frauenumweltorganisation Women in Europe for a Common Future (WECF) fordert ein Verbot aller bekannten gefährlichen Chemikalien in Spielzeug, ohne Ausnahmen und Hintertüren. Es gibt keinen Grund, warum Spielsachen als nicht überlebensnotwendige Güter schädliche Substanzen enthalten sollten.
Europaweit sind Experten entsetzt über den EU-Vorschlag, der weit hinter vergleichbaren europäischen Richtlinien wie der Kosmetikrichtlinie oder der Lebensmittelverpackungsrichtlinie zurückbleibt. Klaus Brüggemann, Präsidiumsmitglied des deutschen TÜV-Verbandes, kritisiert: "Die vorgesehene erlaubte Konzentration von 0,1 Prozent bei CMR-Stoffen ist eintausend mal höher als das gesetzliche Limit bei Lebensmittelverpackungen. Das bedeutet, dass bei einem ein Kilogramm schweren Spielzeug das Kind einem Gramm krebserregender Stoffe ausgesetzt wäre. Diese Substanzen sind extrem gefährlich und ich würde nicht einmal Studenten im ersten Semester erlauben damit zu arbeiten. Wie kann es also sein, dass unsere Kinder damit spielen?"
Der Entwurf der EU-Richtlinie geht zudem nur auf CMR-Stoffe ein. Andere bekannte gefährliche Chemikalien wie Phtalate, Neurotoxine, Schwermetalle oder bromierte Flammschutzmittel werden darin nicht berücksichtigt. Enthalten ist nur ein allgemeiner Verweis auf die Europäische Chemikalienverordnung, die allerdings den besonderen Anforderungen von Spielzeug nicht gerecht wird. Ähnlich verhält es sich mit Duftstoffen in Spielzeug: Kennen Sie ein Spielzeug, das riechen muss? Duftstoffe und sogenannte Sensitizer können Allergien auslösen. Die ersten Anzeichen für Allergien auf Duftstoffe treten häufig schon bei Kindern unter zehn Jahren auf. Duftstoffallergien können nicht wie Lebensmittelallergien wieder abklingen, man leidet unter ihnen lebenslang. Deshalb ist es unverantwortlich, Duftstoffe in Spielzeug überhaupt zu erlauben. Der vorgelegte Gesetzesvorschlag sieht lediglich ein Verbot von 38 allergenen Duftstoffen vor, weitere 26 müssen deklariert werden.
Spielzeug wird ohne Angabe der Inhaltsstoffe verkauft, es gibt kein einziges aussagekräftiges europaweites Label. In Deutschland können sich Eltern bisher noch am GS-Zeichen für "geprüfte Sicherheit" orientieren, doch auch dieses soll laut Vorschlag durch das europäische CE-Zeichen ersetzt werden. 90 Prozent aller Spielwaren auf dem europäischen Markt sind importiert, der Großteil aus China. Die zahlreichen Rückrufe von Spielzeugprodukten etwa durch die US-Firma Mattel zeigen, wie unwirksam das CE-Zeichen ist. Unglücklicherweise halten viele Konsumentlnnen das CE-Zeichen für ein Qualitätssiegel, es bedeutet jedoch nur, dass nach Auffassung des Produzenten das Produkt den wesentlichen gesetzlichen Anforderungen entspricht. Eltern haben aber das Recht zu wissen, welche Auswirkungen das von ihnen gekaufte Spielzeug auf die Gesundheit ihrer Kinder und bei Herstellung und Entsorgung auch auf die Umwelt haben kann. Es bräuchte ein europäisches Label für Spielzeug, das nach einer unabhängigen Prüfung durch Dritte und nicht durch den Hersteller selbst vergeben wird.
Die neue EU-Spielzeugrichtlinie soll noch Ende 08 verabschiedet werden. Zurzeit befindet sich der Vorschlag im federführenden Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz zur Beratung. Alexandra Caterbow, Chemikalienreferentin bei WECF, www.wecf.eu, München, in DNR-Informationen, Oktober 2008, S. 9.
