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Kurzinfos September 2014

Das Cassis-de-Dijon-Prinzip auf der Kippe

Das Cassis-de-Dijon-Prinzip hat sich in der Praxis bisher kaum durchgesetzt. Auf den ersten Blick mutet das Cassis-de-Dijon-Prinzip, das die erleichterte Einführung von EU-Produkten bezweckt, wie ein Papiertiger an: So sind bis Anfang 2014, dreieinhalb Jahre nach der Einführung der Regelung, beim für die Zulassung von importierten Lebensmitteln zuständigen Bundesamt gerade einmal 163 Gesuche eingegangen, wovon bloss 45 eine Bewilligung erhalten haben. Denner, Lidl und Coop führen derzeit gar keine Produkte in ihrem Sortiment, die aufgrund des Cassis-de-Dijon-Prinzips importiert werden könnten. Grossverteiler Migros bietet im Lebensmittelbereich nur ein Produkt an, nämlich einen Sirup, der nach französischen Normen hergestellt wird. Bei Aldi Suisse sind es immerhin fünf Lebensmittel (Edelmarzipan, Pralinés, Mozzarella, gekochter Schinken und Rostbratwurst), wobei man dort einschränkend anfügt, dass das Cassis-de-Dijon-Prinzip angesichts eines Gesamtangebots von 1200 Artikeln bei der Einkaufsstrategie nicht ins Gewicht falle. Auch Manor gibt an, dass der Warenhauskonzern von der Möglichkeit «im Sinne seiner Kunden» Gebrauch mache. Doch aus «Vertraulichkeitsgründen» will man weder Angaben zur Zahl noch zu den einzelnen Produkten machen.

Die Zurückhaltung der Firmen, was ihre Kommunikation sowie auch die Anwendung des Cassis-de-Dijon-Prinzips anbelangt, erstaunt. Die Detailhändler betonen nämlich allesamt den zentralen Stellenwert der Bestimmung, wonach Produkte, die nach den Vorschriften eines EU-Landes hergestellt und vertrieben werden, auch in der Schweiz zugelassen sind. Sie gehörten bereits im Vorfeld des Pakets zu den grossen Befürwortern. Vorabklärungen hatten damals ergeben, dass 33% der Importe aus dem EU-Raum in den Anwendungsbereich des Cassis-de-Dijon-Prinzips fallen würden. Bei geschätzten Preissenkungen von 10% hätte sich damit (dank erleichterten Einfuhren und Wettbewerbsbelebung) für die Endkunden ein wirtschaftlicher Vorteil von 2 Mrd. Fr. ergeben. Seither sind solche «Zielgrössen» jedoch in weite Ferne gerückt.

Weshalb sich das Prinzip bisher nicht durchgesetzt hat, erklärt man bei Denner folgendermassen: Die Umsetzung in die Praxis scheitere vor allem am umfangreichen Ausnahmekatalog, der den vereinfachten Import von Produkten verunmögliche. Als Beispiel wird die Vorschrift zur Angabe des Produktionslandes angeführt. Ausserdem müssten oftmals zusätzliche Etiketten (wie dreisprachige Warnhinweise bei Kosmetika und Chemikalien) angebracht werden, was zu einem logistischen Mehraufwand und einer Verteuerung führe. Tatsächlich ist die sogenannte Negativliste mit Produkten, für die das Cassis-de-Dijon-Prinzip nicht automatisch gilt, fünfzehn Seiten lang, und sie reicht von Arzneimitteln, Chemikalien und Baumaschinen bis zu Gebläsebrennern für Heizöl und Wasserwärmern.

Eine Ausnahmeregelung existiert zudem für Lebensmittel, die eine Bewilligung durch das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen benötigen. Nun hat sich die Wirtschaftskommission des Nationalrates dafür ausgesprochen, Lebensmittel und damit das Herzstück der Reform vom Cassis-de-Dijon-Prinzip auszunehmen. Eingereicht wurde die parlamentarische Initiative bereits Ende 2010 von Jacques Bourgeois, FDP-Nationalrat und Direktor des Schweizerischen Bauernverbandes. Dank der Unterstützung durch die SVP und die Grünen hat sie nun einen wichtigen Etappensieg errungen.

