Euro-Bond-Papier provoziert Polemik Mit einer stärkeren Überwachung der nationalen Haushalte der Euro-Staaten will die EU-Kommission deren Disziplin stärken. Besonders eng an die Leine nehmen will sie Staaten, die finanzielle Hilfe brauchen oder wegen Verletzung der EU-Leitplanken für Defizit und Verschuldung (Stabilitätspakt) in einem Defizitverfahren stecken. Die Pläne, die bereits beschlossene Massnahmen («Sixpack») ergänzen sollen, müssen aber noch vom Ministerrat (Mitgliedstaaten) und vom EU-Parlament verabschiedet werden. Die Vorschläge illustrieren, zu welch weitreichenden Eingriffen es führen kann, nimmt man die nun allseits geforderte Disziplinierung ernst. Ohne Verbesserung der Governance werde es «schwierig, wenn nicht unmöglich», die gemeinsame Währung zu bewahren, verteidigte EU-Kommissions-Präsident Barroso den Vorstoss vor den Medien.
Einige der vorgeschlagenen Bestimmungen sollen für alle Euro-Staaten gelten. So müssten sie alle als eine Art «Schuldenbremse» in ihr nationales Recht – vorzugsweise in die Verfassung – verbindliche numerische Regeln festschreiben, die das im EU-Stabilitätspakt enthaltene mittelfristige Ziel eines strukturell ausgeglichenen Haushalts übernehmen. Die Umsetzung der Regeln soll ein vom Finanzministerium unabhängiges nationales Organ überwachen. Auch die Wirtschaftsprognosen, die der Budgetplanung zugrunde liegen, müssten unabhängig sein, sie dürften nicht vom Finanzministerium erstellt werden.
Schliesslich müssten laut dem Vorschlag alle Staaten jeweils bis Mitte Oktober einen Budgetentwurf vorlegen. Weicht dieser von EU-Vorgaben (Stabilitätspakt, «Europäisches Semester») ab, würde die Kommission dies vor der definitiven Verabschiedung des Haushalts kundtun, und sie könnte auch die Vorlage eines neuen Entwurfs verlangen. Sie hat aber kein Vetorecht, das letzte Wort behält das nationale Parlament. Noch weiter ausgebaut werden sollen die Berichtspflichten und die Überwachung bei Staaten, die wegen Verletzung des Stabilitätspakts in einem Defizitverfahren stehen.
Die zweite Verordnung zielt auf Euro-Staaten, die Hilfe zum Beispiel aus dem Euro-Rettungsfonds erhalten oder deren finanzielle Stabilität in Gefahr ist. Laut EU-Wirtschaftskommissar Rehn soll die Verordnung zum einen die derzeitigen, in der Krise entwickelten Verfahren zur Aushandlung und Überwachung von Anpassungsprogrammen der Hilfsempfänger kodifizieren. Zum andern will die Kommission die Kompetenz erhalten, ein Land mit ernsten Schwierigkeiten bezüglich der finanziellen Stabilität unter verstärkte Überwachung zu stellen. Es müsste dann mehr Informationen liefern und Überprüfungsmissionen der Kommission in Zusammenarbeit mit der EZB über sich ergehen lassen, was an das Monitoring erinnert, das die Euro-Staaten kürzlich Italien auferlegt haben. Ausserdem würde die Kommission neu den übrigen Euro-Staaten empfehlen können, einem Staat einen Antrag auf Finanzhilfe anzuraten oder, brutaler ausgedrückt: ihn unter den Rettungsschirm zu drängen. Dieser Vorschlag beruhe auf der Erfahrung aus der Krise, dass die Staaten solche Programme bis zum letzten Momente zu verzögern versuchten, was die Kosten für alle Beteiligten erhöht habe, sagte Rehn vor den Medien.
Im Paket mit diesen Gesetzgebungsvorschlägen hat die Kommission eine Machbarkeitsstudie (Grünbuch) vorgelegt mit drei Optionen für die Einführung von Euro-Bonds (die sie selbst «Stabilitäts-Bonds» nennt), also gemeinsamen Anleihen der Euro-Staaten zur (teilweisen) Deckung ihrer Finanzbedürfnisse. Auch die Haftung würde je nach Option mehr oder weniger vergemeinschaftet.