Emissionshandel Wirksames Instrument oder zahnloser Tiger? Der Industrieausschuss des Europaparlaments hat sich für eine Aufweichung der EU-Richtlinie zum Emissionshandel eingesetzt. Mit knapper Mehrheit stimmten die Abgeordneten im September 08 dagegen, dass sich das Treibhausgasminderungsziel bis 2020 automatisch von 20 auf 30 Prozent erhöht, wenn ein internationales Klimaabkommen zustande kommt. Der Weltklimarat IPCC hatte errechnet, dass die Industriestaaten ihre Emissionen bis 2020 um 25 bis 40 Prozent verringern müssen, um die Erderwärmung unter der Gefahrenschwelle von zwei Grad zu halten.
Zwar bestätigte der Ausschuss die Pläne der EU-Kommission, ab 2013 die Emissionszertifikate zu 100 Prozent an stromerzeugende Unternehmen zu versteigern, er formulierte allerdings einige Ausnahmen. Energieintensive Industrien sollen die Zertifikate 2013 noch kostenlos erhalten und nicht zu 20 Prozent ersteigern müssen, wie von der Kommission vorgesehen. Bis 2020 soll dann schrittweise eine vollständige Versteigerung der Zertifikate an das produzierende Gewerbe stattfinden.
Umweltverbände kritisierten, es sei nicht bewiesen, dass energieintensiven Unternehmen durch den Emissionshandel Wettbewerbsnachteile drohen. Die Unternehmen behaupten dagegen, diese seien sogar so schwerwiegend, dass sie ihre Produktionsstätten nicht in der EU halten könnten. 2011 will die EU-Kommission umfassende Studien dazu vorlegen und hat vorgeschlagen, Ausnahmeregelungen zu einem späteren Zeitpunkt festzulegen.
Außerdem wollen die Parlamentarier den Unternehmen im Emissionshandel noch mehr Kredite durch umstrittene Projekte in Entwicklungsländern zugestehen. "Die Abstimmung schwächt Emissionsreduktionen innerhalb der EU", sagte Tomas Wyns vom Climate Action Network CAN Europe. Folgten andere Industriestaaten der EU, würden sich die Durchschnittstemperaturen um mindestens 3,6 Grad Celsius erhöhen. DNR-Informationen, Oktober 08, S. 13.
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Pestizide Ungesunde EU-Grenzwerte Seit September 08 gelten in der EU einheitliche Obergrenzen für erlaubte Pestizidrückstände in Lebensmitteln. Dadurch kann stärker als bisher belastetes Obst und Gemüse auf den Markt gelangen: Laut einer aktuellen Studie von Greenpeace und der österreichischen Umweltorganisation Global 2000 sind fast 700 der jetzt erlaubten Grenzwerte für Pestizidrückstände in Obst und Gemüse zu hoch. Vor allem die bei Äpfeln, Birnen, Trauben, Tomaten und Paprika zugelassene Dosis könne akute und chronische Erkrankungen verursachen, besonders bei Kindern.
Während der Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde (BLL) die neuen Werte für unbedenklich hält, befürchten Umweltverbände eine Gefährdung der Gesundheit. So würden die in Deutschland geltenden strengeren Grenzwerte nun meist durch weit höhere ersetzt. Greenpeace forderte Bundeslandwirtschaftsminister Horst Seehofer auf, sich für eine Korrektur der Werte einzusetzen.