Bauernvertretern war das Cassis-de-Dijon-Prinzip von Beginn weg ein Dorn im Auge. Sie befürchten für die hiesige Landwirtschaft die Untergrabung der Schweizer Qualitätsstrategie. Gestützt auf einen Bericht des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) wird ausserdem argumentiert, dass das Prinzip kaum Wirkung zur Bekämpfung der Hochpreisinsel gezeigt habe. Tatsächlich gelangen die Seco-Experten in ihrer Analyse zum Ergebnis, dass vom Cassis-de-Dijon-Prinzip alleine keine messbaren Preiswirkungen ausgegangen seien. NZZ, 8. September 2014, S. 18.



Unfairer Handel

Die neuen Wirtschaftsabkommen mit der EU übervorteilen die westafrikanischen Länder. Artikel im Le monde diplomatique, September 2014, S. 10. http://www.monde-diplomatique.de/pm/2014/09/12/a0043.text


Erbschaftssteuerinitiative befeuert die Debatte um die Gültigkeit von Volksbegehren

Auf das Unbehagen in Bezug auf bestimmte Volksinitiativen will die Staatspolitische Kommission (SPK) des Ständerats reagieren. Die Kommissionspräsidentin Verena Diener (Zürich, glp.) kündigte im Rat an, ihre Kommission werde das Thema Ungültigkeit an die Hand nehmen. Konkret wird die Kommission in den nächsten Monaten Fachleute anhören und dann beraten, ob die Ungültigkeitsgründe in der Bundesverfassung erweitert werden sollen. Je nach Ergebnis könnte die SPK eine entsprechende Verfassungsänderung vorschlagen. Es sei eine «bedenkliche Entwicklung», dass Volksinitiativen zunehmend grundlegende Prinzipien des Rechtsstaates infrage stellten, sagte Diener. Auf diese Entwicklung wolle die SPK Antworten suchen. Die Kommission wird vor allem deshalb aktiv, weil der Bundesrat selber mit einem Reformvorschlag bereits in der Vernehmlassung gescheitert ist.

Heute müssen Initiativen drei Kriterien erfüllen: Sie müssen die Einheit der Form und der Materie wahren, und sie dürfen nicht dem zwingenden Völkerrecht widersprechen. Die Erbschaftssteuerinitiative erfüllt diese drei Kriterien; darin war sich die Ratsmehrheit einig. Gestützt auf die heutige Verfassung dürfe man sie deshalb nicht für ungültig erklären, lautete die Meinung der Ratsmehrheit und des Bundesrats. Dass manche Ständeräte die Erbschaftssteuerinitiative trotzdem für ungültig erklären wollten, hängt mit einer Rückwirkungsklausel im Initiativtext zusammen. Sollte das Volk die Initiative annehmen, würde sie etwa 2019 in Kraft treten, aber rückwirkend bereits ab dem Jahr 2012 gelten. Eine Rückwirkung sei juristisch generell ein Unding, eine derart lange Rückwirkung verstosse aber gegen jegliche Verhältnismässigkeit, lautete der Tenor der Initiativ-Kritiker im Ständerat. «Was ist das für ein Staat, der plötzlich rückwirkend neues Recht schaffen darf?», fragte Hess. In mehreren Voten kam zum Ausdruck, dass just das Prinzip der Verhältnismässigkeit ein mögliches neues Gültigkeits-Kriterium sein könnte. Als weitere Kriterien nannte Diener etwa das Rückwirkungs- oder das Diskriminierungsverbot. NZZ, 25. September 2014, S. 11


EU begrüsst Entscheid der Schotten

Der EU-Kommissionspräsident Barroso hat den Ausgang des Referendums in Schottland ausdrücklich begrüsst. In Brüssel hofft man, dass jetzt ein EU-Austritt Grossbritanniens weniger wahrscheinlich ist.

