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Euro gegen Dollar EU will den Euro zu einer führenden Weltwährung aufwerten. Maßnahmen zur Vorbereitung auf künftige Wirtschaftskriege geplant.
Die EU will den Euro zu einer führenden Weltwährung aufwerten und damit den Einfluss des US-Dollar zurückdrängen. Dies geht aus einem "Aktionsplan" der EU-Kommission hervor, der am vergangenen Dienstag verabschiedet wurde - unmittelbar vor der Amtseinführung von US-Präsident Joe Biden. Die Absicht, der EU-Einheitswährung größeren Einfluss zu sichern, wird insbesondere mit dem Scheitern der Bestrebungen Berlins und Brüssels in Verbindung gebracht, die extraterritorialen US-Sanktionen gegen Iran abzuwehren. Entsprechende Schritte hat die Union bereits 2018 in Aussicht gestellt, dabei aber bislang noch kaum Fortschritte erzielt. Gegenwärtig biete nicht zuletzt der Corona-Wiederaufbauplan Aussichten, die Rolle des Euro zu stärken, heißt es: Schließlich avanciere die EU im Zusammenhang mit ihrem 750-Milliarden-Euro-Hilfspaket zu einer der "größten Institutionen der Schuldenausgabe". Die Pläne, dem Euro größere globale Bedeutung zu verschaffen, gehen mit der Diskussion über weitere Maßnahmen zur Vorbereitung der EU auf künftige globale Wirtschaftskriege einher.
"Begrüßungsgeschenk" für Joe Biden
Die EU ist weiterhin entschlossen, die Rolle des Euro als Weltwährung zu stärken und so den Einfluss des US-Dollar zurückzudrängen. Ein Aktionsplan der EU-Kommission, der am Dienstag verabschiedet wurde, nachdem er vorab britischen [1] und deutschen [2] Medien zugespielt worden war, sieht zudem Maßnahmen zum Schutz von Unternehmen aus der Union vor extraterritorialen Sanktionen vor. Der konkrete Zeitpunkt der Veröffentlichung des Aktionsplans - nur einen Tag vor der Vereidigung des neuen US-Präsidenten Joe Biden - sei "nicht sehr freundlich", hieß es in Kommentaren; schließlich sei das Vorhaben "gegen die Vereinigten Staaten" gerichtet, deren US-Dollar die Weltmärkte dominiere. Der neue Aktionsplan stelle schon das "zweite pikante Begrüßungsgeschenk Brüssels" für die neue US-Administration dar - nach dem Investitionsabkommen, auf das sich die EU und China Ende 2020 im Grundsatz geeinigt hatten [3], ohne sich mit dem Team um Biden "auf eine gemeinsame Strategie gegenüber Peking zu verständigen". Brüssel und Berlin haben demnach das Interregnum in Washington genutzt, um strategische Weichenstellungen vorzunehmen und Fakten zu schaffen.
Gegengewicht gegen die USA
Den Beginn ernsthafter währungspolitischer Souveränitätsbestrebungen der EU datieren deutsche Medien auf den Sommer 2018, als die extraterritorialen US-Sanktionen gegen Iran auch europäische - insbesondere deutsche - Konzerne tangierten. Damals legte das unilaterale Vorgehen der Vereinigten Staaten die Abhängigkeit der EU vom US-Finanzsystem schonungslos offen: Die Trump-Administration drohte Finanzinstituten und anderen Unternehmen aus der Union, die mit Teheran Geschäfte machten, hohe Strafen an - und diese waren nicht in der Lage, sich zur Wehr zu setzen. Im August 2018 forderte Bundesaußenminister Heiko Maaß folglich den Aufbau unabhängiger EU-"Zahlungskanäle", eines "Europäischen Währungsfonds" sowie eines unabhängigen "Swift-Systems", um ein "Gegengewicht" zu den USA überall dort bilden zu können, wo diese nach Ansicht Berlins "rote Linien" überschritten.[4] Bereits Ende 2018 kündigte die EU-Kommission eine Reihe von Schritten an, um die "finanzielle Abhängigkeit" der Eurozone vom US-Dollar zu reduzieren.[5] Damals stand der Handel mit Energieträgern im Zentrum der geldpolitischen Bestrebungen Berlins und Brüssels. Die EU-Kommission wollte Konzerne aus der EU dazu ermuntern, ihre Energiebeschaffung fortan in Euro abzuwickeln. Zudem führte Brüssel Gespräche mit Airbus und etlichen Autobauern, um diese zum Umstieg auf den Euro zu bewegen.[6]
