Hilfe für Entwicklungsländer Nach Ansicht der EU-Finanzminister ist die EU auf gutem Weg, ihre Finanzierungsversprechen für Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen in Entwicklungsländern zu erfüllen. Die EU-Staaten zahlten dafür 2010 rund 2,2 Milliarden Euro. Die Maßnahmen sind Teil der Kopenhagener Klimavereinbarungen vom Dezember 2009. Allerdings hatte sich die EU darin verpflichtet, 7,2 Milliarden bis 2012 bereitzustellen und liegt damit um 200 Millionen Euro hinter die Zielmarke zurück.
Die Entwicklungsorganisation Oxfam kritisierte, die EU habe nicht einmal auf dem Papier ihr Versprechen erfüllt. Ohnehin sei fraglich, ob ein Teil der Gelder nicht durch bloße Umwidmung von bereits eingeplanter Entwicklungshilfe zustande komme. Der "Copenhagen Accord" verlangt neue, zusätzliche Mittel. Der von den Finanzministern angenommene Bericht gibt dazu keine Auskunft. Das europäische Klimaaktionsnetzwerk CAN forderte deshalb eindeutige Informationen in dem EU-Bericht. www.kurzlink.de/oxfamkom ; umwelt akutell, Februar 2011, S. 12
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Euro? Nein danke! Deutschland drängt auf eine Ausweitung der Eurozone. Doch in Osteuropa winken viele Regierungen ab - aus gutem Grund.
VON TOMASZ KONICZ, POZNAN
Zum Jahreswechsel bekam die krisengeschüttelte europäische Währungsfamilie Zuwachs: Am 1. Januar trat das nur 1,34 Millionen EinwohnerInnen zählende Estland der Eurozone bei. Doch in den Jubel an den Euro- und Silvesterpartys mischte sich auch eine grosse Portion Skepsis. Während estnische SpitzenpolitikerInnen Optimismus verbreiten, ist die Bevölkerung laut Umfragen in zwei etwa gleich grosse Lager gespalten. Der Euro sei ein „komfortables und unsinkbares Schiff“, sagte etwa der Flnanzminister Jürgen Ligi, es sei «gemütlich und warm in der Eurozone». Die euroskeptische Bewegung «Rettet die Krone» griff das Bild auf und pflasterte die Hauptstadt Tallin mit Plakaten zu: «Tere tulemast Titanicule!» war da zu lesen: Willkommen auf der Titanic.
Unerträgliche Zinslast
Neben der nationalistisch begründeten Sorge um die 1991 errungene staatliche Souveränität spielt auch die Furcht vor dauerhaftem Verlust geldpolitischer Handlungsspielräume eine Rolle. In den Krisenjahren 2008 und 2009, in denen die estnische Wirtschaft einen Einbruch von fast einem Fünftel des Bruttoinlandsprodukts erlebte, wurde in der Öffentlichkeit die Abwertung der Krone gefordert, um die Exportindustrie zu stützen. Das war aber schon damals nicht möglich - Estland sass bereits im «Wartezimmer» des Euro und war an den Mechanismus gebunden, der keine grösseren Schwankungen zwischen dem Euro und der Währung von BeitrittskandidatInnen erlaubt.
Die BefürworterInnen der Gemeinschaftswährung argumentierten hingegen, dass gerade die feste Bindung der Krone an den Euro ausländische Direktinvestitionen ins Land locken würde, da Währungsschwankungen ausgeschlossen sind. Zudem hätten viele EstInnen während der Zeit, als im Baltikum die Immobilienspekulation blühte, die der Region vor Krisenausbruch eine Periode stürmischen Wachstums bescherte, Kredite und Hypotheken in Euro aufgenommen, da diese niedrigere Zinsen aufwiesen. Die Auslandsverschuldung in diesen Eurohypotheken erreichte einen Spitzenwert von 116 Prozent des Bruttoinlandsprodukts; eine Abwertung der Krone hätte die Zinslast ins Unerträgliche gesteigert.
