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Kurzinfos Mai 2017Brüsseler Deutsch
Aus den Schlussfolgerungen des EU-Rates zu den Beziehungen der EU zur Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 28.02.2017 (Pressemitteilung 93/17 Internationaler Handel und Zoll; http://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2017/02/28-conclusions-eu-swiss-confederation/)
6. Die Schweiz ist der drittgrößte Wirtschaftspartner der EU, die wiederum der wichtigste Handelspartner der Schweiz ist. Während die bilateralen Handelsbeziehungen gegenwärtig allgemein reibungslos zum Nutzen beider Partner funktionieren, bestehen für Wirtschaftsakteure aus der EU eine Reihe von Beschränkungen in Bezug auf den Zugang zum schweizerischen Markt, und zwar insbesondere im Agrar- und Lebensmittelsektor sowie im Dienstleistungssektor. Diese Beschränkungen müssen beseitigt werden, um die Ungleichgewichte in den bilateralen Wirtschaftsbeziehungen zu beheben. Der Rat sieht mit Sorge, dass bestimmte Abkommen uneinheitlich angewendet werden und dass die Schweiz auf Bundes- oder Kantonsebene nachfolgend Rechtsvorschriften und -verfahren verabschiedet hat, die mit diesen Abkommen, insbesondere mit dem Abkommen über die Freizügigkeit, nicht vereinbar sind. Er ersucht die Schweiz, die entsprechenden Begleitmaßnahmen aufzuheben und davon Abstand zu nehmen, weitere Maßnahmen zu erlassen, die mit dem Abkommen unvereinbar sind.
Auf der Homepage des Rates gibt es einen Linke für weitere Infos. Dort fragten wir, was mit "einer Reihe von Beschränkungen in Bezug auf den Zugang zum schweizerischen Markt, und zwar insbesondere im Agrar- und Lebensmittelsektor sowie im Dienstleistungssektor." gemeint sei. Die Antwort: „Leider kann ich Ihnen nicht helfen, weil die Kommission zuständig für alle technischen Fragen ist. Die Schlussfolgerungen sind natürlich vom Rat abgestimmt, aber die Kommission ist diejenige, die alle Einzelheiten über die ‚Beschränkungen in Bezug auf den Zugang zum schweizerischen Markt, und zwar insbesondere im Agrar- und Lebensmittelsektor sowie im Dienstleistungssektor‘ weiss. Am besten wenden Sie sich an die Kollegen der Kommission. Mit freundlichen Grüssen, Evi LIASKOU, Press officer - Employment/Social Policy, EEA-EFTA, Enlargement (8. Mai 2017). Voilà.
Die EU verschärft den Ton gegen Orban Jahrelang hatten sich die Christdemokraten im Europaparlament schützend vor den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban gestellt. Nun aber ist bei etlichen Fraktionsmitgliedern der Europäischen Volkspartei (EVP), der Orbans Fidesz-Partei angehört, der Geduldsfaden gerissen. Eine stattliche Zahl von EVP-Abweichlern verhalf am Mittwoch im EU-Parlament in Strassburg einer Resolution der Sozialdemokraten, Linken, Liberalen und Grünen zum Durchbruch, mit der erstmals eine EU-Institution konkrete Schritte zur Aktivierung der «nuklearen Option» nach Artikel 7 der EU-Verträge einleitet.
Das Parlament ortet in Ungarn «ein klares Risiko von ernsthaften Verstössen» gegen die Grundwerte der EU. Nun muss ein Ausschuss umgehend eine Liste dieser Verfehlungen Ungarns erstellen, worauf das Parlament die Lancierung des Verfahrens aber noch mit einer Zweidrittelmehrheit bestätigen muss. Artikel 7 gilt als «nukleare Option», weil dem betroffenen Mitgliedstaat Sanktionen bis hin zum Verlust des Stimmrechts in der EU drohen. So weit wird es zwar nicht kommen. Denn nötig wäre dafür im Laufe des Verfahrens ein einstimmiger Beschluss der übrigen 27 EU-Staaten. Ungarn und Polen, das wegen seines Vorgehens gegen das Verfassungsgericht mit Brüssel ebenfalls im Streit liegt, wollen sich gegenseitig vor Sanktionen schützen.
