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Kurzinfos Mai 2016Kroatien-Protokoll: Bundesamt für Justiz will Verfassung achten
Die Aussenpolitische Kommission des Ständerates in der letzten Mai-Woche 2016 eine Sondersitzung abgehalten und ihre Zustimmung zum Kroatien-Protokoll an die Bedingung geknüpft, dass zum Zeitpunkt der Ratifikation eine mit der EU ausgehandelte Regelung zur Steuerung der Zuwanderung besteht, die mit der Bundesverfassung vereinbar ist. Die Kommission stützte sich auf ein von ihr angefordertes Gutachten des Bundesamts für Justiz (BJ). Im Gegensatz zu manchen euronationalen JusprofessorInnen erachtet es das Bundesamt für Justik als nötig, die Verfassung zu achten.
Die Kommission setzt damit strengere Massstäbe an als der Bundesrat. Die Ratifikation sei auch möglich, sagte Justizministerin Simonetta Sommaruga, «wenn eine verfassungsmässige Umsetzung in Aussicht steht», aber noch keine Ausführungsgesetzgebung vorliege. Forschungsminister Johann Schneider-Ammann sagte im NZZ-Interview, es genüge, wenn im Februar eine einvernehmliche Lösung «in Sicht» sei.
Ist die Kroatien-Erweiterung nicht bis am 9. Februar 2017 vollzogen, scheidet die Schweiz automatisch aus dem EU-Forschungsprogramm «Horizon 2020» aus. Mittelfristig wäre der bilaterale Weg am Ende. Der Zuwanderungsartikel 121a besagt zudem, dass keine völkerrechtlichen Verträge abgeschlossen werden dürfen, die den Verfassungsbestimmungen über die Steuerung der Zuwanderung widersprechen.
Für das BJ ist das Kroatien-Protokoll eindeutig ein neuer völkerrechtlicher Vertrag. Dem haben unter anderem die Rechtsprofessoren Astrid Epiney (Freiburg) und Thomas Cottier (Bern) widersprochen. Es handle sich nur in formeller Hinsicht um einen neuen Vertrag, der die Verhandlungen mit der EU nicht präjudiziere. Laut ihnen hätte die Schweiz das Protokoll bereits vor zwei Jahren ratifizieren können.
Anders als die Professoren unterscheidet das BJ die Unterzeichnung, die parlamentarische Genehmigung und die Ratifikation durch die Regierung. Mit jedem Schritt steigen die Anforderungen, sei es wegen des Grundsatzes von Treu und Glauben im internationalen Recht oder wegen Artikel 121a der Bundesverfassung. Das BJ wägt ab, ob die Schweiz zu diesem oder jenem Zeitpunkt mit einer Unterzeichnung treuwidrig gehandelt hätte. Oder ob genug «Signale» für eine einvernehmliche Lösung vorlagen, so dass die Unterschrift verfassungskonform gewesen wäre.
Was die Ratifikation des Protokolls durch den Bundesrats betrifft, bleibt das Gutachten hingegen vage und abstrakt. «Im Zeitpunkt der Ratifikation» müsse der Konflikt zwischen dem Freizügigkeitsabkommen (FZA) und der Bundesverfassung aufgelöst werden, entweder durch eine Verfassungsänderung (dazu reicht die Zeit nicht) oder durch «eine einvernehmliche Lösung zum FZA».
In der zweiten Jahreshälfte wird generell zu beurteilen sein, ob ein allfälliges Verhandlungsergebnis verfassungskonform ist, ob bloss «die Aussicht» auf ein solches genügt und in welcher Form die Vereinbarung akzeptabel ist. Kommt es zu Verzögerungen, ist das an sich kein Problem. Der Bundesrat würde auf dem Verordnungsweg eine Überbrückung leisten. Und beim Kroatien-Dossier wäre eine Zeitbombe zu entschärfen – vielleicht mit einem Rechtsgutachten. NZZ, 28. Mai 2016, S. 15
Griechenland: Freie Bahn für Privatisierungen Noch vor wenigen Jahren wehrte sich Athen gegen den Ausverkauf «öffentlicher Heiligtümer». Nun stellt man solche Rhetorik hintan und ebnet den Weg für 19 grosse Privatisierungsvorhaben. Alexis Tsipras wurde Ministerpräsident Griechenlands unter anderem mit dem Versprechen, den Ausverkauf des Tafelsilbers zu beenden. Im Amt machte er mehrmals deutlich, dass er Privatisierungen staatlichen Eigentums missbillige. Damit ist jetzt Schluss. Vor zwei Tagen hat das Kabinett den Asset Development Plan (ADP) der Privatisierungsbehörde Taiped einstimmig genehmigt. In diesem Plan wird die Prozedur für 19 grosse Privatisierungsvorhaben festgelegt. Zu den Objekten zählen Staatsunternehmen wie die Elektrizitätsgesellschaft PPC und die Wassergesellschaften von Athen (Eydap) und Thessaloniki (EYATH). Sie waren früher von Tsipras und seiner Partei in den Status «öffentlicher Heiligtümer» erhoben wurden.
