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Kurzinfos Oktober 2013Französisches Initiativrecht als Mogelpackung
Jacques Chirac hat es angestossen und Nicolas Sarkozy 2008 in die Verfassung gebracht – doch dann blieb das Projekt «Volksinitiative» liegen. Nun möchte Präsident François Hollande den Bürgern das Initiativrecht ab 2014 endlich zugestehen. Anlässlich der Feiern zum 55. Jahrestag der Verfassung hat Frankreichs Staatschef angekündigt, seinen Landsleuten möglichst bald eine Mitsprache im Gesetzgebungsprozess einzuräumen. Er ermahnte das Parlament jedenfalls, noch vor Jahresende ein entsprechendes Gesetz zu verabschieden.
Hollande kommt damit auf sein Versprechen zurück, die immer wieder konstatierte Entfremdung zwischen Regierung und Bürgern überbrücken zu helfen. Das dazu verwendete Schlagwort «Référendum d'initiative populaire» deutet die Elemente einer Volksinitiative sowie einer anschliessenden Abstimmung an. Bei näherer Betrachtung des in den Grundzügen bekannten Textes kommen indessen Zweifel auf, ob es je zu einer entsprechenden Initiative plus Referendum kommen wird.
Während in der Schweiz Initiativen bereits mit 100 000 Unterschriften lanciert werden können, sieht die Rohfassung des französischen Entwurfs mit rund 4,5 Millionen Signaturen eine stratosphärisch hohe Hürde vor; sie ergibt sich daraus, dass jeder Zehnte der etwa 45 Millionen eingeschriebenen Wähler für ein Vorhaben gewonnen werden müsste. So heiss brodelt es selbst in Frankreich nie.
In ersten Reaktionen wird denn auch darauf verwiesen, dass selbst populäre Petitionen wie die Unterschriftensammlungen gegen die Privatisierung der Post oder gegen das Ausländerstimmrecht in der Vergangenheit bloss 308 000 beziehungsweise 203 000 Personen zu mobilisieren vermochten. Als das 65 Millionen Einwohner zählende Land zwischen Gegnern und Befürwortern der Homo-Ehe tief gespalten war, konnten die Gegner zwar einen Berg mit 700 000 Unterschriften zusammentragen; benötigt würde für eine Initiative aber mehr als das Sechsfache davon. Bereits ist von der Regierung zudem klar zum Ausdruck gebracht worden, dass solche grundsätzlichen gesellschaftspolitischen Fragen dem Stimmvolk auf keinen Fall überlassen werden dürften, wie auch sämtliche Themen, die die Verfassung der Fünften Republik berührten.
Zur Farce verkommt das Initiativrecht gewissermassen beim Kleingedruckten: Der Anstoss zu einem neuen Gesetz soll nämlich nicht aus dem gemeinen Volk erfolgen können, sondern aus dem Parlament; aber dort auch nur dann, wenn sich ein Fünftel beider Kammern zusammentut. Erst dann kann «vox populi» angerufen werden.
Nur spekuliert werden kann darüber, ob ein Zusammenhang zwischen Hollandes Vorstoss und den 2014 anstehenden Gemeindewahlen besteht. Dem Front National wird ein grosser Erfolg prognostiziert. In dessen Partei- und Wahlprogramm steht übrigens das Initiativ- und Referendumsrecht. NZZ, 5. Oktober 2013, S. 3
EU-Abkommen stellt die «Flankierenden» infrage Im August 2013 hat der Bundesrat ein Verhandlungsmandat für ein institutionelles Abkommen mit der EU in die Konsultation gegeben. «Es wird sichergestellt, dass die Schweiz die flankierenden Massnahmen im Rahmen der Personenfreizügigkeit beibehalten kann», hielt er dabei schriftlich fest. Er weiss: Wer sich in der Schweiz nicht 110-prozentig zu den «Flankierenden» bekennt oder deren Bedeutung nicht in die richtigen Proportionen rückt, ist innenpolitisch erledigt.
Für die EU wiederum sind einzelne dieser flankierenden Massnahmen ein Ärgernis und der Beweis, dass die Schweiz das übernommene EU-Recht nicht gleich umsetzt und auslegt wie die Mitgliedstaaten. Deshalb brauche es ein Rahmenabkommen und übergeordnete Institutionen, die Streitfragen verbindlich klären würden. Bern und Brüssel wollen ab Dezember über eine solche Lösung verhandeln, oberste Gerichtsinstanz soll der EuGH werden.