Dennoch ist der Schritt des Parlaments das bisher stärkste Zeichen dafür, dass sich die Geduld der EU mit Orban dem Ende zuneigt. Inhaltlich konzentriert sich die Kritik der Abgeordneten auf das Hochschulgesetz, von dem sich die vom amerikanischen Milliardär George Soros gegründete Central European University (CEU) in Budapest existenziell bedroht sieht. Erwähnung finden aber auch Ungarns Vorgehen in der Migrationspolitik sowie ein Gesetzesentwurf zur Disziplinierung von aus dem Ausland finanziell unterstützten Nichtregierungsorganisationen. Wegen des Hochschulgesetzes hatte die EU-Kommission Ende April bereits ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn eingeleitet, Budapest muss nun bis Ende Mai zu den Kritikpunkten Stellung nehmen. Orban hatte die EVP-Spitze am Rande des letzten EU-Gipfels seiner Kooperationsbereitschaft versichert, säte unmittelbar darauf vor den Medien aber wieder Zweifel.
Die EVP unter Fraktionschef Manfred Weber ist über das Vorgehen ihres «Enfant terrible» zwar ungehalten, lehnt den Bruch mit dem Fidesz aber noch immer ab – auch mit dem Argument, die Christdemokraten könnten innerhalb der Parteistrukturen mässigend auf Orban einwirken. Doch nicht zuletzt Orbans tendenziöse Fragebogenaktion «Stoppt Brüssel!» hat bei vielen Fraktionsmitgliedern zu einem Umdenken geführt – auch mit Blick auf die Europawahlen von 2019. Denn je länger die EVP billiges EU-Bashing in den eigenen Reihen duldet, desto unglaubwürdiger wird ihre Kritik an den rechtspopulistischen Parteien in Westeuropa.
Trotz rechtlichen Schritten der EU-Kommission hat Viktor Orban im Europaparlament sein Hochschulgesetz verteidigt. Seine Parteigenossen von den europäischen Christdemokraten stellen sich hinter ihr Enfant terrible. Abgeordnete wie der Luxemburger Frank Engel oder der Österreicher Othmar Karas fordern öffentlich den Bruch mit dem Fidesz – wobei es am einfachsten wäre, Orban würde der EVP den Rücken kehren, um einem Ausschlussverfahren zuvorzukommen. Verweigert Orban Konzessionen beim Hochschulgesetz, wird der Druck in der EVP steigen, Orban bei der anstehenden Abstimmung über die Aktivierung von Artikel 7 offiziell fallenzulassen.
Die Lancierung des Verfahrens würde nicht nur Orban politisch an den Pranger stellen, sondern wäre auch für die EU-Staaten delikat. Denn unter Ministerkollegen mischt man sich nur ungern in die jeweilige Innenpolitik ein, wie sich auch im Fall Polens zeigt. Seit über einem Jahr liegt die PiS-Regierung im Streit mit der EU-Kommission, ohne dass sich Warschau zu namhaften Konzessionen hätte bewegen lassen. Am Dienstag haben nun erstmals die Europaminister der 28-EU-Staaten über die Lage in Polen diskutiert. Laut Diplomaten konnte der polnische Minister auf die Unterstützung seines ungarischen Kollegen zählen. Während sich Tschechien, die Slowakei oder Litauen neutral verhielten, machten Deutschland, Frankreich oder Italien deutlich, dass sie die Sorgen der Kommission teilten.