Laut Privatisierungsplan sollen 17% der PPC-Aktien verkauft werden, der Anteil des Staates soll so auf 34% fallen, von heute 51%. Die zwei Wassergesellschaften sollen zunächst teilprivatisiert werden; Aktienpakete im Umfang von 23% werden zum Verkauf angeboten. Zu den Privatisierungsobjekten zählen ferner die Gasgesellschaft Depa, der Staatsanteil an der Hellenic Petroleum (35%) und die Egnatia-Autobahn.
Von Interesse ist, dass im Regierungsanzeiger nicht nur der Akt der Genehmigung, sondern auch der Plan vollumfänglich und mit genauer Auflistung aller Massnahmen veröffentlicht wurde. Dies führen Regierungsquellen auf das Drängen der misstrauischen Gläubiger zurück. Denn die Annahme eines identischen ADP der Taiped war bereits im Juli 2015 Voraussetzung für einen Kreditvertrag. Die Regierung tat dies zwar und genehmigte den ADP als Anhang des Kreditvertrags. Sie behauptete danach aber, dass man sich nur auf 9 Privatisierungen geeinigt habe, und verneinte, dass sie den genannten Vorhaben zugestimmt habe. Noch bei der Parlamentsdebatte um die «prior actions» weigerte sich der Finanzminister, die Liste mit den vereinbarten Privatisierungen zu präsentieren. Die Veröffentlichung des ADP im Regierungsanzeiger ist deshalb für die Wirtschaft ein starkes Signal, dass sich die Regierung den Realitäten angepasst hat. Es darf vorangehen mit den Privatisierungen. NZZ, 27. Mai 2016
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Hilfsprogramm 2016 für Griechenland Die in der Nacht auf Mittwoch, den 25. Mai 2016, erzielte Verständigung zwischen den Finanzministern der Euro-Staaten (Euro-Gruppe) und dem Internationalen Währungsfonds (IMF) über das weitere Vorgehen bei der Umsetzung des dritten Hilfsprogramms für Griechenland ist in den Hauptstädten und von den Märkten mit Erleichterung aufgenommen worden. Man sei in einer schwierigen Situation zu einem guten Ergebnis gekommen, sagte der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble. Doch was wurde eigentlich beschlossen?
Vorbehaltlich einiger letzter, eher formaler Schritte werden die Euro-Staaten eine nächste Kredittranche im Umfang von 10,3 Mrd. € aus dem bis zu 86 Mrd. € schweren Programm des Euro-Krisenfonds ESM freigeben. Eine erste Subtranche von 7,5 Mrd. € soll im Juni ausbezahlt werden, die übrigen Auszahlungen folgen nach der Sommerpause. Damit erhält die griechische Regierung gerade noch rechtzeitig vor den im Juli anstehenden hohen Rückzahlungen alter Schulden frisches Geld. Mit dem Rest der Tranche kann und muss sie einige ihrer Zahlungsrückstände gegenüber Lieferanten u. Ä. begleichen.
Poul Thomsen, der Europachef des IMF, erklärte nach der Sitzung vor den Medien, das Management des IMF wolle dessen Exekutivdirektorium empfehlen, vor Ende Jahr eine finanzielle Beteiligung gutzuheissen. Der Betrag steht noch nicht fest. Bis jetzt wird das 2015 beschlossene dritte Hilfsprogramm ausschliesslich vom ESM finanziert, der IMF hat nur zu den ersten beiden Programmen beigetragen.
Für eine Reihe von Euro-Staaten ist aber die Beteiligung des IMF eine Bedingung für die Fortsetzung der Hilfe, obwohl man dessen Geld gar nicht nötig hätte. Doch sie fürchten, dass die Europäer die in Griechenland nötigen Reformen im Alleingang schlechter durchsetzen könnten. Allerdings betonte Thomsen, der IMF werde vor einem Beschluss über seine Beteiligung prüfen, ob die von den Euro-Staaten geplanten Schuldenerleichterungen das Ziel erreichen könnten.