In den letzten Wochen und Monaten hatte die EU-Kommission betont, sie wolle sich nicht in interne Debatten von Mitgliedstaaten einmischen, weshalb sie ihre Präferenz für einen Verbleib Schottlands in Grossbritannien nur vorsichtig durchblicken liess. Nach Bekanntwerden der Nein-Mehrheit am Freitag wählte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso in einer Stellungnahme nun aber deutliche Worte: «Ich begrüsse den Entscheid des schottischen Volkes», erklärte Barroso. «Dieser Ausgang ist gut für ein einiges, offenes und stärkeres Europa.» Barroso würdigte auch, dass die schottische Regierung und das schottische Volk in der Debatte vor der Abstimmung ihr Bekenntnis zu Europa bekräftigt haben. In Gebieten wie der Energie- oder Umweltpolitik, in denen die Schottische Regierung über Kompetenzen verfüge, werde die EU-Kommission daher mit Edinburgh weiterhin einen konstruktiven Dialog pflegen.

Eine Unabhängigkeit Schottlands hätte die EU vor grosse institutionelle Herausforderungen gestellt . Überdies wäre ein EU-Austritt Grossbritanniens viel wahrscheinlicher geworden, hätten die EU-freundlichen Schotten bei der vom britischen Premierminister Cameron in Aussicht gestellten Abstimmung über einen Verbleib Grossbritanniens in der EU nicht mitstimmen können.

Bereits gibt es in Brüssel daher optimistische Stimmen, die das schottische Votum auch als positives Signal gegen eine Abspaltung Grossbritanniens von der EU sehen – zumal es auch Parallelen gibt zwischen den Argumenten, die für einen Verbleib Schottlands in Grossbritanniens angeführt wurden, und jenen, die für einen Verbleib Grossbritanniens in der EU sprechen. Erfreut über das Abstimmungsergebnis zeigte sich EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy : «Grossbritannien ist und wird ein wichtiges EU-Mitglied bleiben zum Nutzen aller Bürger und Mitgliedstaaten der Europäischen Union.»

Die Erleichterung in Brüssel ist auch darauf zurückzuführen, dass die EU-Verträge gar keine Bestimmungen darüber enthalten, wie mit einem Gebiet zu verfahren sei, das sich von einem bestehenden EU-Staat abspaltet. Nach dem Nein der Schotten ist die EU nun auch nicht unmittelbar gezwungen, sich mit dem Szenario einer sogenannten «internen Erweiterung» auseinanderzusetzen, das namentlich auch für Staaten wie Spanien oder Belgien, in denen es separatistische Tendenzen gibt, politisch überaus heikle Fragen aufwirft.

Abzuwarten bleibt, wie sich die von der Regierung in London angekündigten Reformvorhaben zur Dezentralisierung und zur Abtretung von Kompetenzen an Schottland auswirken. Auch hier gibt es Parallelen zum Bestreben Grossbritanniens, Kompetenzen von Brüssel zurück auf die nationale Ebene zu verlagern.

Der sozialdemokratische EU-Parlamentarier und Verfassungsspezialist Jo Leinen spricht von einem «Weckruf für Europas Zentralstaaten». Fundamentalopposition gegen Unabhängigkeitsbewegungen seien in der EU keine Lösung. Um eine Zersplitterung von Europas Staaten zu verhindern, sollten von separatistischen Tendenzen betroffene Mitgliedstaaten vielmehr föderale Strukturen stärken und den Regionen mehr Rechte zugestehen, erklärt Leinen. NZZ, 20. September 2014, S. 3.


Unheilige Allianz gefährdet Kleinbäuerinnen und Kleinbauern

Ein Bündnis aus 91 zivilgesellschaftlichen Organisationen (darunter FIAN) kritisiert die G8-Initiative „Neue Allianz für Ernährungssicherheit“ scharf. Unter dem Deckmantel der Armutsbekämpfung werden Konzerninteressen befördert und Konzernmacht verfestigt. Die „Neue Allianz“ diskriminiert kleinbäuerliche, vielfältige und nachhaltige Ernährungssysteme, die das eigentliche Potenzial für Ernährungssicherung in Afrika darstellen.