Die Minister versuchten den Druck auf Polen zu erhöhen, ohne mit Sanktionen zu drohen. Doch auch die Regierungen der EU-Staaten stehen je länger, je stärker unter Druck, angesichts der autoritären Tendenzen in Warschau und Budapest Farbe zu bekennen – was indes zu einer neuen Zerreissprobe zwischen Ost- und Westeuropa führen könnte. NZZ. 18. Mai 2017, S. 5
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EU-Kommission ignoriert Hinweise zu Nanomaterialien NGOs haben das Vorgehen der EU-Kommission bei der Diskussion rund um die Revision von Anhängen des Chemikalienregisters REACH für die Behandlung von Nanomaterialien scharf kritisiert.
Bei einem Treffen der zuständigen EU-Behörden im Bereich Nanomaterialien (CASG-Nano) wurde ein neues Non-Paper, also ein inoffizieller Entwurf, der EU-Kommission diskutiert. Dieses habe laut Tatiana Santos, Chemikalienexpertin des Europäischen Umweltbüros, Empörung bei NGOs, Mitgliedstaaten und der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) ausgelöst.
Grund dafür war der äußerst geringe Umfang der Veränderungen im Dokument, verglichen mit der Vorgängerversion von 2014. Die bei dem letzten Treffen der CASG-Nano eingebrachten Äußerungen waren von der Kommission nicht eingearbeitet worden. Dies zeige den Unwillen der Kommission, die Kommentare der Mitgliedstaaten miteinzubeziehen, so Gregory Moore von der Schwedischen Chemikalienagentur.
Der REACH-Ausschuss hat Mitte März 17 ebenfalls über die Definition von Nanomaterialien diskutiert, jedoch dazu keine Ergebnisse veröffentlicht. Umwelt Aktuell, Mai 2017, S. 10,
Quellen:
Meldung auf Chemical Watch (https://chemicalwatch.com/54485/commissions-nanomaterials-proposals-outrage-member-states-say-ngos)
Ergebnisse des CASG-Nano-Treffens: http://files.chemicalwatch.com/Item%208%20-%20Support%20to%20RC%20REACH%20Annexes%20nano%20NonPaper_%20Commission%20proposed%20annex%20changes%20%282%29%20%281%29.pdf
Agenda des REACH-Ausschusses: http://ec.europa.eu/transparency/regcomitology/index.cfm?do=search.documentdetail&Dos_ID=14125&DS_ID=49961&Version=1
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Aarhus-Konvention: Europäische Union erfüllt rechtliche Vorgaben nicht Seit März 17 steht für den Überprüfungsausschuss für die Einhaltung der Aarhus-Konvention fest: Die Europäische Union verstößt aufgrund fehlenden wirksamen Zugangs zu Gerichten auf EU-Ebene gegen ihre gesetzlichen Verpflichtungen im Rahmen des Aarhus-Übereinkommens. Nach einer ersten Bewertung im Jahr 2008 - die Nichtregierungsorganisation (NGO) ClientEarth hatte zusammen mit anderen Organisationen und Privatpersonen den Prozess angestoßen - und einer Entwurfsveröffentlichung im Juli letzten Jahres (EU-News 25.07.2016) erfolgte nun die zweite Veröffentlichung durch den Ausschuss.
Das Europäische Umweltbüro (EEB) begrüßte das Ergebnis. Während Unternehmen relativ einfachen Zugang zum Gerichtshof der Europäischen Union hätten, um ihre geschäftlichen Interessen zu verteidigen, hätten Umwelt-NGOs gegenwärtig praktisch keinen Zugang zum Gericht, um die Umwelt zu verteidigen, es sei denn es handele sich um fehlenden Zugang zu Dokumenten. Denn die EU-Rechtsvorschriften zur Umsetzung des Übereinkommens beschränken vor Gericht anfechtbare Maßnahmen von EU-Organen auf einen "individuellen Geltungsbereich". Die meisten Entscheidungen, die NGOs anzufechten versuchen seien aber eher von allgemeiner Tragweite. Der Aarhus-Überprüfungsausschuss (Aarhus Compliance Committee) stellte fest, dass dies mit den Anforderungen des Übereinkommens unvereinbar ist.