Die Sicherung der bestehenden Schutzmassnahmen wird vor diesem Hintergrund keine triviale Aufgabe sein. Die Regelungen, die direkt mit der Personenfreizügigkeit in Zusammenhang stehen, sind aber überschaubar und von anderen Arbeitnehmerschutzbestimmungen im EU-Recht gesondert zu betrachten. Im Wesentlichen handelt es sich um die achttägige Meldefrist für entsandte Arbeitnehmer zwecks Durchsetzung der Lohn- und Arbeitsbestimmungen sowie um eine Kautionspflicht für gewisse Dienstleistungserbringer. Die EU hält diese Regelungen für diskriminierend; sie würden gegen die Dienstleistungsfreiheit verstossen. Mangels übergeordneten Gerichts wurde diese Frage nie definitiv entschieden.
Grundsätzlich gibt es zwei Wege, um die flankierenden Massnahmen zu «zementieren»: Bern könnte versuchen, den Besitzstand an flankierenden Massnahmen als bilaterale Sonderlösung vertraglich zu regeln. Oder man könnte gewisse Massnahmen so modifizieren, dass sie nicht mit dem EU-Recht in Konflikt kommen. Denkbar ist auch eine Kombination beider Strategien. Der Bundesrat geht davon aus, dass er die entscheidenden EU-Rechtsakte (Entsenderichtlinie) weiterhin mit einem gewissen Spielraum, d. h. mit gleichwertigen Massnahmen, umsetzen kann.
Für die Basler Europarechts-Professorin Christa Tobler ist ein Bestandesschutz für alle bestehenden Massnahmen «technisch kaum machbar, und zwar nur schon, weil verschiedene Massnahmen unter unterschiedliche Vorschriften fallen». Eine rechtlich greifbare Kategorie flankierende Massnahmen, die man aus dem EU-Recht herauslösen könnte, gebe es in diesem Sinne nicht, so Tobler. Die Europarechtlerin hat in der Online-Zeitschrift «Jusletter» den Fall der 8-Tage-Regelung unter die Lupe genommen. Sie kommt zum Schluss, dass die Meldefrist in ihrer heutigen Ausgestaltung mit der Dienstleistungsfreiheit nicht vereinbar ist. Die Schweiz könne aber einem negativen Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vorbeugen, indem sie die 8-Tage-Regelung in eine einfache Meldepflicht umwandle.
Der Unterschied zu heute besteht darin, dass entsandte Arbeitnehmer bereits arbeiten dürfen, während ihr Gesuch geprüft wird. Stellt sich heraus, dass sie gegen die Vorschriften verstossen, müssen sie gegebenenfalls eine Busse bezahlen und das Land verlassen. Die Arbeitskontrolleure hätten in dieser Variante weniger (Vorlauf-)Zeit, um säumige Entsandte und deren Arbeitgeber ausfindig zu machen. Die Meldefrist ist allerdings nur ein Instrument bei der Umsetzung der «Flankierenden». Weitaus wichtiger sind nach Aussagen von Kontrollierenden Vollzugskompetenzen und Personalressourcen.
Für die Zürcher SP-Nationalrätin Jacqueline Fehr sind die Chancen intakt, dass die Schweiz flankierende Massnahmen wie beispielsweise die 8-Tage-Frist beibehalten kann. Eine gewisse Asymmetrie müsse auch nach Abschluss eines Rahmenabkommens möglich sein, wenn sie vertraglich vereinbart worden sei. Grundsätzlich seien die flankierenden Massnahmen so auszugestalten, dass Auswärtige nicht diskriminiert würden. «Wir müssen vielleicht unserseits noch etwas flexibler werden», meint Fehr, die der Aussenpolitischen Kommission angehört. Sie denkt dabei auch an spezifische Regelungen für besonders betroffene Branchen und Regionen.
Ein verwandtes Thema, das nicht nur der Linken Sorgen bereitet, ist die Rechtsprechung des EuGH zum Verhältnis zwischen Dienstleistungsfreiheit und Arbeitnehmerschutz. Aufgrund verschiedener Urteile (Rüffert, Viking, Laval) müssen ausländische Firmen die Tarifverträge und Arbeitsschutzbestimmungen in den Ländern, wo sie Aufträge ausführen, nur noch bedingt einhalten. Gleichzeitig interpretierte der EuGH die Gewerkschaftsrechte restriktiver.