Corona-Hilfen als Chance
Auch in der aktuellen Erklärung der EU-Kommission, die eine "offene strategische Autonomie" der Union fordert, heißt es in Anspielung auf die Iran-Sanktionen der USA, "unilaterale Aktionen durch Drittstaaten" hätten den "legitimen Handel und Investments von EU-Unternehmen mit anderen Ländern" beeinträchtigt.[7] Zugleich habe eine Untersuchung der Europäischen Zentralbank feststellen müssen, dass die globale Bedeutung des Euro derzeit "auf historischen Tiefstständen" verharre, hieß es in Medienberichten; die EU wolle daher nun in "Nachbarregionen" für die Verwendung des Euro als internationales Zahlungsmittel "werben".[8] Zudem sollten die Banken- und die Kapitalmarktunion forciert werden. Schließlich werde gerade die massive Schuldenaufnahme durch die EU-Kommission, auf die sich die Staats- und Regierungschefs der Eurozone im vergangenen Sommer zum Kampf gegen die Coronakrise geeinigt hatten, dazu führen, dass die EU die Chance habe, "eine noch prägendere Kraft auf den Finanzmärkten zu werden". Da für die "Corona-Hilfen" erstmals im großen Stil EU-Schulden aufgenommen würden, avanciere die EU zu einer der "größten Institutionen der Schuldenausgabe"; dies mache den Euro zu einem wichtigen Faktor auf den Anleihemärkten. Überdies setze Brüssel auf "sogenannte Sozialbonds und Grüne Bonds", die spezifische Nachhaltigkeitskriterien erfüllten, weshalb sich die EU-Finanzmärkte zu einem "globalen Zentrum für grüne Finanzprodukte" entwickeln könnten.
Gegen US-Übernahmen
Um die EU künftig besser vor Sanktionen zu schützen und ihre Kapazitäten für kommende Wirtschaftskriege zu stärken, wird neben den bereits in Diskussion befindlichen Maßnahmen auch ein zunehmender Protektionismus anvisiert.[9] Durch die Ausweitung des sogenannten Blocking Statute könnten in Zukunft Versuche außereuropäischer Konzerne vereitelt werden, Firmen aus der EU zu übernehmen, heißt es; demnach könnten etwa US-Übernahmen in Europa künftig untersagt werden, wenn Brüssel der Ansicht sei, der Erwerb werde dazu führen, dass sich die betroffenen Unternehmen an unilateral verhängte US-Sanktionen gebunden fühlten.
Zwischen China und den USA
Dem aktuellen Vorstoß der EU-Kommission sind diverse Publikationen unter anderem des European Council on Foreign Relations (ECFR) vorausgegangen, in denen es hieß, die "bipolare Konkurrenz" zwischen den USA und China werde zu einem "Wandel der Globalisierung" führen.[10] Da beide Großmächte einen konventionellen Krieg aktuell zu vermeiden suchten, gingen sie dazu über, "die Architektur der Globalisierung zu manipulieren". Sowohl die Volksrepublik als auch die Vereinigten Staaten mischten Geopolitik mit Geoökonomie. Beijing suche mit "strategischen Investitionen" und "staatlichen Hilfen" die Märkte zu manipulieren und so die Position der EU in Drittstaaten zu unterminieren. Die USA wiederum "politisierten" ebenfalls globale Institutionen und Strukturen wie SWIFT, den IWF und die Welthandelsorganisation WTO sowie ihren eigenen Finanzmarkt immer mehr. Es bestehe die Gefahr, dass die EU in den sino-US-amerikanischen Machtkämpfen zerrieben werde.