Griechenland hatte per Ende 2015 eine staatliche Bruttoverschuldung von 177% des Bruttoinlandprodukts (BIP), wovon ein grosser Teil auf bisherige Hilfskredite entfällt. Während in den nächsten Jahren relativ geringe Zins- und Rückzahlungen anfallen, droht die Belastung in späteren Jahren sehr hoch zu werden. Damit ist die Schuldentragfähigkeit – die Fähigkeit des Staats, seine Schulden jederzeit zu bedienen – gefährdet. Die Euro-Staaten haben 2015 versprochen, nach Abschluss der ersten Überprüfung des Programms Massnahmen zur Erleichterung dieser Schuldenlast zu prüfen. Dieser Zeitpunkt ist nun gekommen.
Auch darf der IMF nur Programme finanzieren, wenn die Schuldentragfähigkeit gegeben ist. Er hat stets auf Schuldenerleichterungen gedrängt. Dies umso mehr, als er die künftige wirtschaftliche und finanzpolitische Entwicklung in Griechenland pessimistischer einschätzt als die Europäer. Der IMF wird aber selbst keine Erleichterungen gewähren; nur die griechische Schuldenlast gegenüber den europäischen Kreditgebern soll leichter werden.
Die Euro-Staaten haben eine Art Fahrplan für den Umgang mit der Schuldenfrage sowie Ziele und Methoden hierzu vereinbart. Kurzfristig werden nur kleinere Schritte zur Verbesserung des Schuldenmanagements vorgenommen. Weitergehende Erleichterungen sollen – falls nötig – mittelfristig, nach einem erfolgreichen Abschluss des bis Juli 2018 laufenden Programms, gewährt werden. Zu den Massnahmen, die dann geprüft werden, gehören unter anderem die Verlängerung von Laufzeiten und Rückzahlungsfristen der europäischen Kredite aus dem zweiten Hilfsprogramm sowie die Deckelung und der Aufschub ihrer Zinsen. Ein nominaler Schuldenschnitt (Haircut) bleibt ausgeschlossen.
Erklärtes Ziel ist es, den griechischen Bruttofinanzierungsbedarf für Zinsen und Rückzahlungen mittelfristig unter 15% und danach unter 20% des BIP zu halten. Für die längere Frist sagt die Euro-Gruppe zudem zu, falls nötig auch nach Abschluss des Programms weitere Schuldenerleichterungen zu prüfen.
Wie bei jedem Kompromiss haben alle Beteiligten Zugeständnisse gemacht. Griechenland hat nicht nur ein Paket von Austeritäts- und Reformmassnahmen verabschieden müssen, sondern auch noch einen ungeliebten «Notfallmechanismus», der zusätzliche Massnahmen auslöst, sollte es Haushaltsziele verfehlen. In den letzten Phasen der Verhandlungen stand es aber an der Seitenlinie, während das eigentliche Tauziehen zwischen dem IMF und den Europäern stattfand.
Der wichtigste Gegenspieler der IMF-Chefin Christine Lagarde war Schäuble: Er pochte einerseits besonders vehement auf eine Teilnahme des IMF, sperrte sich aber anderseits am längsten gegen die von diesem geforderten Schuldenerleichterungen. Er hat nun erreicht, dass konkrete Beschlüsse zu Letzterem erst 2018 gefällt werden. Damit soll der „Reformdruck“ auf Griechenland aufrechterhalten werden – und es können heikle Entscheide auf die Zeit nach der Bundestagswahl von 2017 verschoben werden.
Schäuble musste aber schlucken, dass die dann anzuwendenden Ziele und Methoden schon recht konkret festgelegt worden sind. Der IMF wiederum musste sich unter anderem damit zufriedengeben, dass die Schuldenerleichterungen grösstenteils erst 2018 statt wie von ihm verlangt im Voraus beschlossen werden.
Mit der Einigung und der bevorstehenden Auszahlung einer Kredittranche sind wohl ein neuer Krisensommer und eine Zahlungsunfähigkeit Griechenlands im Juli abgewendet. Aber die Beteiligung des IMF kann immer noch scheitern. Auch sind für die Schuldenerleichterungen erst Methoden und Ziele vereinbart worden. Beim 2018 anstehenden Beschluss über die konkreten Massnahmen kann es zu neuen Friktionen unter den Euro-Staaten und mit dem IMF kommen.
Auch bleibt abzuwarten, wieweit die griechische Regierung die vereinbarten Reformen angesichts grosser innenpolitischer Widerstände umsetzen wird. Die Hilfskredite können im besten Fall die hierzu nötige Zeit kaufen, die Sanierungsarbeit kann den Griechen aber niemand abnehmen. NZZ, 26. Mai 2016, S. 27.