Die Neue Allianz für Ernährungssicherheit entsprang dem G8-Gipfel 2012 und stellt sich das Ziel, bis 2022 insgesamt 50 Millionen Menschen in Sub-Sahara-Afrika aus der Armut zu befreien. Mehr private Investitionen in die Landwirtschaft sollen dies möglich machen. Die Neue Allianz ist eine Initiative der G8-Staaten und weiterer Geberländer, einiger afrikanischer Regierungen und der internationalen Agrar- und Lebensmittelindustrie. Kern der Neuen Allianz sind Kooperationsabkommen, in denen sich bislang zehn afrikanische Länder zu zeitlich gebundenen Reformmaßnahmen verpflichten, die Investitionsbedingungen zugunsten privater, kommerzieller Investitionen in die Landwirtschaft verbessern.

Mehr als zwei Jahre dem Start der Neuen Allianz für Ernährungssicherheit (Neue Allianz) ist kein Fortschritt feststellbar. Ganz im Gegenteil gefährdet die Neue Allianz die Ernährungssicherheit und behindert die Durchsetzung des Rechts auf Nahrung in Afrika. Es ist nicht abzusehen, wie die Neue Allianz ihren eigenen Anspruch einlösen will, die afrikanische Bevölkerung aus der Armut zu heben. Das Versprechen, die „ganze Macht des Privatsektors“ zu mobilisieren, scheint hingegen zu gelingen.

Nun fordern 91 zivilgesellschaftliche Organisationen aus den G8-Ländern in einer gemeinsamen Erklärung ihren Regierungen, die Förderung der internationalen Agrar- und Lebensmittelindustrie zu stoppen und stattdessen bäuerliche Nahrungsmittel-ErzeugerInnen im globalen Süden zu unterstützen. Deutsche Organisationen fordern die Bundesregierung auf, ihre G7/8-Präsidentschaft in 2015 zu nutzen, um die Neue Allianz grundlegend zu reformieren oder sich aus ihr zurückzuziehen. 22. September 2014, http://www.fian.de/artikelansicht/2014-09-22-unheilige-allianz-gefaehrdet-kleinbaeuerinnen-und-kleinbauern/ [14.12.2014], Stellungnahme: http://www.fian.de/fileadmin/user_upload/news_bilder/DE_Fortschritt_in_der_Neuen_Allianz_Nicht_fuer_Afrikas_Kleinbauern.pdf


Atompolitik der EU

Die Entscheidung der EU-Kommission, die Subventionierung des Atomkraftswerks Hinkley Point C zu genehmigen, ist ökonomisch wie ökologisch so widersinnig, dass sich die Frage stellt, ob es eine „versteckte Agenda” hinter der Entscheidung gibt. Die Entscheidung der EU-Kommission, grünes Licht für die Subventionierung des britischen Atomkraftwerks Hinkley Point C zu geben, hat viele fassungslos gemacht. In der Tat widerspricht diese Entscheidung völlig der sonst so gern gepredigten EU-Doktrin des „unverfälschten Wettbewerbs“. Gebaut wird die Anlage, die ab 2023 ans Netz gehen soll, vom französischen Energieriesen EDF. Die Baukosten belaufen sich auf 31 Milliarden, die Gesamtkosten auf über 43 Milliarden Euro. Es wäre völlig unrentabel für die Betreiber, wenn nicht die britische Regierung EDF für 35 Jahre einen Abnahmepreis von umgerechnet 112 Euro je Megawattstunde Atomstrom garantieren würde. Das ist fast das Doppelte des aktuellen Marktpreises und eine doppelt so hohe Förderung für Atomstrom im Vergleich zur Windenergie. Der Garantiepreis ist sogar an die Inflation gekoppelt, steigt also automatisch Jahr für Jahr. Die staatliche Subvention wird auf rund 19 Milliarden Euro Steuergelder geschätzt.