Die EU als "geopolitische Macht"
Die EU müsse deshalb anfangen, als "geopolitische Macht" aufzutreten, und ihre "strategischen Ziele" klar umreißen, heißt es beim ECFR. Hierzu sei es unabdingbar, dass die Union aufhöre, auf geostrategischer Ebene wie eine "fragmentierte Macht" zu agieren. Die Aufgabenteilung, wonach Brüssel für Fragen des internationalen Handels verantwortlich sei, während die EU-Staaten sich mit den geostrategischen Problemen befassten, müsse überwunden werden, da "andere Mächte" sehr wohl "ökonomische Mittel instrumentalisieren, um politische Ziele zu erreichen". Es gehe vor allem darum, Außenpolitik und Geostrategie in die Debatte um die "Wirtschafts- und Währungsunion" der EU zu integrieren.[11] Dies liefe letztlich auf einen weiteren Souveränitätsverlust insbesondere der Staaten an der Peripherie der EU hinaus, die kaum Möglichkeiten haben, ihre außenpolitischen Interessen in den von Berlin und Paris dominierten Machtstrukturen der EU zu realisieren.
Vorkehrungen für Wirtschaftskriege
Neben den derzeit von der EU-Kommission diskutierten Vorschlägen zur Stärkung der Rolle des Euro propagiert der ECFR nicht zuletzt auch eine umfassende "Digitalisierung" der EU-Einheitswährung, um deren "Widerstandsfähigkeit" gegenüber äußerem Druck zu stärken und die Einsichtnahme von Drittstaaten in die Finanzströme der EU zu erschweren. Dies geschieht in Konkurrenz zu entsprechenden Projekten der USA und Chinas.[12] Demnach soll der Aufbau "kollektiver Verteidigungsinstrumente" die EU bei künftigen Wirtschaftskriegen in die Lage versetzen, auf "ökonomische Nötigung" schnell und effizient zu reagieren, heißt es - unter anderem durch das Implementieren von Sanktionen. Diskutiert wird in diesem Zusammenhang der Aufbau einer "Europäischen Exportbank", die internationale Zahlungskanäle auch bei US-Sanktionen gegen Drittstaaten offen hielte. Ein "Widerstandfonds" soll Konzernen aus der EU Kreditgarantien und sonstige "Solidaritätsmaßnahmen" zukommen lassen, sofern sie durch Zwangsmaßnahmen dritter Mächte bedroht würden. Zudem müsse der Fluss "sensibler Daten" in die USA mit einem neuen Rahmenabkommen für den IT-Sektor gestoppt werden. Es gehe auch darum, EU-Konzerne vor "gesetzwidriger Datenentwendung" durch chinesische und US-amerikanische Stellen zu schützen. Ein EU-"Büro für Widerstandsfähigkeit" könnte schließlich Marktmanipulationen konkurrierender Großmächte analysieren und konkrete Sanktionsschritte gegen Personen oder Institutionen koordinieren. https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8499/ 25. Januar 2021
[1] EU sets out plans to curb reliance on dollar in post-Trump era. ft.com 16.01.2021.
[2] Björn Finke: Ringen um einen starken Euro. sueddeutsche.de 19.01.2021.
[3] S. dazu "Ein Sturm zieht auf" (https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8489/).
[4] Maas fordert mehr finanzielle Unabhängigkeit von den USA. spiegel.de 21.08.2018.
[5] Alexander Mühlauer: Die Systemfrage. sueddeutsche.de 05.12.2018.
[6] Francesco Guarascio: EU pushes for broader global use of euro to challenge dollar. reuters.com 05.12.2018.
[7] European Commission: The European economic and financial system: fostering openness, strength and resilience. COM(2021) 32 final. Brussels, 19.01.2021.
[8] EU-Kommission will Euro als Weltwährung stärken. spiegel.de 19.01.2021.
[9] S. dazu Wirtschaft als Waffe (https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8418/) und Wirtschaft als Waffe (II) (https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8469/).
[10] Jonathan Hackenbroich: Defending Europe's Economic Sovereignty: New ways to resist economic coercion. ecfr.eu 20.10.2020.
[11] Jonathan Hackenbroich, Filip Medunic, Marco Saracco: Promoting the international role of the euro: Ideas for substantive progress and greater sovereignty. ecfr.eu 09.12.2020.
[12] S. dazu Der Digital-Euro und die Souveränität der EU (https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8431/).
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EU-Liberalisierung hat Anteil der Bahn am Güterverkehr sinken lassen Heimlich, still und leise sind in den vergangenen Monaten die unterschiedlichen Bestandteile des Vierten Eisenbahnpaketes in Kraft getreten. Die Liberalisierung der europäischen Bahnen hat damit einen neuen Höhepunkt erreicht. Hier eine Zwischenbilanz von Heinz Högelsberger (Abteilung Umwelt & Verkehr der AK Wien).