EEB-Generalsekretär Jeremy Wates sagte: "Die EU muss nun rasch handeln, um die Ergebnisse des Ausschusses zu berücksichtigen und ihre Empfehlungen umzusetzen. Die europäischen Gerichte müssen offen für NGOs und die Öffentlichkeit sein, wenn sie Entscheidungen von Institutionen wie der Europäischen Kommission in Frage stellen wollen." Umwelt Aktuell, Mai 2017, S. 22
Bericht des Ausschusses: http://www.unece.org/fileadmin/DAM/env/pp/compliance/C2008-32/Findings/C32_EU_Findings_as_adopted_advance_unedited_version.pdf
Bemerkung:
Die Aarhus-Konvention ist der erste völkerrechtliche Vertrag, der Bürgern Rechte im Umweltschutz überträgt. Sie wurde 1998 in der dänischen Stadt Aarhus im Rahmen von UN-Verhandlungen geschlossen und regelt drei Bereiche, die als „Säulen“ der Konvention bezeichnet werden: erstens den Zugang zu Umweltinformationen, zweitens die Öffentlichkeitsbeteiligung bei Projekten mit Umweltauswirkungen sowie drittens den erweiterten Zugang zu Gerichten bei Projekten mit Umweltrelevanz. Die EU hat die Aarhus¬Konvention im Jahr 2007 übernommen. Grundlegend ist die Verordnung 1367/2006/EG.
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Mittelmeeranrainer wollen Fischbestände besser schützen Fünfzehn Anrainerstaaten haben einen 10-Jahres-Plan zum Schutz der Fischbestände im Mittelmeer beschlossen. Bei der MedFish4Ever-Ministerkonferenz auf Malta Ende März waren mit Spanien, Frankreich, Italien, Malta, Slowenien, Kroatien, Griechenland und Zypern acht EU-Staaten vertreten. Außerdem unterzeichneten sieben weitere Mittelmeeranrainer, nämlich Marokko, Algerien, Tunesien, Ägypten, Türkei, Albanien und Montenegro.
Sie einigten sich auf ein detailliertes Arbeitsprogramm für die nächsten zehn Jahre:
Bis 2020 sollen für alle wichtigen Bestände im Mittelmeer angemessene Daten erhoben und diese Bestände regelmäßig wissenschaftlich bewertet werden;
Einführung mehrjähriger Bewirtschaftungspläne für alle wesentlichen Fischereien;
Unterbindung der illegalen Fischerei; alle Staaten sollen bis spätestens 2020 über den rechtlichen Rahmen und die erforderlichen personellen und technischen Kapazitäten verfügen, um ihre Kontroll- und Inspektionspflichten zu erfüllen;
Förderung nachhaltiger handwerklicher Fischerei und Aquakultur durch Vereinfachung von Finanzierungsprogrammen für lokale Projekte wie die Flottenmodernisierung mit schonenden Fanggeräten und -techniken, soziale Eingliederung und die Beteiligung der Fischer am Umweltschutz.
Der für Fischerei zuständige EU-Kommissar Karmenu Vella nannte die Unterzeichnung der MedFish4Ever-Erklärung von Malta historisch. Die Bestände im Mittelmeer sind in den letzten zehn Jahren alarmierend geschrumpft. Studien der Gemeinsamen Forschungsstelle (JRC) und eines wissenschaftlichen Ausschusses für die Fischerei belegen, dass 93 Prozent der Bestände überfischt sind. In den vergangenen 50 Jahren habe das Mittelmeer 41 Prozent seiner Säugetiere und 34 Prozent des gesamten Fischbestandes verloren. Das gefährde Existenzgrundlagen, Ernährungssicherheit, regionale Stabilität und Sicherheit. Deshalb hat die JRC-Forschungsstelle eine öffentliche Datenbank entwickelt, um den Zustand der Bestände besser überwachen zu können. Umwelt Aktuell, Mai 2017, S. 26
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Norwegen und Polen im Clinch: Streit um den EWR-Kohäsionsfonds Polens Regierung verlangt Kontrolle über die Verteilung von EWR-Kohäsionsgeldern für zivilgesellschaftliche Projekte. Norwegen will dies nicht zulassen und ist bereit, Zahlungen notfalls zu sperren.