Der Schweizerische Gewerkschaftsbund unterstütze das institutionelle Abkommen nicht, wenn der Arbeitnehmerschutz nicht ausgeklammert werden könne, sagt Daniel Lampart, Sekretariatsleiter und Chefökonom. Laut Jacqueline Fehr unterstützt die SP diese Haltung der Arbeitnehmerverbände.
Eine systematische Ausklammerung des Acquis im Bereich Arbeitnehmerschutz dürfte schwierig sein, weil die Bestimmungen quer durch verschiedene Rechtsgebiete erlassen wurden und sich laufend weiterentwickeln. Er habe bis jetzt kein Konzept gesehen, mit dem man das EU-Recht im Bereich Arbeitnehmerschutz eindämmen könnte, sagt Daniel Lampart. Bei einer Anwendung der sogenannten Laval-Rechtsprechung würde es in Branchen ohne allgemeinverbindlichen Gesamtarbeitsvertrag schwieriger, gegen Lohndumping vorzugehen. Eine EU-kompatible Alternative sind vom Staat erlassene Normalarbeitsverträge mit zwingenden Vorschriften und Mindestlöhnen. Ausweichmanöver dieser Art wären wohl da und dort möglich, kaum aber flächendeckend.
Ob Bern und Brüssel eine institutionelle Lösung mit dem EuGH oder dem Efta-Gerichtshof aushandeln, spielt für die flankierenden Massnahmen im Übrigen keine Rolle. NZZ, 10. Oktober 2013, S. 11
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EU-Kommission für Nanomaterialien Die EU-Kommission möchte für eine höhere Akzeptanz gegenüber Nanomaterialien sorgen. Dafür stellt sie im Rahmen des NANODIODE-Projekts rund 2.5 Milliarden Euro zur Verfügung. NANODIODE ist ein koordiniertes Programm, das EU-weit Partner aus Wissenschaft, Industrie, Zivilgesllschaft, Bildung und Kommunikation vernetzt. Ziel des Porjekts sind unter anderem die Entwicklung neuer Strategien für die Öffentlichkeitssarbeit und der Dialog über Nanotechnologie sowie gezielte fachliche, Aus- und Fortbildung im Bereich der Nanotechnologie. umwelt aktuell, Oktober 2013, S. 9, www.nanodiode.eu
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Zahlreiche Regelverstösse Zwei Drittel der Firmen, die in der EU kontrolliert wurden, halten geltende Vorschriften zur Chemikaliensicherheit nicht ein. Dies ergab ein Bericht der EU-Chemikalienagentur ECHA. Überprüft wurde die Einhaltung der EU-Verordnung zur Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Cehemikalien (CLP-VO) von Mai 2011 bis März 2012. Der Grossteil er Rechtsverletungen wurden mündlich oder schriftlich angemahnt, Geldbussen wurden kaum verhängt. Umwelt aktuell, Oktober 2013, S. 9 www.echa.europa.eu/documents/10162/13577/forum_report_ref2_en.pdf
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Neues Polizeiabkommen mit Italien unterzeichnet Während eines Arbeitsbesuchs in Rom hat Bundesrätin Simonetta Sommaruga am 14. Oktober 2013 zusammen mit ihrem italienischen Amtskollegen, dem Vizeministerpräsidenten und Innenminister Angelino Alfano, ein neues Polizeiabkommen unterzeichnet. Dieses soll nicht zuletzt der besseren gemeinsamen Bekämpfung des organisierten Verbrechens dienen, wie Sommaruga an einer Medienkonferenz darlegte.
Die Übereinkunft, die auch gegen das Schlepperwesen gerichtet ist, lege die Basis zur grenzüberschreitenden Observation, zu gemeinsamen Patrouillen wie auch zu gemeinsamen Programmen für den Zeugenschutz. Das Polizei- und Zollkooperationszentrum in Chiasso werde als Dreh- und Angelpunkt der bilateralen Zusammenarbeit gestärkt. Mit dem neuen Abkommen, mit dem ein früherer Vertrag grundlegend revidiert wurde, sei die Polizeizusammenarbeit auf den neusten Stand gebracht worden. Nunmehr bestünden mit allen Nachbarstaaten der Eidgenossenschaft Abkommen dieser Art.