Die Liberalisierung der europäischen Eisenbahnen
Neoliberale Ideologen gehen davon aus, dass die öffentliche Hand keine guten Managementqualitäten hat und nur der Wettbewerb Produkte und Dienstleistungen besser und billiger macht. Diesem Dogma folgend, wurden auch die Bahnen mit bislang vier EU-Gesetzeskonvoluten – den sogenannten Eisenbahnpaketen - liberalisiert. Erklärtes Ziel war es, den Marktanteil der Bahn gegenüber dem Straßenverkehr zu verbessern. Beim Personenverkehr ist die Bilanz dazu durchwachsen, beim Güterverkehr aber eindeutig negativ. Die Krux: Man hat den Wettbewerb innerhalb des Bahnsektors forciert, dabei aber „vergessen“, faire Wettbewerbsbedingungen gegenüber der Straße herzustellen.
Kritische Infrastruktur
In Großbritannien wollte man bei der Privatisierung keine halben Sachen machen und hatte sogar die Infrastruktur – also Schienenwege und Bahnhöfe – verkauft. Nun sind dies langlebige Bauwerke, deren Instandhaltung sich erst über Jahrzehnte rechnet. Private Investoren folgen der Logik, möglichst viel Geld für die Benützung zu kassieren und nur wenig für Reparaturen auszugeben. In Großbritannien führte dies zu schweren Mängeln bei der Instandhaltung, was zwischen 1997 und 2000 zu einer Serie schwerer Unfälle mit insgesamt 42 Toten und über 700 Verletzten führte.
Die britische Regierung zog im Jahr 2001 die Reißleine und reverstaatlichte die Bahninfrastruktur. Auch in Neuseeland erwies sich für die Steuerzahler*innen der Verkauf und die darauffolgende Verstaatlichung des Schienennetzes als kostspieliges Experiment. Inzwischen hat sich allgemein die Meinung durchgesetzt, dass Schienenstrecken ein „natürliches Monopol“ sind, das man am besten in der öffentlichen Hand belässt.
Verlorene Synergien
Integrierte Bahnen – wie etwa die ÖBB, SBB (Schweizer Staatsbahn), Deutsche Bahn, aber auch Stern & Hafferl – verfügen über die Schienenstrecken, auf denen sie auch mit ihren Zügen fahren. Das schafft zahlreiche Synergien, da das System Bahn ganzheitlich betrachtet wird. So können Beschäftigte zwischen den einzelnen Teilbereichen relativ leicht wechseln. Da Personenzüge hauptsächlich tagsüber unterwegs sind, während Güterzüge primär in den Nachtstunden fahren, ist es effizient, Lokomotiven flexibel zu nützen. Folgerichtig verfügt die ÖBB-Personenverkehrs AG und die ÖBB-Güterbahn Rail Cargo Austria über einen gemeinsamen Lokpool. All diese sinnvollen Konstrukte waren der EU-Kommission bei der Abfassung des Vierten Eisenbahnpaket ein Dorn im Auge. Ähnlich wie beim Strommarkt, war vollständiges „Unbundling“ vorgesehen: Auf dem Monopol Schienennetz sollten viele unterschiedliche Eisenbahnunternehmen im Wettbewerb unterwegs sein. Bei integrierten Bahnen hatte man nämlich die Angst, dass jene die Mitbewerber diskriminieren würden. Mit großen Anstrengungen ist es jedoch gelungen, dass es auch nach Inkrafttreten des Vierten Eisenbahnpaketes noch integrierte Bahnen – wenn auch unter strengen Auflagen – geben kann.
Der vollständig liberalisierte Güterverkehr
Über viele Jahre war der Güterverkehr die „Cash Cow“ der ÖBB (und anderer Eisenbahnen). Das Geschäftsmodell sah folgenermaßen aus: Mit Ganzzügen, die – wie der Name sagt – als Ganzes von A nach B unterwegs sind, wurden gute Gewinne gemacht und damit der kosten- und arbeitsintensive Einzelwagenverkehr unterstützt. Unter Ganzzügen versteht man beispielsweise Kohlelieferungen aus Polen zur VOEST oder Containerzüge vom Hafen Rotterdam nach Wien. Einzelwagenverkehr bedeutet, dass man bei einem Sägewerk, einer Papierfabrik, einem Zementwerk oder dem Lagerhaus ein paar Waggons abholt, zu Zügen zusammenstellt und weitertransportiert.