Für die Studie wurden die 170.000 von der EU-Kommission festgelegten Pestizidgrenzwerte nach EU-Maßstäben überprüft. Fast zehn Prozent der Früchte seien potenziell gesundheitsschädigend, hieß es. Mögliche chronische Folgeerkrankungen seien Krebs, Fortpflanzungs- und Hormonstörungen. Die Studie untermauert auch die Klage gegen die EU-Kommission, die das Pestizid Aktionsnetzwerk PAN Europe beim Europäischen Gerichtshof eingereicht hat. Das Umweltinstitut München wies im Sommer 08 daraufhin, dass Pestizidhersteller in Deutschland ihren Umsatz 2007 um fast 11 Prozent gesteigert haben. Global 2000, Wien, www.globaI2000.at, DNR-Informationen, Oktober 08, S. 19
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Saatgut : EU macht Linda den Garaus Vor vier Jahren zog der Saatgutkonzern Europlant die Zulassung der Kartoffelsorte Linda zurück, obwohl diese eigentlich bis 2009 galt. Das war möglich, weil der staatlich gewährte Sortenschutz Ende 2004 auslief. Während dieser sogenannten Schutzzeit kann der Sorteninhaber die Zulassung verlängern oder zurückziehen. Europlant begründete die Streichung von der Sortenliste damit, dass die Kartoffel krankheitsanfällig sei.
Dass das Saatgutunternehmen gegen den Willen von Landwirten und Verbraucherinnen handeln konnte, ist legal: Die Erhaltungssortenrichtlinie der EU vom Juni 2008 begrenzt den Marktanteil von freien Sorten: Sie dürfen nur in der Ursprungsregion erzeugt und vertrieben werden. Keine freie Sorte darf einen Marktanteil von 0,5 Prozent überschreiten, der Anteil aller freien Sorten zusammen darf nicht mehr als zehn Prozent betragen. DNR-Informationen, Oktober 08, S. 19
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Forstwirtschaft EU importiert Raubbauholz Nahezu ein Fünftel des 2006 in die EU importierten Holzes stammt aus illegaler Abholzung und trägt zu Waldsterben und Klimawandel bei. Das ergab ein WWF-Bericht, der im Juli 08 veröffentlicht wurde. Trotz der seit 2005 geltenden FLEGT-Verordnung zur Bekämpfung des illegalen Holzeinschlages importiert die EU noch immer große Mengen illegal gewonnenen Holzes. Die EU-Kommission will noch 2008 eine Revision der FLEGT Verordnung vorschlagen, die derzeit vor allem auf freiwillige Partnerschaften zwischen der EU und den Holzexportländern setzt. Der WWF fordert, Importeure zum Nachweis zu verpflichten, dass ihr Holz aus kontrollierten Quellen kommt. [bv] www.kurzlink.de/wwf-jllegal-wood, DNR-Informationen, Oktober 08, S. 20.
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Die schlimmsten Lobbyisten Vom 15. Oktober bis 17. November 08 konnten EU-BürgerInnen im Internet über die Vergabe eines Negativpreises für die verwerflichsten Beispiele von Politikbeeinflussung abstimmen. Der "Worst EU Lobbying Award" wird an Unternehmen, Lobbygruppen oder Einzelpersonen vergeben, die besonders zweifelhafte und irreführende PR-Praktiken anwenden. Ebenso ist eine "Auszeichnung" für eine Person in einer der EU-Institutionen vorgesehen, deren Hintergrund, Nebenjobs oder Verbindungen zu Interessengruppen besonders große Bedenken über ihre Unabhängigkeit verursachen. Im letzten Jahr wurden unter anderem BMW, Daimler und Porsche für ihre Aktivitäten gegen CO2-Emissionsgrenzwerte für Pkw "geehrt". Den Preis für das schlimmste Greenwashing bekam das Deutsche Atomforum für seine "schamlose Internetseite" über den angeblichen Beitrag der Atomenergie zum Klimaschutz. www.worstlobby.eu/2008, DNR-Informationen, Oktober 08, S. 24.