Norwegen droht Polen damit, bei seinen Zahlungen in den Fonds des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) zugunsten ostmitteleuropäischer EU-Mitglieder den Geldhahn zuzudrehen. Streitpunkt ist die polnische Forderung nach einem direkten Mitspracherecht staatlicher Stellen bei der Verteilung der Mittel. Norwegen erachtet es als essenziell, dass nur unabhängige Organisationen entscheiden, welche zivilgesellschaftlichen Projekte gefördert werden.
Gespeist wird der Finanzpool, der ähnlich dem Schweizer Kohäsionsfonds zur Verminderung des West-Ost-Gefälles innerhalb der EU beitragen soll, von den EWR-Mitgliedern Norwegen, Island und Liechtenstein. Norwegen leistet mit einem Anteil von 96 Prozent den weitaus grössten Teil der Zahlungen.
Auf der Empfängerseite sind Polen, Ungarn und Rumänien die grössten Nutzniesser des Programms. Norwegen verhandelt mit Polen derzeit um rund 800 Millionen Euro, die bis 2021 zur Verteilung gelangen sollen, mit Ungarn über 215 Millionen. Ein kleinerer Teil davon, in Polen etwa 40 Millionen Euro, ist für zivilgesellschaftliche Initiativen vorgesehen.
Weil Polens national-konservative Regierung befürchtet, dass Projekte gefördert werden könnten, die ihrem Weltbild zuwiderlaufen (etwa hinsichtlich der Rechte sexueller Minderheiten), möchte sie die Verteilung selber überwachen. Der zuständige Regierungsvertreter, Vizeministerpräsident Glinski, stellte sich im Gespräch mit einer polnischen Publikation auf den Standpunkt, es handle sich um öffentliche Mittel, über die deshalb die Regierung die Verfügungsgewalt haben sollte.
In Oslo sieht man das jedoch ganz anders. Es gehe nicht an, dass Gelder für den zivilgesellschaftlichen Sektor der Kontrolle durch eine Regierung unterlägen, erklärte die norwegische Ministerpräsidentin Solberg unlängst. Sie gab damit zu erkennen, dass man auf einer Evaluation der Projekte durch regierungsunabhängige Stellen beharre.
Weil die Kohäsionszahlungen zu den Pflichten Norwegens gegenüber der EU gehören, nahm Solberg das Thema vergangene Woche in einem Gespräch mit dem EU-Kommissions-Präsidenten Juncker auf. Oslo äusserte die Bereitschaft, Gelder zurückzuhalten, wenn man mit Polen nicht zu einer Einigung komme. Dass dies keine leere Drohung ist, hatte Oslo schon 2014 und 2015 demonstriert, als bei einem ähnlich gelagerten Streit mit Ungarn tatsächlich die Auszahlung von Mitteln blockiert wurde.