„Nationale Atomwaffenpotenziale in europäische Streitkräfte überführen“

Die Frage nach einer „versteckten Agenda“ drängt sich auf, wenn für solche wahnwitzigen Projekte so große Summen aufgeworfen werden. Jedenfalls müssen sehr große Interessen im Spiel sein. Über eine der größten wird in diesem Zusammenhang wenig gesprochen: Atomwaffen. Es ist bekannt, dass die zivile und militärische Nutzung der Atomenergie siamesische Zwillinge sind. Freilich kommt es dabei nicht unbedingt auf das eine AKW an, aber wesentlich ist es, die entsprechenden Industrien und Konzerne wie EDF mit Staatsgelder ökonomisch zu stärken, um den Kreislauf von ziviler und militärischer Nutzung am Laufen zu halten. Großbritannien und Frankreich haben im Jahr 2010 einen Vertrag auf 50 Jahre abgeschlossen, der die gemeinsame Entwicklung und Erprobung von Atomwaffen zum Inhalt hat. Dass die EU-Kommission nun die atomaren Milliardensubventionen durchwinkt, könnte darauf hinweisen, dass ein seit langem, eher im Verborgenen gepflegtes Großziel wieder stärker in den Fokus gerückt wird: die EU-Atombombe als Teil einer gemeinsamen EU-Armee. Bereits im Jahr 2003 berichtete die Süddeutsche Zeitung über ein internes Papier des Führungsstabs der deutschen Bundeswehr, das die „Überführung nationaler Atomwaffenpotenziale einiger EU-Staaten in integrierte europäische Streitkräfte“ forderte („Ein Heer für Europa“, SZ, 29.4.2003). Damit erhielte auch Deutschland Zugriff auf Nuklearwaffen. Bekanntlich hat Deutschland den Beitritt zum Atomwaffensperrvertrag unter dem Vorbehalt erklärt, dass dieser für die deutsche Teilnahme an einem europäischen Atomwaffenprojekt kein Hindernis darstellen dürfe.

„Ersteinsatz von Atomwaffen im Köcher der Eskalation“

Bald darauf war das deutsche Drängen auf EU-Ebene angekommen. In einem von den EU-Staatschefs in Auftrag gegebenen Strategiepapier (,European Defence Paper“) aus dem Jahr 2004 heißt es, dass die EU sich für „Regionalkriege zur Verteidigung europäischer Interessen“ rüsten müsse. Dabei sollen „die französischen und die britischen Atomwaffen explizit oder implizit einbezogen werden.“ Ein Jahr später wurde der EU-Stabilitätspakt reformiert. Dabei wurde Frankreich zugestanden, die Investitionen in die französischen (Atom-)streitkräfte aus den strengen Maastricht-Defizit herauszurechnen, da es sich um Ausgaben für die „Einigung Europas“ handle. 2006 deutete der damalige französische Präsident Chirac in einer aufsehenerregenden Rede am Atomwaffenstützpunkt Ile Longue die europäische Dimension der französischen Atomwaffen an, indem er mit dem Ersteinsatz von Atomwaffen zur „Sicherstellung unserer strategischen Versorgung und der unserer Alliierten“ drohte. Die deutsche Kanzlerin Merkel sprang Chirac zur Seite und unterstützte dessen Atomkriegspläne als „eine den aktuellen Veränderungen in der Welt angepasste Doktrin“. Unter Merkel wurde die Forderung nach einer zentralisierten EU-Armee auch offizielles deutsches Regierungsprogramm.