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EU subventioniert Dürre Nach Informationen des WWF hat die EU in den letzten sechs Jahren 5,4 Milliarden Euro an Subventionen in das ökologisch unverantwortliche und ökonomisch defizitäre spanische Wassermanagement gepumpt. Die Summe setzt sich aus 3,7 Milliarden Euro Strukturfonds- und 1,7 Milliarden Euro Kohäsionsfondsmitteln zusammen. Hinzu kamen in den Jahren 2005 bis 2007 jeweils 800 bis 900 Millionen für die wasserintensive Baumwollproduktion. Durch Verschwendung, illegalen Raubbau und Missmanagement trocknet die Agrarindustrie seit Jahren Spaniens Flüsse und Feuchtgebiete aus, der Grundwasserspiegel sinkt. Der WWF fordert, Subventionen aus dem EU-Haushalt nur für eine Landwirtschaft auszugeben, die konsequent auf ein nachhaltiges Bewässerungssystem setzt.
Die EU-Kommission hatte im Juli 2007 eine Mitteilung zu Wasserknappheit und Dürre herausgegeben. Anfang September 08 nahm der Umweltausschuss des Europaparlaments nun einen Bericht dazu an. Danach wohnt ein Fünftel der EU-Bürger in Gebieten mit Wasserproblemen. 40 Prozent des Wasserverbrauchs in der EU könnten eingespart werden und 20 Prozent des Wassers werde auf Grund von ineffizienter Nutzung verschwendet. Der Bericht rät, die Wasserwirtschaftspolitik ausschließlich im Zuständigkeitsbereich der einzelnen EU-Mitgliedstaaten zu belassen, und fordert eine Ergänzung des EU-Systems für Energieeffizienzkennzeichnung um einen Hinweis auf den Wasserverbrauch. Der Parlaments-Berichterstatter Richard Seeber warnte vor einer kommenden Wasserknappheit und den wirtschaftlichen Folgen für weite Teile Europas. Seeber betonte, Wasser müsse ein Hauptthema auf der politischen Agenda und Bestandteil aller politischen Programme werden. WWF, Fachbereich Süßwasser, www.wwf.de/suesswasser; www.kurz!ink.de/eu-wasserknappheit, DNR-Informationen, Oktober 08, S. 27.
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Schweiz prüft EU-Abkommen im Bereich Chemikalien Seit langem ist bekannt, dass die schweizerische Chemieindustrie massiv betroffen ist von der Einführung der neuen EU-Chemikalienverordnung «Reach». Das neue EU-Recht bringt eine massive Verschärfung der Registrierungspflichten für die Chemie. Bisher waren das schweizerische und das europäische Recht weitgehend harmonisiert, aber mit Inkrafttreten des neuen EU-Registrierungsverfahrens (per 1. Juni 2008) sind neue technische Handelshemmnisse entstanden. Einerseits lockert «Reach» die Vorschriften für neu auf den Markt gebrachte Stoffe. Anderseits müssen die Hersteller bzw. Händler für Altstoffe neue Daten über die Gefährlichkeit liefern, was eingespielte Handelsströme tangiert. Der Bundesrat befürchtet zudem, dass das Schutzniveau in der Schweiz längerfristig hinter dem EU-Niveau zurückbleibt. So hat die Schweiz keinen direkten Zugriff auf die EU-Registrierungsdaten, etwa über die Gefährlichkeit eines Stoffs.
Aus diesem Grund will der Bundesrat die Möglichkeiten und Rahmenbedingungen einer Zusammenarbeit mit der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) abklären. Mit anderen Worten: Es wird der Abschluss eines EU-Abkommens geprüft. Dazu sollen exploratorische Gespräche aufgenommen werden. Parallel dazu sei eine Überprüfung des schweizerischen Chemikalienrechts angezeigt. Ferner richtet der Bundesrat für die Kleinunternehmen ein «Reach»-Helpdesk ein. Während nämlich Grossunternehmen die Umstellung auf «Reach» notgedrungen von langer Hand vorbereitet haben, sind die komplexen Anforderungen für KMU eine «Herausforderung», wie der Bundesrat sich ausdrückt. NZZ, 30. Oktober 2008, S. 25
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Neue bilaterale Verhandlungen Schweiz – EU Die Mitgliedstaaten der EU haben die EU-Kommission am 20. Oktober 08 ermächtigt, mit der Schweiz Verhandlungen über den Ausbau der Zusammenarbeit und die Beseitigung technischer Handelshemmnisse in den Bereichen Gesundheit, Konsumentenschutz, Tier- und Pflanzengesundheit, Tierschutz und Lebensmittelsicherheit aufzunehmen. Da die EU für die weitere Liberalisierung des Agrarhandels bereits seit 2003 ein Mandat hat und der Bundesrat in diesem Jahr ein gemeinsames Verhandlungsmandat für den Freihandels- und den Gesundheitsbereich (einschliesslich Lebensmittel- und Produktsicherheit) verabschiedet hat, sind nun beide Seiten bereit für Verhandlungen, die noch in diesem Jahr beginnen sollen.