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Streit um EU-Verhandlungen CVP, FDP und SVP werfen dem Bundesrat vor, er verhandle mit Brüssel heimlich über ein Rahmenabkommen. Dass der Bundesrat zwei Jahre lang «die Sache verschwiegen» habe, sei «skandalös», sagte CVP-Aussenpolitikerin Kathy Riklin am 22. Mai 2016 in der «SonntagsZeitung». Wie die Zürcher Nationalrätin jüngst in Brüssel erfahren habe, müssten die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative und ein institutionelles Rahmenabkommen eine Einheit bilden. Das hätten ihr offizielle Vertreter der zuständigen europäischen Gremien klar gemacht. Die EU sei nur zu einer Lösung bereit, wenn die Schweiz gleichzeitig akzeptiere, dass europäische oder gemeinsame Gerichte die Einhaltung der bilateralen Verträge überwachten, so Riklin. Für die SVP sind die angedachten Gremien aber schlicht «fremde Richter», die sie bekämpfen will. Deshalb sehen die Bürgerlichen ihren Plan gefährdet, die beiden Fragen auseinanderzuhalten und einen institutionellen Rahmenvertrag erst nach einer erfolgreichen Abstimmung über die Weiterführung der Personenfreizügigkeit ins Auge zu fassen.
Bei der nächsten Sitzung der Aussenpolitischen Kommission (APK) des Nationalrats Ende Juni soll sich der Bundesrat erklären. Kommissionspräsident Roland Rino Büchel (SVP) sagte der «SonntagsZeitung», er wolle wissen, «ob Brüssel tatsächlich auf eine solche Verknüpfung besteht, ob unsere Landesregierung da mitmacht und weshalb wir nicht informiert worden sind.»
Tim Guldimann kann die Aufregung nicht verstehen. «Es ist eine Unverschämtheit zu behaupten, dass der Bundesrat das Parlament hinters Licht geführt habe», sagt der euronationale Zürcher SP-Nationalrat und frühere Schweizer Botschafter in Berlin. Die EU habe der Schweiz schon vor der Abstimmung über die Einwanderungsinitiative klar mitgeteilt, dass der Bilateralismus nur mit einer Lösung der institutionellen Fragen fortgeführt werden könne – und folglich der Schweiz ein Rahmenabkommen vorgeschlagen. Guldimann: «Deshalb wird über beides mit Brüssel verhandelt, um weiterzukommen.» Das sei nichts Neues. Die Zürcher GLP-Nationalrätin Tiana Angelina Moser, wie Guldimann Mitglied der APK, bestätigt seine Aussagen grundsätzlich: «Wir wissen, dass Gespräche und Verhandlungen parallel geführt werden.» Sie sehe deshalb «den Skandal nicht». Der Bundesrat solle jetzt zuerst fertig verhandeln und versuchen, eine Lösung zu finden.
Verhandeln kann der Bundesrat aber erst nach der Brexit-Abstimmung am 23. Juni wieder, wie Chefunterhändler Jacques de Watteville an einer Veranstaltung am Samstag sagte. Der Zeitrahmen für eine Lösung in der Personenfreizügigkeit sei nach der Abstimmung der Briten über einen EU -Austritt «sehr eng». Wie der «Bund» am Samstag berichtete, geben sich die Unterhändler um de Watteville nach dem 23. Juni nur gerade 13 Tage Zeit, um eine Lösung zu finden. Der Bund, 23. Mai 2016, S. 6.
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EU-Kommission will USA noch mehr Mitspracherechte bei EU-Gesetzen geben In einem am 22. März 2016 veröffentlichten Entwurf hat die EU-Kommission die Regeln zur regulatorischen Kooperation zwischen EU und USA im TTIP-Abkommen erweitert.
Der Entwurf würde US-Behörden das Recht erteilen, jegliche neue EU-Gesetzgebung noch vor Beginn des regulatorischen Prozesses einer Kontrolle zu unterziehen – noch bevor ein Gesetzentwurf EU-Parlament und Ministerrat vorgelegt wird. Zusätzlich bestätigt die EU-Kommission in dem Vorschlag das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung (mutual recognition), wonach US-Produkte auf den europäischen Markt gelangen könnten, die nicht mit EU-Regeln in Einklang stehen.
Ein Zusammenschluss aus 45 Organisationen aus der gesamten EU bezeichnete den Vorschlag der Kommission als einen Angriff auf die Demokratie und fordert einen Abbruch der TTIP-Verhandlungen. umwelt aktuell, Mai 2016, S. 27.