In norwegischen Medien wurde darauf hingewiesen, dass in Polen wie Ungarn heute ein politisches Klima herrsche, in welchem autoritär auftretende rechtskonservative Regierungen versuchten, Medienfreiheit und Bürgerrechte einzuschränken. Deshalb sei tatsächlich zu befürchten, dass Organisationen links der Mitte, mit feministischer Ausrichtung oder mit einem Engagement für die Gleichstellung sexueller Minderheiten keine Gelder zugesprochen bekämen, wenn diese Regierungen die Verteilung kontrollieren könnten. NZZ, 12. Mai 2017, S. 6
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Zahlen und Maul halten «Bezahlen, gehorchen, Maul halten» – das ist laut einem Osloer Wirtschaftskommentator die Kurzformel für die norwegische Mitgliedschaft im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR). Mit dieser Meinung scheint er nicht allein zu sein. Eine Umfrage, die die norwegische Bewegung «Nej til EU» («Nein zur EU») zum 25. Jahrestag des EWR-Beitritts Norwegens in Auftrag gegeben hatte, förderte eine überraschend starke Anti-EU-Stimmung in dem nordischen Land zutage. So sprachen sich 47 Prozent der Befragten für eine Volksabstimmung aus zum Thema, ob das Binnenmarktabkommen neu zu verhandeln sei oder ob man sich daraus direkt verabschieden solle. Jeder Fünfte sah hingegen diesbezüglich keinen Handlungsbedarf.
Die Chance für eine allfällige Neuverhandlung der Teilnahme am europäischen Binnenmarkt wittern Norwegens EU-Kritiker im Brexit. Man hofft darauf, dass Grossbritannien beim Poker mit Brüssel über die «Zeit danach» auch Themen ansprechen wird, an die man sich seinerzeit nicht getraut hatte. Sollte London für sein zukünftiges Verhältnis mit der EU mehr herausschlagen können, als es Oslo beim EWR-Beitritt gelungen war, würde das zweifellos in Norwegen der Forderung Vorschub leisten, nochmals über die Bücher zu gehen. NZZ, 9. Mai 2017, S. 11
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Nervenkrieg um den Brexit Formell beginnen die Brexit-Verhandlungen nach den britischen Wahlen vom 8. Juni, doch der Nervenkrieg zwischen London und Brüssel ist bereits in vollem Gang. So hatte ein für die Briten unvorteilhafter Artikel über ein Diner zwischen Premierministerin Theresa May und EU-Kommissions-Präsident Jean-Claude Juncker in der «Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung» den Eindruck erweckt, dem Journalisten seien aus Junckers direktem Umfeld vertrauliche Einzelheiten zugetragen worden. Als unfreundlicher Akt wurde derweil in Brüssel aufgefasst, dass London mit Verweis auf die Wahlen eine Aktualisierung des EU-Finanzrahmens blockiert, mit der etwa Auslagen in der Flüchtlingskrise berappt werden sollen. Einen vorläufigen Höhepunkt erreichte die Eskalation am 3. Mai 17: May warf der EU die Einmischung in den britischen Wahlkampf vor.
Zuvor hatte der Brexit-Chefunterhändler der EU, Michel Barnier, in Brüssel den Entwurf für das EU-Verhandlungsmandat vorgestellt – wobei er sich hart in der Sache, aber versöhnlich im Ton gab. Das jüngste Treffen mit May habe in «herzlicher» Atmosphäre stattgefunden, sagte der Franzose, der erklärte, er wolle zwischen den verbleibenden EU-Staaten (EU-27) und London eine «Entente cordiale» konstruieren. Dass die Positionen noch «sehr weit» auseinanderlägen, treffe zu, sei aber nicht erstaunlich und zeige, dass rasch und intensiv verhandelt werden müsse.
Das Mandat konkretisiert die am Ende April 17 von den EU-Regierungschefs beschlossenen Leitlinien und beschränkt sich auf den Austrittsvertrag, über den die EU zuerst sprechen will. Im Zentrum stehen dabei die Vermeidung einer harten Grenze zwischen Irland und Nordirland, die «Austrittsrechnung» und die Rechte von britischen und EU-Bürgern, die auf der jeweils anderen Seite des Ärmelkanals wohnen. Stimmen die Europaminister der EU-27 dem Mandat erwartungsgemäss zu, wäre Barnier nur dazu ermächtigt, über diese Punkte zu sprechen. Zu Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen und Übergangsregelungen sind die EU-27 erst bereit, wenn zum Austrittsvertrag genügend Fortschritte erzielt worden sind, die dann nicht mehr in Frage gestellt werden.