Polen und Tschechien sträuben sich
Ähnliche Argumente für und wider einen Beitritt zur Eurozone werden in jenen mittelosteuropäischen Staaten angeführt, die sich mit dem Beitritt zur EU auch zur Übernahme des Euro verpflichteten. Dabei überwiegt die Euroskepsis insbesondere in den Ländern, die sich - wie Estland oder Lettland - vor Krisenausbruch nicht exzessiv verschuldet hatten. In der Slowakei, die Anfang 2009 der Eurozone beitrat, führte die Griechenlandkrise zum endgültigen Meinungsumschwung. Die Regierung in Bratislava weigerte sich im August 2010 sogar, 800 Millionen Euro zum Rettungspaket für Griechenland beizusteuern. Und im Dezember sorgte der slowakische Parlaments sprecher Richard Sulik für Schlagzeilen, als er sich in der «Hospodarske Noviny» für einen geldpolitischen «Plan B» aussprach: «Es ist höchste Zeit, dass die Slowakei aufhört, blind den Führern der Eurozone zu vertrauen, und einen Plan B vorbereitet - eine Rückkehr zur Slowakischen Krone.»
Laut der tschechischen Tageszeitung «Lidove Noviny» vom 11.
Dezember 2010 drängt die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel die Regierungschefs von Polen und Tschechien, Donald Tusk und Petr Necas, seit Herbst zum baldigen Beitritt in die Eurozone. Deutschland wolle so den «verantwortlich wirtschaftenden Norden» gegenüber dem «verschwenderischen Süden» stärken. Doch es dürfte gerade das Beispiel der Handels- und Leistungsbilanzdefizite der südeuropäischen Euroländer gewesen sein, das Prag und Warschau zu einer Distanzierung gegenüber der Eurozone bewegte. Jedenfalls wäre für Necas die Übernahme des Euro zum jetzigen Zeitpunkt eine «ökonomische und politische Dummheit». Den Unwillen der polnischen Regierung, die weitaus diplomatischer formuliert, brachte der polnische Zentralbankpräsident Marek Belka auf den Punkt: Der Euro sei ein «ambitioniertes, aber unfertiges Projekt». Inzwischen haben auch Ungarn, Rumänien und Bulgarien ihre Pläne für einen baldigen Beitritt zur Eurozone auf Eis gelegt.
Und so weigern sich die Regierungen von Polen und Tschechien standhaft, einen Zeitrahmen für einen Eurobeitritt zu nennen. Ein Grund dafür sind die Erfahrungen, die die Volkswirtschaften dieser beiden Staaten in der Krise machten. Die Abwertung ihrer Währungen um bis zu dreissig Prozent hat die heimische Ökonomie vor einem Absturz bewahrt: Sie verteuerte vor allem die deutschen Importe und erleichterte die Ausfuhr polnischer und tschechischer Waren in den Euroraum.
Deutsche Dominanz
Und noch eine Erfahrung erklärt die Abwehr- haltung. Von der Osterweiterung der EU profi- tierte vor allem die deutsche Exportindustrie. In vielen Branchen – etwa im Verlagswesen oder im Einzelhandel - konnten deutsche Konzerne zwischen Baltikum und Schwarzem Meer eine dominante Stellung erringen. Und für den deutschen Automobil- und Maschinenbau wurde die Region zur «verlängerten Werkbank».
So entfielen 2008 mehr als acht Prozent aller deutschen Direktinvestitionen im Ausland auf die östlichen EU-Mitgliedsländer. Zum Vergleich: Nur 3,5 Prozent der Direktinvestitionen gingen nach Lateinamerika und gerade mal 2 Prozent nach China. Auch bei der deutschen Warenausfuhr liegt Mittel- und Osteuropa vorn. Mit 12,4 Prozent aller Exporte nahm die Region 2008 mehr deutsche Waren auf als die USA (7,2 Prozent), Russland (4,5 Prozent) oder China (3,4 Prozent). Ein Beitritt zur Eurozone, so die Befürchtung, würde diese Tendenz noch beschleunigen. WoZ, 3. Februar 2011, S. 11
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Wehret dem EU-Recht! Am 7. Februar 2011, einen Tag vor dem hochrangigen Treffen Schweiz - EU in Brüssel sprach der Gewerkschaftsbund sich gegen eine dynamische Rechtsübernahme aus. Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) sagte an einer Medienkonferenz in Bern einer Aufweichung der flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit vorsorglich den Kampf an. Abstriche am Lohnschutz seien nicht verhandelbar, teilte der SGB im Communiqué mit.