Auch wenn das Papier erst eine Diskussionsgrundlage für eine bis Anfang 2012 dauernde Konsultation bildet, hat es ein ungewöhnlich gehässiges Fernduell zwischen Bundeskanzlerin Merkel und Barroso provoziert. Merkel sagte in Berlin, sie halte es für «bekümmerlich, unpassend», dass die Kommission mitten in der Krise den Vorschlag vorlege. Barroso konterte in Brüssel, es sei ein Problem, wenn man eine Debatte von Anfang an ausschliessen wolle. Merkel hat zwar weitere Staaten wie Finnland auf ihrer Seite, doch gibt es auch viele Befürworter der Bonds. Aus ihrer Sicht liegt der Hauptvorteil in einer Senkung der Finanzierungskosten vor allem für schwächere Staaten. Doch auch die Kommission räumt ein, dass dies mit einem geringeren Druck der Märkte auf diese Länder erkauft würde. Deshalb müsste ihre Einführung laut Rehn mit einer weiteren Stärkung der «Governance» über die Vorschläge vom Mittwoch hinaus verbunden werden. NZZ, 24. November 2011, S.27.
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Landraub in Kambodscha Die Europäische Union fördert in Kambodscha indirekt den Landraub. Denn viele Produkte, die auf den riesigen, kommerziellen Agrarflächen angebaut werden, die im ganzen Land durch Landraub entstehen, kann Kambodscha im Rahmen der «Alles ausser Waffen»-Initiative zollfrei in die EU exportieren, zum Beispiel Zucker. Was Entwickhingsländern den Marktzugang in die EU erleichtern sollte und als eine Form von Entwicklungshilfe gedacht war, schafft in Wirklichkeit einen weiteren Anreiz dafür, Menschen von ihrem Land zu vertreiben.
Landkonflikte sind heute bei weitem der grösste Streitpunkt in Kambodscha. Sie betreffen mindestens eine Million Menschen. Dabei versage die Justiz bei der Aufgabe, die Armen zu beschützen, komplett. «Von diesen gesellschaftlichen Strukturen profitieren die Mächtigen, Leute mit Waffen, Leute, die gute Kontakte haben, und Geschäftsleute, die sich Einfluss kaufen können.» Das Problem mit dem Landraub ist eine der vielen Folgen des Regimes der Roten Khmer. Diese haben während ihrer Herrschaft beinahe alle Grundbucheinträge des Landes vernichtet.
Ein Gesetz aus dem Jahr 2001 sollte Abhilfe schaffen: Jeder Kambodchaner sollte demzufolge das Besitzrecht für sein Land erhalten, wenn er dort mindestens fünf Jahre lang gelebt hat. Das gilt jedoch nur dann, wenn die Regierung das Land nicht als gewerbliches oder öffentliches Land gekennzeichnet hat. Solche Bezeichnungen erfolgen allerdings seit einigen Jahren nachträglich — und äusserst willkürlich. NZZ, 24. November 2011, S. 7
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Draghi - Vertreter der Finanzindustrie als Direktor der EZB Draghi, der neue Chef der Europäischen Zentralbank, war früher Vizepräsident der Goldman Sachs International, eines weltweit tätiges Investmentbanking- und Wertpapierhandels-unternehmens mit Sitz in New York. Er ist zudem Mitglied der erlesenen Clubs "Gruppe der Dreissig" (Group of Thirty), eine Gruppierung von ausgewählten Personen von Topbeamten, -bankern und -managern von Multis sowie und ein paar Professoren, welche versuchen, auf die Regulierung des Finanzsystems Einfluss zu nehmen. http://www.corporateeurope.org/sites/default/files/publications/Group%20of%20Thirty.pdf [28. November 2011]
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Lobbyingstudie: 39 Prozent der Ex-EU-Kommisare endeten als Lobbyisten Politiker sollten eigentlich als starke, unabhängige Pfeiler für einen gerechten Ausgleich der unterschiedlichen Gesellschaftsinteressen sorgen. Stattdessen verkommen sie immer öfter zu Abteilungsleitern von Großunternehmen, etwa indem sie lukrative Jobangebote für die Zeit nach ihrer politischen Karriere von diesen Unternehmen annehmen. Professor Roland Vaubel von der Universität Mannheim analysierte mit seinen Kollegen die Werdegänge von 92 ehemaligen EU-Kommissaren und kam zu alarmierenden Ergebnissen. 39 Prozent der Ex-EU-Kommissare wurden nach ihrer Amtszeit Lobbyisten. Bei den konservativen EU-Kommissaren liegt der Prozentsatz sogar bei 50 Prozent. “There is Life after the Commission: An Empirical Analysis of Private Interest Representation by Former EU-Commissioners" (coauthors: Bernhard Klingen, David Müller), Review of International Organizations, Vol. 7 (1), 2011.