Vorschlag der EU-Kommission [engl.]: http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2016/march/tradoc_154377.pdf
Pressemitteilung Lobbycontrol: https://www.lobbycontrol.de/2016/03/ttip-stellungnahme-zur-mogelpackung-der-eu-kommission/
Pressemitteilung Corporate Europe Observatory [engl.]: http://corporateeurope.org/international-trade/2016/03/ttip-regulatory-cooperation-threat-democracy
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Frankreichs Regierung übergeht Parlament An einer ausserordentlichen Kabinettssitzung hat die französische Regierung am 10. Mai 2016 beschlossen, ihre umstrittene Arbeitsmarktreform ohne Zustimmung des Parlaments in Kraft zu setzen. Die Regierung musste offenkundig konstatieren, dass sie in der Assemblée nationale nicht über die erforderliche Mehrheit verfügt, und entschied sich deshalb den Verfassungsartikel 49 zu beanspruchen, der es der Exekutive erlaubt, eine Vorlage einseitig zu beschliessen.
Innert 24 Stunden nach diesem Erlass kann dann im Parlament ein Misstrauensantrag gegen die Regierung gestellt werden; und falls sich innert zusätzlicher 48 Stunden eine Mehrheit in der Nationalversammlung dafür findet, würde das die Regierung zum Rücktritt zwingen. Die Mitte-Rechtsopposition hat bereits ein solches Misstrauensvotum angekündigt. Staatspräsident François Hollande und sein Premierminister Manuel Valls scheinen aber darauf zu setzen, dass die Abweichler im Regierungslager zwar die Zustimmung zur Arbeitsmarktreform verweigerten, doch davor zurückschrecken werden, die Regierung ein Jahr vor den Präsidentschaftswahlen zu Fall zu bringen.
In der Nationalversammlung fehlten der Regierung dem Vernehmen nach rund 40 Stimmen; und am Morgen scheiterte ein weiterer Versuch von Premierminister Valls, die «Frondeure» im eigenen Lage zum Einlenken zu bringen und die Tausenden von Änderungsvorschlägen zurückzuziehen.
Vor gut einem Jahr hatte die Regierung bereits bei der Verabschiedung der umstrittenen «Loi Macron», die unter anderem eine weitere Lockerung des Verbots der Sonntagsarbeit vorsah, den Verfassungsartikel 49 beansprucht. Auch frühere bürgerliche Regierungen hatten die Sondervollmachten immer wieder genutzt, um unpopuläre Vorhaben durchzusetzen. Trotzdem stellt die Vorgehensweise für den bereits höchst unpopulären Staatspräsidenten François Hollande eine neue Schmach dar. Er selber hatte einmal, als er noch Oppositionsführer gewesen war, beklagt, dass die Nutzung dieses Verfassungsartikels eine «brutale Verneinung von Demokratie» darstelle.
Die Arbeitsmarktreform soll den rigiden Kündigungsschutz und auch die kostspieligen 35-Stunden-Woche-Regelungen lockern. Allerdings hat die Regierung unter dem heftigen Druck der Gewerkschaften und jugendlicher Demonstranten während der letzten Wochen bereits viele Konzessionen gemacht, welche die Reform laut dem Vorwurf der Arbeitgeber und bürgerlich-konservativen Opposition inakzeptabel verschlimmbessert haben. Entsprechend weigerte sich auch die Mitte-Rechtsopposition Hand zu einem Kompromiss zu bieten.
Laut Demoskopen begegnet auch die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung dem Reformvorhaben mit grösster Skepsis. Das dürfte dem Umstand anzulasten sein, dass Staatspräsident Hollande die Vorlage erst im letzten Jahr seines Quinquennats aufgegleist hatte, die Bürger kaum darauf vorbereitete und die für eine solche Reform erforderliche Überzeugungsarbeit scheute. Ganz im Gegenteil. Hollande hatte sich während den ersten vier Amtsjahre immer wieder als Garant des französischen Sozialmodells profiliert und wiederholt suggeriert, dass die 35-Stunden-Woche, der ungewöhnlich hohe Mindestlohn und der Kündigungsschutz nicht verhandelbare grosse Errungenschaften seien. NZZ, 11. Mai 2016, S. 3
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Bundesrat zur Schubert-Praxis: Landesrecht soll Völkerrecht nicht brechen Was soll rechtlich gelten, wenn sich nationale Gesetzgebung und internationale Verträge widersprechen? Diese Diskussion ist nicht erst seit der Lancierung der Selbstbestimmungsinitiative der SVP im Gang, welche fordert, den Grundsatz «Landesrecht vor Völkerrecht» in der Verfassung zu verankern. Zusätzlichen Nährboden erhielt die Diskussion durch ein umstrittenes Urteil des Bundesgerichts vom vergangenen November (BGE 2C_716/2014). Das Gericht hielt darin fest, bei einer einseitigen Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative habe das Freizügigkeitsabkommen (FZA) mit der EU Vorrang. Das Urteil sorgte für kontroverse Reaktionen. Denn es ist eine Abkehr von der langjährig praktizierten Schubert-Praxis, die vorsieht, dass bei einem Normenkonflikt die nationale Gesetzgebung vorgeht, sofern diese neuer ist als der betroffene internationale Vertrag und der Gesetzgeber diesen Konflikt bewusst in Kauf genommen hat.
