Es war ein Entscheid, der jegliches politisches Fingerspitzengefühl vermissen liess: Im Juli wurde bekannt, dass sich der frühere EU-Kommissions-Präsident José Manuel Barroso von der amerikanischen Investmentbank Goldman Sachs als «Präsident ohne Geschäftsbereich» und als Berater für den Umgang mit dem Brexit anstellen liess. Formell hielt Barroso zwar die Regeln des Verhaltenskodexes für Kommissionsmitglieder knapp ein, die ein relativ eng gefasstes Lobbyismus-Verbot für die ersten achtzehn Monate nach Ende des Mandats vorsehen.
Angesichts der zweifelhaften und für die EU-Steuerzahler teuren Rolle, welche die Bank etwa in der Finanzkrise 2007 gespielt hatte, löste der Entscheid aber einen Sturm der Entrüstung aus, zumal er das Klischee der realitätsfernen Brüsseler Bürokraten-Kaste bestätigte. Zwei Monate später hat nun Barrosos Nachfolger Jean-Claude Juncker Konsequenzen gezogen. In einem Schreiben an die europäische Ombudsfrau Emily O'Reilly kündigte Juncker eine Untersuchung des Ethik-Komitees der EU an. Zudem verlangte er Auskünfte über Barrosos Aufgaben und Vertragsbedingungen bei Goldman Sachs. Wie ein Sprecher am Montag präzisierte, soll auch geprüft werden, ob Barroso die in den (Verweis) EU-Verträgen festgehaltene Pflicht für ehemalige Kommissionsmitglieder eingehalten hat, bei der «Annahme gewisser Tätigkeiten oder Vorteile [. . .] ehrenhaft und zurückhaltend zu sein». Falls diese Pflicht verletzt wurde, könnte die Kommission Barroso gar vor den Europäischen Gerichtshof ziehen, der ihm die Pensionsgelder streichen könnte.
Darüber hinaus stuft Juncker seinen Vorgänger zum gewöhnlichen Lobbyisten herab. Barroso wird also künftig in Brüssel nicht mehr mit protokollarischen Ehren empfangen. Vielmehr unterliegt er den Bestimmungen des Transparenz-Registers für Lobbyisten. Das Kommissionsgebäude darf er nicht mehr über den VIP-Eingang betreten, sondern er muss sich künftig bei der Reception beim Haupteingang melden.
Dass ein ehemaliger Präsident nicht mehr als solcher die Kommission betreten darf, ist präzedenzlos. Juncker hatte zwar bereits im Juli sein Missfallen über Barroso zum Ausdruck gebracht, doch hatte die Kommission ihren früheren Chef auch in Schutz genommen mit dem Verweis, dass er den Verhaltenskodex für ehemalige Kommissionsmitglieder eingehalten habe und dass dieser Kodex unlängst verschärft worden sei.
Darum wirkt das Vorgehen des früheren Luxemburger Ministerpräsidenten nun umso willkürlicher, zumal ehemaligen Politikern eine Tätigkeit in der Privatwirtschaft nach Ablauf einer Frist in den meisten Ländern erlaubt ist. Ein Sprecher Junckers erklärte überdies, der Fall Barroso sei wegen des unterschiedlichen öffentlichen Echos nicht mit jenem der früheren Digital-Kommissarin Neelie Kroes vergleichbar, die sich kurz nach Ablauf der 18-monatigen Karenzfrist vom streitbaren Taxi-Konzern Uber anstellen liess. Daher drängt sich der Eindruck auf, Juncker habe wie jüngst beim Vorschlag zur Abschaffung der Roaming-Gebühren auf öffentlichen Druck hin eine Kehrtwende vollzogen. NZZ, 13. September 2016, S. 5
Euro-Finanzminister drängen Griechenland
Hilfskredite gegen Spar- und Reformmassnahmen, so lautet seit 2010 der Deal bei den Hilfsprogrammen für Griechenland. Und ebenfalls seit 2010 notorisch sind Verzögerungen bei der Umsetzung der „Reformen“. An einem Treffen in der slowakischen Hauptstadt Bratislava sahen sich die Finanzminister der Euro-Staaten (Euro-Gruppe) am Freitag einmal mehr genötigt, Athen auf die Finger zu klopfen. Man habe die griechische Regierung dringend ermutigt, die Umsetzung zu beschleunigen, sagte der Euro-Gruppen-Vorsitzende Jeroen Dijsselbloem nach dem Treffen vor den Medien. «Der Sommer ist vorbei», laute die Botschaft. Der EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici ergänzte, von den derzeit anstehenden 15 Reformbausteinen («milestones») seien erst deren 2 vollständig umgesetzt. Allerdings hätten sich die Arbeiten in den letzten Tagen intensiviert. Diese Bausteine hätten eigentlich bis Mitte September erledigt werden sollen, nun sagte der griechische Finanzminister Euklid Tsakalotos die Erfüllung bis Ende September zu. Es geht unter anderem um weitere Privatisierungen und eine Energie-Reform. Die Umsetzung ist Voraussetzung für die Freigabe einer weiteren Kredittranche von 2,8 Mrd. € des Euro-Krisenfonds ESM. Diese ist Teil einer Tranche von insgesamt 10,3 Mrd. €, die im Rahmen der ersten Überprüfung des insgesamt bis zu 86 Mrd. € schweren dritten Hilfsprogramms im Mai im Grundsatz freigegeben worden ist. Die Auszahlung wurde aber an weitere konkrete Reformen gebunden.
Eine erste Subtranche von 7,5 Mrd. € wurde im Juni ausbezahlt. Die jetzige Verzögerung schadet vor allem griechischen Unternehmen und anderen griechischen Akteuren, da der grösste Teil (1,7 Mrd. €) der zweiten Subtranche für die Begleichung von Zahlungsrückständen des Staats vorgesehen ist. Die Einhaltung der Vereinbarungen ist zudem nötig, um mit dem Hilfsprogramm voranzuschreiten. So soll im Oktober die zweite Überprüfung beginnen, und der Internationale Währungsfonds (IMF) will seinem Exekutivdirektorium bis Ende Jahr einen Vorschlag für eine allfällige erneute finanzielle Beteiligung an der Hilfe vorlegen. NZZ, 10. September 2016, S. 29
Internationaler Strafgerichtshof: Umweltdelikte im Visier
Der Internationale Strafgerichtshof (ICC) hat seit Mitte September 2016 sein Aufgabengebiet erweitert. Künftig können auch Fälle von Umweltzerstörung und ·Land Grabbing vor dieser internationalen Organisation verhandelt werden. Bisher·standen Völkermord und Kriegsverbrechen im Fokus der Verhandlungen. Nun fühlt sich der ICC auch für Umweltzerstörung, die Ausbeutung von natürlichen Ressourcen und die illegale Landenteignung zuständig. Der Gerichtshof kann nur über Individuen und nicht über Staaten zu Gericht sitzen. www.icc-cpi.int/itemsDocuments/20160915_OTP-Policy_Case-Selection_Eng.pdf