Inzwischen ist der Güterverkehr auf der Schiene vollständig liberalisiert. Die Konsequenz: Neue Anbieter drängten in den Markt der Ganzzüge, die Tarife purzelten in den Keller. Das unattraktive und komplizierte Gröscherlgeschäft mit den Einzelwagen blieb den alten Staatsbahnen und wurde inzwischen kontinuierlich zurückgefahren. Das Ergebnis: Der Bahntransport wurde auf Strecken bzw. für Güter, bei denen die Straßen ohnehin keine Konkurrenz darstellt, unnötigerweise billiger. Insgesamt verschlechterte sich aber im Güterverkehr der Marktanteil in Richtung LKW-Verkehr, wo Ausbeutung und Sozialdumping Teil des Systems sind. Der europäische Binnenmarkt, aber auch die Globalisierung fußt auf der Voraussetzung, dass Transport möglichst billig ist; und das geht nur auf Kosten der Umwelt und der Verkehrsbeschäftigten.
Ausgeschriebener Personenverkehr
Guter und leistbarer öffentlicher Verkehr kann und muss nicht kostendeckend sein. EU-rechtlich wird deshalb zwischen gemeinwirtschaftlichen Verkehren – dieser werden von der öffentlichen Hand bestellt und finanziell unterstützt – und eigenwirtschaftlichen Verkehren unterschieden. Was ändert sich hier durch das Vierte Eisenbahnpaket? Bisher konnte ein Staat selbst entscheiden, ob er gemeinwirtschaftliche Eisenbahnverkehre direkt an ein Unternehmen seiner Wahl vergeben will oder eine Ausschreibung durchführen will. Direktvergabe hat den Vorteil, dass man mit einem Unternehmen, mit der es eine jahrelange vertrauensvolle Zusammenarbeit gibt, mit der Durchführung beauftragen kann. Es ist ja auch durchaus sinnvoll, wenn sich der österreichische Staat für die Züge der staatlichen ÖBB entscheidet. In Europas Bahnland Nr. 1 – also der Schweiz – wird dieses Erfolgsmodell ebenfalls angewandt (siehe Abbildung 2). Bei Ausschreibungen kommt hingegen meistens der Billigstbieter zum Zug. Da Rollmaterial, Schienenmaut und Energie für alle Bewerber in etwa gleich teuer sind, bleiben als wichtigste Stellschraube die Lohnkosten. Ausschreibungen führen also fast zwangsläufig zu Sozial- und Qualitätsdumping. Gute Arbeitsbedingungen werden so zu Wettbewerbsnachteilen pervertiert. Trotzdem wurden mit dem Vierten Eisenbahnpaket neue Hürden eingebaut, um das bewährte Instrument der Direktvergabe zu erschweren: In Zukunft muss man nachweisen, dass die Direktvergabe zu einer Qualitätsverbesserung führt. Bei Ausschreibungen muss man das bezeichnenderweise nicht.
Aber auch beim eigenwirtschaftlichen Verkehr kommt es zu Änderungen: Bisher war die Betriebserlaubnis für die Westbahn AG eine liberalisierungsfreundliche Fleißaufgabe Österreichs. Nun ist dieses Geschäftsmodell ein EU-weites Faktum. Damit ist dem „Rosinenpicken“ – man sucht sich jene Strecken aus, die am profitabelsten sind – in der gesamten EU Tür und Tor geöffnet. Ein flächendeckender und kundenfreundlicher Taktverkehr ist so nicht zu verwirklichen.
Fazit
Die EU-Kommission verspricht sich durch die Liberalisierung des Bahnwesens stets das Erreichen ihrer verkehrs- und umweltpolitischen Ziele. Erfüllen sich die Erwartungen nicht, so werden unbeirrt und mit ideologischer Borniertheit die nächsten Liberalisierungsschritte eingeleitet. Denn in Wirklichkeit geht es darum, neue Geschäftsfelder für das Privatkapital zu öffnen und den Binnenmarkt mit möglichst geringen Transportkosten zu unterstützen. Es ist also nur eine Frage der Zeit, bis wir uns mit dem fünften Eisenbahnpaket herumschlagen müssen.