Das Bundesgericht begründete seine Abkehr damit, dass sich die EU-Staaten ebenfalls nicht auf ihr innerstaatliches Recht berufen könnten, um sich ihrer Verpflichtungen gegenüber der Schweiz zu entledigen. Bisher machte das Gericht solche Ausnahmen nur bei internationalen Menschenrechtsgarantien. Bleibt das Gericht bei dieser Auslegung, hiesse das, die Schweiz könnte die Zuwanderung nicht einseitig begrenzen, solange das FZA in Kraft ist. Der Bundesrat wies in der Botschaft zur Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative folgerichtig darauf hin, dass eine einseitige Schutzklausel nur angewendet werden könnte, wenn das FZA gekündigt würde.
Nationalrat Hans-Ueli Vogt (svp., Zürich) hat den Bundesrat per Interpellation angefragt, wie er sich zu diesem Urteil positioniert und was er zu tun gedenkt, damit der Schubert-Praxis künftig weiter Rechnung getragen wird. In seiner Antwort, die am 12. Mai 2016 veröffentlicht wurde, nimmt der Bundesrat dazu Stellung. Die Schubert-Praxis soll gemäss Bundesrat nur «ein letztes Mittel» bleiben, da sie einen Vertragsbruch darstelle. Die «fundamentalen Grundsätze des Völkergewohnheitsrechts» gälten unverändert. Völkerrechtliche Verträge seien bindend und von den Vertragsparteien «nach Treu und Glauben» zu erfüllen. Ein Normenkonflikt zwischen einem solchen Vertrag und dem Landesrecht lasse sich nur durch Änderung oder Kündigung des Vertrags oder eine Änderung des Landesrechts lösen.
Eine Anwendung der Schubert-Praxis stelle deshalb nur eine «behelfsmässige» Lösung» dar und könne auch nur zu einer «vorläufigen Geltung» eines völkerrechtswidrigen Gesetzes führen. Entsprechend will der Bundesrat die Schubert-Praxis auch nicht auf Verfassungs- oder Gesetzesebene verankern. Auch das Parlament habe dies bereits wiederholt abgelehnt. Entsprechend hält der Bundesrat daran fest, dass eine einseitige Schutzklausel zur Begrenzung der Zuwanderung im Einzelfall nur angewendet werden könne, falls die Schweiz das FZA kündige. NZZ, 13. Mai 2016, S. 17
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Die Schweiz unterstützt EU in Grossmachtpolitik Seit 2003 haben zivile Expertinnen und Experten sowie Schweizer Armeeangehörige ihr Fachwissen auch im Rahmen von „friedensfördernden“ Missionen der EU zur Anwendung gebracht. Im April hat die Schweiz zwei neue Beteiligungsabkommen unterzeichnet, die das Engagement an der Seite ihrer EU verstärken.
Die Schweiz ist zwar nicht Mitglied der EU und nimmt somit auch nicht an der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) der EU teil. Aufgrund ihrer Expertise und vor dem Hintergrund enger Beziehungen mit den europäischen Nachbarn wird die Schweiz jedoch regelmässig von der EU zur Beteiligung an „friedensfördernden“ Missionen im Rahmen der GSVP eingeladen. Im Lichte ihrer aussenpolitischen Prioritäten und verfügbarer Ressourcen entscheidet die Schweiz von Fall zu Fall, ob, wann und in welchem Umfang sie an einer Mission teilnehmen will. Nach sechs abgeschlossenen Einsätzen in EU-Missionen ist die Schweiz gegenwärtig in der Operation in Bosnien-Herzegowina (EUFOR Althea) und der Rechtsstaatlichkeitsmission im Kosovo (EULEX) engagiert. Zwei neue Abkommen bilden die Grundlage für die Entsendung ziviler Experten in die Beratermissionen der EU zur Reform des zivilen Sicherheitssektors in Mali (EUCAP Sahel Mali) und in der Ukraine (EUAM Ukraine). Die grundsätzlichen Modalitäten der Teilnahme der Schweiz an solchen Missionen, wie z.B. der Status des Personals oder der Austausch klassifizierter Informationen, könnten in einem Rahmenabkommen geregelt werden. Auch im Falle des Abschlusses eines solchen Abkommens würde die Schweiz weiterhin gemäss „Direktion für europäische Angelegenheiten DEA“ eigenständig und unter Berücksichtigung ihrer Neutralität über ihre Beteiligung an GSVP-Missionen entscheiden. Der Bundesrat wird zu gegebener Zeit darüber entscheiden, ob ein solches Abkommen verhandelt werden soll. Suisseurope, 3, Mai 2016, S. 3.