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Migration in der EU Ab Januar 2012 könnten Bulgaren und Rumänen auch als Arbeitskräfte in anderen EU-Staaten einwandern, sofern die Übergangsfristen von den 10 EU-Ländern mit solchen nicht verlängert werden. Die zehn Mitgliedsstaaten können die Beschränkungen noch ein letztes Mal um zwei Jahre verlängern, wenn sie die Kommission über «schwerwiegende Störungen oder die Gefahr derartiger Störungen» informieren. Die Hürden für neue Hindernisse gegen die Mobilität sind also relativ hoch. Einzig Spanien hat zuletzt grünes Licht dafür bekommen, den Zugang für rumänische Arbeitnehmer bis Ende 2012 zu beschränken. Dorthin und nach Italien hat es mit der Freizügigkeit den Grossteil der Bulgaren und Rumänen gezogen. Genaue Zahlen über die Arbeitskräftewanderungen zwischen den verschiedenen EU-Staaten sind schwierig zu finden. Gemäss der Kommission haben die Freizügigkeit bisher vier Prozent der 500 Millionen EU-Bürger überhaupt einmal genutzt. Bulgarien und Rumänien verloren seit 2007 gut vier Prozen ihrer Bevölkerung. Unbekannt ist, wie viele spanische Ingenieure oder griechische Ärzte jetzt in Deutschland ihr Glück suchen, wo in vielen Branchen noch immer Fachkräftemangel herrscht. Der Bund, 25. November 2011, S. 9
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Bezeichnendes Maillard Zitat SPS-Bundesratskandidat Maillard in der NZZ vom 10. November 2011: „Der EU-Beitritt kann doch nicht oberstes Ziel der Sozialdemokratie sein. Es ist eine rein institutionelle Frage. Unsere obersten Ziele müssen nicht institutionelle, sondern materielle Forderungen wirtschafts- und sozialpolitischer Art sein.“ (S. 13). Am Zitat erfreut, dass der SP-Bundesratskandidat den EU-Beitritt der Schweiz nicht als oberstes Ziel seiner Politik ansieht. Er deckt damit auch auf, dass es für die meisten Sozialdemokraten der Nomenklatura der Partei offenbar nichts wichtigeres gibt als dieser unsozialen und antidemokratsichen Organisation beizutreten.
Befremdlich am Zitat ist aber die Geringschätzung der Demokratie, die zum Ausdruck kommt. Maillard betrachtet diese als eine „institutionelle“ Frage, die nicht so wichtig ist. Es handelt sich um eine Einstellung, die in Teilen der Linken verbreitet ist. Wie soll man sich aber für soziale Grundrechte einsetzen, wenn man die politischen Grundrechte geringschätzt? Und wer soll sich für soziale Grundrechte auch auf politischer Ebene einsetzen, wenn nicht die Menschen, die von diesen profitieren sollen?
Die Geringschätzung politischer Teilnahme ist Ausdruck einer paternalistischen Haltung oder dann einer romantischen Einstellung, welche die „wahre soziale Demokratie“ als Resultat von sozialen Auseinandersetzungen und entsprechenden Machtverhältnissen sieht – unabhängig von uninteressannten politischen Institutionen. Beide Haltungen sind abzulehnen: weil sie zu einem unsozialeren Staat führen und die fundamentalen Menschrechte der Teilnahme am politischen System geringachten. Die Politik ist nicht den „anderen“, den „Eliten“ zu überlassen, die es angeblich gut mit uns wollen.
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