Fragen zu «Dublin»
Aus aktuellem Anlass (neuste Flüchtlingstragödien zwischen Afrika und Süditalien) sprachen die zwei Innenminister auch besonders ausführlich über die Probleme Migration und Asylwesen. Dabei erklärte sich Sommaruga bereit, über die von Italien und anderen Mittelmeeranrainerstaaten geforderte Revision der Dublin-II-Verordnung zumindest zu diskutieren; gemäss diesem Abkommen ist jenes europäische Land, in das ein Asylsuchender einreist, bis zum Asylentscheid für die Unterbringung des Gesuchstellers zuständig.
Auf europäischer Ebene
Gemäss den neusten Statistiken des Flüchtlingshochkommissariats der Uno zählt die vergleichsweise kleine Schweiz zwar mindestens so viele Flüchtlinge und Asylbewerber wie Italien, doch wandte sich Sommaruga vor der Presse gegen ein «reines Aufrechnen von Zahlen». Es bestehe ein nicht zu ignorierendes Malaise, und es gebe «berechtigte Fragen». Die unterschiedlichen Grenzsituationen und die verschiedenen Migrationsströme müssten analysiert werden, meinte die Bundesrätin, die zugleich darauf hinwies, dass viele Migranten, die in Italien landeten, gar nicht dort bleiben wollten.
Allerdings wich Sommaruga bei der Frage nach allfälligen Korrekturmöglichkeiten des bisherigen Regimes aus und betonte, dass die komplexe Frage allein auf europäischer Ebene erörtert werden könne. Zudem pochte sie darauf, dass alle Länder weiterhin ihre Vertragspflichten erfüllen, worum sich auch Italien ernsthaft bemühe, wie sie in Rom habe feststellen können.
Sommaruga wies darauf hin, dass Italien in Bezug auf das Problem der Asylsuchenden für die Schweiz der wichtigste Partnerstaat sei. In diesem Bereich fänden zwischen den beiden Ländern bereits regelmässige Kontakte auf allen Ebenen statt; auch dank dem Einsatz einer Schweizer Verbindungsperson in Rom funktioniere die Zusammenarbeit gut. Die beiden Minister bekräftigten ihren Willen, den Austausch auf Expertenebene noch auszubauen und gemeinsame Lösungen im Schengen-Rahmen zum besseren Schutz von Migrantinnen und Migranten auszuarbeiten.
Beteiligung an Frontex
Sodann bekundete Sommaruga die Hoffnung, dass die Schweiz Zugang zur neuen Task-Force der EU für eine bessere Koordination der Grenzkontrollen erhält. Alfano habe ihr dabei Unterstützung zugesagt. Schliesslich bekräftigte Sommaruga die anhaltende Bereitschaft der Schweiz, sich mit Grenzwächtern an Einsätzen der EU-Grenzschutzagentur Frontex zu beteiligen. Laut einer Meldung der Nachrichtenagentur SDA ist bisher aber noch keine Anfrage wegen zusätzlicher Schweizer Unterstützung eingetroffen, was auch damit zusammenhängen dürfte, dass das eidgenössische Grenzwachtkorps über keine Marine-Experten verfügt. Bis heute sind laut der Sprecherin der Eidgenössischen Zollverwaltung 38 Grenzwächter für die Frontex im Einsatz. NZZ, 15. Oktober 2013, S. 9
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Moderne Technologie gegen „illegale“ Migration Das EU-Parlament hat am 10. Oktober 2013 in Strassburg den Betriebsvorschriften für das elektronische Grenzüberwachungssystem Eurosur mit 479 zu 101 Stimmen bei 20 Enthaltungen klar zugestimmt. Da damit eine politische Einigung zwischen dem Parlament und dem Ministerrat erzielt worden ist, steht der gestaffelten Einführung des Systems ab Anfang Dezember nichts mehr im Weg. Die Tragödie vor der Mittelmeerinsel Lampedusa hat Eurosur ungeahnte Aktualitat verliehen. Da das seit langerem geplante System dank dem Einsatz von Überwachungstechnologie die illegale Einwanderung bekampfen, aber auch eine frühere Erkennung und Rettung von in Not geratenen Flüchtlingsschiffen ermöglichen soll, stiess es im EU-Parlament auf breite Zustimmung: Die Ursachen der Dramen sollen verschärft und die schlechte Presse durch „Hilfe“ vermieden werden.