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Autoren, Künstler und Wissenschaftler protestieren gegen Flüchtlingsabkommen Mit einem offenen Schreiben an die Staats- und Regierungschefs der EU protestiert eine Reihe von Autoren, Künstlern und Wissenschaftler gegen das im März 2016 vereinbarte Flüchtlingsabkommen mit der Türkei. Als Autoren, Wissenschafter und Künstler seien sie verpflichtet, heisst es in dem Brief, «im Sinne der Menschenrechte zu handeln». Die Vereinbarung der EU mit der Türkei sei widerrechtlich und verstosse gegen die Menschenrechte wie auch gegen EU-Recht.
Mit viel euro-ideologischem Pathos leiten sie Ihren Appell mit den Feststellunge ein, die EU kompromittiere damit Werte, die ihre Daseinsberechtigung ausmachen. Frieden und Recht stünden im Zentrum der europäischen Idee. Jetzt setze man diese Ideale aufs Spiel und stelle den Anspruch infrage, als eine Gemeinschaft des Rechts zu gelten. Auf diesem Hintergrund weisen sie dann berechtigter Weise darauf hin, die Migranten seien schutzlos den Massnahmen ausgeliefert. «Inhaftierung und Deportation gehören zu den notwendigen Folgen dieser Politik.» Diesen Missstand gelte es aufzuheben, «um alle Asylsuchenden nach den Grundsätzen der Uno zu unterstützen, ihnen Hoffnung auf ein neues Leben zu schenken».
Das Schreiben ist u. a. von dem Pianisten Alfred Brendel, von den Schriftstellern Michael Krüger, Jeremy Adler, Gertrud Leutenegger, Navid Kermani, Dževad Karahasan, Adam Zagajewski, Adolf Muschg sowie von den Wissenschaftern Katharina Mommsen und Fritz Stern unterzeichnet worden. NZZ, 4. Mai 2016, S. 38
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Die EZB besiegelt das Ende 500-Euro-Scheins Der Rat der EZB hat beschlossen, die Produktion des 500-Euro-Scheins einzustellen, womit die Note mit dem grössten Nennwert mittelfristig faktisch abgeschafft wird. Die Ausgabe des 500ers soll gegen Ende des Jahres 2018 gestoppt werden. Zu diesem Zeitpunkt kommen die überarbeiteten 200er- und 100er der zweiten Serie der Euro-Banknoten auf den Markt. Die gut 600 Mio. im Umlauf befindlichen 500-Euro-Scheine müssen dann wertmässig ersetzt werden, wohl überwiegend durch 200er und 100er.
Als Grund für die Abschaffung nennt die EZB, dass die 500-Euro-Note illegale Aktivitäten erleichtere. Damit hatte EZB-Präsident Mario Draghi bereits in den vergangenen Monaten die Prüfung einer möglichen Abschaffung begründet. Strafverfolgungsbehörden und auch manche Ökonomen argumentieren, dass die Abschaffung grosse Geldscheine die Geldwäsche, die Schwarzarbeit und andere kriminelle Aktivitäten reduzieren würde. An dieser These gibt es jedoch grosse Zweifel. So räumen dem Vernehmen nach selbst EZB-Vertreter ein, dass es keinen statistisch nachweisbaren Zusammenhang zwischen Kriminalität bzw. Umfang der Schattenwirtschaft und der Bargeldnutzung gebe. Selbst innerhalb des EZB-Rates rätseln Mitglieder nach eigenen Aussagen, was mit der Abschaffung des 500ers bezweckt werden soll.