Heinz Högelsberger arbeitet in der Abteilung Umwelt & Verkehr der AK Wien
Erstveröffentlichung auf www.selbstbestimmtes-österreich.at
(Jänner 2021)
https://www.solidarwerkstatt.at/verkehr/eu-liberalisierung-hat-anteil-der-bahn-am-gueterverkehr-sinken-lassen
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London und EU-Botschafter Nach dem Brexit will Grossbritannien den EU-Botschafter und seine Mitarbeiter protokollarisch schlechter stellen als Diplomaten von Mitgliedstaaten. Brüssel reagiert betupft, zumal solche diplomatischen Degradierungen die EU in ihrem Selbstverständnis infrage stellen.
Auf dem diplomatischen Parkett spielen protokollarische Fragen eine wichtige Rolle. In der Sitzordnung bei einem Essen mit Diplomaten oder Politikern oder bei offiziellen Ansprachen gilt daher eine klar geregelte Rangordnung, welche die Gäste ihrer nominellen Bedeutung nach ordnet. Umso brisanter wirkt vor diesem Hintergrund ein seit langem schwelender diplomatischer Zwist zwischen London und Brüssel, der nach dem Ende der Brexit-Übergangszeit nun offen ausgebrochen ist. Grossbritannien weigert sich, dem EU-Botschafter in London und seinen Mitarbeitern den vollen diplomatischen Status, das gemäss der Wiener Konvention von 1961 Ländern verleihen wird, was in Brüssel als Affront und als Zeichen der Geringschätzung empfunden wird. Der EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell hat dem britischen Aussenminister Dominic Raab in der Angelegenheit geschrieben, um seiner «ernsthaften Besorgnis» Ausdruck zu verleihen.
Keine Audienz bei der Queen?
Konkret soll der Leiter der EU-Delegation in London, der Portugiese João Vale de Almeida, nicht den Status eines Botschafters eines souveränen Staates haben, sondern nur den Status eines Repräsentanten einer internationalen Organisation. Vertreter solcher Körperschaften wie etwa der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation sind zwar als Diplomaten durchaus anerkannt, geniessen aber nicht die volle Immunität. Zudem sind sie den Botschaftern von Staaten protokollarisch unterstellt und haben laut der BBC nicht die Möglichkeit, der Königin ihr Beglaubigungsschreiben persönlich zu übergeben.
Existenzielle Unsicherheiten Brüssels
Mit ihrer Spitze gegen die EU treffen die Briten in Brüssel einen wunden Punkt. Denn die zuständigen Dienste in der Kommission und im EU-Rat achten peinlich genau darauf, dass EU-Vertreter bei internationalen Treffen gleich behandelt werden wie Repräsentanten von Nationalstaaten. Dies zeigt sich bei den Treffen der sieben wichtigsten Industrienationen (G-7), zu denen die Präsidenten des EU-Rats und der EU-Kommission eingeladen sind (der nächste G-7-Gipfel findet im Juni 2021 im englischen Cornwall statt). Die Brüsseler Empfindlichkeiten zeugen von der existenziellen Unsicherheit der EU, die zwar mehr als ein klassischer Staatenbund ist, aber weniger als ein souveräner Bundesstaat nach amerikanischem Vorbild.
Als Folge des Brexit-Handelsvertrags bleiben London und Brüssel in etlichen Feldern vom Datenschutz über Handelsfragen bis zur Fischerei auf ein gutes Einvernehmen angewiesen. Abzuwarten bleibt daher, ob die Briten wegen der protokollarischen Formalität die EU nachhaltig verstimmen wollen. 2018 stuften auch die USA unter Donald Trump den EU-Botschafter in Washington protokollarisch herunter. Ein Jahr später nahmen sie den Entscheid wieder zurück – nach heftigem Protest der EU-Staaten, die gerne nationale Spitzendiplomaten in wichtigen EU-Botschaften platzieren. Trumps Botschafter in Brüssel, Gordon Sondland, begründete die Kehrtwende damals mit den Worten, die EU sei eine «einzigartig wichtige Organisation». NZZ, 22. Januar 2021
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