Personenfreizügigkeit: Ständerat stimmt Kroatien-Protokoll mit Vorbehalt zu Eine klare Mehrheit der kleinen Kammer war sich, gestützt auf ein Gutachten des Bundesamtes für Justiz, einig über die Prämissen, die eine Ausdehnung der Personenfreizügigkeit auf Kroatien erlauben würden. Demnach sei das Protokoll ein neuer völkerrechtlicher Vertrag und verstosse inhaltlich gegen Artikel 121a der Verfassung, den das Volk mit dem Ja zur Masseneinwanderungsinitiative angenommen hatte. Daher könne der Bundesrat den Vertrag erst ratifizieren, wenn mit der EU «eine mit der Verfassung vereinbare Regelung zur Steuerung der Zuwanderung» bestehe.
Mit 33 gegen 10 Stimmen folgte der Ständerat am 2. Juni 2016 nach mehrstündiger Debatte seiner Aussenpolitischen Kommission, die diesen Vorbehalt explizit festschreiben wollte. Dabei haben sich etliche Ständeräte als feurige Verfechter der Bundesverfassung in Szene gesetzt, die es unter keinen Umständen zu ritzen gelte – auch nicht um den Preis der vollen Teilnahme der Schweiz am EU-Forschungsprogramm (Horizon 2020), die automatisch dahinfällt, wenn das Kroatien-Protokoll bis am 9. Februar 2017 nicht ratifiziert ist.
Es gehe nicht um eine Marotte unterbeschäftigter Juristen, sagte Christian Levrat (Freiburg, sp.), sondern «um die Gewissheit, die wir dem Volk geben müssen, dass das Parlament unsere Institutionen respektiert und eine Ratifizierung nur in einem strikten verfassungsrechtlichen Rahmen erfolgt». Dies auch mit Blick auf ein allfälliges Referendum. Ein Blankocheck für den Bundesrat würde die Befürworter des Kroatien-Protokolls in einer Abstimmungskampagne in enorme Schwierigkeiten bringen. Auch für Karin Keller-Sutter (St. Gallen, fdp.) ging es um die Glaubwürdigkeit des Parlaments – und Pirmin Bischof (Solothurn, cvp.) nannte es gar «unsere verdammte Pflicht, vorher zu prüfen, ob die Vorlage eine Verfassungsgrundlage hat oder nicht».
Dagegen hatte eine aus SP, FDP und CVP zusammengewürfelte Minderheit keine Chance. Daniel Jositsch (Zürich, sp.) liess es sich aber nicht gefallen, als einer dazustehen, der die Verfassung nicht würdige. «Ich bin der Letzte, der die Verfassung mit Füssen treten möchte», sagte er, «sie ist ein heiliges Gut für mich.» Er widersprach indes der Mehrheit, wonach sich der Ständerat hier zu einer Verfassungsfrage äussern müsse. Er stützte sich dabei auf die Einschätzung der renommierten Europarechtlerin Astrid Epiney in der NZZ. Sie stellt sich auf den Standpunkt, dass das Kroatien-Protokoll lediglich eine Erweiterung des Freizügigkeitsabkommens (FZA) mit der EU sei; die Unterzeichnung, die Genehmigung wie auch die Ratifizierung des Protokolls seien rechtlich daher kein Problem und letztlich eine politische Frage. «Wir sind kein Gericht, wir müssen politische Entscheidungen treffen», sagte auch Filippo Lombardi (Tessin, cvp.). Die Mehrheit verknüpfe aus verfassungsrechtlichen Überlegungen das Protokoll mit der Umsetzung der Zuwanderungsinitiative, obschon man wisse, dass man mit der EU keine verfassungskonforme Lösung finden werde. Das sei politisch nicht vernünftig. Ausserdem sei das Kroatien-Protokoll eine referendumsfähige Vorlage, womit das Volk sofort Stopp sagen könne. Ruedi Noser (Zürich, fdp.) verwies derweil auf den Inhalt des Protokolls, wonach während zehn Jahren die Zuwanderung aus Kroatien just so gesteuert würde, wie es Artikel 121a verlangt – nämlich mit Kontingenten. Er warnte davor, deswegen Horizon 2020 zu riskieren.
Justizministerin Simonetta Sommaruga hatte indessen kein Problem mit dem Antrag der Mehrheit, zumal der Bundesrat bereits in der Botschaft festgehalten habe, eine Ratifikation setze eine Lösung voraus, «welche die Anforderungen des FZA und der Verfassung in Einklang bringt». So klar steht dies in der Botschaft zwar nicht; das Kriterium der Verfassungskonformität ergibt sich dort höchstens implizit. Mündlich hatte Sommaruga aber schon im April während der Beratung des Protokolls durch den Nationalrat festgehalten, man könne «Kroatien» nur ratifizieren, «sofern wir eine Lösung finden, die mit dem FZA konform ist und die auch die Schweizer Rechtsordnung respektiert».
Offen bleibt, wann genau diese Bedingung erfüllt ist. Laut Sommaruga hat das Bundesamt für Justiz diese Frage im Auftrag der ständerätlichen Kommission aber «eingehend geprüft». Klar sei, dass der Normenkonflikt zwischen FZA und Artikel 121a beseitigt werden müsse. Dazu gebe es aber verschiedene Möglichkeiten. Wenn etwa die einvernehmliche Lösung mit der EU in einer gemeinsamen Erklärung bestehe, könne der Bundesrat das so verabschieden, und die Bedingung sei eigentlich erfüllt. Wenn die Lösung des Konflikts mit der EU aber in Form eines Staatsvertrages gefunden würde, dann müsste eine Bestätigung durch das Parlament vorliegen.
Als weitere Variante nannte Sommaruga, dass man mit der EU keine Lösung finde, die auch Artikel 121a berücksichtige. Für diesen – wohl realistischen – Fall schliesst sie nicht aus, dass der Bundesrat dem Parlament eine Verfassungsänderung vorschlagen würde. Um in diesem Fall «Kroatien» aber ratifizieren zu können, müsste nach Ansicht des Bundesrats mindestens eine Schlussabstimmung durch das Parlament vorliegen.
Die Vorlage, der der Ständerat schliesslich mit 40 gegen 3 Stimmen zugestimmt hat, geht nun zurück in den Nationalrat zur Differenzbereinigung. Dieser hatte im April einen in eine ähnliche Richtung zielenden, aber noch restriktiver formulierten Antrag der SVP klar abgelehnt. Ziel beider Räte ist es, die Vorlage in dieser Session unter Dach und Fach zu bringen. Ein Referendum ist weiterhin nicht in Sicht. Vertreter der SVP, der Jungen SVP und der Auns hatten bereits früh signalisiert, auf einen Urnengang verzichten zu wollen. NZZ, 3. Juni 2016, S. 15
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