Auch EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström begrüsste den Beschluss des Parlaments und erklarte, das System reihe sich in die Bemühungen der EU ein, Tragödien wie vor Lampedusa zu verhindern. Konkret zielt Eurosur auf die Einrichtung nationaler Koordinationszentren ab, in denen Informationen der Polizei sowie der Grenz- und Küstenwachen zusammenfliessen. Die Zentren sollen ihrerseits mit der europaischen Grenzschutzagentur Frontex zusammenarbeiten. Zum Einsatz kommen zunachst im Mittelmeer auch Aufklarungsdrohnen, Satelliten oder Hightech- Radargerate. Die gesammelten Daten sollen über ein geschütztes Kommunikationsnetz in Echtzeit zu einem gemeinsamen Informationsbild des EUGrenzgebietes zusammengeführt werden. Die EU-Kommission schätzt die Kosten bis 2020 auf 244 Millionen Euro.
Gegen Eurosur sind auch kritische Stimmen laut geworden. Zwar müssen bei der Verwendung des Systems völkerrechtliche Normen wie das Non-Refoulement- Gebot oder auch Datenschutzbestimmungen eingehalten werden. Dennoch befürchten manche Kreise, der Einsatz von Überwachungstechnologien und die Vernetzung der Daten schaffe die Voraussetzungen für einen europaischen Überwachungsstaat. Andere Kritiker sehen in Eurosur die Fortsetzung einer repressiven EUFlüchtlingspolitik, die Migranten in die Arme der Schlepper treibe und dazu zwinge, bei der illegalen Einreise immer höhere Risiken einzugehen. Diese Bedenken widerspiegelten sich in einem Anderungsantrag der Grünen, welche die Rettung von Flüchtlingen ausdrücklich als Ziel von Eurosur festschreiben wollten. Das EU-Parlament lehnte den Antrag indes ab, auch um die Einführung von Eurosur nicht zu verzögern. NZZ, 11. Oktober 2013, S. 1
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«Es gibt keine fremden Richter, die uns vorschreiben, was wir zu tun haben» Im Verhältnis der Schweiz zur EU scheint es derzeit nur eine wichtige Frage zu geben: Führt der Vorschlag des Bundesrats dazu, dass künftig fremde Richter über Schweizer Belange entscheiden? «Es kommt darauf an, was man meint», sagt EDA-Staatssekretär Yves Rossier in einem Interview mit dem «Blick» vom 18. Oktober 2013.
In der Diskussion um das künftige Verhältnis zur EU hatte der Diplomat letzten Mai Öl ins Feuer gegossen mit der Aussage: «Ja, es sind fremde Richter.» Er bezog sich dabei auf den Vorschlag des Bundesrats, bei Uneinigkeit über die Auslegung von EU-Recht den Europäischen Gerichtshof (EuGH) anzurufen.
Wenn dieser das Recht auslege, sei das kein Urteil, schon gar keine Verurteilung der Schweiz, sagt Rossier nun in dem Interview. «Es gibt keine fremden Richter, die uns vorschreiben, was wir zu tun haben.» Das Gericht kläre lediglich die Rechtslage, danach sei es an den Streitparteien, eine Lösung zu suchen. «Falls es keine Lösung gibt, kann die Schweiz den Entscheid fällen, ob sie entsprechend der Rechtsauslegung handeln will oder eben nicht», sagte Rossier.
Ob sich diese Auffassung auch bei den entscheidenden Stellen der EU durchsetzt, ist allerdings fraglich. Ausgerechnet EuGH-Präsident Vassilios Skouris hatte in einem Interview mit dem «Tages-Anzeiger» eine andere Ansicht geäussert: «Entscheide sind dadurch gekennzeichnet, dass sie die Parteien, die sich an ein Gericht gewandt haben, binden», sagte Skouris. Ein Entscheid ergebe sonst keinen Sinn. Wer ein Gericht anrufe, wolle eine verbindliche Antwort zur Streitlösung. «Er hat recht», sagt Rossier nun. Es gehe jedoch um ein Rechtsgutachten, wie EU-Recht zu verstehen sei, nicht um ein Urteil, wie gehandelt werden müsse. Die Frage beschäftigt als Nächstes die Unterhändler der Schweiz und der EU. Das Verhandlungsmandat des Bundesrats ist derzeit in der Konsultation. Kontrovers diskutiert wird dabei, wenig überraschend, vor allem die Frage der fremden Richter. Tagesanzeiger, 18. Oktober 2013.