Sehr kritisch äusserte sich am Mittwoch Clemens Fuest. Der neue Präsident des Münchener Ifo-Institus sagte, die Abschaffung des 500-Euro-Scheins untergrabe das Vertrauen in die EZB, da der Eindruck entstünde, der Hauptgrund für die Abschaffung sei es, die Zinsen weiter in den negativen Bereich zu bringen. Für die EZB würde es nämlich einfacher, die Negativzinsen zu verstärken, weil es für Banken und Sparkassen zugleich erheblich teurer würde auszuweichen und zum Beispiel viele kleine Scheine einzulagern.
Über die Kosten der Abschaffung machte die Zentralbank keine Angaben. Kenner der Materie gehen davon aus, dass diese sich wegen der Produktion von 200ern und 100ern zum Ersatz der grossen Scheine auf mindestens 500 Mio. € belaufen. Dazu kommen weitere Kosten, etwa für die Logistik des Austauschs. NZZ, 6. Mai 2016, S. 25.
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TTIP–Leaks Fast 250 Seiten an vertraulichen Papieren zu den laufenden Verhandlungen der EU und der USA über ein Freihandelsabkommen (TTIP) hat die Umweltorganisation Greenpeace am 2. Mai 2016 ohne Nennung der Quelle ins Internet gestellt. An Pressekonferenzen in Brüssel und Berlin forderte Greenpeace, die EU müsse die Verhandlungen einstellen. Der Umwelt- und der Gesundheitsschutz seien gefährdet.
Was Greenpeace veröffentlicht hat, sind vor allem Abschriften von «konsolidierten Texten» zu etwa der Hälfte der geplanten Verhandlungskapitel. Konsolidierte Texte sind keine Verhandlungsergebnisse, sondern Dokumente, die die Verhandlungspositionen beider Seiten zu konkreten Themen nebeneinanderstellen. Neuigkeitswert hatten dabei die US-Positionen, da die EU längst begonnen hat, ihre eigenen TTIP-Positionen zu veröffentlichen. Die Papiere reflektieren den Stand vor der jüngsten, der am 29. April abgeschlossenen Verhandlungsrunde. Ebenfalls Teil des Lecks ist ein internes, «taktisches» EU-Papier über den Verhandlungsstand.
Dem EU-Bericht kann entnommen werden, dass die USA Zugeständnisse beim Marktzugang für Autoteile von einem Entgegenkommen der Europäer beim Abbau ihrer Agrarzölle abhängig machten. Zu den geleakten Texten gehört auch jener über den Investitionsschutz. Die EU will hier die umstrittenen privaten Schiedsgerichte zur Beilegung von Konflikten zwischen Unternehmen und Staaten durch ein Gerichtssystem ersetzen. Das Leck zeigt, dass die USA hierzu bis jetzt nicht Hand bieten.
Scharf kritisiert hat Greenpeace, dass die Papiere das Vorsorgeprinzip der EU nicht erwähnten. Stattdessen wollten die USA dieses durch einen Risikomanagement-Ansatz ersetzen, der weniger Schutz biete. Laut dem im EU-Primärrecht fixierten Vorsorgeprinzip darf eine Politik oder Massnahme nicht durchgeführt werden, wenn sie der Allgemeinheit oder der Umwelt schaden kann und kein wissenschaftlicher Konsens besteht. Die EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström beteuerte in ihrem Blog, ein kürzlich vorgelegter EU-Vorschlag erwähne das Prinzip sehr wohl. Sie bekräftigte zudem, dass die EU kein Abkommen abschliessen werde, das den Schutz von Konsumenten, Umwelt oder Lebensmittelsicherheit senken werde. Ähnliches sagte ihr Chefunterhändler, Ignacio Garcia Bercero, vor den Medien. Man habe auch sehr klar gemacht, dass die EU ihr Zulassungsverfahren für gentechnisch veränderte Organismen nicht ändern werde.
Malmström betonte, es sei normal, dass jede Partei möglichst viel erreichen wolle. Das heisse aber nicht, dass die andere Seite dem nachgeben oder man sich in der Mitte treffen müsse. Wo man zu weit auseinander bleibe, gebe es halt am Ende keine Einigung. So gesehen seien viele der alarmistischen Schlagzeilen ein Sturm im Wasserglas. Doch der Sturm ist für die EU peinlich. Unter dem Druck nach Transparenz hat sie Leseräume für EU- und nationale Parlamentarier eingerichtet, in denen diese auch die US-Positionen einsehen können. Dem haben die USA nur unter der Bedingung strikter Geheimhaltung zugestimmt. Nun hat es wohl in der EU ein Leck gegeben. Man werde dieses untersuchen, sagte Garcia Bercero. NZZ, 3. Mai 2016, S. 1
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