Ganz abgesehen davon, dass die Briten diese Sequenzierung der Verhandlungen erneut abgelehnt haben und von Anfang an auch über einen Freihandelsvertrag sprechen wollen: Das EU-Mandat präsentiert ihnen auch inhaltlich schwerverdauliche Kost. Die EU nennt zwar keine Zahlen für die «Austrittsrechnung», doch zeugt das Mandat von einer harten Verhandlungsposition. Zudem will die EU für ihre 3,2 Millionen Bürger auf der Insel und für die 1,2 Millionen in der EU wohnhaften Briten weitreichende Rechte sichern, die vom Aufenthalt über den Zugang zum Arbeitsmarkt bis zur Anerkennung von Diplomen reichen. Wer zum Zeitpunkt des Brexit am 29. März 2019 in Grossbritannien lebe, solle dort «für den Rest seines Lebens weiterleben wie heute», betonte Barnier. Auch EU-Bürger, die bereits aus Grossbritannien weggezogen sind, sollen gewisse Rechte behalten.
Diese «Bürgerrechte» blieben vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) einklagbar, dessen Rechtsprechung sich London also auf Jahrzehnte hinaus nicht entziehen könnte. Ohnehin soll der Brexit-Vertrag einen Schlichtungsmechanismus enthalten für Fälle, in denen in der Umsetzung ein Konflikt entsteht. Wo es dabei um die Auslegung von EU-Recht geht, führt aus Brüsseler Sicht kein Weg an der Zuständigkeit des EuGH vorbei. Die EU erweist sich erneut als auf fremde Rechtssysteme übergriffig, wie bezüglich der Schweiz auch bekannt ist. NZZ, 4. Mai 2017.
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EZB-Kaufprogramme Die Europäische Zentralbank beginnt mit der Reinvestition frei werdender Mittel aus dem Staatsanleihe-Kaufprogramm. Zugleich beklagen Kritiker die Marktverzerrungen durch die Wertpapierkäufe, unter anderem bei deutschen Bundesanleihen.
Seit April 17 hat die Europäische Zentralbank (EZB) ihre Wertpapierkäufe wie angekündigt gedrosselt. Statt für 80 Mrd. kauft sie für 60 Mrd. € verschiedenste Arten von Wertpapieren. Bisher hat sie Staatsanleihen und andere Schuldtitel im Umfang von rund 1,5 Bio. € erworben, Ende 2017 dürften die Wertpapierkaufprogramme (APP) ein Volumen von 2,28 Bio. € erreicht haben. Doch damit nicht genug. Die Käufe erhöhen sich dadurch, dass Gelder von auslaufenden Papieren reinvestiert werden. Kenner gehen davon aus, dass im Jahr 2017 etwa 19 Mrd. € wieder angelegt werden (monatlich knapp 2 Mrd. €) und 2018 rund 80 Mrd. € (monatlich 6,7 Mrd. €). Die Zahlen für 2018 erhöhen sich noch, wenn die Zentralbank viele kurz laufende Papiere im Jahr 2017 erwirbt. Die EZB wollte zu den Berechnungen keine Stellung nehmen.
Im Dezember 2015 hatte der EZB-Rat entschieden, die Gelder aus fällig werdenden Papieren zu reinvestieren. Der Entscheid wurde für bereits existierende Programme sofort umgesetzt. Im Zusammenhang mit dem Kauf von Staatsanleihen und anderen öffentlichen Bonds (Public Sector Purchase Programme, PSPP) fanden im März nun die ersten Rückzahlungen von Geldern statt, wie die EZB bestätigt.
Diese Mittel reinvestiert die Zentralbank. Für die Programme zum Erwerb von Asset-backed Securities (ABSPP), Covered Bonds (CBPP3) und Unternehmensanleihen (CSPP) hat sie bereits Reinvestitionen vorgenommen, weil die Laufzeiten der für diese Programme geeigneten Bonds kürzer sind.