Zwar bestehen bereits ein bilaterales Agrarabkommen von 1999 und ein Protokoll zum Freihandelsabkommen, das den landwirtschaftlichen Verarbeitungsprodukten gewidmet ist. Doch diese haben den Handel mit Agrargütern und Lebensmitteln im Gegensatz zu jenem mit Industriegütern erst teilweise geöffnet. Mit den neuen Verhandlungen strebt die „Schweiz“ einen «umfassenden» Agrar- und Lebensmittel-Freihandel an. Dies bedeutet erstens, dass neben den landwirtschaftlichen Rohstoffen (z. B. Milch) auch Produkte der vorgelagerten Stufe (Dünger, Maschinen) und der nachgelagerten Verarbeitungsstufe (Joghurt, Schokolade) einbezogen werden. Zweitens sollen sämtliche tarifären Handelshemmnisse (Zölle, Kontingente, Exportsubventionen) aufgehoben werden, zu verhandeln wäre über Übergangsfristen. Drittens sollen auch nichttarifäre Handelshemmnisse abgebaut werden, wie sie sich etwa aus unterschiedlichen Vorschriften über Herstellung, Kennzeichnung und Zulassung von Produkten ergeben. Unklar ist, wie weit auch die EU dieses breite, über den klassischen Freihandel hinausgehende Schweizer Konzept teilt. Ist der geplante Agrarfreihandel in der Schweiz Gegenstand heftiger öffentlicher Debatte, warf er in der EU bisher kaum Wellen. Dies hat zunächst mit den Grössenordnungen zu tun:
Während laut einem Merkblatt des Schweizer Integrationsbüros 2007 71 % der Schweizer Exporte von Agrargütern und Lebensmitteln in die EU flossen und 76% der Importe von dort stammten, betrug umgekehrt der Anteil der Schweiz an den EU-Ausfuhren von Agrargütern und verarbeiteten Agrarprodukten laut der EU-Kommission nur 6,5-7% und jener an den Einfuhren 3,5-4% (mit einem sektoralen Handelsbilanzüberschuss der EU). Zudem hätte die „Öffnung“ wegen der Angleichung der Preise an das tiefere EU-Niveau nach Einschätzung des Bundesrats einen Einkommensrückgang in der Schweizer Landwirtschaft zur Folge, was insgesamt politisch heikel ist.
Beide Seiten wollen die Verhandlungen im Agrarbereich eng mit jenen in den Bereichen Gesundheit (Schwerpunkt Infektionskrankheiten), Lebensmittelsicherheit und Produktsicherheit koordinieren. Auch wenn dies nicht zwingend in ein einziges Abkommen münden wird, bestehen zwischen den einzelnen Feldern enge Beziehungen. Zum einen bilden unterschiedliche Regeln zur Lebensmittelsicherheit technische Handelshemmnisse, zum andern legen die Marktöffnung und der zunehmende Waren- und Personenverkehr eine Kooperation nahe. Ohne diese hätte das seit einigen Jahren im Aufbau befindliche EU-Sicherheits-System in diesen Bereichen wegen der geografischen Lage der Schweiz in seiner Mitte eine für beide Seiten unangenehme Lücke. BSE, Sars und Vogelgrippe haben illustriert, wie wichtig internationale Zusammenarbeit ist. Zu den Zielen im Gesundheitsbereich gehört deshalb insbesondere die Teilnahme der Schweiz an den einschlägigen Agenturen und Frühwarnsystemen der EU bzw. des EWR (vgl. Kasten). In der Öffentlichkeit bekannt sind etwa die Agentur für Lebensmittelsicherheit (EFSA), die zum Beispiel Risikoanalysen über gentechnisch veränderte Organismen (GVO) erstellt, und das Schnellwarnsystem RAPEX, das etwa über gefährliches Spielzeug aus China informiert hat.