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Auf gutem Weg zum Verhandlungsmandat Der Bundesrat will das Verhältnis zur Europäischen Union grundlegend erneuern, und das bis im nächsten Juli, wenn die Amtszeit der gegenwärtigen EU-Kommission endet. Der Zeitplan ist kühn und das geplante Rahmenabkommen souveränitätspolitisch brisant. Im Bereich der Binnenmarkt-Abkommen ist eine dynamische Übernahme neuen EU-Rechts vorgesehen. Bei Meinungsverschiedenheiten würde der Europäische Gerichtshof (EuGH) das übernommene europäische Recht auslegen.
Fremdes Recht, fremde Richter – das Potenzial für Polemik ist riesig.
Aussenminister Didier Burkhalter ist in den Konsultationen bisher auf wenig Widerstand gestossen. Allerdings werden – von Gesetzes wegen – nur drei Institutionen angehört: die Konferenz der Kantonsregierungen und die Aussenpolitischen Kommissionen der eidgenössischen Räte. Die Kantone, so lässt sich nach einer ersten Sitzung mutmassen, werden dem Bundesrat einen Versuch nicht verwehren.
Parteien warten ab
Die Ständeratskommission stärkte dem Bundesrat Mitte Oktober mit 10 zu 0 Stimmen bei 2 Enthaltungen den Rücken. In einem vertraulichen Brief an die Landesregierung will sie aber Vorbehalte am Mandatsentwurf formulieren und ein Alternativmodell thematisieren, das auf die Efta-Institutionen im EWR abstellt. Die Nationalratskommission wird sich nächste Woche äussern – vermutlich etwas weniger diskret und harmonisch als die Schwesterkommission.
Vorwegnehmen kann man heute schon: Der Bundesrat wird höchstwahrscheinlich auf der Grundlage der sogenannten «EuGH-Option» verhandeln dürfen – sofern auch das Europäische Parlament und die Mitgliedstaaten im Dezember ein Mandat verabschieden. Der EuGH wird sich erst äussern, wenn das Verhandlungsresultat vorliegt. – Der geringe Widerstand in der Anhörung bedeutet nicht, dass das Abkommen schon mehrheitsfähig wäre. Drei Bundesratsparteien (sp., fdp., cvp.) unterstützen grundsätzlich die Idee eines Rahmenabkommens. Aber nur die SP hat sich bisher für die EuGH-Lösung ausgesprochen, mit vielen Bedingungen im Bereich Arbeitnehmerschutz. Die FDP führt eine interne Vernehmlassung durch. Die Wirtschaftsverbände haben öffentlich nicht Stellung genommen. Der Gewerkschaftsbund wiederum äussert Zweifel an der Notwendigkeit eines Rahmenabkommens und befürchtet eine Deregulierung des Arbeitnehmerschutzes durch den Europäischen Gerichtshof.
Die innenpolitischen Akteure begründen ihre Zurückhaltung einerseits mit der Erfordernis, in Verhandlungen die Reihen geschlossen zu halten. Anderseits ist der Vergleich mit einer alternativen Lösung (oder vorerst gar keiner) schwierig, solange die Details nicht bekannt sind.
Keine unverbindlichen Urteile
Klar ist, dass der EuGH keine unverbindlichen Gutachten erstellen wird. «Entscheide sind dadurch gekennzeichnet, dass sie die Parteien, die sich an ein Gericht gewandt haben, binden», hielt EuGH-Präsident Vassilios Skouris in einem Interview mit dem «Tages-Anzeiger» vom Donnerstag, den 17. Oktober, fest. Die Aussage ist keine Überraschung: Der EuGH hat bereits 1991 in einem Leitentscheid zum EWR festgehalten, dass er kein akademischer Gutachter ist.
Das bedeutet, dass die Nichtbeachtung eines EuGH-Entscheids Sanktionen nach sich zieht. Im «EuGH-Modell» kann die Schweiz nicht direkt von einem Gericht zu einer Busse verurteilt werden wie ein EU- oder EWR-Mitgliedstaat. Dafür ist auf politischer Ebene die Beendigung eines oder mehrerer Abkommen angedacht. NZZ, 18. Oktober 2013
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