Die Schweiz hatte bei der Öffnung des Arbeitsmarktes für EU-Bürger Schutzmassnahmen getroffen. Dazu gehören Lohn- und Arbeitszeitvorschriften, Kautionen, gesetzliche Mindestlöhne für bestimmte Branchen oder Voranmeldefristen. Die Gewerkschaften befürchten nun, dass diese Errungenschaften durch die von der EU geforderte Dynamisierung der bilateralen Verträge in Frage gestellt werden könnten.
Unter Dynamik verstehen die EU-Diplomaten in diesem Zusammenhang: Die Basis der Verträge ist das EU-Recht, und die Schweiz soll den evolvierenden Acquis kontinuierlich ins Landesrecht umsetzen. Zudem soll ein Gericht die Anwendung der Verträge beurteilen können. Je nach institutionellem Arrangement würde dann beispielsweise der Gerichtshof der EU eine flankierende Massnahme als unvereinbar mit dem Freizügigkeitsabkommen bezeichnen.
Der Gerichtshof der EU ist den Gewerkschaften ein Dorn im Auge. In den vergangenen Jahren haben die Richter in Luxemburg mehrere Urteile gefällt, welche die Grundfreiheiten (Niederlassungsfreiheit, Dienstleistungsfreiheit) stärker gewichteten als die Grundrechte (Lohnschutz, Streikrecht). Der SGB sieht das Grundprinzip der flankierendem Massnahmen – gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort – durch die europäische Rechtsprechung in Gefahr. Damit dürfte er nicht unrecht haben; die anderen Sozialpartner in den betroffenen Branchen befürchten dasselbe. Eine Neuverhandlung der Personenfreizügigkeit steht nicht auf der Agenda des Bundesrats. Die EU hat der Schweiz aber angetragen, die Unionsbürgerrichtlinie zu übernehmen. Dabei geht es um den Zugang von Nichterwerbstätigen zu den Sozialwerken.
Der Bundesrat hatte sich kürzlich für einen «gesamtheitlichen und koordinierten Ansatz in der Europapolitik» ausgesprochen. Das kann viel heissen. Im Minimum bedeutet es, dass die Landesregierung nicht unabhängig von wichtigen Dossiers (Strom, Steuern usw.) über institutionelle Mechanismen verhandeln will. Dabei geht es primär um neue Dossiers (Lebensmittel, Strom). Wenn der SGB jetzt vor einer rückwirkenden Dynamisierung bestehender Verträge (Freizügigkeitsabkommen) warnt, denkt er weit über Calmy-Reys Brüssel-Reise hinaus – aber nicht unbedingt zu weit.
Der SGB unterliess es nicht, die Spitzengespräche in Brüssel innenpolitisch zu verwerten. Die Kautionspflicht für in- und ausländische Dienstleistungsbetriebe, die für Maler oder Gerüstbauer besteht, müsse auf andere Branchen ausgedehnt werden. Weiter verlangt der SGB eine Voranmeldepflicht für ausländische Selbständige, eine schwarze Liste der Subunternehmer oder eine Umkehr der Beweislast für die Selbständigkeit. Die Gewerbetreibenden ennet des Rheins, die gegen die Kautionspflicht oder die Voranmeldung kämpfen, würden gegen solche Massnahmen selbstverständlich Sturm laufen und in Brüssel noch stärker lobbyieren. NZZ, 8. Februar 2011, S. 9
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Interpretation des Drucks der EU auf die Schweiz bezüglich Übernahme von EU-Recht Gemäss NZZ vom Sonntag passt vielen EU-Mitgliedern nicht, dass die Schweiz einen Sonderzug fährt. Besonders den neuen Oststaaten, die bei ihrem Beitritt den gesamten EU-Rechtsbestand, den Acquis Communautaire, vollständig übernehmen mussten. Die Kommission will verhindern, dass innerhalb der EU antieuropäische Kräfte gestärkt werden - etwa im Nachbarland Österreich. Auch in Norwegen gibt es bereits eine Bilaterismus-Bewegung. Der Druck der EU sei vor allem politisch motiviert, betont denn auch die Schweizer Seite. .In der Praxis funktionierten die Bilateralen nach wie vor einwandfrei, heisstes bei den Experten des Bundes. NZZ am Sonntag, 13. Februar 2011, S. 25
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