Zusammengenommen gibt es einen umfangreichen EU-Rechtsbestand «Acquis communautaire», der für die Verhandlungsgegenstände relevant ist. Zwar geht es nicht um die Übernahme der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU, da nicht über die interne Landwirtschaftspolitik verhandelt wird. Doch allein im Lebensmittelbereich gibt es über 150 EU-Richtlinien, -Verordnungen und -Entscheide, die die Schweiz wohl weitgehend übernehmen müsste. Vieles davon hat sie auf Basis bestehender Verträge oder autonom ohnehin schon nachvollzogen. Zum einschlägigen EU-Acquis gehören aber auch heiklere Bereiche wie etwa ein Werbeverbot für Tabak in Printmedien, das GVO-Zulassungs-Verfahren und Tierschutzbestimmungen. Zwar geht die Schweiz davon aus, dass die Zulassung von GVO zum Anbau nicht zum relevanten Acquis zählt und ihr Anbau-Moratorium kein Verhandlungsthema sein wird. Doch auch bei der Zulassung gentechnisch veränderter Lebens- und Futtermittel zur Vermarktung ist sie bis jetzt strenger als die EU.
In einigen sensiblen Bereichen wie der GVO-Marktzulassung oder gewissen Tierschutzverordnungen strebt Bern Sonderregelungen an. Wieweit dies gelingen wird, bleibt abzuwarten, da die EU die Teilnahme an immer weiteren Politikbereichen zunehmend von der vollen Übernahme des jeweiligen Acquis abhängig macht. Zudem muss eine Lösung gefunden werden für die künftige Weiterentwicklung dieses Acquis. Die Schweiz lehnt die automatische Übernahme von neuem EU-Recht stets ab, doch hat auch sie ein Interesse an einer raschen Anpassung. Schliesslich dürfte sie einen Beobachterstatus in einschlägigen Gremien beanspruchen; zum Beispiel im Verwaltungsrat der EFSA oder in den diversen Expertenausschüssen der Mitgliedstaaten, die in Zusammenarbeit mit der Kommission Entscheide (etwa über GVO-Zulassungen auf Basis der EFSA-Analysen) treffen. Die Eidgenossenschaft hätte damit Zugang zur Information, und sie könnte mitreden, nicht aber mitentscheiden.
Wo die „Schweiz“ mitmachen will
Das oder die geplanten Abkommen sollen der Schweiz die Teilnahme an folgenden EU-Agenturen und -Systemen ermöglichen:
Europäisches Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC): Risikobewertung und -kommunikation für übertragbare Krankheiten. Sitz: Stockholm.
Early Warning and Response' System (EWRS): Informationsaustausch über übertragbare Krankheiten und über Gegenmassnahmen.
Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA): Risikobewertung im Bereich Lebens- und Futtermittelsicherheit, Sitz: Parma.
Rapid Alert System für Food and Feed (RASFF) und Rapid Alert System für Non Food Consumer Products (RAPEX): Schnellwarnsysteme für Lebens- und Futtermittel bzw. Non-Food-Konsumprodukte, Informationsaustausch über gefährliche Produkte/Gegenmassnahmen.
NZZ, 22. Oktober 2008, S. 27
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