Die Kaufprogramme stehen bereits länger vor allem in Deutschland in der Kritik, weil sie zahlreiche Nebenwirkungen zeitigen. Dazu gehören Risikokonzentration in der Notenbankbilanz und Vergemeinschaftung von Schulden, Schädigung von Sparern sowie zu Fehlallokationen von Kapital. NZZ, 3. Mai 2017, S. 27
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Zwist zwischen EU und IMF Eine Rückkehr Griechenlands an den Kapitalmarkt ist ohne Klärung der Frage der Schuldentragfähigkeit des Landes vorerst kaum durchführbar. Zwar scheinen sich Griechenland und seine Gläubiger erneut auf ein Paket von Spar- und Reformmassnahmen zu einigen. Aber bei einer wichtigen Frage sind Schuldner und Gläubiger und die Gläubiger untereinander nach wie vor uneinig: Kann Griechenland seine hohen Schulden auf Dauer tragen, oder muss ein Teil erlassen werden? Eine Einigung muss nicht zuletzt erreicht werden, weil Griechenland schon 2018 an den Kapitalmarkt zurückkehren soll.
Griechenland hat öffentliche Schulden von 326 Mrd. € und ist mit einer Schuldenquote von 180% des Bruttoinlandproduktes das am meisten verschuldete Land der Europäischen Union. Brisant ist, dass die Schulden durch die Umschuldung von 2012 zu fast drei Vierteln von offiziellen europäischen Institutionen (226 Mrd. €) wie der Europäischen Zentralbank und dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) sowie dem Internationalen Währungsfonds (IMF; 13 Mrd. €) gehalten werden.
Unter den offiziellen Gläubigern bestehen hauptsächlich drei Vorstellungen zur Schuldentragfähigkeit und Notwendigkeit eines Schuldenerlasses: Vor allem Deutschland sieht kein Problem einer exzessiven Verschuldung, sondern nur eine mangelhafte Reformbereitschaft Griechenlands. Die europäischen Institutionen erkennen zwar ein Problem der Tragfähigkeit, sind aber überzeugt, dass weitere Reformen und Sparmassnahmen es lösen werden. Am anderen Ende des Spektrums steht der IMF, der die Verschuldung als völlig untragbar einschätzt und umfassende Restrukturierungen in Form von Schuldenschnitten oder Zinssenkungen fordert.
Als unabhängiger Beobachter hat nun das auf internationale Verschuldung spezialisierte Peterson Institute for International Economics (PIIE) die Frage der Tragbarkeit der griechischen Schulden zu klären versucht. In einem Arbeitspapier kommt es zu drei Schlüssen: Erstens sei unter allen sinnvollen Annahmen für Wachstum und Fiskalpolitik sowie unter Berücksichtigung von Erfahrungen mit anderen verschuldeten Ländern ein signifikanter Schuldenerlass unabdingbar. Zweitens könnten die Vorschläge der Euro-Gruppe von Mai 2016 die Tragbarkeit erreichen, aber nur unter der Voraussetzung extremer Laufzeitverlängerungen (bis mindestens 2080) und des Aufschubs von Zinszahlungen, was zu einer jahrzehntelang steigenden Belastung der europäischen Rettungsanker führen würde.
Ein Ausweg aus dem Dilemma wäre drittens eine Verschiebung der Rückkehr Griechenlands an den Kapitalmarkt, kombiniert mit einer über 2018 fortgesetzten Unterstützung durch den ESM. Da dann keine knappen griechischen Finanzressourcen für relativ hohe Marktzinsen ausgegeben werden müssten, sinke das Ausmass von Schuldenerlass und Austerität bis zum Erreichen der Schuldentragfähigkeit. Zwar wachse die Exponierung der Euro-Gruppe vorerst weiter, aber paradoxerweise weniger als unter ihren eigenen Plänen. NZZ, 8. Mai 2017, S. 21
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