„Grand Strategy“

Generäle sprechen Dinge oft deutlicher aus, als Politiker. 2007 veröffentlichten fünf hochrangige EU- und US-Generäle ein Strategiepapier, das USA und EU aufrief „den atomaren Erstschlag im Köcher der Eskalation zu belassen.“ Der Name des Strategiepapiers „Towards a Grand Strategy“ war inspirierend und namesgebend für die „Group on Grand Strategy“, ein Netzwerk von regierungsnahen Thinktanks auf EU-Ebene, das seit 2011 Druck für ein aggressives EU-Imperium macht, das eine „Grand Area“ beherrscht, die vom Nordpol bis Zentralafrika, von Atlantik bis hinter den Ural und die südasiatischen Küstengebiete reicht. James Rogers, Direktor der „Group on Grand Strategy“ und einflussreicher geostrategischer Berater des Europäischen Rates, hat dafür eine knackige Formel gefunden: „Die Europäische Union muss ein Superstaat und eine Supernation werden, was sie dann wiederum in die Lage versetzt, eine Supermacht zu sein.“ Dafür benötige die EU „eine effektive Großstrategie und schiere Macht“. Schließlich gelte es, „ausländische Regierungen das Fürchten zu lehren und sie gegenüber europäischen Präferenzen aufgeschlossen zu machen.“ Solche Weltmachtsambitionen bauen klarerweise auf der Verfügung über Atomwaffen auf.

Im Vorjahr startete das Wilfried Maertens-Centre for European Studies, der Bildungseinrichtung der Europäischen Volkspartei, einen neuen Testballon in diese Richtung. Bei einem Symposium unter dem aussagekräftigen Titel „Rethinking the Bomb: Europe and Nucelar Weapons in the Twenty-First Century” wurde die Forderung nach Schaffung einer „EU-Agentur für Atomwaffenpolitik“ erhoben, um „gemeinsame EU-Positionen über den Einsatz von Atomwaffen“ zu entwickeln.

Zwei Großziele der Juncker-Kommission

Als es 2011 zum Supergau im japanischen AKW in Fukushima kam, dachten viele, dass nun der Einstieg in den Atomausstieg gekommen sei. Nicht die EU-Kommission. Wenige Monate nach Fukushima ging die EU-Kommission bereits wieder in die Atomoffensive und legte einen „Energiefahrplan 2050“ vor, der der nationalen Energiepolitik „ein europäisches Gerüst geben soll.“ Deklariertes Ziel: Ausbau der Atomenergie. So berichtet die Süddeutsche Zeitung über den EU-Fahrplan: „Unterhändlern zufolge sehen die Details der Szenarien den Neubau von 40 Kernkraftwerken allein bis 2030 vor. … Auch eine finanzielle Förderung der Atomenergie in Mitgliedsstaaten … hält die Kommission Unterhändlern zufolge für möglich. Sie könnte demnach Subventionen für Neuinvestitionen in Atomkraftwerke, zum Beispiel in Großbritannien, erlauben.“ Drei Jahre später ist es mit Hinkley Point C so weit. Das zeigt: Diese Entscheidung ist kein Ausrutscher, sie ist langfristig vorbereitet worden. Abgesichert und kofinanziert wird dieser Pro-Atom-Kurs durch den EURATOM-Vertrag, der – so die Präambel im EURATOM-Vertrag - „die Voraussetzungen für die Entwicklung einer mächtigen Kernindustrie schaffen“ soll.

Die Entscheidung für Hinkley Point C traf zwar noch die alte EU-Kommission, doch auch der neue Energiekommissar und Vizepräsident Maros Sefcovic sprach sich im Hearing für die Subventionierung der Atomenergie aus. Der neue Kommissionspräsident Jean Claude Juncker hat angekündigt, die neue Kommission werde „die großen Dinge groß machen“. Eines dieser „großen Dinge“ nannte er bei seiner offiziellen Inauguration: die „Europäische Energieunion“. Ein anderes präsentierte Juncker schon etwas früher im Juni 2014 als Gastredner bei einem Kongress der deutschen Rüstungsindustrie: „Wir brauchen eine europäische Armee.“ Beide Projekte könnten viel miteinander zu tun haben und im Griff nach der EU-Atombombe ihren unausgesprochenen Fokus haben. 2014 Solidar-Werkstatt Österreich, [15. September 2014] http://www.werkstatt.or.at/index.php?option=com_content&task=view&id=1134&Itemid=83

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